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Wilma Landshöft * 1913

Eilbeker Weg 83 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
WILMA LANDSHÖFT
JG. 1913
EINGEWIESEN
HEIL-UND PFLEGEANSTALT
LANGENHORN
"VERLEGT" 1943
HEILANSTALT
MESERITZ-OBRAWALDE
ERMORDET 17.4.1943

Wilma Landshöft, geb. am 22.3.1913 in Hamburg, verlegt in die Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde am 9.4.1943, ermordet am 17.4.1943

Eilbeker Weg 83

Bei Wilma Landshöfts Aufnahme in der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn im März 1943 wurde auf dem Aktendeckel vermerkt "Vater Jude!". Inwieweit dieser Hinweis für ihr Schicksal entscheidend wurde, lässt sich nicht feststellen. Sicher ist, dass Wilma vor ihrer Verlegung nach Meseritz-Obrawalde nicht in die Sondermaßnahmen für Juden im Sinne der Nürnberger Rassengesetze einbezogen wurde.

Wilma Landshöft war das fünfte und jüngste Kind der Eheleute Martha Landshöft, geborene Wierig, geboren am 11. Mai 1883, und Wilhelm Engelhard Landshöft, einem kaufmännischen Angestellten. Wilhelm Landshöft war am 19. September 1874 als Sohn eines jüdischen Vaters und einer evangelischen Mutter in Hamburg zur Welt gekommen, so dass er nach traditionellem jüdischem Verständnis kein Jude war. Er wurde jedoch im jüdischen Glauben erzogen und schloss sich der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg an. Sein Vater, Friedrich Landshöft, war Arbeiter, seine Mutter Caroline, geborene von der Wall, nannte sich "von der Walde". Die evangelische Martha Landshöft behielt ihren Glauben bei und blieb Mitglied der evangelischen Kirche, ihre Kinder wurden ebenfalls Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirche.

Wilmas Großeltern mütterlicherseits waren der Steindrucker Richard Wierig und seine Ehe­frau Auguste Johanna Rebecka, geborene Ellerbrock. Als Achtzehnjährige wurde deren Tochter Martha, Wilma Landshöfts Mutter, wegen Krampfanfällen und Wahnideen in die "Irrenanstalt" Friedrichsberg eingewiesen und nach Abklingen der Symptome wieder zu ihren Eltern entlassen. Familie Wierig zog nach Eilbek in den Peterskampweg, wo Martha auch noch bei ihrer Eheschließung mit dem neun Jahre älteren Handlungsgehilfen Wilhelm Landshöft am 19. Oktober 1905 wohnte. Als sich die Familie vergrößerte, zog er mit seiner Ehefrau Martha ebenfalls nach Eilbek, Eilbeker Weg 83.

Als erstes Kind wurde 1906 eine Tochter geboren, die nach ihrer Mutter den Namen Martha erhielt. In der Ehe gab es Schwierigkeiten, weshalb Martha Landshöft in der Folgezeit für fünf Monate zurück zu ihren Eltern zog. 1908 brachte sie Zwillinge zur Welt, die Jungen Wilhelm jun. und F. und im folgenden Jahr einen weiteren Sohn, Rudolf. Schließlich wurde am 22. März 1913 die Tochter Wilma geboren.

Über Wilmas Kindheit und Jugend ist nichts Näheres bekannt. Ihre Mutter erkrankte tödlich an Unterleibskrebs, ihr Vater litt an den Folgen einer Syphilis. Als Wilma Landshöfts Mutter am 9. Juli 1919 im Allgemeinen Krankenhaus Eppendorf starb, hinterließ sie fünf Kinder, von der sechsjährigen Wilma bis zur 13-jährigen ältesten Tochter. Vermutlich versorgte letztere zusammen mit anderen Familienangehörigen, insbesondere den Großeltern, die jüngeren Geschwister. Wilhelm Landshöft ging eine zweite Ehe ein, wiederum mit einer Nichtjüdin, die kinderlos blieb und geschieden wurde. Als Wilma vierzehn Jahre alt war, starben die Großmutter Caroline Landshöft und der Großvater Richard Wierig. Wilhelm Landshöfts finanzielle Situation verschlechterte sich mit der Weltwirtschaftskrise, und er blieb erwerbslos bis zum Eintritt ins Rentenalter im Jahr 1939.

Offenbar erfuhr Wilma Landshöft keinerlei Schulung oder sonstige Förderung, denn als sie am 29. März 1935, mit 22 Jahren, in den damaligen Alsterdorfer Anstalten aufgenommen wurde, war sie in vielerlei Hinsicht hilflos und zeigte Verhaltensweisen, die wir heute als Hospitalismus bezeichnen würden. Wilma konnte nicht sprechen, machte aber mit den ihr eigenen Lauten ihre Wünsche deutlich. Die sie pflegenden Personen vermerkten, dass Wilma keinen Kontakt zu ihnen entwickele und keine anderen Beschäftigungen verfolge, als alles Erreichbare zu zerreißen oder zu zerbeißen und anschließend das Zerkaute zu verschlucken.

Inwieweit die Familie den Kontakt zu ihr aufrecht erhielt, geht aus den spärlichen Unterlagen nicht hervor. Der Bruder F. blieb im Bereich Eilbek wohnen, während der Vater nach der Scheidung mehrfach umzog und bei der Volkszählung im Mai 1939 mit Wilmas älterer Schwester in der Rentzelstraße im Grindelviertel lebte. Die Brüder Wilhelm und Rudolf waren bereits verstorben, und 1941 starb auch die Großmutter Wierig.

Zwischen 1940 und 1945 entlasteten sich die damaligen Alsterdorfer Anstalten von über fünfzig zumeist schwer kranken oder schwierig zu pflegenden Patienten und Patientinnen durch deren Verlegung nach Langenhorn. In einem Zustand großer Hilflosigkeit wurde auch Wilma Landshöft am 9. März 1943 von "Alsterdorf" mit einem Sammeltransport von acht Frauen in die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn verlegt. Bei ihrer Aufnahme wurde – wie zu Anfang erwähnt – auf dem Aktendeckel unübersehbar vermerkt "Vater Jude". Es gibt keinen Hinweis darauf, ob die Tatsache, dass sie ein "jüdischer Mischling zweiten Grades" war, für den Umgang mit ihr irgendwelche Auswirkungen hatte. Nach einer kurzen Eingewöhnungszeit konnte Wilma einige Stunden außerhalb des Bettes verbringen und allein essen. Als Diagnose wurde "Idiotie" angegeben.

In den Heil- und Pflegeanstalten war mit Kriegsbeginn im Herbst 1939 das "Euthanasie"-Programm T4 auf den Weg gebracht und im August 1941 offiziell eingestellt worden. Unter dem Druck, Raum für Kriegsopfer verschiedener Art bereitstellen zu müssen, begann Anfang 1943 eine neue Welle von Verlegungen in weniger luftgefährdete Gebiete. Im Hamburger Raum diente dabei die Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn als Sammelstelle und Zwischenanstalt. Durch Vermittlung der Hamburger Gesundheitsverwaltung und der T4-"Euthanasie"-Zentrale in Berlin wurden der Anstaltsleitung 50 Plätze für Männer in der Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde in Pommern, ca. 180 km östlich von Berlin in Aussicht gestellt. Die Modalitäten der Verlegungen seien zwischen beiden Anstalten direkt zu verhandeln. Aufgrund von Missverständnissen zwischen ihnen und verschiedenen Stellen in Berlin wurden in drei Transporten insgesamt 100 Männer und 50 Frauen nach Meseritz-Obrawalde verlegt.

Nach nur einem Monat Aufenthalt in "Langenhorn" wurde Wilma Landshöft am 9. April 1943 mit dem dritten Transport nach Meseritz-Obrawalde verlegt. Ob dafür ihre Arbeitsunfähigkeit und große Pflegebedürftigkeit, die schlechte Prognose, fehlender Kontakt zu ihren Angehörigen oder auch ihre jüdische Herkunft eine Rolle spielte, ließ sich nicht klären.

In Meseritz-Obrawalde waren Einfügung und Arbeitsfähigkeit überlebenswichtig, weshalb ihre Überlebenschancen dort äußerst gering waren. Sie wurde bereits am 17. April 1943 ermordet. Als offizielle Todesursache wurde "Brustfellentzündung nach dreitägiger Krankheitsdauer" angegeben. Höchstwahrscheinlich war ihr in einem der speziell zum Zweck der Ermordung hergerichteten Räume in Haus 6, 8 oder 9 auf der Frauenseite der Anstalt durch das Pflegepersonal ein Medikament wie Morphium oder Luminal in tödlicher Dosis gespritzt worden. Wilma Landshöft wurde dreißig Jahre alt und auf dem Anstaltsfriedhof in einem Massengrab beigesetzt.

Wilmas Vater Wilhelm war inzwischen im Männerheim der Heilsarmee in der Gustavstraße 10–12 in St. Georg untergebracht worden. Dort soll er ausweislich des Sterberegisters beim "Feuersturm" am 28. Juli 1943 erstickt sein. Tatsächlich starb er, ebenfalls amtlich beurkundet, altersschwach und altersverwirrt, im Dezember 1945 im Versorgungsheim Farmsen. Wilma war nicht völlig vergessen: Ihre Schwester erkundigte sich Anfang der 1960er Jahre von außerhalb Hamburgs in "Langenhorn" nach ihrem Ergehen. Die Spuren des Bruders F. verlieren sich mit seinem Umzug nach Schleswig-Holstein im Jahr 1940.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; Ev. Stiftung Alsterdorf, Archiv, Aufnahmebuch; StaH 213-12 Staatsanwaltschaft Landgericht, NSG 0013/001; 332-5 Standesämter 2043-2087/1883, 3042-718/1905, 9775-1914/1919, 1210-1452/1944, 4294-582/1945; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1995/1, 31302 und 31 305 (Anna Bollhagen) darin: Erbgesundheitskarteikarte, 31307 (Wilma Landshöft); 522-1 Jüdische Gemeinden, 350 Wählerverzeichnis 1930; Rönn, Peter von, Die Entwicklung der Anstalt Langenhorn in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Böhme, Klaus, Uwe Lohalm, Hg., Wege in den Tod; Wunder, Michael, Die Transporte in die Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde, in: Wege in den Tod.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link Recherche und Quellen.

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