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Dr. Gertrud (Gertie) Meier-Ahrens (geborene Ahrens) * 1894

Hallerplatz 13 (Eimsbüttel, Rotherbaum)

1942 Theresienstadt
1944 Auschwitz

Weitere Stolpersteine in Hallerplatz 13:
Otto Kallmes, Dr. Nathan Mendel Sarason, Ida Sarason

Gertrud Meier-Ahrens, geb. Ahrens, geb. 4.8.1894 in Dömitz / Ludwigslust, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, weiterdeportiert am 9.10.1944 nach Auschwitz, dort ermordet


Gertrud Ahrens' Vater, der Kaufmann Otto Ahrens, geb. am 29. Juli 1860 in Sternberg, war ein Sohn des Schirmfabrikanten Selig Ahrens und dessen Ehefrau Caroline, geb. Daniel. Am 1. Oktober 1885 schloss er vor dem Standesamt Dömitz die Ehe mit Emma Wolffenstein, geb. am 7. Dezember 1861, Tochter des Kaufmanns Joseph Wolffenstein und dessen Ehefrau Sara, geb. Würzburg. Beide - so besagt der standesamtliche Eintrag - waren israelitischer Religion. Als Trauzeugen fungierten die Kaufmänner Wilhelm Wolff und der in London lebende Leopold Wolffenstein. Am 3. Juli 1886 brachte Emma Ahrens ihren ersten Sohn zur Welt. Dieser erhielt erst gut drei Wochen nach der Geburt, am 27. Juli, seinen Vornamen Willy. Am 26. Februar 1888 wurde der zweite Sohn, Hans, ebenfalls in Dömitz geboren. Gertrud war die einzige Tochter der Eheleute Ahrens. Sie kam sechs Jahre nach ihrem Bruder Hans zur Welt. Der jüngste Sohn der Eheleute, Walter, geb. am 27. Februar 1897, wurde nur knapp zwei Jahre alt. Er starb am 18. Dezember 1898.

Nahezu 30-jährig fasste Gertie Ahrens ihr bisheriges Leben mit folgenden Worten zusammen: "Ich bin geboren am 4.8.1894 zu Dömitz a/ Elbe als Tochter des Kaufmanns Otto Ahrens. Ich besuchte die 10 klassige höhere Mädchenschule zu Ludwigslust und wurde in Hamburg in einem Privatzirkel zum Abiturium vorbereitet. Im September 1917 legte ich an dem Realgymnasium des Klosters St. Johannis in Hamburg die Reifeprüfung ab. Ich studierte in Berlin und Tübingen und bestand im Mai 1920 in Berlin das Physikum. Die klinischen Semester studierte ich in Berlin und Freiburg. Am 20. Dezember 1922 machte ich in Berlin das Staatsexamen. Seit dem 1. Februar 1923 bin ich in der Klinik des Herrn Geh. Rat Goldscheider in der Männer Poliklinik." Am 15. Mai 1924 legte sie ihre Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde an der Friedrich Wilhelm-Universität zu Berlin zum Thema "Über die Ausscheidung von Wismut im Urin" vor - darin findet sich oben zitierter Lebenslauf - und widmete sie dem Andenken ihres Vaters.

Die Männer Poliklinik, in der Gertie Ahrens seit 1923 tätig war, war Teil der III. Medizinischen Klinik der Berliner Universität, deren Leitung Alfred Goldscheider 1910 - damals noch Poliklinisches Institut genannt - übernommen hatte. Sein Schwerpunkt war die Neurologie, er bearbeitete jedoch auch die anderen Gebiete der Inneren Medizin. Er bemühte sich u.a. um die Physikalische Therapie, über die er mit Paul Jacob ein Handbuch herausgab. Mit Ernst von Leyden begründete er die "Zeitschrift für physikalische und diätetische Therapie". 1926 wurde Goldscheider emeritiert.

Zwei Jahre zuvor, am 1. Februar 1924, war Gertie Ahrens in Berlin die Approbation erteilt worden. Im August 1924 ließ sie sich als "Allgemeinpraktiker" - so vermerkt auf ihrer Karteikarte der Reichsärztekartei der Reichsärztekammer (RÄK) - nieder. Spätestens seit 1926 hatte sie eine Praxis in Berlin-Halensee, in der Paulsborner Straße 7. Sie beschäftigte sich als diplomierte Mensendieck-Lehrerin mit Säuglingsgymnastik und Nervenpunktmassage. 1927, als sie bereits "eine vieljährige Praxis als Gymnastiklehrerin" hatte, verfasste sie einen Aufsatz "Über die Grundlagen des Mensendieck-Sytems", der in der "Vierteljahrsschrift Deutscher Ärztinnen" publiziert wurde. Gertrud Ahrens war Mitglied des Bundes Deutscher Ärztinnen, in dessen Mitteilungsblatt ihr Text als erster einer Reihe von Veröffentlichungen zum Thema "Eignung der gymnastischen Systeme für die Körperausbildung der Frau" erschien.

Nach Ahrens war Frau Bess Mensendieck zu Beginn des Jahrhunderts "durch das Studium antiker Kunstwerke angeregt worden, eine Reihe von Übungen zu ersinnen, um dem vernachlässigten, erschlafften Körper der Frau die Elastizität und Frische wiederzugeben, die notwendig sind, um ihrer Aufgabe als Mutter und den erhöhten beruflichen Ansprüchen im Kampfe ums Dasein gerecht zu werden." Sie zitierte die Äußerung einer Schülerin, um die charakteristischen Gefühle nach den Übungsstunden - "frisch, leicht, beschwingt" - zu beschreiben: "Ich fühle mich so leicht, als ob ich fliegen könnte." Eine weitere Wirkung der Gymnastik bestehe darin, dass "das Gefühl der Herrschaft über die Muskeln und den Umfang der Bewegung [...] froh und sicher [mache]." Es können - so Gertie Ahrens - mit zunehmender "Beherrschtheit der äußeren Linienführung" auch charakterliche Unarten beherrscht werden. Die Einflüsse der Körperarbeit auf die Psyche beschrieb sie folgendermaßen: "Die harmonische Ausbildung des Körpers verfehlt auch ihre Wirkung nicht auf die Psyche, sie erzieht heitere, ausgeglichene, in sich und ihrer Kraft ruhende Menschen." Die Übenden waren unbekleidet bzw. trugen nur ein Artistenhöschen genanntes "Dreieck zur Bedeckung der pubes", damit "Rücken, Oberschenkel und ein großer Teil des Gesäßes der Betrachtung zugänglich" waren. Die Ausbildung dauerte etwa eineinhalb Jahre.

Bis 1931 wurde Gertie Ahrens im Reichsmedizinalkalender unter der Halenseer Adresse geführt. Der Ergänzungsband von 1932 zeigte dann den Wechsel nach Neustadt-Glewe an. Die inzwischen verheiratete Gertie Meier-Ahrens praktizierte in der Ludwigsluster Straße 22. Ihr Ehemann, Karl Meier, Jahrgang 1884, wurde von der Reichsärztekammer als "deutschblütig", von der Deutsch-Israelitischen Gemeinde als "Arier" klassifiziert. Sie blieb zumindest bis 1933 in Neustadt-Glewe. Im Juli dieses Jahres wurde ihr - wie den meisten anderen jüdischen Ärztinnen und Ärzten - die Kassenzulassung entzogen. Spätestens 1935 zog Dr. Meier-Ahrens nach Hamburg, wo sie zunächst eine Praxis in der Gneisenaustraße 5 führte. Der Reichsmedizinalkalender des Jahres 1937 verzeichnete die Praxis von Gertie Meier am Eppendorfer Baum 11 in Hamburg 20. Inzwischen wies ein Doppelpunkt vor ihrem und den Einträgen für andere jüdische Ärztinnen und Ärzte darauf hin, dass der Reichsärzteführer Dr. Gerhard Wagner die "Kennzeichnung der im Sinne der Nürnberger Gesetze jüdischen Ärzte" als "eine sehr notwendige Ergänzung" erachtete.

Im Vorwort zur 1937er Ausgabe des RMK werden die Funktionen und Errungenschaften Wagners folgendermaßen benannt: "Die Übernahme der Führung der freiwilligen Ärzteverbände durch den Vertrauensmann des Stellvertreters des Führers, den Reichsärzteführer, Herrn Dr. Wagner, der zugleich Hauptdienstleiter des Hauptamtes für Volksgesundheit in der Reichsleitung der NSDAP., Leiter des NSD.-Ärztebundes und des Sachverständigenbeirates für Volksgesundheit ist, bereitete schon den Boden für die im Dezember 1935 erlassene Reichsärzteordnung vor, die die Einordnung der deutschen Ärzteschaft in den nationalsozialistischen Staat vollzog."

Spätestens seit 1936 zahlte Dr. Meier Beiträge an die RÄK Hamburg. Die Zahlungen wurden 1938 eingestellt. Die Vierte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938 bestimmte u.a.: "§ 1 Bestallungen (Approbationen) jüdischer Ärzte erlöschen am 30. September 1938." Der Entzug der Approbation ist auch auf der Karteikarte Meiers bei der RÄK dokumentiert. Ihr "Verzicht auf die Ausübung des ärztl. Berufes" galt dort als "vorläufig". Dieser Karte ist übrigens auch zu entnehmen, dass sie keine Kinder hatte.

Am 14. Januar 1937 war Dr. Gertrud Meier-Ahrens der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg beigetreten. Unter der Rubrik "Firma und Branche" wurde sie als Ärztin und Pensionsinhaberin geführt. Auch die RÄK gab spätestens 1938 einen Hinweis auf ihre Nebentätigkeit: "Lt. einer ärztlichen Pension". Während sie für die Jahre 1937 bis 1939 kultussteuerlich nicht veranlagt wurde, zahlte sie zwischen 1940 und 1942 steigende Beträge an die Gemeinde: zwischen 40 und 181 RM jährlich. Dies deutet darauf hin, dass sie - obwohl sie als Ärztin nicht mehr praktizieren durfte - beträchtliche Einnahmen hatte. Auf ihrer Kultussteuerkarte wurde als Geschäftsadresse der Grindelhof 101 angegeben. Wohnungen hatte sie - so besagen die entsprechenden Eintragungen - am Eppendorferbaum 11 und seit 1939 in der Oderfelderstraße 42.

Wie alle Jüdinnen musste sie zwangsweise den Zusatznamen Sara annehmen und dies auch melden. Das Standesamt der Festung Dömitz dokumentierte am 6. Januar 1939: "Die nebenbezeichnete Gertrud Ahrens hat gemäß § 2 Absatz 2 der zweiten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen vom 18. August 1938 (RGBl. I. S. 1044) die schriftliche Anzeige erstattet, daß sie den zusätzlichen Vornamen 'Sara' führt."

Spätestens seit 30. Mai 1939 wohnte der jüdische Arzt Dr. Max Israel Levor bei Gertie Meier-Ahrens. Er wollte emigrieren und beantragte bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg, seinen Steinway-Flügel mitnehmen zu dürfen. Er wolle nach "England, von dort voraussichtlich später nach den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika". Er blieb nur wenige Monate in der Oderfelderstraße, am 19. Januar 1940 war ihm die Auswanderung nach London bereits geglückt.

Gertie Meier-Ahrens gab auch Massage-Kurse. Die Jüdin Paula Sara Boas, geboren 1897, nahm zumindest zwischen November 1939 und Februar 1940 an einem solchen teil, um sich auf ihre Auswanderung vorzubereiten. Sie beantragte monatlich bei der Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten Hamburg die "Freigabe gem. § 59 Dev. Ges. gesicherter Beträge", um die Überweisung von je 60 RM zu Lasten ihres "beschränkt verfügbaren Sicherungskontos" an die Zahlungsempfängerin Frau Dr. Meier-Ahrens zu veranlassen. Die Zahlungen wurden genehmigt.

1940 starb ihr Ehemann Karl. Als Witwe, die in einer "privilegierten Mischehe" gelebt hatte, erhielt Gertie Meier den Deportationsbefehl in das "Vorzugslager" Theresienstadt. Bevor sie Hamburg verlassen musste, wohnte sie im Grindelhof 101 - dies besagt die Deportationsliste für den 19. Juli 1942. Das Grundstück dieses Hauses war im Besitz der Jüdischen Gemeinde. Zumindest im Jahr 1942 befand sich in dem Gebäude ein Altersheim.

Ihre letzte Habe eignete sich der NS-Staat an. Die Vermögensverwaltungsstelle des Oberfinanzpräsidenten beauftragte am 4. November 1942 die Gerichtsvollzieherei, die Wohnungseinrichtung von "Fr. Dr. Meier, Gertie Sara, geb. Ahrens" zu verkaufen. Die Liste der versteigerten Gegenstände lässt nicht so sehr auf eine Wohnungs- wie auf eine Praxiseinrichtung schließen. So wurden Sofas, Sessel, Tische, Kommoden, Schreibtisch, Ledersessel, Spiegel, Garderobenhalter, Chaiselongues, Wanduhren und Bilder zur Versteigerung angeboten.

Gertie Meier wurde mit dem Transport VI/2 von Hamburg nach Terezin gebracht, wo sie am 20. Juli 1942 eintraf. Dort arbeitete sie offensichtlich als Ärztin, wie beispielsweise ihre Unterschrift auf der Todesfallanzeige der dort verstorbenen Berlijn Fuldauer bezeugt, bei der sie die Totenbeschau durchgeführt hatte. Am 9. Oktober 1944 wurde die 50-Jährige ins Vernichtungslager Auschwitz weiterdeportiert und dort ermordet.

Wichtige Hinweise und Quellen erhielt ich von Sabine Brunotte, Jutta Buchin, Prof. Dr. Anna Hàjkovà, Dr. Beate Meyer und Dr. Anna v. Villiez. Ich danke ihnen herzlich.

© Christiane Jungblut, Juli 2009/2014

Quellen: Archiv der Ärztekammer Hamburg, Karteikarte der Reichsärztekartei der Reichsärztekammer (RÄK); Bundesarchiv Berlin, Reichsarztregister der Kassenärztlichen Vereinigung (DVD-Datensatz); Bundesarchiv Berlin, R 1509 Reichssippenamt, Ergänzungskarten der Volkszählung vom 17. Mai 1939; Standesamt Dömitz, Geburts- und Eheschließungseinträge; Staatsarchiv Hamburg 214-1 Gerichtsvollzieherwesen, 494; Staatsarchiv Hamburg 314-15 Oberfinanzpräsident, FVg 5506; Staatsarchiv Hamburg 314-15 Oberfinanzpräsident, R39/2698; Staatsarchiv Hamburg 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 b Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde; Staatsarchiv Hamburg 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 e 2 Band 5; Staatsarchiv Hamburg 522-1 Jüd. Gemeinden, 992 n; Nationalarchiv Prag/Institut Theresienstädter Initiative, Todesfallanzeige Berlijn Fuldauer.

Literatur:
Ahrens, Gertie, Über die Ausscheidung von Wismut im Urin. Med. Diss. v. 15. Mai 1924, Berlin 1924; Ahrens, Gertie, Über die Grundlagen des Mensendieck-Systems. In: Vierteljahresschrift des Bundes deutscher Ärztinnen 3 (1927), S. 82–86; documentArchiv.de: http://www.documentarchiv.de/ns/1938/reichsbuergergesetz_vo04.html (1.7.2009); Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der Nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945: http://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/; Mensendieck, Bess, Bewegungsprobleme. Die Gestaltung schöner Arme, München 1927; Mensendieck, Bess, Körperkultur der Frau. Praktisch hygienische und praktisch ästhetische Winke, München 1925; Reichsmedizinalkalender für die Jahre 1926 bis 1937; Wolff, Horst-Peter/Gerhard Fürstler, Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. "Who was who in nursing history" Band 3, München 2004; Yad Vashem, The Central Database of Shoah Victims' Names: http://www.yadvashem.org/wps/portal/IY_HON_Welcome (eingesehen am 20.03.2009).

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