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Already layed Stumbling Stones



Else Moll
Else Moll
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Else Moll * 1912

Goebenstraße 46 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
ELSE MOLL
JG. 1912
EINGEWIESEN 1925
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 16.8.1943
‚HEILANSTALT‘
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 15.11.1944

Else Adele Karoline Moll, geb. 28.3.1912 in Hamburg, am 14.2.1925 aufgenommen in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 16.8.1943 abtransportiert nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", dort gestorben am 15.11.1944

Goebenstraße 46, Eimsbüttel

Else Adele Karoline Moll (Rufname Else) kam am 28. März 1912 als "Sieben-Monatskind" in Hamburg, Eimsbütteler Chaussee 68, zur Welt.

Ihre Eltern, die Schneiderin Ida Christina Caroline Moll, geborene Rixen, geboren am 17. August 1879 in Altona, und ihr Ehemann, der Kellner Johann Heinrich Moll, geboren am 3. August 1868 in Mönchehof bei Kassel, hatten am 3. April 1909 in Hamburg geheiratet.

Vor Else waren am 5. November 1909 die Zwillinge Anna Maria und Gertrud Henny Berta zur Welt gekommen. Anna Maria starb bereits am 7. November. Gertrud Henny Berta besuchte später eine Höhere Schule und arbeitete als Buchhalterin.

Ida Moll trennte sich 1917 von ihrem Ehemann, nachdem sie von ihm körperlich bedroht worden war. Sie lebte mit Else seit 1917 bei ihrer Mutter, Elses Großmutter Maria Friedrike Margaretha Rixen, in der Goebenstraße 46. Wir wissen nicht, ob auch Elses Schwester Gertrud in der Goebenstraße wohnte oder bei dem Vater blieb.

Die Ehe von Ida und Johann Heinrich Moll wurde 1936 geschieden. Der geschiedene Ehemann soll "nervenleidend" gewesen sein.

Else Moll wurde in den ersten Jahren als fast immer zufrieden und heiter beschrieben. Die Mutter berichtete, dass Else im Alter von eineinviertel Jahren gehen und mit eineinhalb Jahren sprechen konnte. Seit dem vierten Lebensjahr beobachtete sie bei dem Kind im Verlauf einer Lungenentzündung zum ersten Mal Krampfanfälle, die dann etwa alle vier Wochen und auch öfter wiederkehrten. Das Mädchen befand sich fast immer in ärztlicher Behandlung. Als Säugling hatte es Windpocken, mit drei Jahren Keuchhusten, mit vier Jahren Lungenentzündung, mit sechs Jahren litt es längere Zeit an Fieber u.a. wegen Bronchialdrüsentuberkulose und war sehr schwach. Else konnte wegen der Anfälle keine Schule besuchen. Sie erhielt wöchentlich dreimal eine Stunde Hausunterricht, der aber wegen der Anfallshäufigkeit beendet werden musste. Sie hatte aber gelernt zu lesen und zu schreiben.

Else Molls fortlaufende ärztliche Betreuung führte zur Aufnahme in den Alsterdorfer Anstalten am 14. Februar 1925 wegen der häufigen Krampfanfälle. Obwohl Elses Mutter sie nicht in eine Anstalt geben wollte, willigte sie schließlich ein, weil sie zur Arbeit gehen musste und "es ihr zu schwer werde", das Kind zu betreuen. In Alsterdorf setzten sich die Krampfanfälle fort, zum Teil bis zur Bewusstlosigkeit. Else galt als leicht reizbar, zugleich auch als anhänglich und freundlich.

Ab März 1925 besuchte Else Moll die Anstaltsschule, musste den Schulbesuch aber wiederholt wegen Erkrankungen unterbrechen. Im November 1925 wurde Else Moll aus der Schule entlassen, weil sie sich wegen ihrer sehr häufigen epileptischen Anfälle fast immer in einem "traumähnlichen Zustand" befand. Zudem habe sich bei ihr abgesehen vom Lesen in allen anderen Fächern eine große Begriffsverwirrung bemerkbar gemacht. Sie konnte einfache Rechenaufgaben im Zahlenraum bis zehn richtig lösen, aber nicht rechts und links unterscheiden. Gegenüber Mitpatientinnen – so die Berichte - sei sie sehr reizbar und zänkisch gewesen. Durch die Krampfanfälle kam es zu Stürzen mit Nasenbluten und Hautabschürfungen.

Anfang 1931 führte "andauerndes albernes Betragen zu Absonderung". Else Moll hatte, so wurde berichtet, eine Betreuerin mit spöttischen und schamlosen Reden zu ärgern versucht. Im Streit mit einer Mitpatientin zerschlug sie eine Scheibe, ein anderes Mal schlug sie einer Mitpatientin mit einer Bürste auf den Kopf. Wegen "unbotmäßigen Verhaltens" gegenüber Betreuerinnen und Aggressionen gegenüber Mitpatientinnen wurde Else Moll bis 1940 oft von den Mitpatientinnen isoliert und in den Wachsaal gebracht. Dort musste sie manchmal mehrere "Packungen" ertragen und wurde in einem Fall auch mit einer Schutzjacke zusätzlich in ihrer Bewegungsmöglichkeit eingeschränkt. (Wachsäle wurden in den 1910er Jahren in psychiatrischen Einrichtungen als fortschrittliche Behandlungsmethode eingerichtet. In ihnen wurden unruhige Kranke isoliert und mit Dauerbädern, Schlaf- sowie Fieberkuren behandelt. In den Alsterdorfer Anstalten wurden sie Ende der 1920er Jahre eingeführt. Im Laufe der dreißiger Jahre wandelten sie sich zu Zwangseinrichtungen zur Ruhigstellung von Patientinnen und Patienten mittels Medikamenten, Fixierungen und anderen Maßnahmen. Bei der "feuchten Packung" wurden Patienten in Nesseltücher gewickelt und mit eiskaltem Wasser übergossen. Mit einer "Schutzjacke", umgangssprachlich "Zwangsjacke", wurden ihre Bewegungen weitgehend eingeschränkt. Die Betroffenen empfanden dies oft als Strafe.)

Am 18. September 1933 richtete Else Molls Vater einen ausführlichen Brief an den Leiter der Alsterdorfer Anstalten, Pastor Friedrich Lensch, in dem er sich über die Behandlung seiner Tochter beklagte. Er schrieb:
"Sehr geehrter Herr Pastor!
Ich bitte gütigst um Verzeihung, wenn ich durch dieses Schreiben Ihre werthe Person in Anspruch nehmen muß, schon lange war es mein Entschluß einmal wegen meinem Kinde Else Moll bei Ihnen vorstellig zu werden, so sind nun namentlich in letzten Wochen recht viele erschütternde Momente mir sowohl wie meiner Frau vor Augen gekommen bei unseren Besuchen, wenn über ein krankes Kind Strafen verhängt werden die doch keine Gefangene ist in der Anstalt, noch dazu die Ursachen aller dieser Strafen nicht nur ganz allein in Unartigkeiten meines Kindes zu suchen sind, sondern durch Aufreizungen von Personen der Station Hoher Wimpel. Mein Kind ist tätlich angegriffen worden von der Emma Bischoff, das Gesicht so zerkratzt, daß sie 14 Tage Verband getragen hat, diese Ursachen liegen nicht nur bei meinem Kinde, ich denke mir, daß man meinem Kinde auch recht viel Tort antut, vielleicht weil sie Mittwochs und Sonntags besucht wird, so hat das arme Geschöpf in letzter Zeit viel leiden müssen und wundere ich mich nicht, wenn sie einen Besuchstag vor ungefähr 3 Wochen einmal sagt, lieber Papa, ich nehme mir das Leben, denn ich ertrage diese Behandlung nicht mehr, jetzt ist sie wieder einige Zeit im Wachsaal gewesen und ich hörte, daß man sie in einer Zelle eingesperrt hat, die ganze Zeit nur flüssige Kost und Verbot, bei Besuchen etwas von uns Mitgebrachtem zu genießen, dieses alles sind sogenannte Anstalts-Strafverfügungen. Wo bleibt hier der wirkliche Sinn einer Pflege und Betreuung eines schwerkranken Kindes, das aber doch noch einen klaren Verstand hat, bis auf die Augenblicke wo Sie mit Schwermut befallen wird und sich ihre Krämpfe auswirken. Herr Pastor ich flehe Sie an, als ein gläubiger Christ, in den verzweifelnden Anblicken meines lieben Kindes ist es furchtbar, wenn ich die Worte vor meinem Gott und Vater ausrufe, Oh nimm doch mein Herzenskind zu Dir, bevor ich noch diese Qual länger ansehen muß. Herr Pastor ich bitte Sie herzlich, deuten Sie mein Schreiben nicht so als wollte ich meinem Kinde Vorzüge erbitten, nein, es ist nur das so tief gequälte Herz eines Vaters, der 17 Jahre von seinem lieben Kindern getrennt, so allein ist, und durch die Besuche meines kranken Kindes jeden Sonntag zusammengeführt wird, ich bitte Sie, lindern Sie diese schwere Wunde meiner Seele indem Sie meinem Herzenskinde Ihre Liebe und Aufmerksamkeit zuwenden, denn ich bin der Überzeugung, daß das Kind bei dieser Behandlung nur noch kränker wird in Ihrem Gemüth. Nebenbei muß ich noch bemerken, daß sie ihre Mutter gebeten hat, von den Einsperrungen mir nichts zu sagen, erst durch andere Kinder muß ich dieses erfahren. Der Gedanke, daß das Kind in einer Zelle eingesperrt und nachts von Krämpfen befallen wird ohne Hilfe und Beistand ich glaube wohl sagen zu müssen, vom menschlichen vernünftigen Standpunkt ist es himmelschreiend, als Vater darüber nachzudenken ohne eine Wort darüber zu verlieren eine schwere Versündigung wenn ich mein Kind schutzlos ließe und nicht für sie eintreten würde, mit diesem Appell an Sie, Herr Pastor. Gebe Gott, daß meine herzliche Bitte meinem lieben Kinde zum Segen wird und zeichne ich mit größter Hochachtung und Ergebenst
J. H. Moll"

Die Antwort zehn Tage später lautete wie folgt:
"Sehr geehrter Herr Moll !
Selbstverständlich habe ich volles Verständnis dafür, daß Ihnen das Wohl Ihrer bedauernswerten Tochter sehr am Herzen liegt. Auch sind wir uns hier alle darüber klar, daß Elses oft unleidliches Benehmen zum großen Teil auf ihre Krankheit und krankhafte Veranlagung zurückzuführen ist und daß man sie nicht voll verantwortlich dafür machen darf. Sie sind deswegen auch im Irrtum, wenn Sie die Maßnahmen, die zu ihrem und ihrer Mitpatientinnen Schutze nötig sind, als Strafen bezeichnen, die bei einem schwerkranken Mädchen nicht angebracht seien und sich mit wirklich verständnis- und liebevoller Betreuung nicht vereinigen ließen.
Die Ärzte tun nur ihre Pflicht, wenn sie eine Patientin mit so schweren epileptischen Charakterveränderungen zeitweise aus ihrer täglichen Umgebung herausnehmen. Elses krankhafte Art äußert sich in größter Reizbarkeit, bei dem geringsten Anlaß tritt sie mit Füßen um sich. Sie sucht geradezu nach Gründen, zu nörgeln und zu schimpfen und mit der Umgebung Streit anzufangen; sie reizt die andern durch boshafte Bemerkungen so lange, bis es zu Tätlichkeiten kommt. Natürlich sind die anderen Mädchen auch keine Engel. So wurde Else auch am 7. September, da sie wegen dauernden Streits mit den Mitpatientinnen auf der Abteilung nicht mehr gehalten werden konnte und auch gegen die Pflegerin frech war, isoliert.
Daß Ihnen als Vater das Schicksal Ihrer Tochter sehr nahegeht, verstehen wir voll und ganz und bitten, auch Vertrauen zu uns zu haben, da wir durchaus mit Ihnen fühlen.
Mit deutschem Gruß
Die Direktion"

Unter dem 27. März 1940 enthält die Patientenakte den Eintrag "Erhält Strafkost". Else Moll war dem Bericht zufolge sehr erregt gewesen, habe Geschirr zerschlagen, mit Gegenständen um sich geworfen, versucht Kleidung zu zerreißen und sei tätlich geworden. Sie wurde daraufhin in den Isolierraum des Wachsaals gebracht und erst am 30. März wieder daraus befreit.

Als im Frühjahr 1941 die Anfallshäufigkeit weiter zunahm, verabreichte das Personal anstelle von Luminal nun Glyboral und dann wieder Luminal. Nach kurzer Besserung häuften sich die Anfälle erneut. Zuletzt wurde sie wie schon früher als träge, schläfrig und lustlos bei der Hausarbeit bezeichnet.

Anfang 1943 besuchte Gertrud Moll ihre Schwester. Sie fasste ihre Besuchserfahrungen in einem Schreiben an Schwester Martha Schroeder zusammen:
"Als ich heute meine Schwester besuchte, wurde ich von der Schwester Erna im Flur empfangen, die mir sagte, dass Else sehr aufgeregt gewesen sei und eines der Kinder geschlagen habe, daraufhin habe sie Else einige Klapse gegeben. Die Schwester sagte mir: ‚Else muss doch wissen, dass sie andere Kinder nicht schlagen darf und wie weit sie gehen darf. Auch macht Else sich sehr oft nass. Wenn sie es bei Krämpfen tut, dann habe ich nichts dagegen, aber wenn sie zu faul ist, zur Toilette zu gehen, dann habe ich ihr nichts zu trinken gegeben.‘ Ich nahm an, dass Else einige Klapse auf ein dafür besonders geeignetes Hinterteil oder auf die Finger bekommen hat. Darum habe ich geschwiegen. Wenn ich aber von dem Ausmaß der Züchtigung gewusst hätte, dann wäre ich nicht so darüber hinweg gegangen. Wir wissen wohl, dass es sehr, sehr schwer ist mit solchen Kranken umzugehen, das habe ich auch der Schwester gesagt. Aber letzten Endes ist dieser Erregungszustand doch auch krankhaft und man kann Else nicht für ihre Handlungsweise verantwortlich machen. – Als ich meine Schwester heute sah, erschrak ich bei ihrem Anblick, denn das linke Auge war vollkommen blutunterlaufen. Auf meine Frage sagte mir Else, die wieder einen ruhigen Eindruck machte, dass die Schwester sie so aufs Auge geschlagen hätte. Wie leicht hätte Else bei einer solchen Züchtigung das Auge einbüßen können. Nun habe ich eine Frage. Die Schwester sagte mir, dass Else wissen müsste, wie weit sie zu gehen hätte. Wenn ich diese Einsicht von einem kranken Menschen verlange, wie viel mehr muss ich diese Einsicht bei einem gesunden Menschen voraussetzen, der doch erst recht wissen muss, wie weit er ein krankes Kind strafen darf. – Meine Mutter und ich möchten bitten, Else dem Arzt vorzustellen, da sie über Schmerzen klagt, ferner bitten wir, dafür zu sorgen, dass Züchtigungen in diesem Maße nicht wieder vorkommen, jedenfalls verbitten wir uns Schläge an den Kopf ganz energisch. – Ferner sagte meine Schwester mir, dass sie sich während eines Anfalls nass gemacht habe und dann sehr oft nichts zu trinken bekäme. Wir bitten Sie, auch diese Sache einmal klarzustellen. […]
Heil Hitler
Gez. Gertrud Moll"

Gertrud Moll war weiterhin sehr um ihre Schwester besorgt. Sie fragte am 21. August 1943, wahrscheinlich unter dem Eindruck der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/ Anfang August, bei dem Leiter der Alsterdorfer Anstalten, SA Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nach, ob ihre Schwester Else Moll noch am Leben sei. Die Familie habe alles verloren und befinde sich im Gau Bayreuth.

Auch die Alsterdorfer Anstalten erlitten Bombenschäden. Die Anstaltsleitung nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" ab. Unter ihnen befand sich Else Moll.

Ihr Vater und ihre Schwester Gertrud, die jetzt infolge der Zerstörungen in Hamburg in Krummennaab in der Oberpfalz wohnten, erhielten erst im September durch Mitteilung aus Wien Kenntnis von Else Molls Verlegung in die Wiener Anstalt. Angeblich habe Else die lange Fahrt gut überstanden, sei ruhig und zufrieden. Über eine Nachricht von Vater und Schwester habe sie sich sehr gefreut. Ebenso Anfang Januar 1944.

Am 18. März 1944 füllte die Wiener Anstalt den "Meldebogen I" aus, mit dem die psychiatrischen Anstalten während der ersten Euthanasiephase von 1939 bis 1941 wichtige Daten der Anstaltsinsassinnen und -insassen an die Euthanasiezentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, hatten melden müssen. Die Angaben auf diesen individuellen Meldebögen hatten die Entscheidungsgrundlage dafür geliefert, ob Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen in einer der sechs Gasmordanstalten des Deutschen Reiches getötet werden sollten. Über Else Moll wurde die Diagnose "Imbezillität mit Epilepsie" eingetragen, zudem, dass sie arbeitsunfähig sei. Die Krankenakte gibt keinen Aufschluss darüber, welches Ziel mit diesem Meldebogen lange nach der zentralen Steuerung der Krankenmorde verfolgt wurde, ob er nach Berlin geschickt wurde, bzw. ob er auf ihr weiteres Schicksal Einfluss hatte.

In den wenigen Berichten, die über Else Moll in ihrer Wiener Krankenakte enthalten sind, findet sich 1943 und 1944 wiederholt der Eintrag "In Bettruhe, geordnet, mangelhaft orientiert, ruhig." Und: "häufig Krampfanfälle". Von Anfang Mai bis 9. Juni 1944 musste Else Moll sechs Elektroschock-Behandlungen erdulden. Ihre Mutter, die nun in Hamburg-Schnelsen wohnte, erhielt im Juli 1944 die Mitteilung, "Bei der Pat.[ientin] Moll wurde nunmehr zwecks Besserung des Krampfleidens ein Kurversuch unternommen. Der Erfolg war allerdings nicht vollkommen, immerhin haben die Anfälle etwas nachgelassen und sie selbst ist ausgeglichener geworden."

Die Besserungen hielten nicht lange an. Else Moll wurde am 2. Oktober 1944 in den Pflegebereich der Anstalt verlegt. Ende Oktober wurden Daueranfälle und Schwäche notiert. Einen Monat später hieß es: "zerfällt". Am 11. November kam Else Moll in den "Infektionspavillon 19", der ein Ort des herbeigeführten Sterbens war. Am Tag darauf hieß es "Schwach, hinfällig, Decubitus sacralis – sehr ausgedehnt und tief." (Druckgeschwür im Steißbein, Gesäßbereich infolge mangelnder Pflege).

Else Moll starb am 15. November 1944, angeblich an "Marasmus und Psychose, Epilepsie und Lungenentzündung". (Marasmus ist eine schwere Erkrankung, die in Folge einer chronischen Mangelernährung entsteht.)

Else Molls Gewicht, das bei der Ankunft in Wien noch 62 kg betragen hatte, war auf 47 kg zurückgegangen.

Die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" war während der ersten Phase der NS-"Euthanasie" vom Oktober 1939 bis August 1941 Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gewesen. Nach dem offiziellen Ende der Morde in den Tötungsanstalten wurde in bisherigen Zwischenanstalten, also auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug. Bis Ende 1945 kamen von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg 1920/1925, StaH 113749 Geburtsregister Nr. 2565/1909 (Gertrud Henny Berta Moll), 113749 Geburtsregister Nr. 2566/1909 (Anna Maria Moll), 115778 Geburtsregister Nr. 766/1912 (Else Adele Moll), 6207 Geburtsregister Nr. 2285/1879, 3133 Heiratsregister Nr. 147/1909 (Johann Heinrich Moll/Ida Christiana Caroline Rixen), 8000 Sterberegister Nr. 872/1909 (Anna Maria Moll); Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 147 (Else Moll). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 283 ff.

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