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Stolperstein für Gertrud Baruch
© Johann-Hinrich Möller

Gertrud Baruch * 1892

Bogenstraße 23 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
GERTRUD BARUCH
JG. 1892
DEPORTIERT 1942
AUSCHWITZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Bogenstraße 23:
Elisabeth Bruhn, Adolf Schröder

Gertrud Baruch, geb. 23.10.1892 in Hamburg, deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz

Bogenstraße 23 (Eimsbüttel)

Gertrud Baruchs Eltern, der in Elmshorn geborene Geschäftsreisende Meyer Baruch (1840-1922) und die aus Teplitz/Böhmen stammende Julie Baruch, geb. Abel (1854-1937), hatten vor 1875 geheiratet. Sie lebten in Elmshorn, wo auch ihre ersten acht Kinder zur Welt kamen: Selly (1875-1967), Therese (1877-1962), Paula/ Pauline (geb. 1878), Bertha (1879-1881), Adolf (geb. 1881) Louis (geb. 1882), Daniel (1883-1980) und Rike (geb. 1886). 1888 zog die Familie nach Hamburg. In der Hansestadt wurden fünf weitere Kinder geboren: Mary (geb. 1888), Fanny (geb. 1891), Gertrud (1892-1942), Esther (geb. 1894) und Philipp (geb. 1896).

Der Vater erwarb 1901 das Hamburger Bürgerrecht. Die Familie lebte von 1890 bis 1898 im Karolinenviertel in der Marktstraße 15 a (St. Pauli) und zog anschließend nach Eimsbüttel in die Bogenstraße 23. Ab Frühjahr 1899 ging Gertrud auf die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße 35 (St. Pauli), die sie im Frühjahr 1908 nach zehn Schuljahren abschloss. Direkt nach dem Schulabschluss besuchte sie das staatliche Lehrerinnen-Seminar in der Fuhlentwiete 34 (Neustadt) unter Direktor Prof. Dr. H. Cordsen. Im Oktober 1909 wechselte sie auf das private Lehrerinnenseminar für höhere Mädchenschulen von Anna Ramme (1864-1913) in der Barcastraße 8 (Hohenfelde). Es folgte im Frühjahr 1912 die wissenschaftliche Abschlussprüfung an den "Unterrichtsanstalten des Klosters St. Johannis", hier absolvierte sie von 1912 bis 1913 auch ihr praktisches Jahr. In dieser Zeit wird sie sich mit Susanne Goldschmidt (geb. 29.10.1892 in Hamburg), später verheiratete Pander, angefreundet haben. Die Seminarabgangsprüfung/ Lehramtsprüfung legte Gertrud am 1. März 1913 ab, Susanne hatte die Prüfung wenige Tage zuvor bestanden.

Trotz dieser Qualifikation musste sich Gertrud erst einmal um eine befristete Vertretungsstelle bewerben, die sie zum 1. April 1913 für die erkrankte Lehrerin M. Klemperer erhielt. Auch ihre Freundin Susanne erhielt einen Einjahresvertrag als Vertretungslehrerin. Nach einem Jahr als Hilfslehrerin an der Volksschule für Knaben in der Lohkoppelstraße 36 (Barmbek-Süd) war Gertrud wieder ohne Anstellung. Sie entschied sich gegen weitere Bewerbungen an öffentlichen Schulen. Stattdessen unterrichtete sie am privaten Lyzeum von Dr. Jacob Loewenberg in der Johnsallee 33 (Rotherbaum), möglicherweise als Fachlehrerin mit begrenzter Stundenzahl.
Durch den Ersten Weltkrieg entstanden in den öffentlichen Schulen große Lücken im Lehrpersonal; Gertrud Baruch erhielt nun zum 1. Oktober 1917 eine Festanstellung im staatlichen Schuldienst. Susanne Goldschmidt arbeitete nach ihrer befristeten Lehrerstelle von 1914 bis 1920 an einer Privatschule, ehe sie als Hilfslehrerin in den Hamburger Schuldienst wechselte. Als staatliche Lehrerin war Gertrud Baruch vom Schuljahr 1918/19 ab im Hamburger Lehrerverzeichnis nachweisbar. Sie unterrichtete in der Mädchen-Volksschule Schleidenstraße 9 (Barmbek-Süd) bis zum Schuljahr 1932/33. Von ihrer Ausbildung her war sie dafür überqualifiziert.

Die antisemitischen Vorschriften und Gesetze des NS-Staates führten 1933 zum Ende des Schuljahrs zu ihrer Entlassung. Zum 1. November 1933 erhielt sie mit 41 Jahren zwangsweise ein Ruhegehalt; 1941 belief sich dies auf monatlich 143 RM netto.

Bereits im Juli 1933 reiste ihr Bruder Louis Baruch (geb. 30.6.1882 in Elmshorn) nach London; seine Firma in Hamburg ließ er von einem langjährigen Angestellten und der Prokuristin weiterführen. Er hatte nach einer Lehre im Überseegeschäft einige Jahre in Südafrika und in Liverpool gearbeitet, zwischendurch in Hamburg seinen einjährigen Militärdienst abgeleistet und sich 1909 in Hamburg als Kommissionär im Wollgeschäft selbständig gemacht. Während des Ersten Weltkriegs war er als Soldat eingezogen worden und hatte sein Geschäft schließen müssen. Er heiratete 1920 die Hamburgerin Emmy "Lissy" Zadich (1895-1931), mit der er eine Tochter hatte. Nach eigenem Bekunden hatte Louis Baruch nicht beabsichtigt nach England auszuwandern. Die antijüdischen Maßnahmen des Deutschen Reiches ließen ihm aber kaum eine andere Wahl. Sein Privat- und Firmenvermögen in Deutschland über rund 130.000 RM wurde in ein "Sperrguthaben" umgewandelt und dem freien Zugriff entzogen. Die Firma wurde im Juni 1937 im Handelsregister gelöscht, nachdem seit 1936 bereits "handelstechnische Maßnahmen" gegen sie erlassen worden waren.

Es gibt nur wenige Informationen darüber, welche Tätigkeiten Gertrud Baruch nach ihrer Zwangspensionierung ausübte. Auf ihrer ab 1919 geführten Kultussteuerkartei wurde erwähnt, sie habe ab 1. Januar 1937 in einer Beratungsstelle gearbeitet; ein anderes Mal war davon die Rede, sie habe Sprach- und Handelskurse für jüdische Auswanderer in der Beneckestraße 6 (Rotherbaum) gegeben. Auf der Deportationsliste wurde sie mit der Berufsangabe "Angestellte" verzeichnet.

Susanne Pander, geb. Goldschmidt, hatte nach ihrer Entlassung aus dem Schuldienst zum 31. Juli 1933 ihre Selbständigkeit als Gymnastik- und Tanzlehrerin angemeldet. Im Februar 1939 emigrierte sie nach England und im November 1940 weiter in die USA.

Auch einige von Gertrud Baruchs Geschwistern emigrierten nach Nordamerika:
Ihr Bruder Adolf Baruch (geb. 2.4.1881 in Elmshorn) hatte eine Lehre als Getreidehändler absolviert, er zog nach Göttingen, lebte ab 1906 in Hannover und ab 1913 in Düsseldorf. Noch vor der Volkszählung von Mai 1939 gelang ihm die Ausreise in die USA.

Ihre Schwester Selly Marcus, geb. Baruch (geb. 30.11.1875 in Elmshorn) emigrierte im August 1939 zusammen mit ihrem Ehemann Moritz Marcus (1872-1945) sowie ihrem Hund in die USA.

Der Bruder Philipp Baruch (geb. 14.2.1896 in Hamburg) hatte eine kaufmännische Lehre absolviert und meldete sich 1917 nach Berlin ab, wo er 1919 heiratete. Er verließ Deutschland und wurde – wie alle jüdischen Emigranten – vom NS-Regime ausgebürgert.

Die Schwester Fanny Rocamora, geb. Baruch (geb. 13.5.1891 in Hamburg) war als Schneiderin in Hamburg tätig, sie wanderte schon 1916 in die USA nach New York aus. Dort heiratete sie im gleichen Jahr den Kaufmann Leon Rocamora (geb. 21.5.1884 in Hamburg).

Gertrud Baruch zögerte offensichtlich (zu) lange, ihren Geschwistern zu folgen. Ihre Wohnadresse lautete über rund 30 Jahre Bogenstraße 23 II. Stock (u.a. 1900-1930). Nachdem sie die Mitteilung ihrer Zwangspensionierung erhalten hatte, zog sie im Juli 1933 zur Untermiete bei Fondsmakler Edmund Armknecht in die Straße Reh(h)agen 18 Hochparterre in Hummelsbüttel. Die folgenden Umzüge deuten sowohl auf ihre angespannte finanzielle Situation als auch auf die staatlicherseits eingeschränkte Wohnungswahl (und die Emigrationen vieler Jüdinnen und Juden aus Hamburg): Brahmsallee 6 III. bei Oswald und Susanne Pander (Mai 1936 – Dez. 1936) (siehe www.stolpersteine-hamburg.de), eine 2-Zimmer-Wohnung in der Innocentiastraße 51 IV. Stock/ Harvestehude (Januar 1937 – Januar 1941) sowie Hartungstraße 12 I. Stock bei Martha Samson (Februar 1941 – Februar 1942).

Erstmalig im Mai 1941 wurde in Gertrud Baruchs Personalakte dokumentiert, dass auch sie eine Emigration in die USA plante. Die Quellenlage hierzu ist äußerst dürftig; es findet sich lediglich ein Vermerk der Gemeindeverwaltung der Hansestadt Hamburg vom 6. Februar 1942: "Der Antrag der Obengenannten hat durch die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 seine Erledigung gefunden." Inzwischen waren die USA Deutschlands Kriegsgegner geworden und dieses hatte mit dem Beginn der Deportationen die Emigration der Juden verboten. Den deportierten Juden wurde mit der zitierten Verordnung die Staatsbürgerschaft entzogen und ihr Vermögen beschlagnahmt. So geschah es auch Gertrud Baruch:

Im März 1942 wurde sie in die Bundesstraße 43 rechter Flügel I/Eimsbüttel eingewiesen. Die Unterkunft war vom NS-Staat zum "Judenhaus" erklärt worden, in dem sich Jüdinnen und Juden für die geplanten Deportationen auf engem Raum aufhalten mussten.

Die 49jährige Gertrud Baruch wurde am 11. Juli 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Wie alle anderen Transportteilnehmer wurde sie wahrscheinlich sofort ermordet.

Ihre Wohnungseinrichtung wurde am 10. Oktober 1942 über das Auktionshaus Wehling (Inhaber Wilhelm Wehling, geb. 1885, kein Mitglied der NSDAP) im Neuen Wall 103 versteigert. Der Versteigerungserlös von 706 Reichsmark fiel an das Deutsche Reich.
Die Auktionshäuser gehörten zu denen, die von der Deportation der Juden profitierten: Im Vergleich zu den Einnahmen der Jahre 1933 bis 1938 hatte sich Wehlings Jahreseinkommen 1940 bis 1942 nahezu verfünffacht. Achtzehn Jahre später fiel dem New Yorker Rechtsanwalt Max Hirschberg (auch Anwalt von Susanne Pander) im Zuge der Entschädigungszahlungen auf, dass auf der Verkaufsliste die wertvollen Gegenstände aus dem Besitz von Gertrud Baruch fehlten: Klavier, Pelzmantel, Schmuck, Elektrogeräte, Gasofen, elektrische Nähmaschine, Bücher, Teppiche und Musikauszüge. Seine Schlussfolgerung lautete: "Es liegt nahe anzunehmen, dass einige Teile der beschlagnahmten Wohnungseinrichtung unter die Naziführer verteilt worden sind."

Stand: Juni 2024
© Björn Eggert/ Jonas Stier

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 20358 (Gertrud Baruch); StaH 221-11 (Entnazifizierung), C (J) 1439 (Wilhelm Wehling, Auktionator, keine Kategorisierung); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), FVg 7585 (Ausreiseakte von Moritz u. Selly Marcus); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1937/0995 (Firma Louis Baruch); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), F 89 (Louis Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 9083 u. 2550/1892 (Geburtsregister 1892, Gertrud Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 5948 u. 505/1899 (Heiratsregister 1899, Moritz Marcus u. Selly Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 8624 u. 352/1903 (Heiratsregister 1903, Salo Rocamora u. Pauline Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 9725 u. 3044/1913 (Sterberegister 1913, Cordula Elisabeth Anna Ramme); StaH 332-5 (Standesämter), 8741 u. 271/1920 (Heiratsregister 1920, Louis Baruch u. Emmy Zadich); StaH 332-5 (Standesämter), 8068 u. 379/1922 (Sterberegister 1922, Meyer Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 980 u. 129/1931 (Sterberegister 1931, Emmy Baruch); StaH 332-5 (Standesämter), 9887 u. 105/1937 (Sterberegister 1937, Julie Baruch geb. Abel); StaH 332-7 (Staatsangehörigkeitsaufsicht), A III 21 Bd. 9 (Aufnahme-Register 1897-1905 A-F), Meyer Baruch (12.1.1901 Bürgerrecht Nr. 63351); StaH 332-8 (Meldewesen), Alte Einwohnermeldekartei 1892-1925, Rollfilm K 4200 (Adolf Baruch, Esther Else Baruch, Fanny Baruch, Meyer Baruch, Pauline Baruch, Philipp Baruch, Rieke Baruch, Sally Baruch); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 14677 (Gertrud Baruch); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 14797 (Susanne Pander); StaH 361-3 (Schulwesen – Personalwesen), A 850 (Gertrud Baruch); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Gertrud Baruch, Louis Baruch; Landesarchiv Berlin, Heiratsregister 1911 (Wolfgang Karl Richart Ortmann u. Rike Baruch); Jüdischer Friedhof Hamburg-Ohlsdorf (Meyer Baruch, Grablage ZX 12 96; Julie Baruch geb. Abel, Grablage ZX 12 97); Ursel Hochmuth/ Hans-Peter de Lorent, Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985, S. 312 (Gertrud Baruch); Hamburger Lehrerverzeichnis, Schuljahr 1918/19, 1922/23, 1924/25, 1927/28, 1929/30, 1930/31, 1932/33 (Gertrud Baruch); Hamburger Börsenfirmen, 11. Auflage, Hamburg 1910, S. 33 (Louis Baruch, gegr. 1909, Rohe Wolle, Paulstr. 30, Börsenplatz zwischen Pfeiler 48 und 49); Hamburger Börsenfirmen, 27. Auflage, Hamburg 1926, S. 54 (Louis Baruch, gegr. 1909, Rohe Wolle, Prokurist D. Baruch, Schauenburgerstr. 7); Hamburger Börsenfirmen, 36. Auflage, Hamburg 1935, S. 43 (Louis Baruch, gegr. 1909, Rohe Wolle u. Tierhaare, Prokurist Anna Erna Gertrud Wally Täubert, Paulstr. 11); Hamburger Adressbuch (M. / Meyer Baruch, Reisender, Marktstr. 15a) 1891- 1892, 1895, 1897-1899; Hamburger Adressbuch (Meyer Baruch, Reisender, Bogenstr. 23) 1900, 1905, 1910, 1915, 1920; Hamburger Adressbuch (Schleidenstr. 9, Mädchen-Volksschule) 1925; Düsseldorfer Adressbuch (Adolf Baruch, Getreide- u. Futtermittelagenturen, Bismarckstr. 88) 1913; Düsseldorfer Adressbuch (Adolf Baruch, Getreideagenturen, Sternstr. 68) 1915, 1920, 1922; www.ancestry.de (Louis Baruch auf Passagierlisten: 1902 Hamburg-Amsterdam, 1924 Hamburg-Grimsby, 1929 Hamburg-Liverpool); www.ancestry.de (Louis Baruch, Entzug der Staatsbürgerschaft 2.5.1941); www.stolpersteine-hamburg.de (Martha Samson, Oswald Pander).

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