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Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Erna Behling
Erna Behling
© VVN

Erna Behling (geborene Behncke) * 1884

Löwenstraße 5 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)


HIER WOHNTE
ERNA BEHLING
GEB. BEHNKE
JG. 1884
VERHAFTET 1944
KZ FUHLSBÜTTEL
GEHENKT 21.4.1945
NEUENGAMME

Erna Behling, geb. Behncke, gesch. Bogumil, verh. Behling, geb. 5.10.1884 in Hamburg, ermordet im KZ Neuengamme am 22.4.1945

Löwenstraße 5

Erna Behling gehört zu der Gruppe von 13 Frauen und 58 Männern, die in den Nächten zwischen dem 22. und dem 24. April 1945 in einer Sonderaktion der Gestapo im Arrest-Bunker des KZ Neuengamme ermordet wurden.
Nur wenige Tage vor dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft sollten diese 71 Personen ohne irgendein Gerichtsverfahren unbedingt noch eliminiert werden, teils um entschiedene Gegner des Nazi-Regimes zu vernichten, teils um Zeugen der eigenen Untaten bei Verhaftungen und Verhören zu beseitigen, und schließlich, um Gestapo-Spitzel und -zuträger, die durchschaut worden waren, für die Zeit nach Kriegsende abzusichern.
Zur Ermordung bestimmt waren u. a. zahlreiche Mitglieder Hamburger Widerstandsgruppen wie der Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe, der Gruppe KdF ("Kampf dem Faschismus") und des Hamburger Zweiges der "Weißen Rose".
So wurden diese einundsiebzig Menschen am 20. April 1945 – die britischen Truppen hatten bereits Lüneburg eingenommen und rückten bei Lauenburg an die Elbe vor – aus dem Gestapogefängnis Fuhlsbüttel, wo sie inhaftiert waren, auf Lastwagen in das KZ Neuengamme gebracht. Hier sollten sie getötet werden. Das Lager war zum Teil bereits geräumt, die Zahl der Zeugen war begrenzt.
Für acht der ermordeten 13 Frauen sind unterdessen Stolpersteine verlegt und für sieben von ihnen die dazugehörigen Biographien geschrieben. Die Namen der neben Erna Behling ermordeten Frauen sind: Senta Dohme, Erika Etter (s. Biographie unter www.stolpersteine-hamburg.de), Marie Fiering (s. dort), Helene Heyckendorf (s. dort), Anna Jakuditsch, Leni Kreuzer, Annemarie Ladiges (s.dort), Hanne Mertens (s. dort), Margarethe Mrosek (s. dort), Elisabeth Rosenkranz, Sinaida Strelzowa, Margarete Zinke (s. dort).

Unser Wissen über den Lebensweg von Erna Behling ist trotz intensiver Nachforschungen sehr lückenhaft. Besonders für den so großen und wichtigen Zeitraum von 1910 bis 1940 gibt es kaum gesicherte Erkenntnisse. Hinweise wie die, sie habe 1923 am Hamburger Aufstand der KPD teilgenommen und sich dabei einen Namen als "Rote Krankenschwester" gemacht, sind zwar glaubhaft, konnten bisher aber dokumentarisch nicht erhärtet werden. Nicht bestätigt ist auch ihre angebliche Verhaftung im Frühjahr 1933. Bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass Ernas zweiter Ehemann, Friedrich August Behling, nach dem Kriege zwar einen Wiedergutmachungsantrag für sich selbst gestellt hat, sonderbarerweise aber nicht stellvertretend für Erna, deren Erbe er ja war.

Belegt ist: Erna Mathilde Louise Behncke, so ihr Geburtsname, kam am 5. Oktober 1884 in der elterlichen Wohnung in Hamm, Borstelmannsweg 137, zur Welt und wuchs in allereinfachsten, sehr schwierigen Verhältnissen auf. Ihr Vater war der Arbeiter und Schmied Johann Heinrich Christian Behncke (geb. am 1. Juni 1843 in Schwaberow bei Schwerin). 1882 hatte er die Hamburger Staatsbürgerschaft erworben. Ernas Mutter war Ida Henriette Wilhelmine, geborene Gehsermann, geboren am 8. Februar 1844 in Hamburg.
Erna hatte drei Geschwister. Sie waren aus der ersten Ehe des Vaters mit Christine Marie Dorothea, geb. Pohlmann (1847–1882): Frieda Wilhelmine Dorothea Johanna (geb. 12. April 1874 in Hamburg), Wilhelm Carl Johannes (geb. 24. Juli 1876) und Bertha Wilhelmine Doris (geb. 6. März 1879).
Der Vater starb mit 56 Jahren im März 1890 an Kopfrose (Gürtelrose am Kopf).
Die Mutter war mit den vier Kindern völlig überfordert. Sie litt an Mutterbruch, einem schweren Gebärmutterschaden, und konnte nur gelegentlich als Reinemachefrau arbeiten, mit einem Tagesverdienst von 1.50/1.60 RM. Das geht aus den Unterlagen des Hamburgischen Waisenhauses in der Averhoffstraße auf der Uhlenhorst hervor, einer öffentlichen Wohltätigkeitsanstalt. Hier wurden die beiden jüngsten Kinder, Erna (gerade 5 3/4 Jahre alt) und Bertha (11 1/4 Jahre) am 9. Juli 1890 aufgenommen, als Halbwaisen, "von welchen der Vater gestorben ist und die Mutter in Dürftigkeit lebt".
Was mit den beiden älteren Geschwistern von 16 bzw. 14 Jahren geschah, ist nicht bekannt.
Ernas schwerkranke Mutter fand Unterschlupf in der Moraht-Stiftung in Horn. Das war eine vom "Armen-Collegium zu Hamm und Horn" und mit Spenden erbaute Einrichtung, die u. a. "Freiwohnungen für arme alte Leute" zur Verfügung stellte.
Beide Kinder waren, wie in den Akten des Waisenhauses vermerkt wurde, bei der Aufnahme "völlig gesund", Erna allerdings hatte gerade einen "Lungenkatarrh", wohl also eine harmlose Erkältung mit Entzündung der oberen Atemwege. Nur Berthas Hauskinderakte blieb erhalten. Es darf jedoch als sicher gelten, dass Erna die Schule des Waisenhauses besuchte und sie so lange dort blieb, bis sie entweder in eine Pflegestelle gegeben werden konnte oder in ein Dienstverhältnis eintrat, höchstens jedoch bis zur Volljährigkeit mit 21 Jahren. So sahen es die Prinzipien des Hauses vor. Ein Entlassungsschein ist nicht überliefert.
Hier helfen die Unterlagen des Meldeamtes Alt-Hamburg weiter: Erna Behnckes Melderegister liegt vor für die Zeit vom 4.3.1892 bis zum 12.8.1904. Die erste Eintragung lautet: "Wohnung Waisenhaus". (Erna war also etwa 7 1/2 Jahre alt.) Der letzte Eintrag ist: "Seit 6.8.04. verh. mit Johann Carl Bogumil". Erna war nun zwanzig.

Die Meldekartei liefert eine Reihe sehr wichtiger Informationen zum Lebensweg Ernas in ihren frühen Jahren.
Als "Stand oder Beruf" ist ohne Datum angegeben "Plättlehrling, Dienstmädchen".
Der zweite Vermerk, den Aufenthalt betreffend, ist vom 29.5.1894: "Abgereist nach Grieben in Mecklenburg, Fam. C. Breest, Logis". Es folgt die Meldung vom 28.3.1900: "Waisenhaus". Das heißt, Erna war im Alter von etwa neuneinhalb Jahren in eine Familie gegeben worden, dort für sechs Jahre geblieben und ins Heim zurückgekehrt. Genaueres wissen wir nicht.
Am 27.7.1900 heißt es in der Meldekartei: Wohnung "Testorfstraße 3 bei Frau Buch-Pape". Am 18.11.1900 war Erna wieder im Waisenhaus, zum letzten Mal.
Man darf davon ausgehen, dass die Sechzehnjährige als vorbereitet genug für eine Berufstätigkeit galt und das Waisenhaus verließ. Am 18.1.1901 ist als Aufenthalt registriert "Alsterufer 5 bei Heinrich Traun". Heinrich Traun war kein Unbekannter in Hamburg. Der Fabrikant galt als Wohltäter, war dem Waisenhaus als Unterstützer verbunden und verhalf Erna offenbar zu einem Arbeitsplatz. Vier Wochen später war eine neue Adresse angegeben. Nach einigen wenigen Tagen war sie dann in der Moraht-Stiftung bei ihrer Mutter gemeldet. Hier blieb sie sechs Wochen und zog am 15.4.1901 zu einer neuen Stelle am Versmannkai, und so ging es weiter von Adresse zu Adresse.
Für die folgenden dreieinhalb Jahre, die in der Kartei erfasst sind, sind 32 weitere Wohnorte genannt, 24mal mit dem Zusatz "L" (Logis), das heißt: Erna Behncke führte als Minderjährige das unruhige, höchst unsichere und ungeschützte Leben der Dienstmädchen und Plätterinnen, die es damals zu Tausenden in einer Stadt wie Hamburg gab, und die heimatlos von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle zogen, von Logis zu Logis, oft elenden Löchern – wenn es denn gerade Beschäftigung für sie gab.
Sieben Mal verzeichnet die Kartei "Moraht-Stiftung, Zimmer 8, bei der Mutter". Hierher also zog sich Erna von Zeit zu Zeit zurück, vielleicht weil sie keine Arbeit hatte. Sie blieb zwischen wenigen Tagen und drei Monaten.

Die scharfen Gesetze Bismarcks "gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" waren 1890 zwar ausgelaufen, doch galten die Sozialisten und die Arbeiterbewegung insgesamt noch immer als eine Bedrohung für den Staat, auch in Hamburg, der, so hieß es damals, "heimlichen Hauptstadt des Sozialismus in Deutschland". Die Beamten der Meldebehörde (in der Praxis eine Abteilung der Polizei) hatten daher ein scharfes Auge auf das Verhalten der Ärmsten und das niedere Gesinde, "das Gesindel". In den zusätzlichen "Bemerkungen" der Meldekartei bezichtigten sie Erna neun Mal falscher Angaben (Am 11.6.1902: "Aufenthaltsbericht gefälscht. Hat unangemeldet Jürgenstraße 37 gewohnt."). Einmal, am 29.4.1904, drohten sie ihr wegen einer inkorrekten Angabe sogar mit der Staatsanwaltschaft.

Am 6. August 1904 heirateten, wie bereits kurz erwähnt, Erna und der vier Jahre ältere Johann Carl Bogumil (geb. 9.10.1880). Am 4. Oktober kam das gemeinsame Kind Rudolf Hermann Albert Bogumil zur Welt. Es lebte nur wenige Wochen und starb am 8. November.
Johann Carl kam wie Erna aus sehr engen und äußerst schwierigen Verhältnissen, und die Beiden kannten sich bereits seit ihrer Jugendzeit: aus dem Waisenhaus. Johann Carls Vater war Huf- und Wagenschmied und lebte mit seiner Familie am Kehrwieder 14 im Hinterhof. Dieses Quartier im Hafen war, dem Gängeviertel in der Neustadt vergleichbar, von übelster Wohnqualität und auf mehreren Stockwerken drängten sich arme Familien mit Scharen von Kindern. Das Hamburger Adressbuch von 1878 nennt für den Hof Nr. 14 dreißig Wohn-Parteien, man darf aber davon ausgehen, dass darüber hinaus hier weitere Einzelpersonen hausten, sei es in Logis, sei es als Schlafgast, der das Bett im Schichtwechsel mit anderen teilte. (Das Viertel wurde zwischen 1884 und 1888 für den Bau der Speicherstadt abgerissen.)
Johann Carls Vater, ebenfalls des Namens Johann Carl, war noch vor der Geburt des Sohnes mit 46 Jahren am 9. Mai 1880 gestorben. Er hinterließ vier weitere Kinder: Rudolf, Albert, Charles Christian Otto (geb. 31.8.1874) und Emma Auguste Henriette Bogumil (geb. 11.1.1878). Die Mutter, Georgine Margarethe Wilhelmine Bogumil, geb. Behring, verheiratete sich rasch erneut, starb aber bereits im März 1885. Johann Carl war gerade viereinhalb Jahre alt. Auf dem Weg über mehrere Kinderfrauen und Pflegeeltern kam er schließlich 1892, mit zwölf Jahren, zusammen mit dem Bruder Charles in das Waisenhaus an der Averhoffstraße.

Seine Hauskinderakte und die spätere Meldekartei der Stadt sind zum Teil erhalten. Es wird ein sehr mühseliges und ruheloses Leben sichtbar. Bis zu seiner Volljährigkeit 1901 blieb er unter der Obhut des Waisenhauses, war aber bis dahin als Tagelöhner, als Knecht auf Bauernhöfen oder als Lehrling bei verschiedenen, sich ablösenden Dienstherren außerhalb Hamburgs untergebracht – alle Arbeitsverhältnisse scheiterten. Einige Male lief er davon und wurde mit Gewalt zu seinem jeweiligen "Herrn" zurückgebracht. In den Berichten des Waisenhauses erscheint er als "unnütz", "völlig ungeschickt", "ungehorsam", "lügenhaft". Er selbst beschwerte sich in Briefen über schwere Prügel wegen Geringfügigkeiten, zum Beispiel einmal wegen des Zerbrechens eines Kaffeetopfes.
In der Hamburger Meldekartei wurde er von 1901 bis 1916 mit "Arbeiter" als Berufsangabe geführt. In diese Zeit fielen 35 Umzüge, meist Logis-Wechsel, einige nach Altona, einige in andere Orte außerhalb Hamburgs, so dass der Überblick nicht vollständig ist. Einmal war er für drei Monate "zur See abgereist", wiederholt wurde ihm angekreidet, sich "ohne festes Logis" in der Stadt aufgehalten zu haben, beispielsweise "vom 3.1. bis 15.3.1912". Wegen "Nichtvorlage eines Abgangs-Attestes wird der B. am 9.1.1904 mit sechs Mark Strafe und zwei Tagen Haft bestraft". (Vielleicht weil er die Geldstrafe nicht bezahlen konnte oder wollte, saß er dann allerdings vom 7. bis 12. März ein.)

Das Zusammenleben von Erna und Johann Carl kann insgesamt nur wenige Wochen gedauert haben. Nur zweimal waren sie für dieselbe Zeit unter der derselben Adresse gemeldet: vom 1.12.1904 bis zum 10.12.1904 in der Jakobstraße 21, 1. Stock, bei Schwarze (wobei Erna der Meldebehörde eine falsche Angabe machte, denn sie hatte sich nicht bei Schwarze eingemietet, sondern lebte bei Johann Carl – was ihr eine Rüge des Amtes einbrachte). Die andere gemeinsame Unterkunft, ebenfalls als Logis gekennzeichnet, ist laut beider Meldekarteien die Gustavstraße 2 IV/Halstenbek, bei Saß, für eine nicht genau zu bestimmende Zeit zwischen dem 26.5. und dem 19.10.1904. Spätestens jetzt, nach dem Tod des gemeinsamen Kindes, scheinen sich die Wege von Erna und Johann Carl völlig getrennt zu haben.
Für Jahrzehnte von Ernas weiterem Leben, bis 1940, sind in Hamburg keine dokumentarischen Unterlagen zu finden, vielleicht weil sie die Stadt verlassen hatte. Auch in Altona und in den zentralen Archiven der an Hamburg grenzenden Bundesländer konnten bislang keine Hinweise gefunden werden. Dass sie bis zur Scheidung von Johann Carl am 4.4.1910 mit unter seiner Adresse gewohnt haben könnte, ist wohl ausgeschlossen: Zwischen Eheschließung und Scheidung sind für ihn 15 verschiedene Wohnorte, stets "L" (Logis), verzeichnet. Die letzte Eintragung meldet, dass Johann Carl Bogumil am 20.5.1916 als Landsturmmann zum Heer eingezogen wurde. (Er starb am 10.7.1948 in Hamburg-St.Pauli.)

Dass das ehemalige Dienstmädchen Erna Behling, wenn auch nicht Krankenschwester, so doch Krankenpflegerin geworden war, ist belegt durch die Berufsangabe in der Heiratsurkunde ihrer Eheschließung mit August Friedrich Behling, ihrem zweiten Ehemann, am 21.9.1940. Auf einer technisch unzulänglichen Kopie eines aus dem Archiv der VVN verloren gegangenen Fotos unbekannten Datums ist Erna Behling in einem Kostüm zu sehen, das nach Auskunft der DRK-Schwesternschaft Hamburg eine frühere DRK-Tracht sein könnte, doch seien die eindeutigsten Hinweise nicht zu erkennen, nämlich das Rotkreuzabzeichen und die Schwesternbrosche.
Die Frage, wann und wie Erna zur Krankenpflegerin geworden ist und wo sie gearbeitet hat, ließ sich trotz intensiver Recherchen (DRK, ASB, Allgemeine Krankenhäuser, Beschäftigtenverzeichnisse der Stadt Hamburg etc.) nicht beantworten.
Eine staatliche Prüfung für Krankenpflegepersonal gab es in Hamburg erst seit 1908. Der Zugang zur Pflegetätigkeit war durch keine speziellen Bedingungen erschwert, so dass er auch einem Dienstmädchen gelingen konnte. Während des Ersten Weltkrieges wurde Pflegepersonal gesucht, besonders für die Arbeit im Lazarett. Vielleicht hatte Erna hier eine Chance gesehen, beruflich weiterzukommen. Die Ausbildung dauerte bis 1921 zunächst ein Jahr, dann zwei Jahre und beinhaltete größtenteils schwere Hausarbeit. In nahezu allen Krankenhäusern galt die Bestimmung, dass die Pflegekräfte Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen hatten und Kost und Logis beim Arbeitgeber erhielten. Der ausgezahlte Lohn war miserabel. Diese Verhältnisse änderten sich nur sehr langsam im Laufe von Jahrzehnten.
Der Schritt vom Dienstmädchen zur Krankenpflegerin war also nicht gewaltig, aber doch ein gewisser Fortschritt im sozialen Ansehen und es zeichneten sich Möglichkeiten zu weiterem Vorankommen ab, z. B. in der Fortbildung zur Hebamme. Diesen Beruf erwähnte August Behling einmal kurz 1946 in einem Fragebogen. Auch frühere Nachbarn in den Terrassen am Falkenried/Löwenstraße 5, wo Erna mit August seit 1940 lebte, glauben sich an diese Tätigkeit Ernas zu erinnern.
August Friedrich Behling (geb. 3.10.1871 in Bückeburg, gest. 3.8.1963 in Hamburg) hatte das Schneiderhandwerk erlernt. 1889 war er achtzehnjährig nach Hamburg gekommen. Nach seinen eigenen – nicht immer völlig übereinstimmenden – Angaben für das "Komitee ehemaliger politischer Häftlinge", dem Vorläufer der VVN, und im Wiedergutmachungsverfahren nach dem Kriege war er 1897 in die SPD eingetreten, 1918 in die Gewerkschaft für Bekleidungsarbeiter. Im Ersten Weltkrieg diente er bei der Artillerie. 1920 (oder 1922?) verließ er die SPD, trat der KPD bei und blieb deren Mitglied bis zu ihrem Verbot 1933. Er nahm an Aktionen teil, so an einer Demonstration 1931 am Holstenplatz, die mit einer Schießerei endete. Er bekam Treffer an Schenkel und Rücken und wurde im Allgemeinen Krankenhaus (AK) Eppendorf behandelt.
1933 brach er sich bei einem Unfall eine Ferse. Beide Verletzungen hinterließen bleibende Schäden.
Als die Nationalsozialisten im März 1933 massenhaft Kommunisten verhafteten, gehörte August Behling "wegen Zugehörigkeit zur KPD und Verdacht auf illegale Betätigung" dazu. Er blieb bis Juni 1933 in Fuhlsbüttel.
Im selben Jahr starb seine erste Frau Anna, geb. Wulf, mit der er seit 1897 verheiratet war und die ihm neun Kinder geboren hatte. Auch sie war, nach Augusts Angaben, KP-Mitglied.

Seit August Behling in Hamburg lebte, war er trotz mehrerer Umzüge stets in dem Gebiet Gärtnerstraße, Neumünstersche Straße, Wrangelstraße geblieben. Seit 1940 wohnte er in der Löwenstraße 5 A, erster Stock, dem Eckhaus zu den Falkenried-Terrassen. Hier in seinem angestammten Revier hatte er als Schneider zu seinen Kunden und als aktiver Kommunist vielfältige Kontakte aufgebaut, die die spätere konspirative Arbeit ermöglichten. Hinzu kam nun, 1940, Erna.
In Behlings Wohnung trafen sich außer den aktiven Gegnern des NS-Regimes wie Paul und Margit Zinke aus dem Falkenried, Franz Reetz oder Adolf Wissmüller, die zugleich an der Arbeit der Widerstandsgruppe Bästlein-Jacob-Abshagen mitwirkten, auch politisch weniger engagierte, aber zum Hitler-System distanziert eingestellte Nachbarn und gute Bekannte (Johanna Baumgarten, Hermine Marr, Christian Mannshart, Thomas Jensen, Ingeborg Keilitz und andere). August Behling besaß ein empfangsstarkes Radiogerät, das Graetz 51 GW. Bei den Treffen wurden die "Feindsender" abgehört, die Lage besprochen und Schlüsse für das weitere Verhalten gezogen.
Mitte November 1944 wurde Paul Zinke verhaftet. Am 1. Dezember holte die Gestapo August und Erna Behling, Johanna Baumgarten, Franz Reetz und Adolf Wissmüller. Im Februar 1945 wurde Margit Zinke festgenommen. Die Vorwürfe lauteten u. a. auf "Politische Umtriebe", "Vorbereitung zum Hochverrat", "Abhören feindlicher Radiosender und Verbreitung des Gehörten". Die Verhafteten kamen in das Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel, im Volksmund das Kolafu genannt.

Aber warum war die Gruppe aufgeflogen?
Für die Hamburger Gestapo arbeitete seit 1940 ein äußerst aktiver, einfallsreicher und durchtriebener Agent, eine schreckliche und letztlich vielleicht sogar tragische Gestalt: Alfons Pannek (geb. 30.3.1907 in Hamburg, gest. 20.2.1995 in Lübeck). Er war 1924 in den Kommunistischen Jugendverband (KJVD) eingetreten, 1930 dann in die KPD. Unter anderem hatte er am Spanischen Bürgerkrieg in den Reihen der 11. Internationalen Brigade teilgenommen und 1938/39 in Prag eine wichtige Rolle im "Salda-Komitee" gespielt, einer Hilfsorganisation der KP für deutsche Flüchtlinge. Er wurde von der Gestapo verhaftet, gefoltert, unter Druck gesetzt und schließlich "umgedreht". Getarnt als Mitarbeiter einer Leihbücherei mit ambulantem Lieferdienst und vorgeblich mancher verbotenen Rarität in seinem Geheim-Angebot und mit seinem Ansehen als alter Klassen- und Spanienkämpfer machte er sich an die Genossen von früher heran, hielt ihnen aufrührerische Reden, bespitzelte sie und kam so auf weitere Spuren. Darüber hinaus gelang es ihm sogar, sie zu verbotenen Aktionen zu animieren, um seine Erfolgsbilanz bei der Gestapo zu steigern. Im Laufe der Zeit baute er einen Stab von weiteren Spitzeln auf und richtete für die gemeinsame Arbeit in aller Öffentlichkeit, im Wendloher Weg 13, ein Büro ein, eine Nachrichtenzentrale, die als "Übersetzungsbüro" firmierte.
Er lieferte Dutzende von Nazi-Gegnern ans Messer. Zeitweilig war er der Gestapo unersetzlich beim Aufrollen und Vernichten des Hamburger Widerstandes oder oppositionellen Gruppierungen. Ihm hatte ein so erfahrener Widerständler wie Paul Zinke vertraut und ihm einiges erzählt, was mit zu den Verhaftungen geführt haben dürfte.
Alfons Pannek hatte seine Hände dann auch im Spiel bei der Zusammenstellung der eingangs erwähnten Liste mit den 13 Frauen und 58 Männern, die im April 1945 in Neuengamme ermordet wurden, darunter aus der Gruppe bei Behlings Erna Behling, Paul Zinke, Margit Zinke, Franz Reetz.

Als die britischen Truppen auf Hamburg zurückten, beschloss die Stapo-Leitstelle Hamburg, das Gefängnis Fuhlsbüttel zu räumen. Die Häftlinge wurden in drei Gruppen eingeteilt: Die "leichteren Fälle" sollten sofort entlassen, "erklärte Regimegegner" in andere Lager oder Gefängnisse verlegt und die "nicht tragbaren Elemente" unbedingt liquidiert werden.
August Behling wurde der zweiten Gruppe zugerechnet und, obwohl mit der lädierten Ferse gehbehindert, Anfang April 1945 auf Fußmarsch in das Lager Kiel-Hassee geschickt. Hier blieb er bis zum 26. April, dem Tag der Befreiung des Lagers durch die Briten.
Warum Erna im Gegensatz zu ihm auf die Liste der zu Tötenden kam, kann nur vermutet werden. Wir wissen nicht, wie die Mord-Liste wirklich zustande kam, wer sie definitiv in Auftrag gab und zum Schluss abzeichnete. Dies konnte auch in den großen Prozessen der Britischen Militärgerichtsbarkeit 1946/47 im Curio-Haus (daher der Name Curio-Haus-Prozesse) gegen Beamte und Mitarbeiter der Hamburger Gestapo, des Polizeigefängnisses Fuhlsbüttel und des KZ Neuengamme nicht geklärt werden. Auch die späteren Verfahren vor dem Hamburger Landgericht/Schwurgericht brachten keine Klarheit. Die Gestapo hatte alle schriftlichen Unterlagen vernichtet, in den Gerichtsverfahren beteuerten alle Angeklagten ihre Unschuld und schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Mitgewirkt an der Zusammenstellung der Liste hatten mehrere Büros der Gestapo, mit Sicherheit der seinerzeitige Hamburger Höhere Polizei- und SS-Führer (HSSPF) Georg Henning Graf von Bassewitz-Behr, die Gestapobeamten und Kriminalkommissare Adolf Bokelmann, Albert Schweim, Emil Eggers, der Gestapo-Mann Kriminalsekretär Henry Helms, die Gestapo-Angestellte und Mitarbeiterin in Panneks "Übersetzungsbüro" Helene Reimers und, in einer offensichtlich sehr aktiven Rolle: Alfons Pannek. Vor allem ihm ging es darum, Zeugen seiner Untaten und die seiner Mitarbeiter verschwinden zu lassen.
Als die 13 Frauen am 20. April in Fuhlsbüttel den Lastwagen bestiegen, waren sie – so überlieferte es Ellen Katzenstein, die letzte "Kalfaktorin" des Frauengefängnisses im Kola-Fu – guter Stimmung. Sie gingen davon aus, sie seien, vielleicht über einen Zwischenaufenthalt in dem kleineren Gefängnis An den Hütten, auf dem Weg in die Freiheit.
Doch in der Nacht des 22. April wurden sie in Neuengamme, in zwei Gruppen zu je sechs, in dem schmalen Mittelgang des Arrest-Bunkers, nackt, mit dem Strick um den Hals, eine nach der anderen, von SS-Männern des Lagers zu den Haken an der Wand hochgehoben, eingehängt und nach unten gezogen, also stranguliert. Der Dreizehnten – wer es war, ist nicht mit Sicherheit bekannt – gelang es zunächst, sich in einer der Zellen unter einer Bank zu verstecken, sie wurde aber entdeckt und erschlagen.
Die Männer, die in den folgenden Nächten ermordet werden sollten, waren nicht bereit, sich kampflos umbringen zu lassen. Im Bunker gingen sie gegen ihre Mörder vor und schlugen mit den Trümmern einer Holzbank auf sie ein. Dabei verletzten sie den Lagerkommandanten Thurmann. Auf seinen Befehl wurden nun Handgranaten in den Bunker geworfen. Die noch immer Lebenden wurden erschossen oder, wie die Frauen, stranguliert.

Alle 71 Tote wurden im Krematorium des Lagers verbrannt. Wo ihre Asche verblieben ist, ist unbekannt.

Erna Behling wurde 60 Jahre alt. An sie erinnert außer dem Stolperstein auch eine Straße in Allermöhe, die Erna-Behling-Kehre.

Dank an die "Sektion Historische Pflegeforschung in der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaften" und das "Netzwerk Pflegegeschichte beim Hilde-Steppe-Archiv (Frankfurt)" (Januar 2014)

Stand: Januar 2016

© Johannes Grossmann

Quellen: StaH 551-11 AfW 1819 August Friedrich Behling; StaH 332-5 Standesämter 4078/1884 sowie 446/1904, 4313/1880, 1669/1880, 4181/1948; StaH 345-1/Hauskinderakten, 1890, 23-27 (Behncke) sowie 1892-1191 (Bogumil); StaH 332-8 Meldewesen, A 30, K 4215 (Meldekartei Erna Behncke), A 50/1 4983 D2 (Erna Behling), A 30, K 4265 (Johann Carl Bogumil); StaH 731,6 Zeitgeschichtliche Sammlung IV 3 , Polizeibehörde Hamburg, Liste der nach den Umsturzbewegungen vom Oktober 1923 verurteilten Personen; StaH 213-11/2694-56 Strafverfahren des Landgerichts Hamburg/Schwurgericht I gegen Henry Helms und Andere, 1947–1949, ("Gestapo-Verfahren"), 22 Bände; Neuengamme Concentration Camp Case (Brit. Militärgerichtsverfahren im Curio-Haus Hamburg 1946/47): Public Record Office (PRO), Kew bei London, War Office (WO) 235/Judge Advocate General´s Office (JAG) 145, 182, 156. Ein Teil der kopierten Dokumente ist archiviert in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Verfahren des Britischen Militärgerichts vom März bis Mai 1946 in Hamburg gegen die Hauptverantwortlichen des KZ Neuengamme, drei Bände, Hrsg. Freundeskreis e.V., Hamburg 1969; Hamburger Adressbücher (1875–1945); Hamburger Adressbücher, 1892, S. 1132 und 1135 (Stiftungen: Morath-Stiftung, Waisenhaus); Ploetz, Geschichte des Zweiten Weltkriegs, Würzburg 1960, 1. Teil: Die militärischen und politischen Ereignisse; Hermann Kaienburg, Die britischen Militärgerichtsprozesse zu den Verbrechen im Konzentrationslager Neuengamme, in: Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Hrsg. KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Band 3, Bremen 1997, Seite 56 ff.; Rainer Schulze, Zur Quellenüberlieferung in britischen Archiven, ebd., S. 110–119; Herbert Diercks, Der Einsatz von V-Leuten im Sachgebiet "Kommunismus" der Hamburger Gestapo 1943 bis 1945, ebd., Band 15, Bremen 2013, S. 119–135; Gertrud Meyer, Nacht über Hamburg/Berichte und Dokumente 1933-1945, Frankfurt/Main 1971, S. 103–109; Ursel Hochmuth/Gertrud Meyer, Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand, Frankfurt/Main 1980, S. 386; Ursula Puls, Die Bästlein-Jacob-Abshagen-Gruppe/Bericht über den antifaschistischen Widerstand in Hamburg und an der Wasserkante während des Zweiten Weltkrieges, Berlin 1959; Hanna Elling, Frauen im deutschen Widerstand 1933–1945, Frankfurt/Main 1981; Joachim Paschen, Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt/Der kommunistische Griff nach der Macht im Oktober 1923, Frankfurt/Main 2010; Larissa Reissner, Hamburg auf den Barrikaden/Erlebtes und Erhörtes aus dem Hamburger Aufstand 1923, Berlin 1924, Nachdruck Königstein 1979; Heinz Habedank, Zur Geschichte des Hamburger Aufstandes 1923, Berlin (Ost) 1958; Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH) /Archiv, 322-28, Innere Unruhen in Hamburg Oktober 1923; Karin Wittneben, Erna Behling, in: Hubert Kolling (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte/"Who is who in nursing history", Band 4, München/Jena 2008; Johannes Grossmann, Erna Behling, ebd. Band 7, Nidda 2015; Karin Wittneben, Erna Behling, in: Horst-Peter Wolff (Hrsg.), Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte, Band 2, München 2001; Heidrun Dreyling-Riesop, Erna Behling, in: www.gerechte-der-pflege.net (eingesehen am 7.5.2013); Claudia Bischoff, Frauen in der Krankenpflege/Zur Entwicklung von Frauenrolle und Frauenberufstätigkeit im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1992; Hilde Steppe, Krankenpflege im Nationalsozialismus, 1989; Stefan Lorenzen, Erna Behling, Seminararbeit für das Multimedia-Personenlexikon "Politisch Verfolgte in Hamburg 1933–1945" am Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Uni Hamburg, April 2004, veröffentlicht 2005; Angelica Griem, Hamburger Kaufmannsträume/Die Hamburger Speicherstadt, Heidelberg 1982; Mündliche Auskünfte von: Albert Lohrberg/Hamburg, Mai 2013; Herbert Diercks (KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Mai 2013; E-Mail-Auskünfte von: Brigitta Frucht, ASB-Bundesverband/Archiv, Köln, 11.1.2012; Anja Selassie, ASB Hamburg, 9.1.2012; Anja Peters, Netzwerk Pflegegeschichte beim Hilde-Steppe-Archiv, Frankfurt, 9.1.2012; Mathilde Hackmann, Netzwerk Pflegegeschichte, 10.1.2012; Inke Worgitzki, Fachhochschule Frankfurt, University of Applied Studies, Historische Sondersammlung Soziale Arbeit und Pflege, 9.1.2012; Felice Frey, DRK-Generalsekretariat, Berlin, 2.11.2011; Susanne Tamm, DRK-Schwesternschaft Hamburg, Mails vom 4.11.2011 und 28.10.2015; Kathrin Blankenburg, DRK-Suchdienst Standort Hamburg, 24.10.2011; Eva Stoewer, Internationaler Suchdienst (ITS) Bad Arolsen, 19.12.2011.

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