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Bereits verlegte Stolpersteine



Henny Andrade (links) mit ihrer Schwester Toni Neufeld und ihrem Bruder Ernst Katzenstein.
© Privatbesitz

Henny Andrade (geborene Katzenstein) * 1875

Stellinger Weg 11 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
HENNY ANDRADE
GEB. KATZENSTEIN
JG. 1875
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 17.9.1943

Henny Andrade, geb. Katzenstein, geb. am 13.10.1875 in Harburg, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort gestorben am 17.9.1943

Stellinger Weg 11

Sechs Tage nach der Geburt meldete der Vater, Jacob Katzenstein (1834-1895), beim örtlichen Standesamt "ein Kind weiblichen Geschlecht[s], welches einen Vornamen noch nicht erhalten habe". Sechs Wochen später wurde der Vorname "Henny" dann im Register nachgetragen. Da Henny das elfte von zwölf Kindern war, hatten ihre Eltern wahrscheinlich andere Sorgen, als sich zügig für einen Vornamen zu entscheiden. Wie Klaus Möller in seinen Texten (www.stolpersteine-hamburg.de) über Hennys Schwestern Toni Neufeld und Selma Wolff schreibt, dürfte es Jacob Katzenstein als Produktenhändler schwer gehabt haben, die Kinderschar zu ernähren. Die Katzensteins - seit 1858 war Jacob mit Riecke (Friederike), geb. Freudenthal (1836-1908), verheiratet - wohnten zusammen mit drei anderen Familien in einem Haus in der Neuen Straße 52 in Harburg. Dort erinnern Stolpersteine an Hennys Schwestern.

Von den übrigen Geschwistern konnte Ernst (1872-1956) mit seiner Familie nach Brasilien fliehen. Zwei Brüder, Salomon (geb. 1862) und Louis (geb. 1869), waren 1936 bzw. 1938 verstorben. Eine Schwester – Friede, von der noch die Rede sein wird - verstarb im November 1941 an einem Schlaganfall. Die Jüngste – Ida, geb. 1877 - starb bereits 1901. Das Schicksal der anderen Katzenstein-Kinder ließ sich bisher - auch für die Zeit vor 1933 - nicht klären.

Über Hennys Kindheit und Jugend wissen wir nichts. Auf einer 1896 für sie angelegten Dienstkarte ist ihr Beruf als "Dstm." (Dienstmädchen) angegeben. Bis 1898 war sie in verschiedenen Hamburger Haushalten tätig, unterbrochen von einem zweimonatigen Aufenthalt im Israelitischen Krankenhaus. Zwischenzeitlich wohnte sie auch mehrmals bei ihrer Mutter in der Marktstraße 19 bzw. im Eichholz 51/52. Auf einer zweiten Karte, die den Zeitraum von 1898 bis 1914 umfasst, ist Henny als Arbeiterin eingetragen. Später wurde diese Berufsbezeichnung gestrichen und durch Buchhalterin ersetzt. Sie muss sich also in dieser Zeit beruflich qualifiziert haben. Von November 1898 bis November 1906 lebte sie durchgehend bei ihrer Mutter im Eichholz 51/52.

Nach einem kurzen Aufenthalt bei ihrer Schwester Friede (1866-1941) und deren Mann Nathan Oppenheim (1869-1921) in der Rutschbahn 2 brachte Henny am 5. Dezember 1906 in der Wohnung des Buchhalters S. Katzenstein in der Sartoriusstraße 9 einen Sohn namens Georg zur Welt. Wahrscheinlich handelte es sich um die Wohnung ihres Bruders Salomon (1862-1936). Im standesamtlichen Geburtenregister ist die einunddreißigjährige Henny als unverehelichte Buchhalterin eingetragen. Der Vater des Kindes blieb unbekannt, was in der Familie später zu Spekulationen führte. Eine Vermutung besagte, es könne sich um einen russischen Juden gehandelt haben, der vor den Pogromen im Zarenreich geflohen war und später nach Argentinien auswanderte. Vielleicht sei es aber auch der Chef der Firma, in der Henny arbeitete.

In den folgenden Jahren lebte Henny erneut abwechselnd bei ihrer Mutter und bei Schwester und Schwager Oppenheim. Diese nahmen Georg an Kindes statt an. Friede Katzenstein und der Händler Nathan Oppenheim hatten im April 1900 geheiratet. Nach Angaben der Familie hielt Georg die beiden für seine leiblichen Eltern, bis er als Heranwachsender durch ein zufällig mitgehörtes Gespräch erfuhr, wie es sich tatsächlich verhielt. Im Geburtenregister ist vermerkt, dass er erst ab September 1922 offiziell den Nachnamen Oppenheim führte. Zu diesem Zeitpunkt war sein Pflege- bzw. Adoptivvater Nathan Oppnheim schon an TBC gestorben, einer Krankheit, die er sich als Soldat im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte. Friede Oppenheim musste Georg nun allein aufziehen. Dieser – mitten in der Pubertät – ließ seinen Schock, nicht ihr leiblicher Sohn zu sein, an ihr aus. Er habe sich ihr gegenüber kalt und abweisend gezeigt und sich über ihren Glauben lustig gemacht, indem er provokativ im Eingangsbereich der Synagoge geraucht habe, heißt es in der Familie. Glücklicherweise normalisierte sich in den folgenden Jahren das Verhältnis zu seiner "Mutter" wieder. Zu Friede und Georg später mehr.

Henny heiratete im Mai 1914 den Kaufmann bzw. Auktionator Joseph Andrade, geb. 9.2.1870 in Hamburg. Für ihn war es die dritte Ehe. Seine erste Ehefrau Zipora, geb. Andrade (geb. 1866), eine Kusine, war 1905 verstorben. Seine zweite Ehefrau Franziska, geb. Horwitz (geb. 1875), verstarb im September 1913 im Israelitischen Krankenhaus. Joseph brachte aus dieser Ehe zwei kleine Töchter mit, Paula (1909 – 1943) und Flora (1911-2005), später verheiratete Neumann. In ihrem Buch "Erinnern, um zu leben" schreibt Flora, Henny und Joseph Andrade hätten sich über eine Anzeige in einer jüdischen Wochenzeitung kennengelernt: "Witwer mit zwei kleinen Kindern sucht kinderliebe Frau zwecks Heirat". Flora und Paula liebten ihre Stiefmutter sehr, auch sie wussten lange nicht, dass Henny nicht ihre leibliche Mutter war.

Der kleinen Familie blieb zunächst nur eine kurze gemeinsame Zeit, im Ersten Weltkrieg wurde Joseph Soldat. Henny verkaufte laut Flora Neumann während seiner Abwesenheit alte Möbel, die noch aus seiner Zeit als Auktionator übrig geblieben waren, und sicherte sich und den Mädchen so das Überleben. In den Hamburger Adressbüchern ist "Frau H. Andrade" von 1915 bis 1920 mit "Partiewaren" verzeichnet. Wir wissen nicht, wie intensiv sie in dieser Zeit Kontakt zu ihrem Sohn hatte. Joseph Andrade kehrte krank aus dem Krieg zurück, er soll sich ein schweres Blasenleiden zugezogen haben. Ab 1918 ist er zusätzlich zu Henny als "Taxator (= Wertsachverständiger) im Adressbuch eingetragen. Wahrscheinlich begutachtete er, anknüpfend an seine Vorkriegstätigkeit, Möbel und Hausrat.

Seit 1917 lautete die Adresse des Ehepaares Stellinger Weg 11. Dort ist 1921 erstmals die Zigarrenhandlung verzeichnet, die Andrades eröffneten und auf die Flora Neumann in ihren Erinnerungen Bezug nimmt: "Hafenarbeiter kauften Kautabak, Tabak für ihre Pfeifen und andere Rauchwaren. Für meine Mutter nicht leicht, sie stand den ganzen Tag ab 6 Uhr morgens im Geschäft, bediente die Kundschaft und versorgte uns Kinder und meinen Vater, der oft sehr große Schmerzen hatte. Er lag viel im Bett."

Gern erinnerte sich Flora Neumann an die gemeinsamen Freitagabende: "Wir waren keine frommen Juden, aber wir lebten traditionsgemäß. Mein Vater ging, wenn er konnte, mit Paula und mir in die Synagoge. Er trug einen dunklen Anzug und wir unsere hübschen Schabbes-Kleider. Wir waren sehr glücklich. In der Zwischenzeit bereitete meine Mutter das Festessen vor. Wenn ich daran denke, kommt mir heute noch der gute Geruch in die Nase. [...] Meine Mutter hatte so richtig vom Kochen und Herumpütschern Apfelbäckchen bekommen. Sie sah wunderbar aus. Wir küssten sie und sie fragte uns: "Habt Ihr Euch auch etwas Gutes ausgebetet?"

Als die Nationalsozialisten ab 1939 Jüdinnen und Juden zwangen, Schmuck sowie Wertgegenstände aus Silber und Gold abzuliefern, musste Henny Andrade laut Flora unter anderem auch zwei silberne Leuchter, einen Chanukkaleuchter, eine Pessachschale und einen Kidduschbecher in eine der "Ankaufsstellen" bringen, rituelle Gegenstände, die die Familie vermutlich an vielen Freitagabenden und Feiertagen benutzt hatte.

Paula und Flora besuchten die Höhere Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße. Später arbeiteten sie in einer Fabrik im Schichtdienst, um die Eltern finanziell zu unterstützen, denn wirtschaftlich ging es der Familie immer schlechter. Flora wollte, wie sie angab, mehr aus ihrem Leben machen, und schloss sich einer Jugendgruppe, der J.J.A. (Jüdische Jungarbeiter) an.

Als Paula Andrade unverheiratet schwanger wurde, reagierten ihre Eltern mit viel Verständnis und bestanden nicht auf einer Eheschließung. Paula heiratete dennoch ihren nichtjüdischen Freund Georg Müller und brachte am 1. Dezember 1929 ihre Tochter Rita Henny zur Welt. Da nach einigen Jahren die Scheidung erfolgte, war Paula später in der NS-Zeit nicht durch die Ehe mit einem "Arier" geschützt. Sie und ihre Tochter wurden einige Tage vor Henny in das Getto Theresienstadt und am 29. Januar 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Beide überlebten nicht. Für Paula und Rita Müller liegen Stolpersteine vor dem Haus Beim Schlump 28.

Zurück zu Hennys Sohn Georg Oppenheim und ihrer Schwester Friede. Seit 1919 wohnte Familie Oppenheim in der Schlüterstraße 79. Georg besuchte seit April 1913 die Talmud Tora Schule und wurde dort unter anderem von Mathias Stein (s. www.stolpersteine-hamburg.de) unterrichtet, mit dessen Sohn Joseph er befreundet war. In der nahe gelegenen Wohnung der Steins in der Rutschbahn 37 ging er ein und aus. Nach Erlangen der Obersekundareife 1922 trat Georg eine Lehre in einem Bankgeschäft an und arbeitete anschließend im Lebensmittelgroßhandel. Im Oktober 1926 verdiente er als kaufmännischer Angestellter 100 Reichsmark (RM) monatlich, wurde aber von seinem Arbeitgeber nur unregelmäßig und zudem in Raten bezahlt. Im Januar 1927 verlor er seine Stellung und wurde erwerbslos.

Friede Oppenheim musste im Oktober 1926 erstmals Wohlfahrtsunterstützung beantragen. Aus der Akte geht hervor, dass sie im Winter 1925/26 einen Unfall hatte und seither wegen ihrer verstümmelten Hand nur beschränkt arbeitsfähig war. Welcher Tätigkeit sie vorher nachging, ist unbekannt. Nun vermietete sie drei Räume der 4 1/2 Zimmerwohnung unter. Dadurch konnte sie zwar ihre eigene Miete bezahlen, machte aber nur so wenig "Gewinn", dass sie davon nicht leben konnte. Die ihr bewilligte finanzielle Hilfe betrug nur wenige RM wöchentlich, sie musste zeitweilig sogar einen Teil ihrer Bettwäsche sowie Leibwäsche und Schuhe versetzen. Im September 1927 wurde ihr eine einmalige Unterstützung von 10 RM zur Einlösung der wichtigsten Stücke zuerkannt. "Den Ring und die Brille [!], sowie Tischtücher muss Frau O. versuchen, auf andere Weise zurückzubekommen" heißt es in ihrer Wohlfahrtsakte. Bis an ihr Lebensende musste Friede um ihr finanzielles Überleben kämpfen. Georg unterstützte sie, soweit es ihm möglich war.

Nachdem Georgs Arbeitslosenhilfe ausgelaufen war, beantragte auch er Wohlfahrtsunterstützung. Da seine Suche nach einem Arbeitsplatz erfolglos blieb, bereitete er sich schließlich auf die Abiturprüfung vor, die er im September 1928 als Externer an der Thaer-Oberrealschule vor dem Holstentor bestand, der ersten naturwissenschaftlich und neusprachlich ausgerichteten Schule ohne Latein und Griechisch in Hamburg.

Anschließend studierte er mit Hilfe von Stipendien des "Vereins der Israelitischen Gemeinde" sowie der Hochschulbehörde an der Hamburger Universität Jura. Laut Wohlfahrtsakte arbeitete er im Juli 1929, wohl in den Semesterferien, fünf Wochen bei "Firma Andrade", ein Indiz dafür, dass er Kontakt zu seiner leiblichen Mutter und deren Familie hatte. Hennys Schwager Ivan Andrade führte ein Geschäft für Rauchwaren in der Bellealliancestraße 66. Nach sechs Semestern Studium bestand Georg im Dezember 1931 die erste juristische Prüfung und begann am 1. Januar 1932 ein Referendariat am Amtsgericht Hamburg.

Schon während des Studiums engagierte er sich politisch. Es dürfte auch der Armut geschuldet gewesen sein, in der Friede und er leben mussten, dass er in die "sozialistische Studentenschaft" und später in die SPD eintrat. In Ursula Wamsers und Wilfried Weinkes Buch "Ehemals in Hamburg zu Hause: Jüdisches Leben am Grindel” ist Georg in dem Kapitel "Menschen jüdischer Herkunft im Widerstand” portraitiert. Dort heißt es, dass er "jedoch bald in kritischem Widerspruch zu ihrer [der SPD] Politik [stand]" und sich der KPD zuwandte. Dieser Partei trat er jedoch nicht bei, "da durch Senatsbeschluß für Beamte der Beitritt zur KPD verboten war".

Nach dem "Altonaer Blutsonntag" im Juli 1932 beteiligte Georg Oppenheim sich als juristischer Sachverständiger aktiv an dem Untersuchungsausschuss, der aufklären sollte, wie es zu den Vorfällen gekommen war. Achtzehn Menschen waren dabei umgekommen, vier angebliche Täter wurden dafür später von den Nationalsozialisten zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Auch Henny Andrades Stieftochter Flora hatte sich inzwischen politisiert. In der Arbeiterjugend lernte sie den Elektriker Rudi Neumann kennen und lieben. (siehe www.stolpersteine-hamburg.de Sophie und Moritz Neumann zu Rudis Familie). Die beiden heirateten im September 1931in der Bornplatzsynagoge.

Ende 1932 oder Anfang 1933 waren Henny und Joseph Andrade aus dem Stellinger Weg in die Schlachterstraße 47 umgezogen. Hier im Lazarus-Gumpel-Stift konnten ärmere jüdische Familien günstig wohnen. Joseph starb dort am 15. März 1933. Für Henny muss es ein furchtbares Jahr gewesen sein: Die Nationalsozialisten ergriffen die Macht, sie verlor ihren Ehemann, und im Sommer wurden sowohl ihr Sohn als auch ihr Schwiegersohn aus politischen Gründen verhaftet.

Die KPD hatte schon Ende 1932 mit einem Verbot gerechnet und sich auf die Illegalität vorbereitet. Rudi Neumann und Georg Oppenheim waren gemeinsam in der Gruppe Sternschanze aktiv, wo Georg als "Agitpropleiter" Schulungsvorträge hielt und Schriftstücke verfasste. In der Familie heißt es, dass Friede nach Georgs Verhaftung aus Angst vor einer Hausdurchsuchung die Schreibmaschine, die er mühsam in Raten abbezahlt hatte, in einen Kanal warf. Flora Neumann berichtete 1999 Georgs Enkelin bei deren Besuch, dass die Gruppe auch eine Pistole gehabt habe. Sie erzählte, die Mitglieder hätten sich nicht nur mit "großer Politik" beschäftigt, sondern auch gemeinsame Wanderungen und Picknicks unternommen. Fragen wie Verhütung und Frauenrechte seien diskutiert worden, Georg wäre ein inspirierender Lehrer gewesen. Unklar ist, ob sie sich dabei auf Georgs Zeit als Agitpropleiter bezog, denn diese Funktion hatte er laut Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts nur von Anfang Juni 1933 bis zu seiner Verhaftung am 18. Juli 1933 inne. Wahrscheinlich engagierte er sich aber schon früher, eventuell im Jugendheim in der Johnsallee 54. Dort trafen sich verschiedene jüdische Jugendvereine, an deren Veranstaltungen Flora teilnahm. Merkwürdigerweise erwähnt Flora Neumann ihren Stiefbruder und den politischen Mitstreiter ihres Mannes in ihren 1988 aufgezeichneten Lebenserinnerungen mit keinem Wort. Dabei hatten sie später wieder Kontakt. In dem Band "Jüdisches Leben am Grindel" (Wamser/Weinke 1991) zeigt ein um 1960 aufgenommes Foto die beiden gemeinsam.

Im April 1933 war Georg Oppenheim als Jude bereits die Ausbildungsbeihilfe gestrichen worden, im Juni erfolgte aus demselben Grund seine Entlassung aus dem Staatsdienst. Nach seiner Verhaftung, "Schutzhaft" im KZ Fuhlsbüttel, sowie Untersuchungshaft musste er eine zweijährige Zuchthausstrafe verbüßen. Im November 1934 hatte ihn das Hanseatische Oberlandesgericht in einem Verfahren mit insgesamt 14 Angeklagten wegen Hochverrats verurteilt.

Einige Monate nach seiner Entlassung floh Georg Ende 1936 zunächst in die Niederlande, wo Friede ihn noch einmal besuchen konnte. Henny sah ihn wahrscheinlich vor seiner Abreise zum letzten Mal.

Von Amsterdam aus ging Georg im Juli 1937 nach Prag, wo er für die jüdische Hilfsorganisation HICEM tätig war. Diese beriet Flüchtlinge und verhalf ihnen zur Emigration. Wie die Familie weiß, arbeitete er dort auch wieder für die KPD und stellte Flugblätter her, die dann nach Deutschland geschmuggelt wurden. Nach der deutschen Annexion der Tschechoslowakei war Georg mehrere Wochen auf der Flucht und entkam schließlich über Polen nach England. In London traf er Eva Stein (geb. 1919) wieder, die Tochter seines früheren Lehrers und Schwester seines Freundes Joseph Stein. Die beiden verliebten sich und heirateten im Mai 1940. Kurze Zeit später wurden sie als "feindliche Ausländer" getrennt voneinander auf der Isle of Man interniert. Eva erhielt Anfang 1942 über das Rote Kreuz die letzte Nachricht von ihren Eltern, so erfuhren die beiden von Friede Oppenheims Tod. Im April 1942 kam ihre Tochter Ruth zur Welt, 1946 folgten die Zwillinge Walter und Charles. Henny Andrade hat ihre Enkelkinder nie kennen gelernt.

Nach Kriegs- und Nachkriegszeit verlief Georgs Leben in weniger dramatischen Bahnen. Er starb 1988 im Alter von 81 Jahren in London. Seine Frau Eva folgte ihm 1992, sie wurde 72 Jahre alt.

Zurück nach Hamburg. Auch Hennys Schwiegersohn Rudi Neumann musste eine Haftstrafe verbüßen. Als Flora 1935 schwanger war hielt sie sich viel bei Henny auf und wohnte kurz vor der Entbindung auch bei ihr. Nach der Geburt ihres Sohnes kam es zu folgender Begebenheit: "Ich holte meine Mutter oft zum Spazierengehen ab. Da erlebten wir, dass Nachbarn meiner Mutter Berni bewunderten und zu meiner Mutter sagten: "Frau Andrade, ihr Enkelsohn sieht Ihnen sehr, sehr ähnlich." Ja, so reden Menschen sich was ein, denn er konnte meiner Mutter ja gar nicht ähnlich sehen. Ich liebte meine Mutter sehr, und ich glaube, dass ich ihr im Wesen sehr ähnlich geworden bin, durch ihre Liebe, die sie Paula und mir gegeben hat."
Mit diesen Worten hat Flora ihrer Stiefmutter ein berührendes Denkmal gesetzt.

Im Juli 1942 erhielt Henny Andrade zusammen mit ihrer Schwester Selma Wolff den Deportationsbefehl nach Theresienstadt, wo sie im September 1943 umkam.

Stand: Juni 2021
© Sabine Brunotte

Quellen: 1, 5; StaH 332-5_12854; StaH 741-4 Fotoarchiv K 6354; StaH 332-5_ 2943; StaH 332-5_ 840; StaH 332-5_690; StaH 332-5_8702; StaH 332-5_1008; StaH 332-5_5260; StaH 351-14_1645, StaH 351-14_1646; beglaubigte Abschrift vom 12.6.2015 aus dem Geburtenregister (10. Dezember 1906, Nr. 2309) Standesamt 20 Hamburg, jetzt Hamburg-Eimsbüttel; StaH 241-2_A 1297; StaH 213-13_26222; Hamburger Adressbücher 1915-1923, 1933 online http://agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib/start, Zugriff 12.5.2017; http://www.holocaust-chronologie.de/chronologie/1939/februar.html, Zugriff 13.5.2020; Flora Neumann, Erinnern, um zu leben, Hamburg 2006; S. 12ff, S. 21, S. 23, S. 24, S. 27 S. 30; Wally Oppenheim, The Oppenheim And Stein Families, A Short Family History, April 2016; Ursula Wamser/Wilfried Weinke (Hrsg.) Ehemals in Hamburg zu Hause: Jüdisches Leben am Grindel, Hamburg 1991, S. 167 ff; Gespräch mit Georg Oppenheims Enkelin Natasha Walter am 13. März 2020 in Hamburg;
https://www.yadvashem.org/odot_pdf/Microsoft Word-6368.pdf zu HICEM, Zugriff 17.5.2020.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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