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Bereits verlegte Stolpersteine



Otto Kallmes * 1872

Hallerplatz 13 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
OTTO KALLMES
JG. 1872
DEPORTIERT 1941
IN RIGA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Hallerplatz 13:
Dr. Gertrud (Gertie) Meier-Ahrens, Dr. Nathan Mendel Sarason, Ida Sarason

Otto Kallmes, geboren am 4.10.1872, am 6.12.1941 nach Riga deportiert und ermordet

Hallerplatz 13 Rotherbaum

Trotzend allen Meereswogen
kommen freundlich hergezogen
Uns’re Wünsche hergesandt.-
Theure Lieben in der Ferne.
Ach wie wären heut‘ wir gerne
In dem lieben Vaterland.-
Tausend Küsse, die wir senden
Tausend Wünsche die wir spenden,
mögen d’rum geschwind, geschwind
Euch zum Ohr, zum Herzen bringen;
Deutlich den Beweis euch bringen
Wie wir euch so gut gesinnt.


Julie Kallmes

Otto Kallmes erblickte am 4.10.1872 in Hamburg das Licht der Welt. Seine Eltern, das jüdische Ehepaar Israel Julius und Julie Kallmes, bekamen fünf Kinder: James (geb. 5.10.1861), Iwan (geb. 22.4.1863), Anna (geb. 4.12.1865), Albert (geb. 25.2.1870) und als jüngstes Kind Otto.

Otto Kallmes wuchs in einer kulturell interessierten und musikalischen Umgebung auf: Sein Vater unterstützte aktiv den Hamburger Kunstverein und gehörte diesem auch als Mitglied an. Seine Mutter interessierte sich für Literatur und dichtete selbst. Zum gut situierten Haushalt der Familie Kallmes gehörte unter anderem auch ein Klavier.

James, Iwan und ihr Vater Israel Julius Kallmes ließen am 1. Januar 1886 ihre neu gegründete Handelsgesellschaft mit dem Namen Kallmesius im Handelsregister eintragen. Der Firmensitz befand sich am Kleinen Burstah 11/Altstadt. Im Laufe der Jahre bauten sie die Firma zu einem florierenden Im- und Exportgeschäft mit Häuten und Fellen aus, die insbesondere nach Übersee ausgerichtet war. Auch Otto Kallmes arbeitete in der Firma Kallmesius mit.

Durch Tod schied Israel Julius Kallmes am 28. März 1911 aus der Firma aus. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt. Israel Julius Kallmes hatte nicht nur die Firma gegründet, sondern auch 1901 ein Wohnhaus in der Straße Hallerplatz 13 gekauft, ein Mehrfamilienhaus in der Grindelallee 24/Rotherbaum und ein Wohngrundstück Rossberg 41-43/Eilbek. Seit 1901 wohnte Otto Kallmes in der Straße Hallerplatz 13/Rotherbaum, zusammen mit seinen Eltern.

Nach dem Tod von Israel Julius Kallmes wurde das gesamte Vermögen mit den Häusern und den Wertpapieren als J. Kallmes Nachlass verwaltet. Das Mehrfamilienhaus in der Grindelallee 24 und das Wohnhaus der Familie Kallmes gehörten je zu einem Drittel Iwan Kallmes, Otto Kallmes und dem Nachlass Israel Julius Kallmes. Das Wohngrundstück Rossberg 41-43 gehörte je zur Hälfte Iwan Kallmes und Otto Kallmes.

Auch nach dem Tod seines Vaters wohnten Otto Kallmes und seine Mutter zusammen in der Straße Hallerplatz 13, ein Haus mit 12 Zimmern.

Otto Kallmes trat nun ganz offiziell am 1. Januar 1912 als Gesellschafter in die Firma Kallmesius ein und wurde so im Handelsregister eingetragen. Am 18. Juli 1919 schied Ottos Bruder James Kallmes durch Tod aus der Handelsgesellschaft aus. (Er wurde auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt).

Mittlerweile war Julie Kallmes pflegebedürftig geworden. Dafür stellte Otto Kallmes 1921 die nichtjüdische Hausdame Frieda Freytag (geb. 19.9.1886) ein. Sie bewohnte ein Zimmer des Hauses. Otto Kallmes beschäftigte zudem für die alltäglichen Hausarbeiten noch zwei weitere Angestellte.

Julie Kallmes verstarb am 7. Dezember 1921. (Sie wurde auf dem jüdischen Friedhof Ilandkoppel im Familiengrab neben ihrem Mann beigesetzt). Frieda Freytag blieb noch bis 1941 im Haus Hallerplatz 13.

Für die Jahre 1927 bis 1929 betrug der Umsatz der Firma Kallmesius 10 – 11 Millionen RM, sank jedoch 1931 auf 2,2 Millionen und 1932 auf 1,6 Millionen RM. Bei Kallmesius arbeiteten eine Buchhalterin, ein "Schreibfräulein" und zwei weitere Angestellte.

1929 kaufte sich Otto Kallmes einen großen Hund, der - wie er angab - zu seinem Schutz gedacht war.

Die Kinder Albert, Anna, Iwan, Otto und die Schwägerin Fanny Kallmes gründeten anlässlich des Jahrestages der Goldenen Hochzeit ihrer Eltern zum 1. Januar 1930 in Hamburg "Die-Julius- und-Julie-Kallmes-Stiftung" und übergaben das Stiftungsgeld der Deutsch Israelitischen Gemeinde in Hamburg. Zweck der Stiftung sollte die Unterstützung "hilfsbedürftiger und würdiger" Personen im weitesten Sinne sein. Angehörige aus den Familien Kallmes und Schöning sollten bis zum Jahre 2000 anderen Bewerbern vorgezogen werden. Iwan und Otto Kallmes sollten für die Dauer ihres Lebens Sitz- und Stimmrecht im Stiftungsvorstand erhalten.

Am 29. Oktober 1935 trat Siegfried Kallmes (geb. 10.2.1869, verstorben Oktober 1948 in London) in die Handelsgesellschaft ein, der weitläufig mit der Familie Kallmes verwandt war.

Die Restriktionen gegen Juden nahmen zu und die Gesellschafter der Firma Kallmesius konnten ihre Exportgeschäfte ins Ausland nicht mehr tätigen. Im August 1938 bekamen die nichtjüdischen Gerber von ihrem Fachverband die Anweisung, von jüdischen Händlern keine Felle und Häute mehr zu kaufen. Die Golddiskontbank leistete an Juden seit 1938 die für die Exportförderung bestimmten Zuschüsse nicht mehr. Das Inlandsgeschäft konnte ebenfalls nicht mehr betrieben werden, weil die nichtjüdische Kundschaft es ablehnte, bei Juden zu kaufen. Die Firma Kallmesius hatte ihre Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt verloren. Im Dezember 1938 kam das Geschäft fast ganz zum Erliegen.

1938 musste Otto Kallmes mit der nun als "Hausdame" bezeichneten Frieda Freytag auf die oberen Räume in dem Haus Hallerplatz 13 ausweichen. Das Erdgeschoss und der erste Stock wurden von der Stadtverwaltung beschlagnahmt und zum "Judenhaus" erklärt.

Der Erbanteil aus dem Nachlass von J. Kallmes wurde zum 12. Dezember 1938 für das Haus Hallerplatz 13 und das Mehrfamilienhaus in der Grindelallee 24 auf die Ehefrau von Albert Kallmes, der verheiratet gewesen war mit der nichtjüdischen Minna Kallmes, geb. Claussen, überschrieben.
Wie alle Juden mit einem bestimmten Vermögen, wurde Otto Kallmes nach dem Novemberpogrom 1938 zur "Sühneleistung", der sog. Judenvermögensabgabe, herangezogen. Er zahlte ab 13. Dezember 1938 in fünf Raten je 14.600 RM insgesamt 73.000 RM. Das Vermögen von Otto Kallmes belief sich insgesamt auf 300.000 RM.

1939 wurde der Hallerplatz 13 umbenannt in Grindelhof 101. (Die Straße Hallerplatz erhielt nach dem Kriege ihren ursprünglichen Namen wieder zurück.)

Die Oberfinanzdirektion legte für die Grundstücke und Häuser nicht den Verkehrswert, sondern den viel niedrigeren Einheitswert von 1935 zugrunde. Für das Grundstück Rossberg 41 bis 43 wurde ein Einheitswert von 113.500 RM festgelegt, für das Mehrfamilienhaus in der Grindelallee 24 ein Einheitswert von 80.500 RM und für das Haus im Grindelhof 101 ein Einheitswert von 13.200 RM. Das Grundstück Rossberg 41-43/Eilbek wurde an Jacob Hassinger für 105.000 RM verkauft.

Am 25. Januar 1938 verstarb Ottos Kallmes Bruder Iwan. Als Testamentsvollstrecker wurden Otto Kallmes und der "Konsulent" Morris Samson (geb. 21.10.1878) eingesetzt. Im Testament war festgelegt worden, dass der Jüdische Religionsverband – wie sich die Jüdische Gemeinde nun nennen musste - einmalig 1000 RM und Fanny Kallmes und Albert Kallmes vierteljährlich je 250 RM erhalten sollen.

1939 musste Otto Kallmes wie alle Juden Silberbesteck und Schmuck abliefern. Frieda Freytag lieferte diese für ihn ab. Der Erlös betrug 14 RM, Geld das er mit seinen Geschwistern teilte, weil die Gegenstände aus dem Nachlass der Eltern stammten.

Von Juni bis September 1939 befand sich Otto Kallmes in ärztlicher Behandlung und erhielt eine Kurzwellentherapie. Die Erkrankung kennen wir nicht. Im September 1939 investierte er 150 RM für einen Luftschutzkeller. Wo er den Luftschutzkeller einrichtete wissen wir nicht.

Am 6. September 1939 wurde Otto Kallmes von der Oberfinanzdirektion aufgefordert seine Vermögensverhältnisse offenzulegen, anschließend wurden seine Konten unter "Sicherungsanordnung" gestellt, d.h. gesperrt, und er musste beantragen, seine regelmäßigen monatlichen Ausgaben davon bestreiten zu dürfen. Er gab an, monatlich 2039 RM für den Lebensunterhalt zu benötigen. Er unterstützte regelmäßig Fanny Kallmes mit 167 RM und Olga Levien (geb. 13.4.1875) mit 50 RM (Olga Levien wurde am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert, an sie erinnert ein Stolperstein in der Hansastraße 4). Die Oberfinanzdirektion bewilligte ihm am 1. November 1939 nur 800 RM.

Er legte Widerspruch ein und beantragte eine Erhöhung des Betrages um 300 RM. Sein Hund, der mittlerweile 10 Jahre alt war, verursache erhebliche Kosten. Weiter gab er an, seine Mahlzeiten in der Innenstadt einzunehmen, denn durch ein Nervenleiden seien die fußläufigen Wege beschwerlich geworden. Er verbrauche zudem Geld für die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel und für Porto für seine Korrespondenz mit Freunden und Verwandten im In- und Ausland. Tatsächlich bewilligte die Behörde ihm nun, monatlich 900 RM von seinem Vermögen zu verbrauchen.

Am 12. September 1940 machte er Frieda Freytag ein Geburtstagsgeschenk im Wert von 400 RM, das er ebenfalls bewilligen lassen musste. Im Jahr darauf machte er ihr ein besonderes Geburtstagsgeschenk: Er ließ ihre 4 Sessel und 4 Stühle neu beziehen und investierte dafür einen Betrag von 325 RM.

Zum 29. November 1940 wurde die "Julie- und-Julius-Kallmes-Stiftung" aufgelöst.

Am 26. Februar 1941 stellte Walter Burose offiziell einen Antrag bei der Oberfinanzdirektion auf Übernahme der Firma J. Kallmes jr. Kleiner Burstah 11.

Selbst mit dem geringem Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, bedachte Otto Kallmes ärmere Menschen und spendete an die Heilsarmee, die Jüdische Winterhilfe, machte Weihnachtsgeschenke für Angestellte und Freunde, bezahlte die Krankenhausrechnung für den verstorbenen Siegmund Cohen oder unterstützte Antonie Riess (geb. 12.12.1875, Selbstmord 25.3.1942, an sie erinnert ein Stolperstein in der Haynstraße 5).

1939 hatte die Oberfinanzdirektion Walter Burose zum Treuhänder für die Firma ernannt. Am 30. November 1940 teilte sie der Gemeindeverwaltung in Hamburg mit, dass nunmehr der Treuhänder Otto Schünhoff & Co. eingesetzt worden war. Der überließ es Otto Kallmes stets, die Begleichung von Geschäftsverbindlichkeiten einzureichen. Dem setzte die Oberfinanzdirektion ein Ende. Am 31. Oktober 1941 übertrug Otto Kallmes die Handelsgesellschaft auf Walter Burose mit dem Recht der Firmenfortführung. Der neue Inhaber Walter Burose soll die Möbel von Otto Kallmes als Feuerholz für seinen Kamin verwendet haben.

Frieda Freytag beendete ihr Arbeitsverhältnis bei Otto Kallmes zum 30. November 1941, als Otto Kallmes Deportation bevorstand.

Otto Kallmes erhielt seinen "Evakuierungsbefehl" für den Transport am 6. Dezember 1941. Mit seinen 69 Jahren lag er eigentlich über der Altersgrenze (65 Jahre) für einen "Osttransport". Er hätte nach den Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes für das "Altersgetto" Theresienstadt zurückgestellt werden müssen. Doch die Gestapo durfte dies ignorieren und "bis zu einem gewissen Prozentsatz" auch Jüdinnen und Juden mit deportieren, die zum Personenkreis gehörten, der ausgenommen werden sollte. So musste Otto Kallmes sich, wie die anderen Einbestellten auch, einen Abend vor der Deportation im Logenhaus an der Moorweidenstraße 36 einfinden.

Seine Deportation, zusammen mit 963 weiteren Menschen, erfolgte am 6. Dezember 1941 vom Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity) aus. Der Deportationszug erreichte drei Tage später am 9. Dezember 1941 das Gebiet von Riga, wo die Hamburger Deportierten ins kurzzeitig zum Lager bestimmte Gut Jungfernhof geleitet wurden. Wann Otto Kallmes dort verstarb oder erschossen wurde, wissen wir nicht.

Zum Schicksal der Geschwister von Otto Kallmes:
James Kallmes (geb. 5.10.1861) hatte am 10. April 1894 Fanny Nathan geheiratet. Er verstarb am 18. März 1919 in Bad Homburg. Fanny Kallmes verübte am 5. Juli 1942 mit Schlafmitteln Selbstmord. Beide wurden in Hamburg auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt.

Iwan Kallmes (geb. 22.4.1863) hatte am 4. Dezember 1903 Rosa Anna Lucie Goldschmidt (geb. 1.2.1883) geheiratet. Er verstarb am 25. Januar 1939 und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt. Anna Kallmes wurde am 11. Juli 1942 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Anna Kallmes (geb. 4.12.1865) hatte am 17. Juli 1891 Wolf Katzenstein (geb. 14.3.1859) geheiratet. Er verstarb am 26. Januar 1932, sie am 1. Oktober 1938. Beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt.

Albert Kallmes (geb. 25.2.1870) hatte am 12. April 1916 die nichtjüdische Minna Sophie Elisabeth Claussen (geb. 06.12.1882) geheiratet. Er überlebte in dieser Mischehe, verstarb am 8. Juni 1949 in Hamburg und wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel beigesetzt. Minna Kallmes verstarb am 17. Juli 1955.

Stand: Juli 2021
© Bärbel Klein

Quellen: 1; 2; 3; 4; 5; 6; 8; StaH 332-3_A 119_6437; 332-3_ A 286_237/1872; 332-5_138/1894; 332-5_262/1901; 332-5_168/1911; 332-5_822/ 1915; 332-5_664/1921; 332-5_387/1922; 332-5_71/1926; 332-5_613/1928; 332-5_377/1938; 332-5_51/1939; 332-5_373/1942; 332-5_355/1949; 332-5_1774/1955; 332-5_212/1942; 522-1_696c_75/1839;213-13_1526; 213-13_6830; 213-13_6831; 213-13_6832; 213-13_6833; 213-13_6834; 213-13_6835; 213-13_6836; 213-13_6837; 213-13_6838; 213-13_6839; 213-13_6840; 213-13_16088; 213-13_20942; 213-13_21678; 214-1_383; 331-5_3 Akte _ 1188 / 1942; 351-8_B 184; 351-11_5590; 351-11_6198; 351-11_7991; 351-11_19444; 351-11_55753; 621-1/84_49; Frankfurt am Main Heiratsurkunde Iwan Kallmes und Rosa Anna Lucie Goldschmidt 2687/1903; Frankfurt am Main Heiratsurkunde Leopold Bohrmann und Alice Goldschmidt 931/1909; Frankfurt am Main Sterbeurkunde Alfred Alexander Weiler 1201/1935; Bad Homburg 126/1919 Sterbeurkunde James Kallmes; Alfred Gottwaldt, Diana Schulle, Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich 1941 1945, Wiesbaden 2005, Seite 125; Datei: PPN663943566 Neueste Nachrichten aus dem Reiche der Freude, Liebe und Ehe (1860).jpg – Wikipedia; www.wikipedea.de; www.geni.com; www.ancestry.de (Zugriff 25.2.2021); Britta D. Siefken, Jüdische und paritätische Stiftungen im nationalsozialistischen Hamburg, Norderstedt 2009, S. 107f..
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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