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Betty von der Heydt (geborene Krim) * 1889

Bellevue 34 (Hamburg-Nord, Winterhude)

1942 Auschwitz

Weitere Stolpersteine in Bellevue 34:
Adolf Peine, Auguste Peine, Wally Simon, William Simon

Betty von der Heydt geb. Krim, geb. 6.10.1889 (oder 1881), deportiert am 11.7.1942 nach Auschwitz

Bellevue 34 (Winterhude)

Betty (eigentlich Peril) Krim (in einigen Dokumenten auch Roth) wurde entweder am 6.10.1881 in Karlowka im Verwaltungsbezirk Parlowka (so in der Einwohnermeldekartei Hamburg) oder am 6.10.1889 in Brody bzw. Karlowka (so in der Heiratsurkunde und der Kultussteuerkartei der Jüdischen Gemeinde) geboren; beide Angaben finden sich auf amtlichen Dokumenten – plausibler erscheint das Geburtsjahr 1881, da 1887 als Zuzugsjahr notiert war und sie 1898 bereits als Dienstmädchen gearbeitet hat. Die angegebenen Orte liegen circa 90 km östlich der rund 15.000-Einwohner-Stadt Lemberg/Galizien und gehörten nach der dritten Teilung Polens zum Grenzgebiet des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn. Etliche Gründe veranlassten Jüdinnen und Juden, Brody, die ostgalizische Grenz-, Garnisons- und Freie Handelsstadt den Rücken zu kehren. 1880 war dort das 100 Jahre alte Privileg einer Freihandelszone mit dem zaristischen Russland aufgehoben worden, was die wirtschaftliche Entwicklung negativ beeinflusst hatte. Um 1900 lebten in Brody 17.300 meist deutsche Einwohner, davon über 70% Juden.

Bereits vor 1887 hatte Betty Krim ihre Geburtsregion zusammen mit ihren Eltern verlassen. Auf der "Personenkarte" der preußischen Stadt Wandsbek wurde der Zuzug aus dem benachbarten Hamburg für den 1. Mai 1887 notiert. Sie wohnte bei ihren Eltern in der Bramfelderstraße 34 bzw. 36 (heute Holzmühlenstraße). Das Hamburger Einwohnermelderegister notierte für den 21. Mai 1898 den Zuzug aus dem benachbarten preußischen Dorf Hinschenfelde, wo sich Betty seit dem 11. Mai 1898 aufgehalten hatte. In Hamburg arbeitete sie nur ein Vierteljahr als Köchin bei dem Kaufmann und Firmeninhaber Magnus von der Walde, der gerade erst nach Harvestehude (Klosterallee 23a) verzogen war. Danach ging sie wieder zu ihren Eltern in die preußische Nachbarstadt Wandsbek (Bramfelderstraße 20). 1908 zog die Familie innerhalb Wandsbeks in die Kurze Reihe 40 um (heute Königsreihe). Ab 1910 wohnte sie zur Untermiete in Wandsbek-Marienthal in der Rennbahnstraße 50 (heute Bovestraße), bei Albert Seemann, Inhaber der gleichnamigen Handelsgärtnerei.

Als Beruf gab sie Kassiererin an, in die Spalte Staatsangehörigkeit stand "Oesterreich" und bei Religion "mosaisch". Für den 17. Juli 1925 meldete sie sich nach Hamburg ab; da die dortige Einwohnermeldekartei bei den Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg verbrannte, wissen wir nicht, wann und in welchem Zusammenhang eine Änderung des Familiennamens vorgenommen wurde. Auch die Schreibweise der Vornamen fast aller Familienmitglieder variiert in den amtlichen deutschen Dokumenten: mal wird der ursprüngliche jüdisch-slawische Vorname, mal eine Übertragung ins deutsche und mal ein angenommener neuer Vorname notiert.

Möglicherweise waren der in Radschischow geborene Kaufmann Abraham Schabse Krim (1848–1931) und die aus dem ostgalizischen Städtchen Lesniow (15 km nördlich von Brody) gebürtige Esther Krim geb. Roth (1848–1919) ihre Eltern. Die Eheleute wohnten zuletzt in Wandsbek in der Kurzen Reihe 40. Ester Krim starb im Israelitischen Krankenhaus in Hamburg und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in (Hamburg-)Wandsbek (Jenfelder Straße) beigesetzt. Schapse Krim (die Schreibweise des Vornamens variierte) starb 1931. In Wandsbek scheinen noch weitere Verwandte gelebt zu haben; der Bruder Simon/Szloma Krim (geb. 5.8.1877 in Karlowka) sowie die Näherin Ruchel Krim rect. Roth (geb. 23.3.1876 in Leszniow bei Brody/Galizien) zu der das genaue Verwandtschaftsverhältnis aber nicht bekannt ist.

1926 heiratete Betty Krim in Hamburg den Metzgersohn Erwin von der Heydt (geb. 5.2.1890 in Dortmund). Trauzeugen waren der Handelsvertreter Leon Braun (geb. 13.2.1891 in Hamburg) und dessen Ehefrau Feitsze (Fanny) Braun geb. Engländer (geb. 16.12.1890 in Hamburg), die 1934 aus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde austraten und 1935 mit unbekanntem Ziel verzogen. Vom Schwager erhielt Betty von der Heydt einen Pelzfuchs als Hochzeitsgeschenk. Für die Jahre 1927 und 1928 findet sich im Telefonbuch der Eintrag "Betty von der Heydt, Zigarrenhaus Mundsburg, Mundsburger Damm 69" (Uhlenhorst). Ihr Ehemann wurde auf ihrer Kultussteuerkarte bei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg als "arisch" bezeichnet und im Hamburger Adressbuch 1930 als Kaufmann mit der Adresse Tribünenweg 32a (Horn) notiert. 1931 bis 1933 fehlen Adressbucheinträge für ihn. Von 1935 bis 1937 war er als Kaufmann mit der Adresse Alstertwiete 24 (St. Georg) vermerkt.

Betty von der Heydt trat der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg im Oktober 1935 bei, entrichtete aber keine Beiträge. Kinder wurden ebenfalls nicht eingetragen. Nach der Ergänzungskarte, die sie zur Volkszählung im Mai 1939 ausfüllte, war sie von der Abstammung her "Halbjüdin", wurde aber wegen ihrer Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde als "Geltungsjüdin" behandelt. Sie lebte 1939 in der Grillparzerstraße 43 (bis 1940 Goethestraße) in Hamburg-Uhlenhorst bei H. Richel zur Untermiete und von November 1940 bis Oktober 1941 in der Andreasstraße 16 (Winterhude), möglicherweise als Nachmieterin in der Wohnung ihres Bruders. Ihr Mann Erwin wurde zuletzt 1935 bis 1937 im Hamburger Adressbuch als Kaufmann unter der Adresse Alstertwiete 24 (St. Georg) verzeichnet. Für das Jahr 1938 fehlte ein Eintrag für Erwin von der Heydt, dafür war Betty von der Heydt unter der Adresse Hofweg 101 I. Stock (Uhlenhorst) eingetragen. Vermutlich verstarb ihr Ehemann um 1936/ 1937.

Nach dem Tod ihres Ehemannes bemühte sich Betty von der Heydt im Mai 1939 um eine Auswanderung nach England. Der Beamte der Devisenstelle (Abteilung F 9), Heincke, stellte ihr schriftlich den Vorladungstermin zu. Nach weiteren Überprüfungen der Lebensumstände von Betty von der Heydt, die selbst ihren Familienstand mit "verwitwet" angab, und einer erneuten Vorladung, gab er ihr die "Umzugsgutliste" zwecks Vervollständigung zurück. Sie enthielt lediglich Alltagskleidung, die Angabe von Wohnungseinrichtungsgegenständen, Geschirr, Büchern, Fotoalben und Wertsachen fehlten gänzlich.

Ein zweites Mal wurde Betty von der Heydt am 7. Juli 1939 wegen fehlender Papiere vorgeladen und der Beamte Heincke notierte in der Akte vier Tage später knapp und unmissverständlich "fehlende Papiere verlangt". Der erneuten Vorladung am 14. Juli 1939 kam sie nicht nach; neun Tage später entschuldigte sie sich per Postkarte mit einer Krankheit.

Der Beginn des Zweiten Weltkriegs scheint ihre Emigrationspläne zunichte gemacht zu haben. Ein letztes Mal wurde sie am 9. Februar 1940 von der Devisenstelle (F 9) vorgeladen. Ob die Fünfzigjährige diesem Termin überhaupt nachgekommen ist, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Am 23. Oktober 1941 wurde sie in dem Haus Bellevue 34 (Winterhude) einquartiert, das der Familie Simon gehörte (siehe Biografie Willy Simon). Sie lebte dort als Untermieterin bei Adolf Peine (siehe dort) und dessen Ehefrau Auguste Peine geb. Graf.

In die Villa Bellevue 34 waren seit Dezember 1939 auf Druck des Wohnungsamtes Jüdinnen und Juden einquartiert worden. Laut Hausmeldekartei waren dies Elsa Sprei (geb. 11.11.1900 in Wiznitz, deportiert 25.10.1941 nach Lodz), Kurt Feiezweig(?) (geb. 31.5.1920 in Bremen, emigriert 1940 nach New York), Alfred Simon (geb. 26.11.1897 in Hamburg), Hans Goldschmidt (geb. 10.10.1901 in Hamburg, deportiert 8.11.1941 nach Minsk), Heinz Grossmann (geb. 22.7.1913 in Hamburg, deportiert 25.10.1941 nach Lodz), Helene Grossmann, geb. Hühn (geb. 14.1.1921 in Reinbek bei Hamburg, deportiert 25.10.1941 nach Lodz), Leopold Cohn (geb. 7.5.1873 in Altona, deportiert 6.12.1941 nach Riga), Gertrud Cohn, geb. Jacoby (geb. 25.8.1884 in Berlin, deportiert 6.12.1941 nach Riga), Rosa Hühn, geb. Michel (geb. 27.2.1890 in Berlin, deportiert mit Tochter Helene am 25.10.1941 nach Lodz).

Solange Betty von der Heydt mit ihrem nichtjüdischen Mann verheiratet war, galt die Ehe als "privilegierte Mischehe" und schützte sie vor der Deportation. Durch den Tod ihres Ehemannes hatte sie den prekären Schutz verloren. Der Name der mittlerweile vollkommen entrechteten Frau wurde auf die Deportationsliste für den 11. Juli 1942 gesetzt, wie auch die des Vermieterehepaares Peine. Dieser Transport ging, wie mittlerweile erwiesen ist, nach Auschwitz. Betty von der Heydt überlebte wie alle anderen Angehörigen dieses Transportes nicht.

Betty von der Heydt gab Simon (Szloma) Krim bzw. Roth (1877–1965) als ihren Bruder an. Er heiratete unter dem Namen Szloma Roth 1905 in Wandsbek-Hinschenfelde die Schneiderin Olga Wiegreve (geb. 1883 in Wandsbek). Bei beiden war eine evangelische Religionszugehörigkeit in der Heiratsurkunde vermerkt. Szloma Krim/Roth war zu diesem Zeitpunkt als Packer tätig und wohnte in Wandsbek in der Volksdorfer Straße 2 II. Stock zur Untermiete bei Neuwald; Robert Neuwald (geb. ca. 1862) war auch einer der beiden Trauzeugen. Die Ehe wurde kurz nach Kriegsende 1918 geschieden. In zweiter Ehe war er mit Ida geb. Massanet (geb. 3.8.1909 in Düsseldorf) verheiratet. Seit 1907 war er selbständiger Kraftfahrzeug-Händler in Hamburg und Berlin und wohnte von 1885 bis 1920 in Wandsbek. Er gründete 1922 in Hamburg eine Firma mit Verkaufs- u. Ausstellungsfläche der Automobil-Hersteller Horch, Packard, Adler und Röhr, mietete dazu Büro, Garagen und Reparaturwerkstatt an, die alle in Alsternähe lagen. Er war "vor 1933 einer der bedeutendsten Autohändler in Hamburg", so ein Vermerk des Wiedergutmachungsamtes Neben der Firma Simon Krim gründete er 1933 die Krim & Co. GmbH, beide logierten in der Ferdinandstraße 29/Friedrichshof (Altstadt). Verschiedene Boykottaktionen von SA und staatlichen Stellen sowie der Entzug der Vertretung verschiedener Automobilfirmen ließen den Umsatz stark zurückgehen, so dass Simon Krim das Geschäft 1936 notgedrungen an den Autovermieter Hans Grimm (geb. 1900, seit 1.11.1932 Mitglied der NSDAP) verkaufen musste.

Simon Krims Wohnung befand sich u.a. 1930 bis 1933 in der Adolphstraße 42 (Uhlenhorst), 1935 bis 1937 in der Heinrich-Hertz-Straße 7a (Uhlenhorst) und u.a. 1938 bis 1939 in der Andreasstraße 16 (Winterhude). Im Mai 1941 wurde die Firma Simon Krim im Handelsregister gelöscht. Durch seine Mischehe geschützt, war er vorerst von Deportationen ausgenommen. Ab September 1941 oder 1942 mussten die Eheleute auf Anweisung des Wohnungsamts in ein Zimmer in der Bornstraße 22 (Rotherbaum) umziehen; hier befand sich auch das Büro der Jüdischen Gemeinde, die Eigentümerin des Gebäudes war. Die Gestapo führte, laut späterer Aussage von Simon Krim gegenüber dem Amt für Wiedergutmachung, täglich Kontrollen durch, prüfte die Anwesenheit und suchte nach verbotenen Gegenständen (Zeitungen, Radioapparaten, Telefonapparaten). Aber im Gegensatz zu seiner Schwester überlebte Simon Krim in Hamburg.

Stand März 2016
© Björn Eggert, Ulrike Sparr

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 314-15 (Oberfinanzpräsident), FVg 8465 (Auswanderungsantrag Betty v.d. Heydt); StaH 332-5 (Standesämter), 4121 u. 5/1905 (Heiratsregister 1905 Hinschenfelde = Wandsbek II, Olga Sophia Martha Wiegreve u. Szloma Roth); StaH 332-5 (Standesämter), 810 u. 714/1919 (Sterberegister 1919, Ester Krim geb. Roth); StaH 332-5 (Standesämter), 3525 u. 117/ 1926 (Heiratsregister 1926, Betty Krim u. Erwin von der Heydt); StaH 332-5 (Standesämter), 4582 u. 364/1931 (Sterberegister Wandsbek 1931, Schapse Krim); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 3362 (Simon Krim); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden) 992 b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Betty von der Heydt, Leon Braun; StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden) 992 e 2 Band 4; StaH 741-4 (Alte Einwohnermeldekartei Hamburg 1892–1925, mikroverfilmt), Ester Krim (geb. 1848), Ruchel Krim (geb. 1876), Peril/Betty Krim (geb. 1881); StaH 741-4 (Alte Personalkarten/ Meldekartei Wandsbek, mikroverfilmt), Film-Nr. K 7450 (Betty Krim, Olga Krim richtiger Roth geb. Wiegreve, Rachel Krim richtiger Roth, Simon/Szloma Krim richtiger Roth); StaH 741-4, Film K 2360 (Hauskartei Bellevue 34, mikroverfilmt); StaH 221-11 (Staatskommissar für die Entnazifizierung), C 11136 (Hans Grimm); Stadtarchiv Dortmund, Standesamt Dortmund-Innenstadt 410/1890 (Geburtsregister 1890, Erwin von der Heydt); Handelskammer Hamburg, Firmenarchiv (S. Krim Auto-Reparatur-Werkstätten GmbH, HR-Nr. A 8496; Firma Simon Krim, HR-Nr. A 28715); Adressbuch Hamburg 1930, 1932–1938, 1941; Adressbuch Hamburg (von der Walde) 1898, 1899; Amtliche Fernsprechbücher Hamburg, 1926–1935; Amtliches Fernsprechbuch Hamburg (Simon Krim Automobile) 1931, 1939; Hamburger Börsenfirmen, 1935, S. 478 (Simon Krim; Erwin Krim & Co. GmbH); Staatsarchiv Hamburg, Gedenkbuch, Hamburger jüdische Opfer des Nationalsozialismus, 1995, Seite 166 (Betty von der Heydt); Bundesarchiv Koblenz, Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland, 2006; Naftali Bar-Giora Bamberger, Die jüdischen Friedhöfe in Wandsbek, Band 2, 1997, S. 147 (Beerdigungen: 1919 Esther Krim, Grab-Nr. 104a/Jenfeld; 1931 Schabata Krim, Grab-Nr. 104b/Jenfeld); Ania Klijanienko, Lemberg entdecken, Berlin 2005, S. 191/192 (Brody); Isaak Babel, Tagebuch 1920, Zürich 1998, S. 208 (Topographie, Brody), S. 215 (Topographie, Leszniów).

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