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Leni Timm
Leni Timm
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Leni Timm * 1932

Wiesenacker 20 (Eimsbüttel, Eidelstedt)


HIER WOHNTE
LENI TIMM
JG. 1932
EINGEWIESEN 1937
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF / WIEN
ERMORDET 12.12.1944

Leni Timm, geb. 11.2.1932 in Altona, 1937 von der Auguste Viktoria Stiftung – Ottenser Krippe in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) verlegt, am 16.8.1943 abtransportiert nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", dort gestorben am 12.12.1944

Wiesenacker 20 (früher Wiesengrund) (Eidelstedt)

Leni Martha Hildegard Timm kam am 11. Februar 1932 in der Städtischen Entbindungsanstalt Altona, Bülowstraße 9, zur Welt. Ihre Eltern waren Erna Anna Timm, geboren am 9. Juli 1911 in Recklinghausen, und Ernst Buksch, geboren am 1. Juni 1890 in Königsberg, dem heutigen Kaliningrad. Die Mutter war Hausangestellte, der Vater arbeitsloser Töpfer. Das Kind wurde unehelich geboren.

Leni Timm lebte nicht bei ihrer Mutter. Das Mädchen wurde in den ersten beiden Jahren seines Lebens von Anna Georgine Dorothea Buksch, der Ehefrau ihres leiblichen Vaters, versorgt. Das Ehepaar Buksch wohnte in der Straße Wiesengrund 32 (heute Wiesenacker) in Eidelstedt. Leni Timm hatte einen Amtsvormund aus dem Jugendamt Altona. Eine Adoption durch den Vater "scheiterte an dem schlechten Verhalten des Erzeugers seiner Familie gegenüber". Anna Buksch brachte Leni dann am 10. August 1934 zu Pflegeeltern. Das Mädchen konnte noch nicht sprechen und war "geistig zurückgeblieben".

Die Pflegeeltern, Marie Fock, geboren am 20. Oktober 1886, und Karl Fock, geboren am 19. Mai 1890, lebten im Wiesengrund 20 in einem kleinen Gartenhaus auf eigenem Grundstück. Sie waren kinderlos. Aus der auszugsweise vorliegenden Fürsorgeakte wird deutlich, dass Leni ihre Pflegeeltern sehr gern hatte. Ihre körperliche Entwicklung wurde als gut beschrieben, doch die Sprache sei undeutlich und ihre geistige Entwicklung mache langsame Fortschritte. Auch die Pflegeeltern hätten Leni sehr gern gehabt, das Kind käme "scheinbar voll zu seinem Recht".

Nachdem Erna Timm sich in Lenis ersten Lebensjahren wenig um ihre Tochter gekümmert hatte, besuchte sie ihr Kind öfter bei der Pflegefamilie Fock.

Im Februar 1937 wurde Leni in der Auguste Viktoria Stiftung – Ottenser Krippe, Flottbeker Chaussee 88 (heute Elbchaussee), aufgenommen. Den Grund kennen wir nicht. Am 1. März erkrankte sie an Scharlach und wurde Patientin im Altonaer Kinderhospital, Tresckowallee 38 (heute Bleickenallee). Die Ärzte attestierten ihr körperliche und geistige Schwäche. Sie sei nicht für die Privatpflege geeignet.

In dem Auszug aus Leni Timms Fürsorgeakte wurde das Mädchen im Sommer 1937 als schmächtiges, untergewichtiges und zu kleines Kind beschrieben. Sie sei in der Fortbewegung erheblich behindert und zeige "schweren Schwachsinn". Es wurde die Verlegung in die Alsterdorfer Anstalten empfohlen.

Am 2. August 1937 wurde Leni in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen, Diagnose: "Imbezillität" (veralteter und abwertender Begriff für eine Intelligenzminderung).
Aus einem Brief der leiblichen Mutter geht hervor, dass sie von der Verlegung nichts wusste und auch nicht um ihre Zustimmung gefragt worden war.

Die Krankenakte der Alsterdorfer Anstalten bezieht sich auf den Zeitraum von August 1937 bis Juni 1943. Am Anfang hieß es zu Leni, dass sie einen "lieben, freundlichen, etwas schelmischen Eindruck" mache, leise und deutlich spreche, allein und sauber zu allen Mahlzeiten esse und ihre Bedürfnisse anzeige. Allerdings erkrankte sie bereits im ersten Monat an Windpocken und Angina und wurde im Laufe der sechs Jahre ihres Aufenthalts in den Alsterdorfer Anstalten immer wieder auf die Krankenstation verlegt, sehr häufig mit Angina, Fieber und grippalen Infekten, aber auch mit Masern, Röteln und Bronchitis. Im Juli 1940 musste sie wegen einer starken Schwellung hinter dem linken Ohr operiert werden.

Leni Timm besuchte die Spielschule in den Alsterdorfer Anstalten. Zu Anfang beobachtete das Personal, dass sie mit Freude dabei sei und z.B. gerne mit Bauklötzen spiele. In späteren Kommentaren der Spielschule wurde eine Veränderung deutlich und Leni als zunehmend apathischer beschrieben. Sie habe ihre Bedürfnisse nicht mehr angezeigt, sich eingenässt sowie eingekotet und "reagiert auch nicht auf Strafen".

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 aus Alsterdorf 228 Frauen und Mädchen sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") "verlegt". Unter ihnen befand sich auch Leni Timm.

Aus Leni Timms Krankenakte der Anstalt "Am Steinhof" geht hervor, dass sie bei der Aufnahme nur 24 kg wog. (Laut aktuellen Gewichtstabellen wiegen 11jährige Mädchen durchschnittlich 43 kg.) An ihrem Gewicht änderte sich bis zu ihrem Tod nichts. Bei ihrer Aufnahme hieß es, dass sie "ruhig, bettlägerig, pflegebedürftig" sei. Im September 1944 bescheinigte ein Arzt ihr "Bildungsunfähigkeit".

Am 6. Dezember 1944 besagte der Eintrag, Leni Timm sei sehr blass und hüstele. Angeblich wegen "Tbc-Verdachts" verlegte man sie in den Pavillon 19, oft der letzte und nur kurze Zeit dauernde Aufenthalt der Patientinnen vor ihrem Tode. Leni Timm starb am 12. Dezember 1944 um 19.30 Uhr angeblich an Lungentuberkulose.


Die Chefärztin/Pathologin Barbara Uiberrak, die seit 1938 an der Heil- und Pflegeanstalt Wien-Steinhof tätig war, nahm am folgenden Tag die Sektion des Leichnams vor und untersuchte dabei insbesondere das Gehirn, aber auch Lunge, Herz, Leber, Milz und Nieren. Der Wiener Historiker Peter Schwarz fand in ihren Obduktionsbefunden entgegen allgemeiner Gepflogenheit "niemals eine Beschreibung des (schlechten) äußeren Zustandes einer Leiche". Ob für pseudo-wissenschaftliche Zwecke Organe entnommen wurden, ist in dem kurzen Sektionsprotokoll zu Leni Timm nicht vermerkt.

Seit 1943 wurden in der Wiener Anstalt von rund der Hälfte aller sezierten Leichen die Gehirne für histologische Untersuchungen entnommen und ein Teil in der hirnanatomischen Sammlung verwahrt. Noch bis 2002 besaß die Wiener Anstalt 700 Gehirne, die bei Sektionen entnommen worden waren.

Die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" war während der "Aktion-T4" (Bezeichnung für das "Euthanasie"-Programm der Nationalsozialisten, benannt nach dem Standort der Berliner "Euthanasie"-Zentrale in der Tiergartenstraße 4) eine Zwischenanstalt der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz gewesen. Nach dem offiziellen Ende der Euthanasie-Morde in den Tötungsanstalten im August 1941 ging das Morden in den bisherigen Zwischenanstalten und auch in der Wiener Anstalt selbst massenhaft weiter: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem aber durch Nahrungsentzug.

Bis Ende 1945 waren von den 300 Hamburger Mädchen und Frauen 257 verstorben, 196 davon kamen aus Alsterdorf.

Stand: Juni 2024
© Karin Gutjahr und Schülerinnen und Schüler der Staatlichen Berufsschule BS 24 in Hamburg-Eidelstedt

Quellen: Adressbuch Altona (mehrere Jahrgänge); StaH 332-5 Standesämter 8715 Heiratsregister Nr. 327/1915 (Carl Hermann Ernst Buksch/Anna Georgine Dorothea gesch. Thele geb. Siebert); Standesamt Königsberg/Preußen I, Krs. Königsberg Geburtsregister Nr. 1114/1890 (Carl Hermann Ernst Buksch); Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 224 (Leni Timm), darin u.a.: Geburtsurkunde Leni Timm, Standesamt Altona Nr. 148/1932. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 283 ff., 331 ff; Wiener Psychatrie und NS-Verbrechen (www.trend.infopartisan.net, eingesehen 7.10.2019); Peter Schwarz, Mord durch Hunger. "Wilde Euthanasie" und "Aktion Brandt" am Steinhof in der NS-Zeit, Wien 2000, (https://www.doew.at/erforschen/projekte/arbeitsschwerpunkte/medizin-und-biopolitik-im-nationalsozialismus/peter-schwarz-mord-durch-hunger, eingesehen 26.4.2024).

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