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Porträt Anuta Sakheim
Anuta Sakheim, o. D.
© Sammlung Wilfried Weinke

Anuta Sakheim (geborene Plotkin) * 1896

Eilbeker Weg 29 (Wandsbek, Eilbek)


HIER WOHNTE
ANUTA SAKHEIM
GEB. PLOTKIN
JG. 1896
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT
NACH PALÄSTINA
FLUCHT IN DEN TOD
AUGUST 1939

Anuta Sakheim, geb. Plotkin, geb. am 15.2.1896 in Lodz, Suizid August 1939 in Tel Aviv

Eilbeker Weg 29

Am 7. Oktober 1919 meldete sich die ledige 23-jährige Bankbeamtin Anuta Plotkin in Hamburg unter der Adresse Mittelweg 143 III bei Abraham (genannt Aby) Süsskind, einem jüdischen Kaufmann russischer Herkunft, an.

Anuta Plotkin war am 15. Februar 1896 in Lodz geboren worden, besaß die russische Staatsangehörigkeit und gehörte der "mosaischen" Religion an. Sie war zwei Tage zuvor aus Königsberg gekommen und hatte offenbar keine Verwandten in Hamburg. Nach nur zwei Wochen zog sie in die Hansastraße 55 zu Morduch Markus Sakheim, einem Gemüsehändler, und dessen Familie. Sie blieb dort bis Januar 1920 und lebte danach in Untermiete in der Rappstraße 12 bei Sophie Behrens. Zehn Wochen später begann ihr mit acht Monaten längster Aufenthalt in dieser ersten Phase ihres Lebens in Hamburg bei Otto Boedecker in der Rappstraße 21. Am 27. November 1920 meldete sie sich nach Berlin-Wilmersdorf ab. Außer ihren Umzügen ist nichts über dieses Hamburger Jahr bekannt. Im folgenden Jahr kehrte sie als verheiratete Sak­heim für fünf Jahre nach Hamburg zurück. Sie hatte inzwischen den Sohn eines ihrer Vermieter, Dr. phil. Arthur Sakheim, in Königsberg geheiratet.

Arthur Sakheim, geboren am 27. Oktober 1884 in Libau in Lettland, war 1895 mit seinen Eltern Morduch Markus und Rosalie Sakheim, geborene Mowschensohn, und seinen beiden jüngeren Geschwistern Leon und Jeanette nach Hamburg gekommen. Dort betrieb Morduch Markus Sakheim einen Handel mit Vegetabilien (pflanzliche Nahrungsmittel) und Saaten in der Heinrich-Barth-Straße 11. Sohn Arthur studierte Philosophie, Philologie und Theaterwissenschaft in Berlin, Leizig und Zürich und promovierte 1908 mit Studien über E.T.A. Hoffmanns Persönlichkeit und Werke.

In den folgenden Jahren schrieb er Theaterkritiken, u. a. für "Die Schaubühne", Essays, Gedichte, einen Roman und Schauspiele, die im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg und im Thalia-Theater aufgeführt wurden. 1914 trat er in die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburg ein und zahlte während der Kriegsjahre seine Beiträge. Nach Ende des Krieges geriet er damit zeitweilig in Verzug.

1921 beantragte Arthur Sakheim die Aufnahme in den Hamburgischen Staatsverband, am 24. Juni 1921 erhielt er die entsprechende Urkunde. Als Wohnsitz gab er Hansastraße 55, den Wohnsitz seiner Eltern, an.

Nach ihrer Hochzeit am 27. September 1921 begingen Anuta und Arthur Sakheim ihre Hochzeitsreise in Meran in Südtirol. Anuta war bei ihrer Heirat 25 Jahre alt, Arthur 37 Jahre. Nach ihrer Heirat zogen sie in die Horner Landstraße 144 in Hamburg-Horn und von dort in den Eilbeker Weg 29. Am 12. Juni 1923 wurde ihr Sohn Ruben Gabriel geboren.

Arthur Sakheim veröffentlichte 1924 sieben Vorträge unter dem Buchtitel "Das jüdische Element in der Weltliteratur", das eine breite positive Resonanz erfuhr. Er wurde Dramaturg an den Hamburger Kammerspielen und machte sich über Hamburg hinaus in der künstlerisch-literarischen Szene einen Namen.

1926 zogen Morduch Markus Sakheim, seine Frau Rosalie und die Tochter Jeanette, die Ärztin geworden war, nach Berlin. Zwei Jahre später verließ auch Leon Sakheim Hamburg; er war Kaufmann geworden. Im selben Jahr zogen Arthur und Anuta Sakheim mit ihrem Sohn nach Frankfurt am Main, wo Arthur Sakheim an die Städtischen Bühnen verpflichtet worden war. Er hatte Angebote von Max Reinhardt, an das "Deutsche Theater" in Berlin zu kommen, außerdem von der "Habimah", dem jüdischen Theater in Palästina. Nach seiner Entlassung durch den ebenfalls jüdischen Frankfurter Theaterdirektor machte Arthur Sakheim Urlaub auf Hiddensee, bevor er sich beruflich neu orientierte. Auf der Rückreise erkrankte er an einer Blinddarm- und in deren Folge an einer Lungenentzündung, die zu seinem Tod führte. Arthur Sakheim starb 1931 in Berlin im Alter von 47 Jahren. Er wurde vielfach gewürdigt, doch seine Witwe blieb unversorgt.

Anuta Sakheim zog mit ihrem Sohn Ruben Gabriel 1932 von Frankfurt/Main nach Berlin zu ihrer Schwägerin Jeanette, um sich dort eine Existenz aufzubauen. Der Ullstein-Verlag stellte sie als Redaktionsassistentin ein, doch sie verlor diese Stellung nach kurzer Zeit. Ihr Versuch, durch eine Art Mitfahreragentur ihren Lebensunterhalt zu verdienen, scheiterte ebenfalls. Sie floh im Frühjahr 1933 mit ihrem Sohn aus Berlin nach Palästina, ohne den Haushalt mit der Bibliothek ihres Mannes mitzunehmen oder aufzulösen. Der Weg dorthin führte sie noch einmal nach Meran, von dort weiter nach Triest, schließlich mit dem Schiff nach Jaffa. Anuta ließ sich mit ihrem Sohn in Tel Aviv nieder. Anuta Sakheim hatte sich nicht speziell auf ein Leben in Palästina vorbereitet, besaß aber einen Führerschein. Diesen benutzte sie, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie erwarb ein Taxi und die notwendige Fahrerlizenz, woraus sie als erste Taxifahrerin in Palästina ein gut gehendes Unternehmen aufbaute. Zunächst bestand ihre Haupttätigkeit darin, Besucher zwischen dem Hafen und den Hotels zu transportieren, dann erweiterte sie ihr Geschäft um touristische Rundfahrten im Land. Das erforderte jedoch mehrtägige Abwesenheiten von zu Hause und die Unterbringung ihres Sohns in einer Pflegefamilie.

Zwischen Arabern und Juden nahmen die Spannungen zu, und inzwischen kamen statt zahlungskräftiger Besucher mehr und mehr mittellose Einwanderer nach Palästina, die vor dem zunehmenden Antisemitismus in Westeuropa flohen, so dass Anuta Sakheim erneut in finanzielle Not geriet. Diese war so groß, dass sie sich eine Operation nicht leisten konnte, als sie an Krebs erkrankte. In dieser Situation legte ihr ihre Schwägerin Jeanette, die in die USA ausgewandert war, nahe, ihren Sohn zu ihr nach New York zu schicken. Im Frühjahr 1938 verließ Ruben Palästina, noch nicht ganz fünfzehn Jahre alt. Anuta Sakheim korrespondierte wöchentlich mit ihm, bis zu ihrem letzten Brief am 16. Juli 1939. Unheilbar krank und mittellos, nahm sie sich im August 1939 in Tel Aviv das Leben.

Stand Februar 2014
© Hildegard Thevs

Quellen: 1; AB; StaH 332-8 Meldewesen K 6739; www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/4032Im Cache; Profundes Wissen und brennende Liebe – Ausstellung, SUB Hamburg, 2007; Weinke, Wilfried, Verschwundene Welt.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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