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Filippo Mario Rispo, 1940
Filippo Mario Rispo, 1940
© Privatbesitz

Filippo Mario Rispo * 1894

Spitalerstraße 20 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
FILIPPO MARIO
RISPO
JG. 1894
ITALIEN
VERHAFTET 15.5.1944
´POLITISCHER GEFANGENER`
KZ NEUENGAMME
TOT MAI 1945

Filippo Mario Rispo, geb. 6.2.1894 in Giuliano/Neapel, von der Gestapo verhaftet am 16.5.1944, in das KZ Neuengamme eingeliefert am 11.7.1944, verschollen seit April/Mai 1945

Spitalerstraße 20

Das Wissen über Filippo Rispos Leben und vor allem über sein Sterben ist lückenhaft und zum Teil ungesichert, auch zum stetigen Kummer der Nachkommen.

Filippo Mario Pietro Rispo war am 6.2.1894 in Giuliano bei Neapel geboren worden. Der Vater war Apotheker, die Familie kinderreich. Die Schule besuchte Filippo bis zum Abschluss der Höheren Schule und studierte dann Englisch, Deutsch und Französisch. Als Beruf nannte er stets den des Sprachlehrers. Er heiratete eine Lehrerin, die Ehe blieb kinderlos und sie hielt nicht. Nach dem damaligen italienischen Familienrecht aber war eine Scheidung nicht möglich, und das wurde später, in Deutschland, noch von großer Bedeutung in der Beziehung zu seiner neuen Lebensgefährtin und den Kindern der beiden.

Filippo Rispo verließ Italien, ging zunächst als Sprachlehrer nach England, zog aber 1938 nach Deutschland weiter, nach Hamburg. Warum er aus dem demokratischen Land in das faschistische Deutschland wechselte, ist nicht bekannt. Es gilt seinen Nachkommen als sicher, dass er kein Anhänger des italienischen Diktators Mussolini war, sondern diesen hasste: Filippo habe Freudentränen geweint, als er von der Absetzung und Festnahme des "Duce" (25.7.1943) erfuhr.

Im "Haus Vaterland", dem seinerzeit größten und beliebtesten Tanzlokal Hamburgs, gelegen an der heutigen Stelle der Europapassage (am jetzigen Ballindamm, damals Alsterdamm), lernte er die 18/19jährige Ilse Pragst (11.12.1920 - 6.10.2009) kennen. Sie arbeitete als Hausmädchen in der Familie des Medizinprofessors G. Hermann Sieveking an der Rothenbaumchaussee 211. Ihr Vater war dort "Herrendiener" (dies die damals korrekte Berufsbezeichnung), die Mutter Köchin. Familie Pragst lebte im Souterrain des Hauses. Filippo Rispo und Ilse Pragst wurden ein Paar und zogen zusammen in die Breite Straße 26 IV, der heutigen Spitalerstraße 20. Im Juli 1943 wurden sie hier total ausgebombt.

Die beiden galten als Verlobte und blieben es, da, wie bereits erwähnt, Filippos Ehe nicht aufgelöst werden konnte. Dem Paar wurden zwei Kinder geboren: Eva-Maria (15.5.1940) und Edgar Filippo (1.2.1942). Filippo Rispo erkannte die Vaterschaft beider offiziell an und verpflichtete sich zur Zahlung der Unterhaltsleistungen. Partnerin Ilse bestätigte nach dem Kriege, Filippo habe die Familie stets ausreichend versorgt.

Wie aus verschiedenen Dokumenten der Behörden hervorgeht, war Filippo Rispo in Hamburg zunächst vorübergehend als Textilhändler tätig, dann wieder in seinem Beruf, angestellt bei Rackows Kaufmännischer Privatschule am Glockengießerwall. Er traf sich, so wird in der Familie überliefert, häufig mit Landsleuten in ihrem Stammlokal. Da die Zusammenkünfte also mehr oder weniger in der Öffentlichkeit stattfanden, dürfte es sich dabei eher um geselliges Beisammensein als um konspirative politische Treffen gehandelt haben. Aufgefallen mag sein, dass Filippo Rispo gern sein Töchterchen Eva-Maria, die er "Mausi" nannte, als Baby in einem Tragekorb mit in die Runde brachte - ein stolzer und glücklicher Vater.

Aktenkundig aber ist: Am 8.10.1943 wurde Filippo Rispo verhaftet. Der Vorwurf lautete "Verstoß gegen die Devisenbestimmungen/Devisenvergehen". Nach der Polizeihaft bis zum 18. 11. und anschließender Untersuchungshaft kam es am 16.3.1944 zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hamburg. Außer Filippo waren zwei weitere Italiener des Devisenvergehens angeklagt: der aus Catania stammende Kaufmann Salvadore Mirabella (*12.6.1908) und der gebürtige Mailänder Andrea Casiraghi (*5.5.1906), von Beruf Kellner. Der Vorwurf lautete, dass die Drei mit Edelmetallen, speziell Gold und Goldmünzen, zu tun gehabt hätten, ohne dies dem Oberfinanzpräsidium mitzuteilen und vor allem: ohne das Edelmetall dort zuerst anzubieten. Dieses Versäumnis war in der NS-Zeit eine Straftat.

Filippo Rispo selbst wurde wegen dieses "Nichtanbietens" von 25 holländischen Gulden und 50 Gramm Gold sowie wegen des Vermittelns von 1000 Gramm Gold an Dritte zu sechs Monaten Gefängnis, zu einer Geldstrafe von 500 RM und zu 300 RM Schadensersatz verurteilt. Ebenfalls eine Strafe von sechs Monaten Gefängnis plus Geldstrafen erhielt Mirabella, acht Monate plus Geldstrafen Casiraghi. Hinzu kamen die Kosten des Verfahrens.

Für Polizei- und Untersuchungshaft wurden Filippo Rispo laut Gerichtsbeschluss vier Monate der Gefängnisstrafe erlassen, sie endete also am 16.5.1944. Aus dem Gefängnis schrieb Filippo an Ilse, die Lebensgefährtin und Mutter der beiden Kinder: "Wie ich mich freue, zu Euch wieder zurück zu kommen. Ich bin gespannt, was sagen die zwei Kleinen wenn wieder sehen ihren Papa. Ilse, meine sehr große Liebe, das ist die schönste Freude von meinem Leben, wieder zu sein mit Dir und unseren so lieben Kindern….".
Die Freude auf das Wiedersehen wurde brutal zerstört. Im Augenblick der Entlassung aus dem Gefängnis wurde Filippo sofort erneut verhaftet, nun aber von der Gestapo (Geheime Staatspolizei).

Aber warum? Wichtige Fragen sind unbeantwortet: Was warf ihm die Gestapo vor? Hatte ihn jemand aus dem Kreis, der regelmäßig mit ihm zusammen gekommen war, angeschwärzt, oder einer der Mitangeklagten im Devisen-Verfahren? War er als Italiener grundsätzlich im Visier? Denn nachdem Italien am 8.9.1943 Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen und sich damit endgültig von Hitler-Deutschland getrennt hatte, galt Italien in Deutschland als Verräter, und die Verfolgungsbehörden gingen verschärft gegen Italiener und Italienerinnen vor, die irgendwie aufgefallen waren. In Italien selbst verhafteten die Deutschen nach ihrem Einmarsch Tausende und lieferten sie in Konzentrationslager ein. Allein ins KZ Neuengamme kamen in mehreren Transporten über 1200 Italiener und Italienerinnen.

Zunächst wurde Filippo in das sogenannte Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht und den Verhören und Schikanen ausgeliefert, die stets nur darauf abzielten, vermeintliche, ja auch nur potentielle "Staatsfeinde" zu jagen und auszuschalten.

Am 11. Juli 44 überstellte die Gestapo Filippo Rispo in das Konzentrationslager Neuengamme. Die Häftlingskarte weist ihn in der Rubrik "Häftlingsart" aus als "Politischer Gefangener" mit der Häftlings-Nummer 36.078. KZ-Haft hieß: gefangen auf unbestimmte Zeit. Filippo Rispo kam aus dieser nicht mehr lebend frei.

Ilse Pragst, Filippo Rispo und die beiden Kinder sahen sich noch einmal, vermutlich gegen Ende 1944: Ilse hatte erfahren, dass er mit einer Häftlingskolonne beim Bau des Hochbunkers am Langenfelder Damm (Eimsbüttel) eingesetzt war. Es gelang ihr, Kontakt aufzunehmen und mit Hinweis auf die Kinder die Bewachung zu bewegen, wenigstens für kurze Zeit ein Auge zuzudrücken. In der Familie ist überliefert: Der zweijährige Edgar habe den Vater nicht erkannt und sei beim Anblick des verschmutzten Mannes mit der gestreiften Kleidung derart erschrocken gewesen, dass er sich schreiend hinter der Mutter versteckt habe. Ilse Pragst habe eine Schüssel mit einem Spaghetti-Gericht mitgebracht, Filippo habe sich auf die Erde gesetzt, "Mausi", die nun Vierjährige, zwischen die Beine genommen und mit den Spaghettis gefüttert. Die Erinnerung daran, so die Tochter, sei stets lebendig in ihr.

Erhalten geblieben sind zwei Briefe Filippo Rispos aus Neuengamme, der eine vom 8.10.1944, der andere vom 18.3.1945. Zwar schreibt er die in solchen Briefen übliche Formel, es gehe ihm gut, doch von Hoffnung auf ein Freikommen ist nichts mehr zu lesen. Der Brief vom 18.3.1945 ist Filippos letztes Lebenszeichen. Er ist zugleich so etwas wie ein Abschiedsbrief an "Meine liebe Ilse und meine sehr süßen Kinder". In ruhiger, gepflegter Schrift schreibt er unter anderem: "Ich träume fast jede Nacht von Euch, und mein Gedanke ist immer bei Euch und für Eure Zukunft, sonst hat mein Leben keinen Sinn…".

Wie es mit diesem Leben nach dem 18.3.1945 weiter gegangen ist, ist unbekannt.

In den, allerdings unvollständigen, Totenbüchern des KZ Neuengamme sind 345 Italiener verzeichnet. Filippo Rispo ist nicht dabei.

Ilse Pragst, dann auch Eva Maria und Edgar Filippo und weitere Verwandte versuchten über die Jahre hinweg Beweise oder wenigstens Hinweise zu finden, wo und wie der Lebensgefährte und Vater ums Leben gekommen ist. Alle Suche war vergebens.

Mit Sicherheit war Filippo Rispo nicht unter den 71 "Schutzhäftlingen" der Gestapo, die zwischen dem 22. und 24. April 1945 im Arrestbunker des KZ Neuengamme ermordet wurden. Diese waren alle am 20. April als Gefangene des sog. Polizeigefängnisses Fuhlsbüttel nach Neuengamme gebracht worden und wurden nicht mehr registriert. Filippo Rispo aber war dort bereits seit über acht Monaten und hatte eine Nummer erhalten, die 36.078. (In den einschlägigen Publikationen der Gedenkstätte und auch in weiteren Veröffentlichungen wird zu diesen 71 Ermordeten stets ein Philipp Rispe gezählt. Hier liegt ein mehrfacher Irrtum vor.)
Die meisten der männlichen italienischen Gefangenen des KZ Neuengamme sind zunächst zur Zwangsarbeit in Außenlager gebracht worden, ein Teil von ihnen später in das Lager Sandbostel im Landkreis Rotenburg/Niedersachsen. Hier war die Sterblichkeit besonders hoch. Ob Filippo Rispo in einer dieser Gruppen war, ist nicht bekannt.
In der chaotischen Endphase der NS-Diktatur ging es mehr um das Beseitigen und Wegschaffen als um Buchführung.

Die meisten der Neuengammer Gefangenen, die bei der Räumung des Lagers, die am 19. April 1945 begann, noch lebten, kamen am 3. Mai mit den Schiffen "Cap Arcona" und "Thielbek" in der Lübecker Bucht vor Neustadt ums Leben. Etwa 7000 Gefangene waren auf die beiden Schiffe geladen worden - was weiter mit ihnen geschehen sollte, ist unbekannt. Da die Schiffe nicht als Gefangenentransporter gekennzeichnet waren, erkannte die britische Luftwaffe, die über der Ostsee kreiste, die Situation nicht. Verstärkt durch weitere Kampflugzeuge bombardierte und beschoss die Royal Air Force die Schiffe, die in Brand gerieten. Die "Thielbek" sank, die "Cap Arcona" kenterte. Nur etwa 400 Männer konnten sich, bei acht Grad Wassertemperatur, an das vier Kilometer entfernte Land retten. Filippo Rispo war hier nicht dabei.

Quälend, ja demütigend und beleidigend war der Kampf Ilses, dann der beiden Kinder um finanzielle Unterstützung nach dem Verlust des Gefährten und Vaters, in der Notsituation nach Ende des Krieges, in dem sie zweimal ausgebombt worden waren. Zunächst wurde dem "Fräulein Ilse Pragst" von Seiten des "Amtes für Arbeit und Soziales/Wiedergutmachung der Hansestadt Hamburg" beschieden, eine Verlobung sei nicht nachgewiesen und berechtige darüber hinaus nicht zu irgendeiner Form der Witwenrente oder Hinterbliebenenrente. Ilse Pragst kapitulierte und verfolgte irgendwelche Ansprüche für sich persönlich nicht weiter. Der Kampf für die beiden Kinder, der folgte, dauerte über 20 Jahre. Die Spitzfindigkeiten der sog. Wiedergutmachungsbehörde zeigen Einfallsreichtum und eine Portion Unverschämtheit: Ein Kriegsopfer könne der Vater nicht gewesen sein, da der Tod erst am 31.12.1945 eingetreten sei, wie das Amtsgericht Hamburg bereits am 12.7.1952 dokumentiert habe. Filippo Rispo möge zwar ein "politischer Gefangener des KZ Neuengamme" gewesen sein, aber dies bedeute nicht, "dass er aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen die NS-Herrschaft" inhaftiert gewesen sei (Amt für Wiedergutmachung/AfW, 30.3.1966.). Er könne unter anderem nämlich nach dem "Abfall" Italiens lediglich "als feindlicher Ausländer inhaftiert" worden sein, was "leider eine Entschädigung nach dem BEG (Bundesentschädigungsgesetz) ausschließe" (ebd.).
Möglicherweise sei Rispo "schweres Unrecht zugefügt worden, aber das BEG gewährt nicht für jedes Unrecht, das die NS-Machthaber verübt haben, Entschädigung." (AfW, 5.2.1968).
Usw. usw.usw.

Erst mit Hilfe von drei Anwälten erreichten Eva-Maria und Edgar Filippo es 1969, 24 Jahre nach dem Tod des Vaters und nur in einem Vergleich, eine Kapitalentschädigung "als Hinterbliebene ihres außerehelichen Vaters" zu erhalten. Eva-Maria, unterdessen 28 Jahre alt und verheiratet, bekam für die 188 Monate vom amtsgerichtlich bestimmten Tod ihres Vaters (31.12.1945) bis zu ihrer Volljährigkeit (Mai 1968) 9.404 DM. Edgar Filippo, 24 Jahre alt, erhielt wegen etwas verbesserter Berechnungssätze ein paar DM mehr.
Nach Begleichung der Anwaltskosten teilten Filippo Rispos Kinder das Geld mit ihrer Mutter.

Zu Ehren des Großvaters nahm ein Sohn von Edgar Filippo Pragst den Namen Mario Rispo an.

Stand: April 2024
© Johannes Grossmann

Quellen: StaH 351-11_16014 (AfW); StaH 332-4_1908 (Registrierstelle Suchdienst); StaH 314-15_Str_1242 (Oberfinanzpräsident/Devisenstelle); StaH 332-8_A49 Band 1 (Steuer- und Wahlkartei 1943); StaH 332-8 (Hausmeldekarteien); StaH 324-1_K1260 und _K1256 (Baupolizei); Arolsen Archives, Filippo Rispo, https://collections.arolsen-archives.org/de/document/70639849; Archiv Gedenkstätte Neuengamme: Rispo WVHA_062865_barch_19a_ne_it.jpg (Häftlingskartei); Komitee ehemaliger politischer Gefangener (Archiv Gedenkstätte Neuengamme): Ilse Pragst; Italienische Gefangene in Neuengamme: www.neuengamme-ausstellungen.info/content/documents/thm/ ha2_2_8_thm_2368.pdf; Gedenkbuch Kola-Fu, hrsgg. von der JZ-Gedenkstätte Neuengamme, 1987; www.stolpersteine-hamburg.de>Glossar > Neuengamme (KZ): "Die Ermordung von 71 `Schutzhäftlingen` zwischen dem 22. und 24 April 1945"; ebd. > Dokumentationen > Hamburger Abendblatt Magazin: Die letzten Toten von Neuengamme; Pragst, Edgar Filippo: Dokumente und Fotos aus dem Privatbesitz, mündliche Auskünfte August 2023; Pragst-Brunck, Eva Maria: Fotos aus dem Privatbesitz, mündliche Auskünfte März 2024.

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