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Porträt Berta Mendel, 1937
Berta Mendel, 1937
© LAS

Berta Mendel * 1903

Herrengraben 31 (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
BERTA MENDEL
JG. 1903
EINGEWIESEN
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Berta Mendel, geb. 6.7.1903 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Neustadt, Herrengraben 31 (früher Herrengraben 37)

Berta Mendel, geboren am 6. Juli 1903 in Hamburg, war die jüngste Tochter des Kohlenhändlers Nathan Seligmann Moses Mendel und seiner Ehefrau Julie, geborene Leers.

Nathan Seligmann Moses Mendel kam am 17. September 1853 in Altona zur Welt. Julie Leers wurde am 11. August 1860 ebenfalls dort geboren. Sie heirateten am 27. März 1885 in ihrer Geburtsstadt. Beide gehörten dem jüdischen Glauben an.

Mit drei Kindern, Franziska, geboren am 18. November 1885, Clara, geboren am 9. Juli 1887, und Moses, geboren am 31. August 1888, zog die Familie im Mai 1890 in die Straße Herrengraben 39 in der Hamburger Neustadt, wo Nathan Seligmann Mendel bis zu seinem Lebensende einen Kohlenhandel betrieb. Der Kohlenhandel scheint erfolgreich verlaufen zu sein, denn Nathan Seligmann Mendel erweiterte den Geschäftsbetrieb und erwarb das Haus Herrengraben 39 hinzu. Die Adresse der Familie lautete nun Herrengraben 37/39. Hier setzte sich der Familienzuwachs mit der Geburt von acht Kindern fort: Gertha wurde am 8. Oktober 1890 geboren, Wolf am 16. März 1892, Minna am 20. Januar 1894, Philipp am 1. Juni 1895, Marianne am 11. Oktober 1896, Harry am 20. September 1898, Rosa am 12. Februar 1900 und Berta am 6. Juli 1903. Mit Ausnahme von Berta entwickelten sich alle Kinder unauffällig.

Der Vater Nathan Seligmann verstarb am 19. Februar 1911, die Mutter Julie am 18. März 1921 in einem Sanatorium in Oberneuland bei Bremen. Beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt.

Berta Mendel blieb unverheiratet. Sie arbeitete als Hausangestellte in Reinfeld im Kreis Stormarn. Ein dort ansässiger praktischer Arzt wies sie am 1. März 1937 in die Landesheilanstalt Neustadt in Holstein ein. Seine Diagnose ist nicht überliefert. Laut ihrer Krankenakte, bestehend aus nur sechs Blättern, soll sie an "Wahnindeen" und "Personenverkennungen" gelitten haben. Aus der Landesheilanstalt Neustadt wurde Berta Mendel am 12. oder 13. September 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn gebracht.

Die Überführung in die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg- Langenhorn hatte folgenden Hintergrund: Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Jüdinnen und Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in Zwischenanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Zwischenanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Jüdinnen und Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Nachdem alle jüdischen Patienten aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Patienten am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel gebracht.

Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Menschen umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Wir wissen nicht, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Berta Mendels Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patientinnen und Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Die Lebensgeschichten von Berta Mendels zahlreichen Geschwistern und deren Familienangehörigen werden ausführlich in dem Buch "Stolpersteine in Hamburg-Neustadt" unter "Julie, Minna, Rosa Heilbut" beschrieben und auch im Internet unter www.stolpersteine-hamburg.de veröffentlicht. Deshalb folgt hier nur ein kurzer Überblick:
Franziska, Bertas älteste Schwester, verheiratet mit dem evangelisch-lutherischen Max Robert Rüdiger, wurde am 14. Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert und erlebte dort ihre Befreiung.

Clara Mendel heiratete 1920 den ebenfalls jüdischen Möbelhändler Julius Nathan. Das Ehepaar bekam am 30. Mai 1924 einen Sohn, Henry. Die Familie wurde am 25. Oktober 1941 in das Getto Litzmannstadt (Łódź) deportiert, wo Julius Nathan am 21. Mai 1944 ums Leben kam. Clara Nathan wurde am 23. Juni 1944 ins Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) weiterdeportiert und dort am selben Tag ermordet. Henry Nathan überlebte als einziger seiner Familie.

Moses Mendel blieb ledig. Er fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg am 24. April 1915 bei St. Remy in der Provence in Frankreich.

Bertas Schwester Gertha heiratete Ludwig Seligsohn und bekam mit ihm fünf Kinder, von denen drei im Säuglingsalter starben. Ludwig und Gertha Seligsohn, die zuletzt in das "Judenhaus" in der ehemaligen Kleinen Papagoyenstraße 11 in Hamburg-Altona eingewiesen worden waren, kamen mit ihrem dreizehnjährigen Sohn Walter am 8. November 1941 in einen Transport in das Getto von Minsk und wurden wahrscheinlich dort ermordet. Hermann Seligsohn, Berta Mendels Neffe, wurde wie sie am 23. September 1940 in die sogenannte Landes-Pflegeanstalt Brandenburg an der Havel verschleppt und dort am selben Tag mit Kohlenmonoxyd ermordet. Ob sich Berta Mendel und Hermann Seligsohn kannten, ist nicht überliefert. Hermann Seligsohns Biographie findet sich in diesem Band.

Wolf Mendel war mit Wanda Gonsiorowski verheiratet. Über gemeinsame Kinder ist nichts bekannt. Er starb am 24. April 1937 im Israelitischen Krankenhaus. Wanda Mendels Schicksal ist nicht bekannt.

Minna Mendel hatte 1925 den ebenfalls jüdischen Jacob Gottschalk Simon Heilbut geheiratet. Das Ehepaar hatte zwei Töchter, die am 12. August 1934 geborene Julie Elfriede und die am 12. Dezember 1935 geborene Rosa Charlotte. Minna Heilbut und ihre Töchter wurden am 8. Dezember 1941 nach Riga deportiert und kamen dort ums Leben. Jacob Gottschalk Simon Heilbut war während der sogenannten Juni-Aktion 1938 in "Schutzhaft" genommen worden. Er kam frei mit der Auflage, Deutschland umgehend zu verlassen. Ihm gelang die Flucht nach England.

Marianne Mendel lebte bei ihrer Schwester Gertha Seligsohn und deren Familie in der Straße Cremon 24. Sie starb am 8. Mai 1923 im Israelitischen Krankenhaus.

Rosa Mendel emigrierte in die USA. Ihre Brüder Harry und Philipp Mendel waren am 9. November 1938 im KZ Sachsenhausen inhaftiert und mit der Auflage freigelassen worden, Deutschland zu verlassen. Ihre Schwester Rosa ermöglichte Harry und Philipp sowie dessen Ehefrau Auguste, geborene Stein, und deren Sohn die Einreise in die Vereinigten Staaten.

Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 6; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 13927 Geburtsregister Nr. 164/1903 Berta Mendel; Landesarchiv Schleswig LAS Abt. 377 Nr. 9067; schriftliche Auskunft des ehemaligen Arztes des Heilanstalt Neustadt Dr. Friedrich Ernst Struwe, vom 31.1.2017. Faludi, Christian, Die Juni-Aktion 1938, Frankfurt 2013. Struwe, Friedrich Ernst, Landesheilanstalt Neustadt in Holstein. Berichte aus den Jahren 1918–1945, Heiligenhafen 2013. (Quellenangaben zu Berta Mendels Geschwistern siehe demnächst in "Stolpersteine in Hamburg-Neustadt", Julie Heilbut und andere).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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