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Emmi Jönßon
Emmi Jönßon
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Emmi Jönsson * 1930

Wiesenstraße 48 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
EMMI JÖNSSON
JG. 1930
EINGEWIESEN 1941
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 16.8.1943
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 15.6.1944

Emmi Jönßon (auch: Jönsson), geb. 28.6.1930 in Hamburg, mehrmals im Krankenhaus und Anstalten aufgenommen "verlegt" nach Wien in die "Wagner von Jauregg- Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" am 16.8.1943, dort gestorben am 15.6.1944

Wiesenstraße 48 (Eimsbüttel)

Emmi Henriette Olga Jönßon (auch Jönsson) war die ältere Tochter der Putzfrau Mathilde Eline Anna Hermine Jönßon, geboren am 13. November 1894 in Lübeck. Emmis leiblicher Vater war der Barkassenführer Wilhelm Arthur Paul Ockelmann, geboren am 25. August 1882 in Hamburg. Er verstarb am 18. Oktober 1931. Emmis Mutter wurde als "sehr nervös" und "von schwacher Intelligenz" beschrieben. Sie wohnte in der Henriettenstraße 16 in Eimsbüttel. Die nichtehelich geborene Emmi Jönßon wurde unter Amtsvormundschaft gestellt, die die Oberfürsorgerin Micaela Ruge übernahm.

Emmi Jönßon lebte längere Zeit bei ihrer Großmutter Mathilde Hinsch in der ebenfalls in Eimsbüttel gelegenen Wiesenstraße 48.

Im Juli 1931 wurde Emmis Schwester Elfriede geboren, die wahrscheinlich ebenfalls längere Zeit bei der Großmutter wohnte. Weder Elfriedes Schicksal noch das ihres Vaters sind uns bekannt.

Emmi Jönßon lernte im Alter von einem Jahr das Sprechen und mit 14 Monaten das Gehen. Nicht näher bezeichnete Folgen einer Kinderlähmung beeinträchtigten sie. Wegen einer Nieren- und einer Gehörgangsentzündung ("Nehritis, Otitis med. bös.") wurde das Mädchen im Oktober 1935 im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) aufgenommen und nach etwa fünf Wochen wieder entlassen.

Ab April 1937 besuchte Emmi die Volksschule für Mädchen in der Taubenstraße 2 im Stadtteil St. Pauli, doch nach wenigen Monaten musste sie den Schulbesuch wegen einer Erkrankung abbrechen.

Mitte 1937 wurde Emmi Jönßon erneut Patientin des UKE, diesmal wegen Verdachts auf Ruhr und Polioencephalitis (Gehirnentzündung, ausgelöst durch Polioviren). Diese Vermutung bestätigte sich jedoch nicht. Stattdessen fielen ihre Krampfanfälle auf, die sich bis zu zehn- oder zwölfmal pro Tag häuften. Dennoch wurde das Mädchen am 14. Juli 1937 auf Drängen seiner Großmutter aus dem Krankenhaus entlassen.

Emmi Jönßons am 10. April 1939 begonnener Besuch der Hilfsschule (veralteter Ausdruck für Sonderschule) in der Schwenckestraße musste sie infolge von Krampfanfällen bereits am 31. Mai 1939 unterbrechen. Es kam zum dritten Aufenthalt im UKE, aus dem Emmi bereits am 12. Juni "ungeheilt in ärztliche Behandlung" entlassen wurde.

Der anschließend wieder aufgenommene Schulbesuch endete im Mai 1940, weil Emmi Jönßon nun als "noch nicht schulfähig" beurteilt wurde. Während dieses Schuljahres wurde die Familie "erbbiologisch" untersucht. (Bereits seit 1934 war in Hamburg ein "Gesundheitspassarchiv" zum Zwecke der "erbbiologischen Bestandsaufnahme" der Bevölkerung angelegt worden, das als ein wichtiges Element für die Durchsetzung der nationalsozialistischen "Erb- und Rassenpflege" eingesetzt wurde.) Das Ergebnis der damaligen Untersuchung kennen wir nicht.

Die während eines weiteren Krankenhausaufenthalts im März 1940, diesmal im Krankenhaus St. Georg, vorgeschlagene Einweisung Emmis in eine Anstalt wurde von den "Pflegeeltern" – gemeint sind wohl die Großmutter und die ebenfalls in der Wiesenstraße 48 wohnende Tante E. Derner – zurückgewiesen. Emmi kehrte in die häusliche Betreuung zurück.

Kurz darauf, am 17. Juni 1940, erfolgte dann doch Emmis Aufnahme in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute: Evangelische Stiftung Alsterdorf) auf der Grundlage des folgenden Gutachtens: "Bedarf wegen symptomatischer Epilepsie und psychischer Ausfallerscheinungen der Aufnahme in die Alsterdorfer Anstalten. Näheres: häufige Krampfanfälle, ist völlig hilflos. Jetzt bettlägerig. Geistig stumpf, versteht kaum, was man ihr sagt. Keine Merkfähigkeit. […] Außerordentlich verlangsamt."

Zudem wurde befürchtet, dass Emmi Jönßon ihre jüngere Schwester Elfriede gefährden könnte. Dieser Einweisungsgrund entfiel, als Elfriede Jönßon am 21. November 1940 mit der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt nach Sachsen verschickt wurde. Die Oberfürsorgerin Micaela Ruge, die Emmi als "völlig harmlos" beurteilte, setzte sich mit Erfolg für die Entlassung des Mädchens zu seiner Großmutter in der Wiesenstraße 48 ein.

Doch Ende Juli 1941 wurde Emmi Jönßon erneut für "anstaltsbedürftig" erklärt und wieder in den Alsterdorfer Anstalten aufgenommen. Zu Hause sei es offenbar nicht mehr gegangen und auch in Alsterdorf habe ihr eine Schutzjacke angelegt werden müssen, erklärte der Arzt Professor Schäfer gegenüber der städtischen Sozialverwaltung. Sie spucke auf Gegenstände, die sie dann mit der Schürze stundenlang poliere und dabei die Schutzjacke zerreiße. (Mit einer "Schutzjacke", umgangssprachlich "Zwangsjacke" genannt, konnte eine weitgehende Bewegungseinschränkung erzwungen werden.)

Emmi Jönßons Großmutter versuchte auch in der Folgezeit bis in das Jahr 1943 mit Unterstützung der Oberfürsorgerin Micaela Ruge hartnäckig, jedoch vergeblich, die Unterbringung ihres Enkelkindes in den Alsterdorfer Anstalten zu beenden und Emmi zu sich nach Hause zu holen.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, nach Rücksprache mit der Gesundheitsbehörde einen Teil der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Heil- und Pflegeanstalten zu verlegen. Am 16. August 1943 ging ein Transport mit 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf und 72 Frauen und Mädchen aus der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (bekannt auch als "Am Steinhof Wien") ab. Unter ihnen befand sich auch die nun dreizehnjährige Emmi Jönßon.

Der Transport erreichte Wien am 17. August. Emmi wurde der Frauenabteilung, Pavillon 24, zugewiesen. Deren Leiter Wilhelm Podhajsky teilte Emmi Jönßons Mutter, die inzwischen in Lübeck wohnte, mit, dass Emmi sich in die geänderten Verhältnisse gut eingelebt habe und fuhr dann - ohne jede Empathie - fort: "Da es sich um einen hochgradigen Schwachsinn mit epileptischen Anfällen handelt ist mit einer Besserung kaum mehr zu rechnen."

Im April 1944 soll Emmi an Durchfall gelitten haben, der mit Tierkohle und anschließend einer Hungerkur behandelt wurde. Ihr Gewicht hatte in Hamburg im Oktober 1941 noch gut 40 kg betragen, es ging in Wien rapide zurück: Januar 1944: 30 kg, April 1944; 26 kg.

Ein Versuch der Oberfürsorgerin Micaela Ruge, für Emmi Jönßon eine Hauspflegestelle zu finden, wurde im Mai 1944 von der Wiener Anstalt mit dem Hinweis abgewiesen: "Eine Änderung im Befinden ihres Mündels E. J. ist nicht eingetreten. Es besteht weiterhin eine schwere Idiotie neben seltenen epil. Anfällen. Eine Übernahme in häusliche Pflege würde mit hochgradigen Ansprüchen an die Pflegeperson verbunden sein."

Am 3. Juni 1944 weist die Patientenakte den Eintrag auf, "Patient ist außerordentlich schwach, stark abgemagert. Am linken Auge starkes Hämatom. […] Patient bekommt zur Schmerzlinderung Luminal."

Luminal ist ein Barbiturat, welches auch bei Epileptikern gegen Krämpfe eingesetzt wurde. Schon bei leichter Überdosierung konnte es jedoch tödlich wirken. Die Kinder starben dann erst nach zahlreichen, Tage andauernden Komplikationen wie Ansammlung von Wasser in der Lunge, oft in Verbindung mit Kreislaufversagen. Das machte es einfach, einen "natürlichen Tod" etwa infolge "Herzschwäche" oder "Lungenentzündung" zu bescheinigen. Umgekehrt wurde epileptischen Kindern das Medikament entzogen, woraufhin der Tod als Folge von Dauerkrämpfen eintrat.

Am 15. Juni 1944 starb Emmi Jönßon angeblich an Lungenentzündung bei stärkster Abmagerung, Herzversagen und Entererocolitis (Darmentzündung).

In der "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" wurden Patientinnen und Patienten systematisch durch Überdosierung von Medikamenten, durch Nichtbehandlung von Krankheiten und vor allem durch Nahrungsentzug ermordet. Von den 228 Mädchen und Frauen aus Alsterdorf kamen 196 bis Ende 1945 ums Leben.

Stand: August 2021
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg; Evangelische Stiftung Alsterdorf, Archiv, Sonderakte V 189 (Emmi Jönßon). Harald Jenner, Michael Wunder, Hamburger Gedenkbuch Euthanasie – Die Toten 1939-1945, Hamburg 2017, S. 282; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 331 ff.; Peter von Rönn, Der Transport nach Wien, in: Peter von Rönn u.a., Wege in den Tod, Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 425 ff.; Waltraud Häupl, Der organisierte Massenmord an Kindern und Jugendlichen in der Ostmark 1940-1945, Wien 2008, S. 64f.; https://jugend1918-1945.de/portal/jugend/lexikon.aspx?typ=lexikonID&id=4659&iframe=true (Zugriff am 14.7.2021).

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