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Johanna Koch
Johanna Koch
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Johanna Koch (née Höfer) * 1869

Humboldtstraße 64-66 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
JOHANNA KOCH
GEB. HÖFER
JG. 1869
EINGEWIESEN 1933
HEILANSTALT LANGENHORN
´VERLEGT` 16.8.1943
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 25.3.1944

Johanna Koch, geb. Höfer, geb. am 14.11.1869 in Altona, aufgenommen am 25.2.1933 in den Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), abtransportiert nach Wien am 16.8.1943 in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", dort gestorben am 25.3.1944

Humboldtstraße 64-66 (Barmbek-Süd)

Johanna Fanny Wilhelmine Höfer, verheiratete Koch, kam am 14. November 1869 in der damals noch selbstständigen preußischen Stadt Altona als Tochter des Schiffszimmermanns Johann Heinrich Andreas Höfer, geboren am 10. Januar 1838, und seiner Ehefrau Maria Caroline, geborene Filitz, geboren am 16. Januar 1838, zur Welt. Johanna hatte zwei jüngere Schwestern, Martha Henriette, geboren am 20. Mai 1878 in Altona, und Fanny Wilhelmine Martha, deren Geburtsdaten kennen wir nicht.

Über Johanna Höfers Kindheit und Jugend sind keine Einzelheiten überliefert. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie als junge Frau als Näherin. Das ergibt sich aus der Geburtsurkunde ihres Sohnes Theodor Johann Martin, den sie am 16. Juli 1890 unehelich zur Welt brachte.

Johanna Höfer ging am 3. August 1901 mit Carl Friedrich Koch, geboren am 15. September 1876 in Halberstadt, die Ehe ein, der sich zur Zeit der Eheschließung als Bildhauer bezeichnete. Er genehmigte im März 1905, dass Theodor den Nachnamen Koch tragen durfte. Carl Friedrich Koch war beruflich recht erfolgreich. Er stieg zum Betriebsleiter bei dem renommierten Hersteller von Flügeln und Klavieren Steinway & Sons mit Produktionsstätten u.a. in New York und Hamburg auf.

Dagegen entwickelte sich die Ehe zwischen Johanna und Carl Friedrich Koch wenig glücklich. Johanna Koch soll, so ihr Ehemann, immer "hysterisch" gewesen sein. 1915 soll sie erstmals einen schweren Krampfanfall erlitten haben, was sich in größeren Abständen wiederholte und jeweils dazu führte, dass sie das Bewusstsein verloren habe. Johanna Koch soll auch stark dem Alkohol zugesprochen haben, so dass bei ihr Trunksucht konstatiert wurde. Sie sei, so berichtete ihr Ehemann, nicht mehr in der Lage gewesen, den Haushalt zu führen.

Nach einem Aufenthalt in der Privatklinik "Rockwinkel" für "Nerven- und Gemütskranke" und Entziehungskuren in Bremen-Neuland vom 24. Juli 1925 bis 14. Januar 1926 wurde Johanna Koch als "ungeheilt" mit der Diagnose "Epilepsie" entlassen.

Mit Wirkung vom 4. März 1928 wurde die Ehe zwischen Johanna und Carl Friedrich Koch geschieden. Kurz darauf, am 12. Juni 1928, heiratete Carl Friedrich Koch erneut. (Er starb am 2. August 1946 in Hamburg.) Johanna Kochs Sohn starb am 3. Dezember 1932 auf dem Weg ins Krankenhaus Elim. Ob er oder andere Familienmitglieder bis dahin Kontakt zu Johanna Koch gehalten hatten, wissen wir nicht.

Wie Johanna Koch die fünf Jahre nach der Scheidung verbrachte, ist uns nicht bekannt. Bevor sie als Patientin in die Alsterdorfer Anstalten aufgenommen wurde, wohnte sie zur Untermiete bei Sauer in der Humboldtstraße 64 in Barmbek. Ihre Vermieterin rief am 21. Februar 1933 den Arzt Hans Krohn herbei, weil Johanna Koch im Verlauf von einer Viertelstunde zehnmal dasselbe erzählt habe. Auch habe sie Johanna Koch vor kurzem nachts im Bett ohne Bewusstsein und mit Schaum vor dem Mund gefunden. Dieser Zustand habe ca. eine halbe Stunde gedauert. Wegen eines ähnlichen Vorfalles sei Anfang November 1932 ein Notarzt gerufen worden. Der Arzt erklärte daraufhin, Johanna Koch müsse wegen Geistesschwäche in die Alsterdorfer Anstalten aufgenommen werden.

Ihre Aufnahme erfolgte am 25. Februar 1933. Das dortige Personal notierte, sie sei sehr unruhig, laut, abfällig und gewalttätig gegenüber Mitpatientinnen und Betreuerinnen gewesen, die sie mit derben Ausdrücken belegt habe, und habe gefürchtet, ihr Frühstück könnte vergiftet sein. Im Herbst 1933 phantasierte Johanna Koch, "alle gehen mit meinem Mann ins Konzert und ich hab immer arbeiten müssen." Nachdem sie eine Angestellte der Anstalten geschlagen hatte, sagte sie zu dieser, "Nun machen Sie endlich, dass Sie mit Carl Koch ausgehen, Sie altes Mensch." Dieses Verhalten setzte sich in den Monaten bis Herbst 1933 fort. Im Oktober dann erlitt sie einen sehr schweren Krampfanfall, nach dem – so ihre Patientinnenakte - deutlich ruhiger und tagsüber fröhlich und zufrieden gewesen sei. Morgens sei sie mit den anderen Bewohnerinnen unaufgefordert aufgestanden und die Einbildungen, die sie bisher gequält hätten, seien nicht mehr aufgetreten.

Zu Beginn ihres Aufenthalts in Alsterdorf hatte Johanna Koch 52 kg gewogen. Sie nahm bis Oktober 1936 stark zu und wog nun 74 kg.

Das Personal versuchte, Johanna Koch mit kleinen Hausarbeiten zu beschäftigen, sie war dazu jedoch nicht zu bewegen: "Meine Mutter hat das auch nicht getan, wie sie alt wurde." Oder: "Und wenn ich nicht fünfzig Jahre alt bin, denn bin ich eben hundert Jahre alt und Hundertjährige brauchen nicht mehr zu arbeiten."

In den Folgejahren ähnelten sich die Berichte: Sie kleide sich allein an, zur Körperpflege benötige sie Hilfe, sie sei weiter sehr unsauber, zeitweise recht boshaft und eigensinnig.

Ihr Gewicht ging in den Jahren wieder zurück, und zwar auf 44 kg Ende 1940 und 39 kg im Frühjahr 1943

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") "verlegt". Unter ihnen befand sich Johanna Koch.

Bei der Aufnahme in der Anstalt in Wien wurde Johanna Koch als ruhig, reinlich, jedoch als körperlich schwach beurteilt. Sie sei bei der Aufnahmebesprechung nett, freundlich und sehr höflich gewesen, jedoch mangelhaft orientiert und habe bestritten, Anfälle gehabt oder Alkohol getrunken zu haben.

Im Februar 1944 war Johanna Kochs Gewicht weiter auf 36 kg abgesunken.

Anfang März 1944 füllten die Wiener Anstalten den "Meldebogen I" aus, mit dem während der ersten Euthanasiephase von 1939 bis 1941 wichtige Daten der Anstaltsinsassinnen und -insassen an die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, gemeldet werden mussten. Die Angaben auf diesen individuellen Meldebögen bildeten die Entscheidungsgrundlage dafür, ob Menschen mit geistigen Behinderungen oder psychischen Krankheiten in einer der sechs Gasmordanstalten getötet werden sollten. Für Johanna Koch wurde die Diagnose "Epilepsie" eingetragen. Ihre Krankenakte gibt keinen Aufschluss darüber, welches Ziel mit diesem Meldebogen lange nach der zentralen Steuerung der Krankenmorde verfolgt und ob er nach Berlin geschickt wurde, bzw. ob er auf Johanna Kochs weiteres Schicksal Einfluss hatte.

Am 24. März 1944 hieß es in ihrer Krankenakte, der linke Unterschenkel zeige eine intensive Rötung und eine leichte Schwellung. Wegen Verdachts auf "Rotlauf" (Hautkrankheit/ Wundrose) wurde Johanna Koch in den Pavillon 19 verlegt, der als "Infektionspavillon” diente und ein Ort des herbeigeführten Sterbens war.

Einen Tag später hieß es in der Patientinnenakte "plötzlicher Verfall". Johanna Koch starb am 25. März 1944. Als Todesursache wurde notiert: "Status Epileptikus, Lungenödem, akute Herzinsuffizienz".

Nach dem offiziellen Ende der ersten Phase der "Euthanasie" im August 1941 waren die Krankenmorde anstaltsintern systematisch, aber mit anderen Mitteln, fortgesetzt worden: Durch Überdosierung von Medikamenten, durch Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem durch Nahrungsentzug kamen über 3500 PatientInnen in der Wiener Anstalt zu Tode. Von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg starben bis Ende 1945 insgesamt 257, davon 196 aus Alsterdorf, unter ihnen Johanna Koch.

© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg 1933; StaH 332-5 Standesämter 6201 Geburtsregister Nr. 1448/1878 (Martha Henriette Höfer), 6264 Geburtsregister Nr. 2345/1890 (Theodor Johann Martin Höfer), 5954 Heiratsregister Nr. 779/1909 (Carl Friedrich Koch/Johanna Fanny Wilhelmine Höfer), 8830 Heiratsregister Nr. 328/1928 (Carl Friedrich Koch/Wilhelmine Minna Anna Klara Sohl), 5233 Sterberegister Nr. 200/1897 (Johann Heinrich Andreas Höfer), 5241 Sterberegister Nr. 2315/1899 (Marie Caroline Höfer), 8115 Sterberegister Nr. 482/1932 (Theodor Johann Martin Koch); Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 181 (Johanna Koch); Peter von Rönn, Der Transport nach Wien, in: Peter von Rönn u.a., Wege in den Tod, Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 425 ff.; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff., 331 ff.. Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie – Die Toten 1939-1945, Hamburg 2017, S. 305.

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