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Bereits verlegte Stolpersteine



Marianne Minna Hecker (geborene Schiff) * 1863

Großneumarkt 38 (vorm. Schlachterstraße) (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
MARIANNE MINNA
HECKER
GEB. SCHIFF
JG. 1862
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Großneumarkt 38 (vorm. Schlachterstraße):
Hanna Aghitstein, Julie Baruch, Ludwig Louis Baruch, Julius Blogg, Rebecca Blogg, Kurt Cossmann, Mathilde Cossmann, Frieda Dannenberg, Alice Graff, Leopold Graff, Flora Halberstadt, Elsa Hamburger, Herbert Hamburger, Louis Hecker, Max Hecker, Lea Heymann, Alfred Heymann, Wilma Heymann, Paul Heymann, Jettchen Kahn, Adolf Kahn, Curt Koppel, Johanna Koppel, Hannchen Liepmann, Henriette Liepmann, Bernhard Liepmann, Johanna Löwe, Martin Moses, Beate Ruben, Flora Samuel, Karl Schack, Minna Schack, Werner Sochaczewski, Margot Sochazewski, verh. Darvill, Sophie Vogel, Sara Vogel

Louis Hecker, geb. 28.6.1894 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Marianne/Minna Hecker, geb. Schiff, geb. 17.8.1863 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Max Hecker, geb. 27.11.1895 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Großneumarkt 38 (Schlachterstraße 46/47)

Marianne Hecker, auch Minna genannt, war am 17. August 1863 als Tochter des selbstständigen Schuhmachermeisters Louis Schiff (geb. 18.11.1820, gest. 25.1.1885) und seiner Ehefrau Rike, geb. Braunschweiger, im Neuen Steinweg 20 zur Welt gekommen. Die Eigentümerin des Hauses, in dem die Familie wohnte, war ihre Großmutter Rosa Braunschweiger, geb. Beer (gest. 16.10.1888). Ihren Großvater Meyer Braunschweiger (gest. 26.8.1856), ebenfalls Schuhmacher von Beruf, lernte Marianne nicht mehr kennen, er war sieben Jahre vor ihrer Geburt gestorben. Auch Mariannes Mutter Rike verstarb sehr früh, am 11. Juni 1874. Ihr Vater ging am 21. März 1876 eine zweite Ehe mit Lea Elias (geb. 3.1.1842) ein. Die Halbschwester Ella wurde am 30. August 1877 geboren. Marianne hatte noch einen älteren Bruder namens Martin (geb. 10.11.1859), der im Alter von 22 Jahren, am 1. März 1882, verstarb.

Marianne lernte den Buchhalter Berel Hecker kennen. Berel, der sich Bernhard nannte, war am 2. August 1861 in Tarnów, ebenfalls in einer jüdischen Familie, zur Welt gekommen. Im Alter von 16 Jahren hatte er seine Heimat im damaligen österreichischen Kronland Galizien verlassen, um im Juli 1877 eine kaufmännische Ausbildung bei einer Versicherung in Altona zu beginnen. Sein älterer Bruder David Hecker (geb. 1853, gest. 11.1.1899) hatte sich bereits in der Hamburger Altstadt mit einem Galanteriewarenhandel (modische Accessoires) etabliert. Ein weiterer Bruder, Marcus Pincas Hecker (geb. 26.1.1859, gest. 25.3.1939), war ihnen 1882 von London aus gefolgt. David und Marcus Hecker firmierten ab 1886 unter "Geb. Hecker, Pfeifen-, Meerschaum-, und Stock-Lager" an der Ellernthorsbrücke 14 (heute Ellerntorsbrücke).

Berel Hecker blieb nach der Ausbildung in seiner Lehrfirma beschäftigt, bis er 1885 seinen Einberufungsbefehl zur österreichischen Armee erhielt. Seinen Militärdienst leistete er in Krakau ab und kehrte nach seiner Entlassung im April 1888 nach Hamburg zurück. Berel fand Arbeit bei Eduard Nelky, der "Medicinische Tokayer-Weine" vertrieb. Anfangs war er wieder als kaufmännischer Angestellter tätig, dann erhielt er als Buchhalter der Firma die Prokura. In der Zwischenzeit waren Berels Eltern, der Krämer Joseph/Joske Hecker (gest. 14.2.1896) und Gittel, geb. Grünstein (gest. 17.11.1892), ihren Kindern nach Hamburg gefolgt. Sie betrieben ein "Colonialwarengeschäft" in der Peterstraße 63 und wohnten bis zu ihrem Tode in der Poolstraße 2.

Marianne Schiff und Berel Hecker heirateten am 24. Januar 1893. Sie lebten in der Kampstraße 29 im Stadtteil St. Pauli, wo im Juni 1894 Sohn Louis zur Welt kam. Der zweite Sohn Max wurde im November 1895 geboren.
Gesicherte Einkünfte ermöglichten im Oktober 1898 Berel Heckers Aufnahme in den Hamburger Staatsverband.

Marianne wird sich zunächst um den Haushalt der Familie gekümmert haben, der sich in den Jahren 1897 bis 1901 in der Altonaerstraße 21 (heute Altonaer Straße) befand. 1902 erfolgte ein Umzug der Familie in die Eckernförderstraße 29 (heute Simon-von-Utrecht-Straße), da sie dort für ein Jahr ein "Colonialwarengeschäft" übernahmen, das sie unter dem Namen "Wilh. Magener Nachf." weiterführten. Im Anschluss zog Familie Hecker in den Stadtteil Eimsbüttel. Berel Hecker verdiente seinen Lebensunterhalt nun als selbstständiger Schuhwarenvertreter. Zunächst wohnten sie in der Weidenallee 30, im folgenden Jahr in der Emilienstraße 36. 1907 bezogen sie schließlich eine Vierzimmerwohnung in der Osterstraße 130. Im Haushalt lebte auch Mariannes Stiefmutter, Lea Schiff, die am 24. Dezember 1907 im Alter von 65 Jahren verstarb.

Als Berel Hecker ohne Anspruch auf Rente erkrankte, musste Marianne im Mai 1930 Unterstützung beim Wohlfahrtsamt beantragen. Berel Hecker starb am 11. Juni 1931 kurz vor seinem 70. Geburtstag an Kehlkopfkrebs. Um die Wohnung in der Osterstraße halten zu können, nahm Marianne Hecker ein Ehepaar mit Kind als Untermieter auf. Der jüngere Sohn Max hatte eine kaufmännische Lehre in einer Drogistengroßhandlung abgeschlossen. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil, wurde mit dem Ehrenkreuz für Frontkämpfer ausgezeichnet und war nach Kriegsende wieder als Kaufmann tätig. 1920 beantragte er einen Gewerbeschein und war als selbstständiger Reisender tätig. Nach dem Tod seines Vaters übernahm er dessen Kunden, zu denen Schuhmacher und Schuhgeschäfte gehörten. Allerdings war sein Verdienst durch die "schlechte Konjunktur" so gering, dass ihm nach Abzug aller Kosten nur 8 bis 12 Reichsmark (RM) im Monat zum Leben blieben. Um für sich Fürsorgeleistungen in Anspruch nehmen zu können, sollte er im August 1933 zunächst seinen Gewerbeschein abgeben.

Vergeblich bemühte sich Max um eine Anstellung als Vertreter, konnte aber keine Firma finden, die noch einen "nicht arischen Reisenden" einstellte. Im November 1936 verschlechterte sich die finanzielle Situation der Familie so dramatisch, dass sie nun selbst als Untermieter in die Övelgönnerstraße 15 zog. Als ihr Vermieter kurz darauf in "Staatsstellung" kam und keine Kontakte zu Juden mehr haben durfte, wurde Familie Hecker aufgefordert, die Wohnung so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Im Februar 1937 erhielt sie durch die Jüdische Gemeinde eine kleine Zweizimmer-Stiftswohnung in der Schlachterstraße 46/47 Haus 3. Max hatte sich unterdessen wieder einen kleinen selbstständigen Handel mit Schuhwarenartikel aufgebaut, von dem er sich, seine Mutter und seinen älteren Bruder Louis zu ernähren suchte.

Louis Hecker wurde, laut Fürsorgeakte, von seiner Mutter als "geistig beschränkt" beschrieben und soll sechs Jahre eine Hilfsschule in der Osterstraße besucht haben. Ab 1911 arbeitete er für einige Jahre als Bote in der Firma von Oswald Krotz "Schuhreparaturen und Schuhwarenhaus" im Lehmweg 30. 1933 wurde Louis Hecker erwerbslos. Mit seiner Behinderung und als Jude war Louis doppelt stigmatisiert. Im April 1936 wurde er auf Anzeige der Fürsorgebehörde "wegen des Verdachtes auf angeborenen Schwachsinn" sterilisiert. Louis Hecker leistete schwere Pflichtarbeit an für jüdische Unterstützungsempfänger eingerichteten Arbeitsplätzen, zunächst in Waltershof und dann in Harsefeld, wo er eine tägliche "Prämie" von 25 Pfennig erhielt. Anfang 1937 wurde Louis während eines Botenganges, den er für seinen Bruder erledigte, von einem Behördenmitarbeiter der Wohlfahrtsstelle in der ABC-Straße beobachtet, wie er eine "Rolle Schuhcreme" bei einem Schuster ablieferte und dafür 2,50 RM kassierte. Dies wurde als eigener Handel gewertet, seine wöchentliche Unterstützung von 4 RM wurde eingestellt. Der Beamte verlangte von Louis’ Bruder Max die Löschung des Gewerbescheins durch die Gewerbepolizei, Stempelkontrolle durch das Arbeitsamt und fünf Tage Pflichtarbeit in Waltershof, erst dann sollte die Unterstützung für Familie Hecker weiterlaufen.

Am 16. Oktober 1938 gegen 20 Uhr wurde Louis Hecker auf dem Herbstmarkt in Wedel aufgegriffen und zur Feststellung seiner Personalien auf die örtliche Polizeistelle gebracht, da er über seine Person und über den Zweck seines Aufenthaltes auf dem Marktplatz keine genauen Angaben machen konnte. Laut Aufnahmeprotokoll war Louis Hecker nach Befragen einiger Markthändler ihnen seit Jahren bekannt. Sie wurden von ihm wie alte Bekannte mit Handschlag begrüßt. Er verließ ihren Stand erst, wenn sie ihm etwas schenkten. Diese Handlungsweise sah Louis Hecker nicht als Bettelei an, sie wurde aber als "verstecktes Betteln" gewertet.
Da bei ihm ein Geldbetrag von über 200 RM und ein Antrag an die Wohlfahrtsbehörde auf Bewilligung eines Mantels gefunden wurden, entstand der Verdacht, "unrechtmäßig Wohlfahrtsunterstützung" zu beziehen. Louis Hecker kam vorläufig in Haft und wurde ins Amtsgericht nach Elmshorn gebracht. Die 200 RM wurden für das Wohlfahrtsamt zurückbehalten. Im Oktober wurde Louis Hecker auf Veranlassung der Behörden in das staatliche Versorgungsheim Farmsen eingewiesen, ein Entmündigungsantrag wurde im November gestellt. Ende Mai 1939 kam Louis vorübergehend in das jüdische Alten- und Pflegeheim in der Grünestraße 5 (heute Kirchenstraße) nach Altona. 1940 wurde er unter Vormundschaft in "geschlossener Fürsorge" im Altenheim des Jüdischen Religionsverbandes im "Nordheim-Stift", Schlachterstraße 40/42 untergebracht.
Seinem Bruder Max war Anfang 1938 erneut der Gewerbeschein entzogen worden. Darüber hatte das Ordnungsamt Hamburg, Wirtschaftsgruppe Ambulantes Gewerbe, am 19. Februar 1938 die Fürsorgebehörde unterrichtet: "Zur Orientierung teilen wir mit, dass am 28. d. M. sämtliche alten Hausiererscheine ungültig sind. Einen neuen Stadthausiererschein wird H. aber nicht erhalten. Wir bitten H. auch den Gewerbeanmeldungsschein hinterlegen zu lassen."

Ihre "Evakuierungsbefehle" erhielten die Brüder Max und Louis Hecker für den Transport, der von Hamburg am 8. November 1941 ins Getto von Minsk ging. Der Name ihrer Mutter Marianne wurde auf die Nachtragsliste gesetzt. Keiner von ihnen kehrte aus Minsk zurück.
Mariannes Halbschwester Ella Schiff starb am 10. Oktober 1942 im Israelitischen Krankenhaus nach einem Oberschenkelhalsbruch. Sie war drei Monate zuvor im Jüdischen Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße 9-11, wo sie sich nach Erhalt ihres Deportierungsbefehls einzufinden hatte, auf der Treppe gestürzt. Ella Schiffs Name stand, durchgestrichen, auf der Deportationsliste für den Abtransport am 10. Juli 1942 nach Auschwitz. Ihre letzte Adresse war, wie die ihres Neffen Louis, im Altenheim in der Schlachterstraße 40/42.

Stand: Mai 2023
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 9; StaH 332-5 Standesämter 2558 u 288/1876; StaH 332-5 Standesämter 1911 u 4060/1877; StaH 332-5 Standesämter 124 u 651/1882; StaH 332-5 Standesämter 179 u 310/1885; StaH 332-5 Standesämter 247 u 3213/1888; StaH 332-5 Standesämter 329 u 4577/1892; StaH 332-5 Standesämter 395 u 251/1896; StaH 332-5 Standesämter 448 u 74/1899; StaH 332-5 Standesämter 980 u 292/1931; StaH 332-7 B III 56979 (Hecker, Berel); StaH 332-7 B III 42349 (Hecker, Marcus); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialverwaltung 1258 (Hecker, Marianne); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialverwaltung 1259 (Hecker, Max); StaH 351-14 Arbeits- und Sozialverwaltung 1262 (Hecker, Louis); StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 2; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 4; StaH 331-5 unnatürliche Sterbefälle 3 Akte 1942/1533.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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