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Charlotte Rosenbacher (geborene Bendix) * 1874

Agnesstraße 39 (Hamburg-Nord, Winterhude)

1941 Minsk

Weitere Stolpersteine in Agnesstraße 39:
Richard Carl Abraham, Brunhilde Olschewitz, Manfred Olschewitz

Charlotte Rosenbacher, geb. Bendix, geb. 2.12.1874 in Dülmen, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk, Todesdatum unbekannt

Charlotte Rosenbacher wurde als Tochter des Textilfabrikbesitzers Meyer Bendix (1843–1905) und dessen holländischer Ehefrau Sara, geb. Spanjaard (1852–1912), geboren. Mit dem Tod seiner Brüder Pins Bendix (1832–1876) und Leeser Bendix (1839–1883) wurde Meyer Bendix Alleineigentümer der Firma. Auch seine Mutter Sara Spanjaard aus Borne/NL entstammte einer Familie von Textilfabrikbesitzern (S. J. Spanjaard).

Vier Jahre nach Charlotte wurde der Bruder Paul (1878–1932) geboren, der 1905 nach dem Tod des Vaters die "Mechanische Weberei für Leinen, Halbleinen, Gebild, Damast etc." übernahm und 1909 zur christlichen Konfession übertrat. Charlotte heiratete um 1898 den in Hamburg geborenen, zehn Jahre älteren Rechtsanwalt Dr. Martin Rosenbacher, dessen Vater Emanuel Rosenbacher (1833–1897) Mitinhaber des 1872 gegründeten Bank- und Assekuranzgeschäfts Rosenbacher & Co. war, das ab 1902 unter dem Namen Wilhelm Rosenbacher firmierte. Ein Bruder von Martin Rosenbacher, Paul Rosenbacher (1865–1930), war in der väterlichen Firma tätig. Rechtsanwalt Martin Rosenbacher, seit 1888 im Besitz des Hamburger Bürgerbriefes und 1892 in der Einwohnermeldekartei mit jüdischer Religionszugehörigkeit vermerkt, wurde in den Hamburger Fernsprechbüchern von 1895 bis 1904 mit einem Büro im Heuberg 10 notiert. Ab 1907 unterhielt er eine gemeinsame Kanzlei mit Rechtsanwalt Letz am Gänsemarkt 33 (Nicolaihof). 1898 hatte Martin Rosenbacher das elterliche Haus Alsterchaussee 17 verlassen und mit seiner Ehefrau eine eigene Wohnung in der Heimhuderstraße 64, I. Stock (Rotherbaum) bezogen. Am 25.5.1899 wurde dort ihr einziges Kind, die Tochter Fritzi geboren. 1902 zogen die Rosenbachers für kurze Zeit in eine Wohnung im zweiten Stock im Mittelweg 29/30 (Pöseldorf) um – das Haus gehörte dem Onkel von Martin Rosenbacher, Nachmann Jacob Levy (1829–1904). Bereits ein Jahr später erwarben sie die 1902/1903 erbaute Stadtvilla Agnesstraße 39.

Der Erste Weltkrieg brachte auch für Charlotte Rosenbacher und ihren Mann einschneidende Veränderungen mit sich. Gleich nach Kriegsausbruch 1914 meldete sich Charlottes Bruder, der Fabrikbesitzer Paul Bendix als Kriegsfreiwilliger. Auf seinen Wunsch hin leitete sein Schwager Martin Rosenbacher das Familienunternehmen während seiner Abwesenheit. So zog Charlotte Rosenbacher mit ihrer Familie für rund viereinhalb Jahre wieder nach Dülmen, den Ort ihrer Kindheit und Jugend, zurück. Nach der Demobilisierung der kaiserlichen Armee kehrte Paul Bendix wieder nach Dülmen zurück. Die Rückgabe der Firmenleitung an den Bruder und Schwager Paul Bendix verlief nicht ganz so reibungslos wie die Übergabe 1914. Familienkontakte unterblieben in der Folgezeit. Mit 57 Jahren verstarb Charlotte Rosenbachers Ehemann 1922 in Hamburg. Mutter und Tochter setzten als Erbinnen die Gütergemeinschaft fort, ihnen gehörten nun das Haus und die anderen Vermögenswerte.

Fritzi Rosenbacher studierte Staatswissenschaften und promovierte zum Dr. rer. pol. 1931 heiratete sie den Maschinenbau-Ingenieur Hans John Sudheim (geb. 1899), der ebenfalls Mitglied der Jüdischen Gemeinde war. Tochter und Schwiegersohn bewohnten nun einen Teil des geräumigen Hauses in der Agnesstraße 39. Noch 1935/36 wurden im Haus Umbauarbeiten vorgenommen. Am 8. November 1936 reagierte das Ehepaar Sudheim auf die zunehmenden Diskriminierungen und Schikanen durch den NS-Staat und emigrierte nach Kairo. Zurück blieb Charlotte Rosenbacher, die 1940 im Fernsprechbuch zwangsweise den Vornamen "Sara" eintragen lassen musste.

Der NS-Staat erfasste systematisch die Vermögenswerte von deutschen Staatsbürgern, die entsprechend der nationalsozialistischen Rassentheorie als Juden eingestuft wurden. Der im Februar 1936 für Charlotte Rosenbacher erstellte Vermögenssteuerbescheid bildete die Grundlage für die nun folgende wirtschaftliche Ausplünderung: 1938/39 Zahlung der neu eingeführten "Judenvermögensabgabe" in Höhe von 45500 RM sowie die Ablieferung von Gold, Silber und Schmuck am 2. November 1940 bei der "Verwaltung für wirtschaftliche Unternehmen und für Verkehrsangelegenheiten, Ankaufstelle" im Bäckerbreitergang 75. Im nächsten Schritt verfügte der NS-Staat die Einziehung des Wertpapierdepots bei der Bank M. M. Warburg & Co. KG (94100 RM) sowie vom übrigen Guthaben. Bemäntelt wurden diese Beraubungen mit Sondergesetzen und Verfügungen, die nur der Form nach den Praktiken aus der Zeit der demokratischen Weimarer Republik ähnelten.

Nach "rassischen" Gesichtspunkten hatte der NS-Staat auch Zwangseinquartierungen verfügt. So wurde dem Ehepaar Brunhilde und Manfred Olschewitz (s. d.) im November 1940 ein Zimmer im Haus von Charlotte Rosenbacher zugewiesen. Am 8. November 1941 wurde das Ehepaar Olschewitz deportiert. Am 17. November 1941, einen Tag vor ihrer Deportation, wurde Charlotte Rosenbacher durch eine per Post zugesandte Zustellurkunde davon in Kenntnis gesetzt, dass ihr gesamtes Vermögen per 14. November eingezogen worden war. Somit wurde der NS-Staat Eigentümer des Hauses und der Wohnungseinrichtung. (Der Wert der Einrichtung wurde nachträglich im Jahre 1951 auf 16000 RM geschätzt.)

Zehn Tage später wurde die jetzt völlig mittel- und rechtlose Charlotte Rosenbacher ins Getto Minsk deportiert. Dort verliert sich ihre Spur, Dokumente über ihren Tod konnten nicht ermittelt werden. Das Amtsgericht Hamburg erklärte Charlotte Rosenbacher 1950 für tot seit dem 8. Mai 1945. Nach den Richtlinien, die das Reichssicherheitshauptamt für die Deportationen erließ, hätte sie mit fast 67 Jahren eigentlich zurückgestellt und später nach Theresienstadt deportiert werden müssen, wo sie vielleicht eine (geringe) Überlebenschance gehabt hätte.

Im Hamburger Adressbuch von 1943 wurde das Wohnhaus in der Agnesstraße als Eigentum der Hamburgischen Grundstücksverwaltungs-Gesellschaft von 1938 m. b. H. ausgewiesen. Diese war auf Veranlassung des NS-Gauleiters Karl Kaufmann gegründet worden und diente der Verwaltung beschlagnahmter jüdischer Immobilien.

Fritzi Sudheim lebte bis zu ihrem Tod im Mai 1959 in Maadi bei Kairo. Aufgrund einer langen Krankheit ihres Mannes, der im Mai 1948 verstarb, sowie fehlender adäquater Erwerbsmöglichkeiten, lebte sie in Ägypten in sehr einfachen Verhältnissen. Die Erstattungen für die geraubten Vermögenswerte kamen für sie zu spät.

© Björn Eggert

Quellen: 1; 2; 4; StaHH 741-4, Alte Einwohnermeldekartei; AfW 250599; AB 1866, 1875, 1898, 1900, 1913, 1919, 1932, 1936, 1941, 1943; Telefonat mit Herrn K. O. B. (Dülmen); Standesamt Dülmen; Generalregister der hamburgischen Standesämter; Bauamt Hamburg-Nord; Amtliche Fernsprechbücher Hamburg 1895–1907, 1912, 1915, 1919, 1920, 1924, 1927, 1932, 1935–1940; Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1933, S. 516, 718; Wolfgang Werp, Das Textilunternehmen Bendix in Dülmen, in: Dülmener Heimatblätter 1-2003, S. 187.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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