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Max Goldblatt
Max Goldblatt
© Yad Vashem

Max Goldblatt * 1892

Bernstorffstraße 71 (Altona, Altona-Altstadt)


MAX GOLDBLATT
JG. 1892
"POLENAKTION" 1938
BENTSCHEN/ZBASZYN
ZURÜCKGEKEHRT
GEFÄNGNIS FUHLSBÜTTEL
SACHSENHAUSEN
ERMORDET 17.5.1940

Weitere Stolpersteine in Bernstorffstraße 71:
Lina Goldblatt, Rosa Goldblatt, Lotti Weissmann

Max Goldblatt, geb. am 13.3.1892 in Landshut (Galizien, heute Łańcut/ Polen), ausgewiesen am 28.10.1938 nach Bentschen/ Zbąszyń/ Polen, "Schutzhaft" im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel, ermordet im KZ Sachsenhausen am 17.5.1940

Seir Liebe, genannt Lina, Goldblatt, geb. Goldblatt, geb. am 15.2.1893 in Landshut (Galizien, heute Łańcut/ Polen), ausgewiesen am 28.10.1938 nach Bentschen/ Zbąszyń/ Polen, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof, weiterdeportiert am 9.8.1944 in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig und nach Neustadt/ Holstein, gestorben am 16.5.1945 in Neustadt

Rosa Goldblatt, geb. 8.10.1919 in Altona, ausgewiesen am 28.10.1938 nach Bentschen/ Zbąszyń/ Polen, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof, weiterdeportiert am 9.8.1944 in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig und nach Neustadt/ Holstein, gestorben am 21.5.1945 in Neustadt

Bernstorffstraße 71 (früher Adolphstraße bzw. Adolfstraße), Altona Altstadt

Max Goldblatt, Sohn eines Synagogendieners, wurde am 13. März 1892 in Landshut im damals zu Österreich gehörenden Galizien geboren (heute Łańcut, Woidwodschaft Karpatenvorland im Südosten Polens). Er war mit Seir Liebe (genannt Lina) Goldblatt, geborene Goldblatt, geboren am 15. Februar 1893 ebenfalls im damaligen Landshut, verheiratet. Das Paar bekam noch in Landshut zwei Kinder: Rywa (Regina), geboren am 26. Dezember 1907 (nach anderen Angaben am 25.12.1909), und Markus (er nannte sich später Max) am 26. Februar 1912. Anfang 1919 ließ sich die Familie in der damals noch selbstständigen preußischen Stadt Altona nieder.

Die Entscheidung für Altona mag davon beeinflusst gewesen sein, dass Max Goldblatts Bruder Benjamin dort bereits seit 1913 mit seiner Familie lebte.

Dieser, Benjamin Goldblatt, geboren am 15. August 1890 in Landshut, hatte nach dem Besuch der Volksschule in seiner Heimatstadt das "Strickereihandwerk" erlernt. Er hatte seinen Beruf in verschiedenen Orten ausgeübt, bis er sich 1913 in Altona niederließ. Während des Ersten Weltkrieges diente er in der Österreichischen Armee an der damaligen Ostfront, wurde verwundet und kehrte nach Kriegsende nach Altona zurück. Er gehörte der Hochdeutschen Israeliten-Gemeinde Altona an. Zu Benjamin Goldblatts Familie gehörten seine Ehefrau Estera (Erna), geboren am 25. April 1894 in Landshut, die Pflegetochter Erna, geboren am 15. Mai 1916 in Landshut, sowie die Söhne Markus (Max), geboren am 27. Oktober 1920 in Altona, und Michael, geboren am 4. Februar 1926 in Hamburg.

Benjamin und Estera Goldblatt hatten am 14. Juni 1920 in Altona geheiratet. Auch Estera Goldblatt arbeitete als Strickerin. Gemeinsam eröffneten sie eine Strickwarenfabrik mit zeitweise 12 Maschinen und bis zu 15 Mitarbeitern sowie einen Weißwarengroßhandel (vor allem Unterwäsche) in der Parallelstraße 38 (heute Eifflerstraße). Dieser Betrieb bestand bis zu seiner Auflösung 1938 fort. Er sicherte der Familie ein Einkommen von 500 bis 600 RM monatlich.

Benjamin und Estera Goldblatts älterer Sohn Markus besuchte von 1926 bis 1931 die Volksschule in Altona, anschließend die Talmud Tora Schule in Hamburg. Danach begann er eine Schlosserausbildung in der Berufsschule der Jüdischen Gemeinde in Hamburg. Der jüngere Sohn Michael war bis 1939 ebenfalls Schüler der Talmud Tora Schule. Über das Schicksal der Pflegetochter Erna wissen wir nichts.

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Das Paar fand mit seinen beiden Kindern zunächst Unterkunft in der Parallelstraße 53 (heute Eifflerstraße). In Altona kamen zwei weitere Kinder zur Welt: die Tochter Rosa am 8. Januar 1919 und der Sohn Sally am 8. März 1921 (er nannte sich nach der Flucht aus Deutschland Sydney). Max Goldblatt verdiente den Lebensunterhalt zunächst als Hafenarbeiter. Um 1923/24 betrieb er einen Fahrradhandel, kurz darauf einen Wäscheversand.

Die enge räumliche Nachbarschaft deutet darauf hin, dass beide Familien Goldblatt in einem engen Kontakt standen.

Wir wissen nicht, wie es Max Goldblatt wirtschaftlich ging. Die wechselnden Unternehmenszwecke lassen aber vermuten, dass die jeweiligen Geschäftsergebnisse eher nicht zufriedenstellend waren.

Gegen Ende der 1920er Jahre verlegte Max Goldblatt den Wäschevertrieb in die Adolphstraße 122 (heute Bernstorffstraße, Altona-Altstadt), in den 1930er Jahren in die General-Litzmann-Straße 110 (später die Nr. 95, heute Stresemannstraße). Ab etwa 1935 war er zunächst als Buchdrucker tätig und eröffnete bald einen Druckereibetrieb.

Max Goldblatts älterer Sohn Markus arbeitete nach der Schulzeit als Weinvertreter. 1937 wurde ihm die Reiselegitimationskarte entzogen, so dass er seine berufliche Existenzgrundlage verlor. Sein jüngerer Bruder Sally durfte kein Gymnasium besuchen. Er begann eine Ausbildung als Maschinenbauer, die er aber nicht abschließen konnte.

Am 28. Oktober 1938 wurden 17.000 Juden polnischer Herkunft im Rahmen der sogenannten Polenaktion aus dem Deutschen Reich nach Polen deportiert. Die polnische Regierung hatte zuvor damit gedroht, die Pässe der im Ausland lebenden Polen zu konfiszieren. Dadurch wären sie zu Staatenlosen geworden. Die NS-Regierung befürchtete deshalb, dass Tausende "Ostjuden" dauerhaft auf deutschem Gebiet bleiben würden. Ohne Vorwarnung und ohne Ansehen der Person wurden Männer, Frauen und Kinder von ihren Arbeitsplätzen oder aus ihren Wohnungen im gesamten Deutschen Reich abgeholt, an verschiedenen Orten zusammengetrieben und noch am selben Tag mit der Eisenbahn über die polnische Grenze bei Zbąszyń (Bentschen), Chojnice (Konitz) in Pommern und Bytom (Beuthen) in Oberschlesien deportiert. Die Kosten der Deportationsaktion sollten aus dem Reichshaushalt getragen werden, "soweit sie nicht [...] bei den deportierten Ausländern erhoben werden können".

Aus Hamburg, zu dem seit 1. Januar 1938 auch Altona gehörte, wurden etwa Tausend Menschen zwangsweise nach Neu Bentschen (heute Zbąszynek) befördert und von dort mit Gewalt über die polnische Grenze in das etwa 10 km entfernte Zbąszyń getrieben. Zu den Ausgewiesenen gehörten das Ehepaar Max und Lina Goldblatt mit der Tochter Rosa und dem Sohn Sally, Rywa (Regina) Goldblatts Ehemann Max Nathan Aschkenazy, sowie Benjamin und Estera Goldblatt mit ihrem Sohn Markus. Ihr minderjähriger Sohn Michael Goldblatt blieb anscheinend in Hamburg.

Zwischen der deutschen und der polnischen Regierung wurde im Januar 1939 vereinbart, dass insgesamt etwa Tausend der nach Polen abgeschobenen Personen zur "Liquidierung ihres zurückgebliebenen Vermögens" vorübergehend nach Deutschland zurückkehren durften. Für die vorübergehende Rückreise war eine Frist bis 31. Juli 1939 vorgesehen. Denjenigen Ausgewiesenen, die in dritte Länder auswandern wollten, sollte die Durchreise durch Deutschland außerhalb des Kontingents von Tausend Personen erlaubt werden.

Wahrscheinlich auf dieser Grundlage kehrten Max Goldblatt und seine Angehörigen nach Hamburg zurück. Sally Goldblatt musste bis 13. Juli 1939 in Zbąszyń bleiben. Seine Anschrift und die seines Schwagers Max Nathan Aschkenazy lautete Zbąszyń, Pl. Wolnosci 12 (Platz der Freiheit).

Max, Lina und Rosa Goldblatt versuchten nach Tanger in Marokko zu entkommen. Doch dieser Plan scheiterte. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Zu Kriegsbeginn hielten sie sich wie andere Abgeschobene noch in Hamburg auf.

Nach dem 1. September 1939 wurden Tausende noch im Deutschen Reich verbliebene männliche polnische Juden als "feindliche Ausländer" inhaftiert, Max Goldblatt und sein Sohn Sally am 9. September 1939 im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Sally kam am 15. Januar 1940 frei, nachdem er ein Visum für die USA erhalten hatte. Er meldete sich am 18. Januar aus Hamburg ab.

Max Goldblatt wurde am 24. Februar 1940 aus dem Polizeigefängnis Fuhlsbüttel in das KZ Sachsenhausen überstellt. Dort erhielt er die Häftlingsnummer 020391 und wurde in den Häftlingsblock 43 eingewiesen, der zu den speziellen Baracken gehörte, in denen polnische und staatenlose Juden unter furchtbaren Bedingungen isoliert wurden. Sie waren exzessiver Gewalt von SS-Männern sowie nichtjüdischen Funktionshäftlingen ausgeliefert. In der Anklageschrift von 1959 gegen den Blockführer und späteren SS-Hauptscharführer Richard Bugdalle wird dies von Zeugen so beschrieben: "’Am Vormittag des 17.5.1940 jagten der Angeschuldigte und 3 bis 4 andere SS-Unterführer die Belegschaften von 3 bis 4 mit jüdischen Häftlingen belegten Blocks ins Freie. Den Häftlingen wurde befohlen, sich im Laufschritt zu bewegen. Wer zu langsam lief, erhielt Schläge mit Eisenrohren. Der Gefangene Goldblatt aus Hamburg-Altona war durch eine Magenkrankheit geschwächt und konnte deshalb das von dem Angeschuldigten geforderte Tempo nicht einhalten. Bugdalle schlug ihn deshalb mit einem Rohr und legte ihn danach, da Goldblatt sich beschmutzt hatte, in ein Waschbecken, das von 10 Personen gemeinschaftlich benutzt werden konnte. Er liess über sein Opfer Wasser laufen, bis Goldblatt infolge der Kälte des Wassers blau gefärbt war. Nach 10-15 Minuten starb Goldblatt an den Folgen dieser grausamen Behandlung.’" Im Sterberegistereintrag über Max Goldblatts Tod ist demgegenüber als offensichtlich falsche (oder zynische) Ursache seines Ablebens "Darmkatarrh" angegeben.

Lina Goldblatt versuchte weiter, eine Ausreiseerlaubnis für sich und ihre Tochter Rosa zu bekommen, vergeblich. Es ist sicher anzunehmen, dass sie ohne Einkommen war und die Wohnung in der General-Litzmann-Straße verlor.

Die letzte Adresse von Lina und Rosa Goldblatt in Hamburg lautete Bernstorffstraße 71 (früher Adolphstraße, ab 1938 Adolfstraße nach dem Vornamen von Hitler). Diese Bleibe könnte folgende Vorgeschichte haben:
Im Keller des Hauses Bernstorffstraße 71 lebten bis Mitte 1940 Hermann Wolff und seine Frau Herta. Sie mussten in das "Judenhaus" in der Wohlers Alle 58 "umziehen". Dort kam ihr Sohn Uri am 19. Januar 1941 zur Welt (siehe Stolpersteine Hasselbrookstraße 96 und Stolperstein Wohlers Allee 50).

Möglicherweise erhielten Lina und Rosa Goldblatt hier einen Raum, nachdem das Ehepaar Wolff seine Unterkunft hatte verlassen müssen.

Das Israelitische Krankenhaus hatte Rosa Goldblatt am 21. Oktober 1941 aufgenommen und bei ihr Gelenkrheumatismus diagnostiziert. Sie wurde nach zwei Tagen wieder entlassen. Falls das Ziel des Klinikaufenthalts eine Rückstellung von der drohenden Deportation gewesen sein sollte, so wurde es verfehlt.

Lina und Rosa Goldblatt erhielten den Befehl für die am 6. Dezember 1941 geplante, als "Evakuierung" bezeichnete Deportation nach Riga. Die aus Hamburg kommenden 753 Personen konnten nicht in das dortige Getto eingewiesen werden, weil noch eine Massenerschießung einheimischer Juden stattfand. Deshalb mussten die Menschen den Zug im Güterbahnhof Šķirotava verlassen und in das sechs Kilometer entfernte Gut Jungfernhof marschieren. Das heruntergekommene Anwesen bestand aus einem Gutshaus, drei Holzscheunen, fünf kleinen Häusern und Viehställen. Dort wurden knapp 4000 Menschen (außer den Hamburgern auch Menschen aus Transporten aus Nürnberg, Stuttgart und Wien) zusammengepfercht. Viele erlagen den unmenschlichen Lebensbedingungen während des Winters dort. 1700 bis 1800 derer, die diesen überlebt hatten, wurden im März 1942 in der "Aktion Dünamünde" erschossen, 200 Frauen und ein Teil der übrigen wurden nach und nach in das Getto Riga eingewiesen. Ein Teil der Männer zwischen sechzehn und fünfzig Jahren wurde in das achtzehn Kilometer vor Riga gelegene Zwangsarbeiterlager Salaspils eingeliefert, das nur wenige überlebten.

Lina und Rosa Goldblatt überstanden die Zeit in Riga. Im Sommer 1944 wurden sie angesichts der vorrückenden Roten Armee zusammen mit anderen jüdischen Häftlingen aus dem baltischen Raum in Richtung Deutschland zurückverlegt, Hauptziel war das KZ Stutthof östlich von Danzig.

Die Häftlinge aus Riga kamen auf dem Seeweg zunächst nach Danzig. Auf Flusskähnen fuhren sie weiter die Weichsel hinauf und über einen Kanal zum Hafen der zum Lager Stutthof gehörenden Ziegelei. Von diesem Ort aus gingen sie etwa zwei Kilometer zu Fuß zum Lager, das Lina und Rosa Goldblatt am 9. August 1944 erreichten. Ein Teil der Menschen aus diesem Transport wurde in das Nebenlager Stolp (heutiger Ortsname Slupsk) geschickt. 640 von ihnen kehrten im Februar 1945 in das Hauptlager Stutthof zurück. Ob Lina und Rosa Goldblatt dazu gehörten, wissen wir nicht.
Lina Goldblatt erhielt in Stutthof die Häftlingsnummer 56259, Rosa die Nummer 56260.

Am 23. Januar 1945 ordnete Lagerkommandant Paul Werner Hoppe die Räumung des Lagers an. Vom 24. bis 26. Januar 1945 mussten etwa 11600 Häftlinge das Stammlager Stutthof verlassen. Sie begaben sich auf einen Todesmarsch in Richtung Westen. Danach waren immer noch insgesamt 33948 Menschen inhaftiert, 11863 davon in Stutthof und 22085 in den Außenlagern. Weitere Häftlinge wurden im Januar und in den Monaten Februar, März und April in andere Lager überstellt, u.a. nach Buchenwald, Mauthausen und Neuengamme. Es wird angenommen, dass während der Evakuierung der Außenlager und des Hauptlagers auf dem Landweg etwa 12000 Menschen umgekommen sind, in der Mehrzahl jüdische Frauen.

Am 23. April 1945, dem Tag des abschließenden Evakuierungsbefehls, befanden sich noch 1976 weibliche und 2532 männliche Häftlinge in Stutthof.

Die meisten der im KZ Stutthof verbliebenen Häftlinge waren in einem sehr schlechten körperlichen und psychischen Zustand. Sie alle – Männer und Frauen, Alte und Kranke, im Lager geborene Kinder und Säuglinge – sollten über das Meer als einzigem noch verbliebenem Weg evakuiert werden, denn die Weichselniederung war bereits von sowjetischen Streitkräften umzingelt.

Den Häftlingen wurde die Evakuierung am 24. April 1945 bekanntgegeben. Sie erhielten Reiseproviant, bestehend aus einem halben Laib Brot, etwas Margarine und Trockenwurst.

Diese Evakuierung sollte in drei Etappen geschehen:
Etappe I von Stutthof nach Nickelswalde (heute Mikoszewo),
Etappe II Transport der Häftlinge auf die Halbinsel Hela,
Etappe III Transport der Häftlinge von Hela nach Lübeck.

Am 25. April 1945 frühmorgens wurden 3300 Häftlinge aus dem Lager geführt, ein Teil auf die Kleinbahn verladen, die anderen mussten den Weg zu Fuß zurücklegen. Beide Gruppen warteten am Weichselufer bei Nickelswalde auf den Weitertransport. Hier ermordeten SS-Leute etwa 200 entkräftete Jüdinnen. Die übrigen Häftlinge wurden in der Nacht vom 26. auf den 27. April auf Landungsboote verladen. Die SS jagte sie über schmale glatte Bretter auf die Boote, viele rutschten aus, fielen ins Wasser und ertranken.

Nach der Ankunft auf Hela wurden die Menschen in Kolonnen ins Innere der Halbinsel abgeführt. In der Nähe der deutschen Flakartillerie mussten sie einen zweistündigen Fliegerangriff durchstehen, bei dem viele ums Leben kamen oder verwundet worden. Danach wurden sie auf vier Kähne deutscher Fischer verladen, die jüdischen Häftlinge auf die beide Kähne "Wolfgang" und "Vaterland", die jeweils etwa tausend Häftlinge fassten. Auf einem von ihnen befanden sich auch Lina und Rosa Goldblatt.

Chaim Kozienicki, ein jüdischer Junge aus dem Lager Stolp, beschrieb die Einschiffung: "Die Kähne waren in Abteile unterteilt, die vielleicht fünf mal fünf Meter groß waren. In ein solches Abteil wurden wir so hineingepfercht, dass sich jeder mit gespreizten Beinen hinsetzen musste, und ein anderer setzte sich zwischen seine Beine und so weiter, einer nach dem anderen, um so viele Menschen wie möglich aufzunehmen. Es war so überfüllt, dass sich niemand bewegen konnte. Wenn sich jemand zurücklegen wollte, musste sich die ganze Reihe hinlegen, denn sie lagen alle übereinander. Ich habe die Sardinen beneidet, denn sie liegen ausgestreckt in der Dose und in Olivenöl. Und wir sind hier, zerquetscht und in unseren eigenen Exkrementen statt in Olivenöl."

Die von Schleppern gezogenen Lastkähne machten zum ersten Mal am 29. April in Sassnitz auf der Insel Rügen Halt. Einer fuhr allein unter gelber Quarantäneflagge weiter in Richtung Lübecker Hafen, ein anderer fuhr in Richtung Flensburg.

Die Kähne "Wolfgang" und "Vaterland", geschleppt von "Bussard" und "Adler", erreichten am 30. April Stralsund, am 1. Mai Warnemünde und schließlich am 2. Mai Neustadt (Holstein). Der Plan der SS, die Häftlinge von Stutthof auf die beiden Schiffe "Cap Arcona" und "Thielbeck" in der Lübecker Bucht zu bringen, misslang. Die Kähne wurden daraufhin zurück in die Neustädter Bucht geschleppt.

In der Nacht vom 2. auf den 3. Mai stellten die Menschen an Bord der Kähne fest, dass ein Schlepper mit den deutschen Wachmannschaften verschwunden war. Daraufhin lösten norwegische Häftlinge die Schlepptaue, setzten provisorische Segel und brachten mit Hilfe von behelfsmäßigen Rudern einen Kahn in Richtung Strand in Bewegung; die Häftlinge des zweiten Kahns taten das Gleiche. Die Kähne liefen am Strand von Pelzerhaken auf Sand. Nun gelang es der Mehrzahl der Häftlinge an Land zu kommen.

Am Morgen des 3. Mai 1945 wurden sie am Strand entdeckt. SS-Leute von der Stutthofer Wachmannschaft und eine Gruppe Kadetten der Kriegsmarine in Neustadt schossen auf die Häftlinge am Strand und diejenigen, die nicht mehr fähig waren, an Land zu kommen. Diese Mordaktion kostete etwa 200 Frauen und Männer das Leben.

Die überlebenden Häftlinge wurden in Marschkolonnen aufgestellt und auf den Sportplatz der Kriegsmarineschule gebracht.

Die Aktion endete, als um 15 Uhr Einheiten der 2. britischen Armee unter dem Kommando von General Dempsey in Neustadt einmarschierten und die Häftlinge befreiten. Die Briten sorgten sofort für die medizinische Versorgung, auch für Lina und Rosa Goldblatt. Sie hatten die Fahrt über die Ostsee und die Menschenjagd in Pelzerhaken überstanden und wurden im Landeskrankenhaus Neustadt aufgenommen. Dieser letzte Abschnitt im Leben von Lina und Rosa Goldblatt war bei Verlegung der Stolpersteine, die an sie erinnern, noch nicht bekannt. Deshalb besagt die Inschrift, dass sie in Stutthof ermordet wurden.

Tatsächlich aber starb Lina Goldblatt, stark geschwächt infolge einer Darmentzündung, Untergewicht, Lungenentzündung und Kreislaufinsuffizienz, am 16. Mai 1945. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Neustadt (Grabstelle 52) beigesetzt.

Wenige Tage später starb auch Rosa Goldblatt, die an fieberhaftem Durchfall, blutiger Ausleerung und Herzschwäche litt, am 21. Mai 1945. Auch sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Neustadt beerdigt (Grabstelle 25).

Die Zahl der Häftlinge auf den zwei Kähnen, die Hela verlassen hatten und nach Neustadt kamen, wird mit etwa 2000 angegeben. Von ihnen überlebten (nach Historikerin Janina Grabowska) ca. 900 Personen. 1100 Menschen wurden Opfer der Fahrt und des Mordes am Strand.

Benjamin Goldblatt
Max Goldblatts Bruder Benjamin, seine Ehefrau Estera und der Sohn Markus (Max), wurden ebenfalls nach Polen abgeschoben. Benjamin Goldblatt harrte in Zbąszyń aus, bis er am 29. August 1939 von den polnischen Behörden nach Jaroslau (heute Jarosław in Polen) östlich von Reszow verwiesen wurde. Nach der deutschen Besetzung Polens trieben SS-Truppen ihn im September 1939 in die russisch besetzte Zone Polens. Er flüchtete nach Buczacz in Galizien (heute Butschatsch/Westukraine), wurde dort im Mai 1940 von Sowjets verhaftet und in ein Arbeitslager bei Bresowsk (Bereich Swerdlosk) in Sibirien eingewiesen. Im Oktober 1941 wurde er zur Zwangsarbeit nach Milotynsk in Samarkand (heute Usbekistan) verschleppt und erst im Juni 1946 befreit (Ortsnamen lt. Wiedergutmachungsakte).

Estera Goldblatt kehrte nach der Abschiebung von der polnischen Grenze nach Hamburg zurück. Sie versuchte mit ihrem minderjährigen, nicht nach Polen ausgewiesenen Sohn Michael nach den USA zu entkommen. Doch nur der damals dreizehnjährige Michael Goldblatt fuhr am 20. Juli 1939 mit einem Schiff der Hamburg-Amerika Linie in Begleitung einer dafür bezahlten Angestellten der Reederei in die USA.

Benjamin und Estera Goldblatts Sohn Markus (Max) musste nach der Ausweisung aus Hamburg bis 27. Juni 1939 in Zbąszyń ausharren. Er durfte dann für zwei Monate nach Hamburg zurückkehren, um seine Ausreise vorzubereiten. Am 18. August 1939 verließ er Hamburg und erreichte am 25. August 1939 New York.

Nach ihrer Rückkehr aus Zbąszyń wohnte Estera Goldblatt zunächst weiter in ihrem eigenen Wohnhaus in der General-Litzmann-Straße 105. Sie wollte aber nach Polen zu ihrem Mann ausreisen und deshalb das Haus verkaufen. Der Einheitswert des Hauses wurde auf 9600 RM festgesetzt. Der Verkaufserlös betrug 1900 RM, der auf ein Sperrkonto eingezahlt werden musste. D.h. Estera Goldblatt durfte darüber nicht frei verfügen.
Nach dem Verkauf des Hauses wohnte sie bei Sali Ornstein in der General-Litzmann-Straße 47, deren Eltern 1938 ebenfalls nach Zbąszyń abgeschoben worden waren.

Estera Goldblatt verließ Deutschland am 10. September 1939 in Richtung Polen. Sie traf wieder mit ihrem Ehemann Benjamin zusammen, auf welchem Wege, ist nicht überliefert. Beide befanden sich 1941 im Lager Swerdlowsk und von 1942 bis 1946 in einem Lager in Samarkand.

Estera und Benjamin Goldblatt lebten nach dem Krieg zunächst als Displaced Persons im DP-Lager in Hofgeismar/Kassel. Sie begannen 1947 ein neues Leben in New York. Benjamin Goldblatt starb dort am 3. März 1983, Estera am 16. Februar 1984.

Rywa (Regina) Aschkenazy, geborene Goldblatt
Rywa (Regina) Aschkenazy verließ Deutschland im Mai 1939 mit den Kindern Devy, geboren am 5. Juli 1934, und Rita, geboren am 17 Juni 1937. Die Familie Aschkenazy – Mirjam, Max Nathan, Rywa (Regina), Devy und Rita – kam 1939 in Buczacz wieder zusammen. Außer Devy kamen sie alle ums Leben. (Zur Geschichte dieser Familie siehe ausführlich unter www.stolpersteine-hamburg.de unter Aschkenazy).

Stand: November 2023
© Ingo Wille

Quellen: Die Ausführungen über die Evakuierung des KZ Stutthof und des Häftlingstransports nach Neustadt/Holstein wurden aus den unten genannten Darstellungen von Danuta Drywa und Janina Grabowska übernommen.
1; 4; 5; 6; 8; StaH 113-6 Staatsverwaltung – Wirtschafts-, Landwirtschafts- und Sozialabteilung (1939-1952) 24 Mitteilung an die Gestapo über Überweisung des Verwertungserlöses des Umzugsgutes der Lina Goldblatt, 213-8 (General-) Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht (Verwaltung 1913-1998) 976 und 977 Polizeigefängnis Fuhlsbüttel. Verzeichnisse der in den Monaten September 1939 bis Januar 1940 durch den Vollzug von Schutzhaft für die Geheime Staatspolizei entstandenen Kosten, 213-13 Landgericht Hamburg – Wiedergutmachung 12827 Max Goldblatt, 23794 Benjamin Goldblatt, 31640 Benjamin Goldblatt, 214-1 Gerichtsvollzieherwesen 296 Lina Goldblatt, Versteigerung der Wohnungsgegenstände, 314-15 Oberfinanzpräsident (Devisenstelle und Vermögensverwertungsstelle) F0716 Markus Lina, Rosa, Estera, Benjamin Goldblatt, 351-11 Amt für Wiedergutmachtung 16668 Esther Goldblatt, 44124 Markus Goldblatt, 44424 Sally Goldblatt, 37911 Goldblatt, Max (fr. Markus), 47808 Michael, Benjamin, Max, Erna Goldblatt, 522-01 Jüdische Gemeinden 0161 Hochdeutsche Israeliten-Gemeinde Mitgliederliste 1924-1926, Benjamin Goldblatt, Max Goldblatt; Standesamt Neustadt/Holst. Sterberegisterauszug Nr. 409/1945 Lina Goldblatt, Nr. 471/1945 Rosi (Rosa) Goldblatt. KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen, Online-Totenbuch (Zugriff am 19.9.2023), Auszug aus der Häftlingsdatenbank, Auskunft der Gedenkstätte Sachsenhausen vom 22.11.2023; Urteil über Richard Bugdalle: Landgericht München 1 Js 1471/57; Archiv Sachsenhausen, JD 5/8, Bl. 50: Anklageschrift von August 1959, Urteil vom 20. Januar 1960 gegen Bugdalle siehe JuNSV, Bd. XVI, Nr. 488, S. 275ff (Westdeutsche Gerichtsentscheidungen - Justiz und NS-Verbrechen (junsv.nl)), Auszug aus der Häftlingsdatenbank. KZ-Gedenkstätte Stutthof, Archiv, Häftlings-Personal-Karte von Lina und Rosa Goldblatt. Arolsen Archives, Signaturen: 10010439 03 Max Goldblatt, DocID: 4118353 (Max Goldblatt), 01014102 038.360 (Lina Goldblatt), 01014102 038.361 (Rosi Goldblatt) (Zugriffe am 19.9.2023); Beate Meyer, Tödliche Gratwanderung, Die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zwischen Hoffnung, Zwang, Selbstbehauptung und Verstrickung (1939-1945), Göttingen 2011, S. 69 f.; Danuta Drywa, The Extermination of Jews Concentration Camp Stutthof, published by Muzeum Stutthof, Gdańsk 2004; Janina Grabowska, K.L. Stutthof: Ein historischer Abriß, in: Hermann Kuhn (Hg.), Stutthof, Ein Konzentrationslager vor den Toren Danzigs, Bremen, 1995, S. 86 ff.; https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Stutthof#cite_note-12 (Zugriff am 21.8.2023).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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