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Bereits verlegte Stolpersteine



Flora Vogel im Alter
Flora Vogel im Alter
© Galerie Morgenland

Flora Vogel (geborene Moses) * 1861

Osterstraße 85 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1943 Theresienstadt
ermordet 17.05.1943

Weitere Stolpersteine in Osterstraße 85:
Louis Vogel

Louis Vogel, geb. am 26. 3. 1892 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel
Flora Vogel, geb. Moses, geb. am 17.8.1861, deportiert am 24.3.1943 nach Theresienstadt, dort gestorben am 17.5.1943

Osterstraße 85

Flora und Semmy Vogel hatten 1884 geheiratet. Beide stammten aus Hamburger jüdischen Kaufmannsfamilien. Der "Tapezier" Semmy Vogel, geboren am 15. Januar 1858, Sohn des "Handelsmannes" Levy Vogel und seiner Ehefrau Sophie, geborene Finkenberg, wohnte damals am Schaarmarkt 28. Flora, Tochter des "Handelsmannes" Jonas und der Mathilde Moses, geborene Levy, wohnte in der Straße Eichholz 52. Acht Kinder wurden in dieser Ehe geboren: John, geboren am 18. April 1885, Margarethe (Grete), verheiratete Wandmacher, geboren am 6. Dezember 1886, Julius, geboren am 11. Dezember 1888, gestorben am 24. Februar 1889, Henriette, verheiratete Lütjens, geboren am 1. Mai 1890, Louis, geboren am 26. März 1892, Max, geboren am 25. Juni 1894, gestorben am 4. Januar 1934, Paula, verheiratete Baden, geboren am 7. September 1900, und Erna, verheiratete Wenz, geboren am 27. August 1904.

Als die Kinder zur Welt kamen, lebte Familie Vogel in der Neustadt, u. a. in der Straße Bei den Hütten, in der 2. Elbstraße und im Krayenkamp. Vermutlich musste sie häufig umziehen, vielleicht wohnte sie sogar Wohnungen trocken, wie es in den ärmeren Schichten zu dieser Zeit nicht unüblich war.

Flora und Semmy Vogel waren assimiliert. Sie schickten ihre Kinder zwar in die jüdischen Schulen und begingen die jüdischen Feiertage, aber religiöse Gebote wie die Speisegesetze hielten sie nicht mehr ein. Alle Kinder heirateten nichtjüdische Partner, waren Anhänger der Sozialdemokratie und ließen sich taufen oder wandten sich von der Religion ab.

Semmy Vogel verkaufte vor 1914 in einem kleinen Altwarenladen aufgearbeitete Möbel. Er starb am 20. November 1915. Die jüngste Tochter war elf Jahre alt, die älteren Kinder bereits erwachsen. Flora Vogel lebte später in einer kleinen Hinterhofwohnung in der Osterstraße 85a oder b, dann in der Lutterothstraße 65, häufig besucht von Kindern und Enkeln, die die belesene alte Frau liebten.

1939 zog sie, inzwischen gebrechlich und fast erblindet, in das Altenhaus der Jüdischen Gemeinde in der Sedanstraße. Als sie, 83-jährig, am 24. März 1943 den Deportationsbefehl nach Theresienstadt erhielt – die NS-Behörden "räumten" die jüdischen Heime und Anstalten – war sie in der Beneckestraße 6 untergebracht. Trotz ihrer Sehschwäche wurde sie von dem Eimsbütteler Arzt Cai Lienau, Eichenstraße 54, für "reisefähig" erklärt. Am Tag vor der Deportation besuchten sie ihre Kinder und Enkel, die aufgrund ihrer Verbindungen zum sozialdemokratischen Milieu nicht nur frühzeitig von der Existenz der Konzentrationslager, sondern auch über die in den Lagern herrschende Brutalität Bescheid wussten, denn viele Parteifreunde oder kommunistische Nachbarn waren im März 1933 in KZ-Haft genommen worden. Daher ahnten die Kinder und Enkel, was der Großmutter bevorstand. Um ihr diesen Weg zu ersparen, trugen sie bei ihrem letzten Besuch Schlaftabletten bei sich, die sie ihr dann aber doch nicht verabreichen mochten. So ging die alte Frau "auf Transport", den sie nur um wenige Wochen überlebte. Flora Vogel kam am 20. Mai 1943 ums Leben.

Flora Vogels Sohn Louis war von Beruf Barbier. Wie seine Geschwister heiratete er eine Nichtjüdin. Am 18. Juni 1920 wurde er mit der aus Itzehoe stammenden evangelisch-lutherischen Lydia Caroline Baszulewski getraut. Das Paar wohnte zum Zeitpunkt der Eheschließung in St. Pauli in der Schmuckstraße 11 im dritten Stock. Louis Vogel wurde am 14. August 1926 in der Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn aufgenommen, nachdem er bereits im Februar/März 1925 Patient der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg gewesen war. Die Gründe dafür kennen wir nicht. Die Ehe von Lydia und Louis Vogel war den krankheitsbedingten Belastungen nicht gewachsen. Sie wurde am 25. Juli 1927 geschieden. Louis blieb dauerhaft in Langenhorn.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Am 23. September wurde Louis Vogel mit weiteren 135 Patienten aus norddeutschen Anstalten im Güterbahnhof Ochsenzoll in einen Zug verladen und nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch an demselben Tag töteten man die Patienten in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann die Angehörigen Kenntnis von Louis Vogels Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm oder Cholm verstorben sei.

Auf dem Geburtsregistereintrag von Louis Vogel wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II seinen Tod unter der Nummer 412/1941 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch), einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Louis Vogels Geschwister waren zunächst durch ihre "Mischehen" vor den Deportationen geschützt. 1945 wurde Margarethe (Grete) nach Theresienstadt deportiert, überlebte aber. Der älteste Sohn John hatte 1945 ebenfalls noch die Aufforderung zur Deportation nach Theresienstadt erhalten, erreichte jedoch eine Rückstellung aus Krankheitsgründen. Er war von Juni 1938 bis Februar 1939 in Sachsenhausen inhaftiert gewesen und hatte in Hamburg Zwangsarbeit leisten müssen. Auch Henriette, Paula und Erna Vogel überlebten den Holocaust.

An Louis und Flora Vogel erinnern Stolpersteine in Hamburg-Eimsbüttel, Osterstraße 85.


Stand: Oktober 2018
© Susanne Lohmeyer

Quellen: 1; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Lebenden jüdischen Frauen und Männern der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 257 Sterberegister Nr. 545/1889 Julius Vogel, 2668 Heiratsregister Nr. 520/1884 Semmy Vogel/Flora Moses, 2101 Geburtsregister Nr. 1868/1885 John Vogel, 2134 Geburtsregister Nr. 5874/1886 Margarethe Vogel, 2183 Geburtsregister Nr. 5870/1888 Julius Vogel, 2226 Geburtsregister 1983/1890 Henriette Vogel, 2284 Geburtsregister Nr. 1361/1892 Louis Vogel, 2344 Geburtsregister Nr. 2375/1894 Max Vogel, 3243 Heiratsregister Nr. 806/1914 John Vogel/Käthchen Lehmann, 3375 Heiratsregister Nr. 544/1920 Louis Vogel/Lydia Caroline Baszulewski; 13405 Geburtsregister Nr. 2465/1900 Paula Vogel; 8031 Sterberegister Nr. 1099/1915 Semmy Vogel, 8679 Heiratsregister Heinrich Albert Wandmacher/Margarethe Vogel, 8753 Heiratsregister Walther Lütjens/Henriette Vogel, 9868 Sterberegister Nr. 15/1934 Max Vogel; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 1960 Flora Vogel, 7938 John Vogel; 351-14 Arbeits- und Sozialbehörde – Sonderakten 1960 Flora Vogel; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Aufnahme-/Abgangsbuch Langenhorn 26. 8. 1939 bis 27. 1. 1941; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Louis Vogel der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg. Baumbach, Sybille/ Lohmeyer, Susanne/Louven, Astrid/Meyer, Beate/Salomon, Sielke/Wienrich, Dagmar, "Wo Wurzeln waren …”. Juden in Hamburg-Eimsbüttel 1933 bis 1945, Hamburg 1993, darin: Familie Vogel, S. 195ff. Böhme, Klaus/Lohalm, Uwe (Hrsg.), Wege in den Tod. Hamburgs Anstalt Langenhorn und die Euthanasie in der Zeit des Nationalsozialismus, Hamburg 1993, S. 70f. Klee, Ernst, "Euthanasie"– im NS-Staat. Die "Vernichtung" lebensunwerten Lebens, Frankfurt a. M. 2009, S. 269ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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