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Hans-Joachim Osterried * 1939

Liliencronstraße 130, Säuglingsheim Wilhelmstift (Wandsbek, Rahlstedt)


HIER WOHNTE
HANS-JOACHIM
OSTERRIED
JG. 1939
EINGEWIESEN 1941
ALSTERDORFER ANSTALTEN
‚VERLEGT‘ 7.8.1943
‚HEILANSTALT‘
KALMENHOF / IDSTEIN
ERMORDET 11.9.1943

Hans-Joachim Osterried, geb. am 16.9.1939 in Hamburg, aufgenommen zunächst im Säuglingsheim der Wilhelm-Stiftung in Hamburg-Rahlstedt, ab 18.12.1940 im Kleinkinderhaus Hamburg, ab 7.8.1941 in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 7.8.1943 abtransportiert in die "Heilerziehungsanstalt Kalmenhof" in Idstein, Rheingau, dort gestorben am 11.9.1943

Liliencronstraße 130, (Rahlstedt)

Hans-Joachim Osterried wurde am 16. September 1939 im Universitätskrankenhaus Eppendorf als Hans-Joachim Wittkowski geboren. Seine Mutter, die Stenotypistin Maria Anna Wittkowski, geboren am 12. September 1910 in Bunzlau (heute Bolesławiec, Polen), und sein Vater, der Verwaltungsangestellte Hans-Günther Alexander Osterried, geboren am 23. April 1910 in Flensburg, hatten schon länger einen gemeinsamen Haushalt geführt. Nach ihrer Heirat am 19. März 1940 galt Hans-Joachim als ehelich und trug fortan den Nachnamen Osterried.

Beide Eltern waren Angehörige der Deutschen Wehrmacht. Hans-Günther Alexander Osterried war im besetzten Brüssel stationiert. Den Dienstort von Maria Anna Osterried kennen wir nicht. Als Wohnort von Hans-Joachims Vater wurde in der Geburtsurkunde Westerland, als Wohnort der Mutter Hamburg-Rahlstedt angegeben. Eine genaue Adresse ist uns nicht bekannt. Die Eltern sahen sich aufgrund ihrer verschiedenen außerhalb Hamburgs liegenden Einsatzorte außerstande, das Kind zu sich zu nehmen.
Deshalb wurde Hans-Joachim Osterried dem Säuglingsheim der Wilhelm-Stiftung in Hamburg-Rahlstedt, Liliencronstraße 130 übergeben. Dort erinnert auch der Stolperstein an ihn, weil dies der einzige Ort war, den er zwar nicht selbst gewählt hat, an dem er aber noch nicht zwangsweise untergebracht war.

Den genauen Termin der Aufnahme im Säuglingsheim kennen wir nicht. Der Heimleitung und den Eltern fiel eine "geistige Unterentwicklung" des Kindes auf. Deshalb veranlasste das Säuglingsheim im August 1940 eine Untersuchung des knapp einjährigen Jungen im Universitätskrankenhaus Eppendorf. Diese ergab, dass Hans-Joachim in seinem körperlichen und geistigen Zustand hinter dem zu diesem Zeitpunkt zu erwartenden Entwicklungsstand zurückgeblieben sei. Es hieß, er halte den Kopf nur "wackelig", könne noch nicht sitzen und greife nicht nach Gegenständen. Er zeige zwar Sprechanfänge, Verständnis für Worte seien aber noch nicht zu bemerken. Er sei uninteressiert an seiner Umgebung. Obwohl es bei dem Alter des Kindes noch nicht möglich sei sich festzulegen, sei anzunehmen, dass "Schwachsinn" vorliege. (Der heute nicht mehr verwendete Begriff "Schwachsinn" bezeichnete eine Intelligenzminderung bzw. angeborene Intelligenzschwäche.)

Hans-Joachim Osterrieds Aufenthalt im Säuglingsheim war aus Sicht der Wilhelm-Stiftung wegen dieser Diagnose nicht länger vertretbar. Deshalb wurde er am 17. Dezember 1940 dem städtischen Kleinkinderhaus im Winterhuder Weg 11 im Stadtteil Uhlenhorst übergeben. Auch hier konnte das Personal keine positive Entwicklung erkennen und kam zu der Beurteilung, dass bei Hans-Joachim Osterried "Schwachsinn mittleren Grades" vorliege.

Am 7. August 1941 wurde Hans-Joachim Osterried erneut in eine andere Einrichtung eingewiesen, nun in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Dort kam er zunächst in die Krankenstation, denn der kleine Junge erbrach sich immer wieder und konnte nicht gefüttert werden. Später wurde eine chronische Entzündung der Magenschleimhaut als Ursache angenommen.

Bei seiner Aufnahme in Alsterdorf wurde Hans-Joachim als ruhiges vergnügtes Kind beschrieben, das sich mit Spielzeug beschäftige und Kontakt zu seiner Umgebung aufnehme. Dennoch schrieb der Oberarzt Gerhard Kreyenberg: "Der heute aufgenommene Zögling Hans Joachim Osterried, geb. 16.9.1939 Hbg. leidet an Imbezillität."

Hans-Joachim Osterrieds Vater richtete am 20. September 1941 unter dem Rubrum "Kind Hans-Joachim Osterried, geb. 16.9.1939" ein Schreiben an die Leitung der Alsterdorfer Anstalten, das vorrangig die Regulierung der Verpflegungskosten zum Inhalt hatte. Er bat um Mitteilung, wenn sich in dem Befinden des Kindes irgend etwas verändern sollte. Ein persönliches Erscheinen sei nicht möglich, da er sich zurzeit im besetzten Gebiet befinde.

Über den inzwischen zweijährigen Jungen wurde unterdessen vermerkt, er werde mit Breikost gefüttert und müsse in der Körperpflege vollkommen besorgt werden. Mit Spielsachen wisse er nichts anzufangen, er spiele nur mit seinen Fingern.

Hans-Joachim Osterrieds Vater richtete am 20. Oktober 1941 ein weiteres Schreiben an die Alsterdorfer Anstalten, in dem wieder keinerlei Empathie für seinen Sohn durchschimmerte: "Aus gegebener Veranlassung heraus möchte ich bitten zukünftige Zuschriften möglichst ohne Firmenaufdruck an meine Anschrift zu versenden. Der Einblick Außenstehender dürfte nicht unbedingt erforderlich sein. Gleichzeitig wäre ich Ihnen sehr dankbar, ein ärztliches Gesundheitsurteil über den Zustand des Kindes recht bald zugestellt zu bekommen und eine Mitteilung, ob überhaupt mit einer Besserung des Kindes zu rechnen ist."

Die Patientenakte enthält im Jahre 1942 unter dem Datum des 18. September nur einmal einen Eintrag über Hans-Joachim Osterrieds Entwicklung. "Patient ist ein Liegekind und voll pflegebedürftig. Für kurze Zeit kann er im Bett sitzen, richtet sich allein hoch. Er ist ein ruhiges, freundliches Kind, das seine Umgebung kennt. Mit Spielsachen weiß er nichts anzufangen. Die meiste Zeit lutscht er auf dem Daumen. Er bekommt Breikost."

Ein Jahr später, am 6. August 1943, notierte Oberarzt Kreyenberg, "Verlegt, da die Alsterdorfer Anstalten zerstört sind."

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch nutzte die Gelegenheit, sich eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Er bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Landesheilanstalt Am Steinhof" in Wien verlegt.
Mit dem ersten Transport am 7. August 1943 wurden zusammen 128 Mädchen, Jungen und Männer in die Heil- und Pflegeanstalt Eichberg im Rheingau (76) und die Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof bei Idstein (52) abtransportiert. Hans-Joachim Osterried gehörte zu den 52 Kindern, die am 8. August 1943 in die Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof eingewiesen wurden.

Ursprünglich war die 1888 gegründete Anstalt Kalmenhof eine fortschrittliche, pädagogisch orientierte Einrichtung für Menschen mit geistigen Behinderungen. Sie war 1939 in das "Euthanasie"-Programm der "Aktion-T4" (eine Tarnbezeichnung nach dem Sitz der Berliner Euthanasiezentrale in der Tiergartenstraße 4) einbezogen worden. Die Patientinnen und Patienten wurden von dort in die benachbarte Tötungsanstalt Hadamar verlegt und ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der Euthanasiemorde im August 1941 richtete die zur Berliner "Euthanasie"-Zentrale gehörende Tarnorganisation "Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden" im Kalmenhof eine "Kinderfachabteilung" ein, in der Kinder durch überdosierte Medikamente wie Luminal, Skopolamin oder Morphium getötet wurden.

Hans-Joachim Osterried starb dort am 11. September 1943, nur zwei oder drei Tage nach seiner Ankunft. Der Sterberegistereintrag des Standesamtes Idstein weist als Todesursache aus: "Imbezillität, Chronische Gastroenteritis mit Ernährungsstörung, Allgemeine Kreislaufschwäche."

Es kann mit großer Sicherheit angenommen werden, dass Hans-Joachim Osterried keines natürlichen Todes starb.

© Ingo Wille

Quellen: Standesamt Idstein, Sterberegisterauszug Nr. 165/1943 (Hans-Joachim Osterried); Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 71 (Hans-Joachim Osterried). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 289 ff.

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