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Bereits verlegte Stolpersteine



Lucie Wulff * 1880

Vierländer Damm 6 (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


HIER WOHNTE
LUCIE WULFF
JG. 1880
DEPORTIERT 1941
RIGA-JUNGFERNHOF
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Vierländer Damm 6:
Elsbeth Fieseler, Dr. Eduardo Meldola

Lucie Wulff, geb. 18.11.1880 in Hamburg, deportiert 6.12.1941 nach Riga, ermordet

Vierländer Damm 6 (früher: Vierländerstraße 130 a)


Lucie Wulff, eine "nichtarische Christin", gibt uns mit ihrer Biographie viele Rätsel auf, weil über ihr Leben so wenig bekannt ist.

Aus dem Geburtsregister ergab sich, dass sie am 18. November 1880 als Kind jüdischer Eltern in der Kielerstraße 90 in Altona-Nord geboren wurde und den Namen Lucie Rahel erhielt. Sie war das zweite Kind des Kaufmanns Anton Wulff, geb. 9. April 1845 in Hamburg (1845 – 1910), und seiner fünf Jahre älteren Ehefrau Luna, geb. Piza, geb. 12. Juni 1839 in Hamburg (1839 – 1893), die im Mai 1868 zivilehelich geheiratet hatten. Ihre Väter bezeugten, dass "dieser Verheirathung keine gesetzlichen Hindernisse entgegenstehen".

Die Eheleute entstammten unterschiedlichen Gruppierungen im Judentum: Luna Pizas Eltern waren Sepharden, also Nachkommen der aus Spanien und Portugal vertriebenen Juden, die sich im 17. Jahrhundert in Hamburg niedergelassen hatten. Anton Wulffs Eltern wiederum gehörten zu den "deutschen" Juden, den Aschkenasim, die später als die Sepharden in Hamburg Wohnrecht erhielten.

Luna und Anton Wulffs religiöse Trauung vollzog am 21. Juni 1868 Oberrabbiner Anschel Stern, der in der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg (DIGH) die orthodoxen Mitglieder des Synagogenverbandes betreute. Die DIGH fungierte als Gegenüber zum Rat der Stadt als Dach für die verschiedenen Einzelgemeinden und für die sozialen Belange der einzelnen Mitglieder, die keinem der religiösen Kultusverbände angehörten. Deshalb blieben auch Lucie Wulffs Eltern anerkannte Mitglieder der DIGH, als sie sich irgendwann als "Dissidenten" erklärten.

Luna Piza lebte bei ihrer Eheschließung noch bei ihren Eltern, dem Tabakmakler Abraham Piza (1802 – 1888) und seiner Ehefrau Rachel, geb. Israel Brandon (1802 – 1889), in der Marktstraße 139 auf St. Pauli. Anton Wulff hatte das Gewerbe eines Buchbinders erlernt und hatte sein Elternhaus bereits verlassen. Er wohnte in der Görttwiete in der Hamburger Altstadt, während seine Eltern, der "Handelsmann" (Kaufmann) Jean oder John Isaak Wulff und seine Ehefrau Sophie, geb. Peine, in der Mathildenstraße 10 auf St. Pauli blieben.

Anton und Luna Wulff zogen in die Nähe von Lunas Eltern in die Marktstraße, wo sie elf Jahre lebten. In den Hamburger Adressbüchern wurde Anton Wulff dort bis 1874, zunächst als Buchbinder, danach als Kaufmann, aufgeführt.

Lucies Wulffs Mutter Luna, die sich auch Leonore nannte, stammte aus der seit dem 17. Jahrhundert in Hamburg ansässigen weit verzweigten sephardischen Familie Piza. Sie hatte vier Geschwister, Esther, verheiratete Meldola (1832 – 1916), Jacob (1834 – 1911), Sara, verheiratete Jonas (1836 - 1884) und Hana, verheiratete Algava (1843 – 1884).

Elf Jahre nach ihrer Eheschließung brachte Luna Wulff am 3. Juni 1877 einen Sohn zur Welt, John Willy. Er wurde nur sieben Monate alt und starb am 8. Januar 1878.

Anton Wulff wandte sich dem Eisenhandel zu und machte sich 1880 in St. Pauli Nord in der Kielerstraße 90 mit einem Geschäft für Eisen-, Kurz- und Haushaltswaren selbstständig. Dort kam am 18. November 1880 Lucie zur Welt. Anton Wulff zog schon nach einem Jahr mit Frau und Tochter nach Eimsbüttel, zunächst in die Bundesstraße und weiter in die Fruchtallee, wo er ohne nähere Angabe seiner kaufmännischen Tätigkeit in den Adressbüchern verzeichnet wurde.

Der letzte Eintrag Anton Wulffs im Hamburger Adressbuch findet sich 1886. Dann verließ er seine Familie und die Stadt. Genaue Daten ließen sich nicht feststellen. Sein Vater, Jean/John Isaak Wulff, starb am 19. Dezember 1885. Als Ältester zeigte Anton seinen Tod beim Standesamt an. Aber als seine Mutter Sophie Wulff 1889 folgte, nahm der jüngere Sohn, Adolph, die standesamtliche Meldung vor, ein möglicher Hinweis, dass Anton Wulff seine Familie und Hamburg verlassen hatte. (Beide verstorbenen Elternteile wurden auf dem 1883 eröffneten Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel in Ohlsdorf im aschkenasischen Teil in Einzelgräbern beigesetzt.)

Die nächste Spur von Lucie Wulffs Mutter ist ein Eintrag im Adressbuch von 1890 unter Wulff, "Wwe. Luna Carolinenstr. 10". Anton Wulff, der tatsächlich in Magdeburg lebte, galt seiner Familie jetzt offenbar als tot (oder die verlassene Ehefrau gab dies vor). Auf eine Vormundschaft für die nun zehnjährige Lucie fehlt jeder Hinweis.

Zwischen 1888 und 1889 starben auch Lucie Wulffs Großeltern mütterlicherseits, Abraham und Rachel Piza. Deren einziger Sohn, der Lehrer Jacob Piza, Luna Pizas Bruder, nahm die standesamtlichen Meldungen vor. Die Verstorbenen fanden auf dem sephardischen Teil des jüdischen Friedhofs in Ohlsdorf, dem Portugiesisch-Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel, ihre letzte Ruhe.

Aus den folgenden Adressbucheinträgen geht hervor, dass Luna Wulff zwei Jahre bei der Oelmühle 32 ptr., in St. Pauli, wohnte und 1892 nach Harvestehude in den Schlump 28, Haus 3, ptr., zog. Dort starb sie am 19. November 1893 im Alter von 54 Jahren. Zwei Tage später wurde sie bei ihren Eltern in Ohlsdorf beerdigt.
Wer sich nun Lucies annahm, ließ sich nicht herausfinden. Eine Ende November 1893 angelegte Vormundschaftsakte ist nicht erhalten.

Zwei Jahre nach Luna Wulffs Tod ging Anton Wulff, nun mit der Berufsangabe "Naturarzt", eine zweite Ehe ein. Seine Frau Esther Laje, geb. Liebe, genannt Adeline, stammte aus Polen. Sie war 1863 in Kepno, deutsch Kempen, das zu der Zeit preußisch war, geboren worden. Am 23. August 1895 brachte sie einen Sohn zur Welt, Jaques Alfons. Anton Wulff starb 1910 mit 65 Jahren in Stettin als "Heilpraktikant". Auf Kontakte Lucie Wulffs zu ihrem Vater und Halbbruder gibt es keine Hinweise. (Jaques Alfons Wulff starb 1972 in Berlin.)

Den Tod Luna Wulff zeigte ihr Bruder, der Lehrer Jacob Piza, beim Standesamt an. Er war 1888 durch den Tod seines Vaters Abraham Piza zum Familienoberhaupt geworden und wohnte inzwischen mit seiner Familie Grindelhof 34 a in Hamburg-Rotherbaum. Seine Frau Amalie, geb. Mettlerkamp, geb. 1845, gehörte der lutherischen Kirche an. Diese Ehe ist die erste uns bekannte konfessionsverschiedene Ehe, später "Mischehe" genannt, in der Familie Piza. Amalie Piza starb am 1. November 1887 und hinterließ zwei noch schulpflichtige Kinder, Anita, geb. 19.6.1869, und Alberto Jacobo, geb. 1872. Sie wurden lutherisch erzogen.

1896 ging auch Jacob Piza eine zweite Ehe ein, wieder mit einer Christin. Angela, geb. Ottersbach, geb. 3.10.1911 in Görlitz, brachte am 8.11.1898 einen Sohn zur Welt, der Richard Georg Diego genannt wurde. Sein 30 Jahre älterer Halbbruder Alberto Jacobo Piza hielt sich zu der Zeit als Kaufmann oder Soldat in Afrika auf. Er kehrte 1899 zu seinem Vater zurück, bis er sich 1900 nach Berlin abmeldete.

Lucie Wulff wuchs eingebettet in diese Großfamilie auf, deren viele Mitglieder unterschiedlicher Generationen wir vom Namen her kennen, aber über Lucies eigene Kindheit, Jugend und Ausbildung wissen wir wenig.
Zwei ihrer Cousinen mütterlicherseits, Zimha und Rahel Algava, die Töchter Hana Algavas, der jüngsten Schwester Luna Wulffs, waren Erzieherinnen geworden. Auch Lucie Wulff schlug diesen Berufsweg ein.

Am 4. Juli 1898, Lucie Wulff war noch nicht volljährig, wurde eine Änderung ihres Vornamens registriert. Der von der mütterlichen Großmutter übernommene zweite Vorname, "Rahel", sollte gegen "Sophie" aus der väterlichen Linie, getauscht und "Theodora" hinzugefügt werden. Ob diese Änderung eine Annäherung an die christliche Umgebung sein sollte, ließ sich nicht erhärten. Noch am selben Tag wurde sie zurückgenommen. Aber Lucie wurde zu einem uns nicht bekannten Datum getauft.

Luna Wulffs älteste Schwester, Ester Piza, heiratete den Tabakmakler Abraham Meldola, der ebenfalls aus einer sephardischen Familie stammte. Sie hatten drei Kinder, als sich Abraham Meldola entschloss, als Landwirt in die kleine private deutsche Kolonie Blumenau im Süden Brasiliens überzusiedeln. Ester Meldola folgte mit den drei Kindern und brachte am 23. Mai 1869 in Blumenau noch einen Sohn zur Welt, Eduardo, der von Geburt an die brasilianische Staatsangehörigkeit besaß. Zum Schulbesuch und zur weiteren Ausbildung Eduardos zum Arzt kehrte Ester Meldola 1876 nach Hamburg zurück.
Eduardo sollte nach seiner Ausbildung nach Blumenau heimkehren. Er heiratete jedoch und blieb in Hamburg. 1898 ließ er sich in Hamburg-Rothenburgsort, einem aufstrebenden Arbeiterstadtteil, nieder. Er erwarb 1900 Grundbesitz in der Vierländerstraße 6 a, wo er seine Praxis eröffnete, und angrenzend um die Ecke ein Mietshaus Billhorner Röhrendamm 213.

In eine dieser Wohnungen zog der inzwischen pensionierte Lehrer Jacob Piza, Lucie Wulffs und Eduardo Meldolas Onkel, am 2. Oktober 1900 mit seiner Frau Angela und den Kindern Anita und Richard ein. Damit begann der Zuzug weiterer Verwandter nach Rothenburgsort.

Lucie Wulff zog zu ihrem Cousin Eduardo Meldola in der Vierländerstraße 6 a IV. Das war seine Privatwohnung, die er sich hatte ausbauen lassen.

Lucie Wulff beantragte einen Reisepass für England, der ihr am 14. Oktober 1902 ausgehändigt wurde. Aus der Personenbeschreibung geht hervor, dass sie von mittlerer Statur war, ein ovales Gesicht, dunkle Haare und braune Augen, aber keine besonderen Kennzeichen hatte. Der Pass war ein Jahr gültig. Vielleicht wollte sie ihren Cousin Alberto Piza besuchen, der inzwischen nach Schottland verzogen war. (Er nahm die britische Staatsangehörigkeit an, wurde Soldat und starb 1917 auf britischer Seite im Ersten Weltkrieg.)

Am 1. November 1902 starb Angela Piza und hinterließ ihren Ehemann Jacob mit ihrem beinahe vierjährigen Sohn Richard. Offenbar versorgte die Tochter Anita sie beide. Als auch Jacob Piza am 18. Januar 1911 im Vereinshospital am Schlump starb, nahm sie die Anzeige beim Standesamt vor. Nach seinem Tod arbeitete sie als Lehrerin an der staatlichen Gewerbeschule.

Am 21. November 1902 wurde Eduardo Meldola die Hamburger Staatsbürgerschaft zuerkannt. Die brasilianische behielt er bei. Nach dem Tod seines Onkels fiel ihm die Rolle des Familienoberhaupts zu.

Als nächste zogen die Töchter Hana Algavas zu. Hana, die jüngste Schwester Luna Wulffs, hatte zwei Töchter mit Aharon Algava, Zimha und Rahel. Hana Algava starb 1884, der Vater 1914. 1915 zog Zimha mit ihrem Ehemann Traugott Gaudes in die Vierländerstraße 64. Nach ihrer Heirat mit dem Arbeiter Ferdinand Gerhard folgte ihre Schwester Rahel 1917 und bezog eine Hinterhauswohnung in der Vierländerstraße 132.

Lucie Wulffs nächste Spur ist eine Notiz (Beischrift) im Geburtsregister. Mit Wirksamkeit vom 25. September 1920 wurde ihren Vornamen als dritter ein "Piza" hinzugefügt. Auch für diese Namensänderung fehlt die Akte. Das Datum fällt mit ihrem ersten Eintrag im Hamburger Adressbuch zusammen, Vierländerstraße (heute: Vierländer Damm) 130 a II. Dort blieb sie bis zu ihrer Deportation gemeldet.

Ihre Wohnung lag in einem großen Gebäudekomplex mit den Hausnummern 124 bis 130 mit Hinterhäusern, schloss also die Wohnung ihrer Cousine mit dem Cousin Richard in Nr. 129 ein. Wovon Lucie Wulff lebte, geht aus ihren wenigen Spuren nicht hervor.

Eine Spur führt 1938 zu ihrem Cousin Eduardo Meldola. Er hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht und unterstützte seine Angehörigen nach Kräften. Auf der Basis seines Vermögens vom 1. Januar 1935 in Höhe von RM 212 000 wurde am 19. Dezember 1938 durch den Hamburger Oberfinanzpräsidenten eine "Sicherungsanordnung" (Sperre) über sein Vermögen verhängt.

Ihm wurde ein monatlicher Betrag von RM 1000 zur freien Verfügung zugestanden. Darüber hinaus konnte er mit Genehmigung des Oberfinanzpräsidenten Gelder für seinen eigenen Bedarf und für die Unterstützung von Verwandten und anderen Personen seinem Sperrkonto entnehmen. Unter ihnen war seine Cousine Lucie Wulff mit einem monatlichen Betrag von 25 RM, der später auf 20 RM sank. Seine Unterstützung deckte weder ihre Wohnungsmiete noch die Lebenshaltungskosten.

Nach den Novemberpogromen 1938 sah Eduardo Meldola, inzwischen beinahe 70 Jahre alt, für sich keine Zukunft mehr in Deutschland und gab seine deutsche Staatsangehörigkeit auf, ordnete sein Vermögen und bereitete seine Auswanderung vor. Er verkaufte den Grundbesitz in der Vierländerstraße, wohnte dort aber weiter als Mieter mit seiner Tochter Margarethe, verheirate Bauer, und ihrer Familie und bot auch einer langjährigen Freundin, Elsbeth Fieseler, ein Zuhause (s. www.stolpersteine-hamburg.de).

Bei der Volkszählung am 17. Mai 1939 mussten alle "nicht Deutschblütigen" einen Extrabogen ausfüllen. Von Eduardo Meldola, seiner Tochter Margarethe Bauer, seinen Cousinen Anita Piza, den Algava-Töchtern Zimha Gaudes und Rahel Gerhard sowie dem Cousin Richard Piza sind die Meldebögen erhalten, nicht aber der von Lucie Wulff.

Von Juli bis November 1939 unternahm Eduardo Meldola eine Orientierungsreise nach Brasilien. Für die Zeit seiner Abwesenheit traf er Vorsorge für die Unterstützung auch seiner Cousine Lucie Wulff und auch noch für die erste Zeit nach seiner Auswanderung. Der letzte Betrag sollte ihr im September 1941 ausgezahlt werden.

Lucie Wulff hatte sich mittlerweile beim Jüdischen Religionsverband, der Hamburger Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, wie alle von den Nationalsozialisten als "Volljuden" betrachteten Personen, als Mitglied melden müssen. Dieser notierte auf der Karteikarte "evangelisch" und vermerkte, dass sie über kein Einkommen verfüge sowie wegen Geisteskrankheit entmündigt sei. In der Hausmeldekartei war sie als "Schriftstellerin" eingetragen. Die Suche nach Veröffentlichungen oder anderen Spuren ihrer Tätigkeit verlief jedoch ergebnislos. Es ist nicht auszuschließen, dass sie ein Pseudonym benutzte. Wie sich der Vermerk "Geisteskrankheit" auf der Kultussteuerkarteikarte von August 1940 zu der Berufsangabe "Schriftstellerin" in der Hausmeldekartei verhält, ließ sich nicht klären.

Aus uns unbekannten Gründen befand sich Lucie Wulff im Oktober 1941 in Potsdam. Am 17. Oktober 1941 richtete die Gestapo Potsdam ein Gesuch an das dortige Polizeipräsidium, "Lusia Wulff, geb. 18.11.1880 in Hamburg", an das Polizeigefängnis Hamburg zu überstellen. "Lusia" statt Lucie kann auf einem Schreibfehler beruhen. Der Name taucht sonst an keiner Stelle auf.

Eine Woche später wurde die Genehmigung erteilt, und der Transport verließ Potsdam am 28. Oktober 1941. Am 31. Oktober 1941 traf Lucie Wulff in Hamburg ein. Ob sie den seit 19. September 1941 verpflichtend zu zeigenden "Judenstern" nicht getragen hatte oder welchen anderen Vorwand es zu ihrer Verhaftung gab, ist nicht bekannt.
Üblich wäre nun ihre Inhaftierung im Polizeigefängnis Hütten oder im Konzentrationslager Fuhlsbüttel gewesen. Sie wurde jedoch offensichtlich im "Judenhaus" in der Schlachterstraße 40 untergebracht und blieb dort bis zu ihrer Deportation.

Die Deportationsliste der Gestapo wiederum führt als ihre Adresse noch "Vierländerstraße 130 a" an. In dem Verzeichnis des Wohnungspflegeamts, welche "Judenwohnungen" durch die Deportationen geräumt würden, wird Lucie Wulffs Adresse durch einen handschriftlichen Zusatz "nach Schlachterstraße 40/42 verzogen, kein Hausstand" korrigiert. Im Adressbuch wurde dies nicht mehr korrigiert und auch die Jüdische Gemeinde, die sich nun Jüdischer Religionsverband nennen musste, vermerkte dies nicht in ihrer Kartei; vermutlich weil die Gestapo über Lucie Wulffs Schicksal kurzfristig entschieden hatte.

61 Jahre alt, wurde Lucie Wulff zur Deportation am 6. Dezember 1941 aufgerufen.
Mit demselben Transport wurden Angehörige von Lucie Wulff deportiert, Fanni Frimeta Deutschländer (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) und Martin und Sophie Bauer, die Schwiegereltern von ihrer Nichte Margarethe Bauer, geb. Meldola. Da das Ghetto von Riga überfüllt war, endete der Zug am Bahnhof Skirotava. Die Deportierten hatten einen Fußweg von mehreren Kilometern durch den Schnee zum Jungfernhof, den Resten eines aufgelassen Gutes an der Düna, zurückzulegen.
Ob Lucie Wulff an den unmenschlichen Unterbringungsbedingungen im "Jungfernhof" starb oder in der "Aktion Dünamünde" im März 1942 erschossen wurde, ist ungeklärt.

Lucie Wulff hinterließ keine Spuren beim Amt für Wiedergutmachung, auch nicht bei der J.T.O. (Jewish Trust Organisation), die erblose Nachlässe verwaltete.


Ihre Cousine Sophie Stiefel wurde mit ihrem Ehemann Louis 1942 von Hamburg aus nach Auschwitz deportiert (siehe www.stolpersteine-hamburg.de), ihr Cousin Jean Paul Wulf und seine Ehefrau Mathilde, geb. Koppel, 1942 von Drancy in Frankreich, wohin sie sich geflüchtet hatten, ebenfalls dorthin, wo sie ermordet wurden. Ihre Kinder überlebten dank ihrer Emigration.
Die Cousine Gertrud Wulf wurde am 23. Juni 1944 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 1. Juni 1944 starb.
Von den uns bekannten Nachkommen Jean/John Isaak und Sophie Wulffs überlebte nur ihre Enkelin Hertha, geb. 15.12.1884, verheiratet mit Joseph Stiefel, die NS-Herrschaft durch ihre Emigration nach Brasilien im Jahr 1939.

Anita Therese Piza, wohnhaft Billhorner Röhrendamm 230, starb am 9. August 1942 im Hilfskrankenhaus Rellingerstraße 13 in Stellingen. Richard Piza überlebte mit seiner Familie die NS-Herrschaft und starb 1972 als Apotheker in Ahrensburg.

Eduardo Meldola emigrierte im August 1941 zunächst nach Brasilien, dann in die USA. Er starb 1947 (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Stand: Juni 2024
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5 digital; Hamburger Adressbücher; StaHH 314-15 Oberfinanzpräsident, R 1938/3448, R 1940/0034, FVg 8657; Abl. 1998, 31 IV Wohnungspflegeamt, 25 Deportationskartei; 553-2, Personenstandsregister; Sefadat, Jüdische Friedhöfe Ohlsdorf; Dank freundlicher Mitteilungen der Genealogischen Gesellschaft Hamburg: Vormundschaftsregister, Patenschaftsregister, Namensänderungsregister; Stadtarchiv Magdeburg, telefonische Auskunft 28.3.2023; Arolsen Archives; Das jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, Hg. Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Göttingen 2006; Günter Böhm, Die Sephardim in Hamburg, in: Die Juden in Hamburg 1590 – 1990, Hg. Arno Herzig, Hamburg 1991; das. Arno Herzig, Die Juden in Hamburg 1780 – 1860; Margot Löhr, Louis und Sophie Stiefel, geb. Wulf, Stolpersteine in Hamburg-Fuhlsbüttel, Hamburg 2023; Beate Meyer, "Jüdische Mischlinge" Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945; Hamburg . München, 2. Aufl. 2002; Michael Studemund-Halévy, Biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden, Hamburg 2000; Michael Zuch, Elsbeth Fieseler in: Stolpersteine in Hamburg-Rothenburgsort, Hamburg, 2011.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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