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Bereits verlegte Stolpersteine



Ella Rieber
Ella Rieber
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Ella Rieber * 1894

Falkenried 18 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)


HIER WOHNTE
ELLA RIEBER
JG. 1894
EINGEWIESEN 1931
ALSTERDORFER ANSTALTEN
´VERLEGT‘ 16.8.1943
´HEILANSTALT`
AM STEINHOF / WIEN
TOT AN DEN FOLGEN
25.7.1945

Ella Andrea Rieber, geb. 10.11.1894 in Tondern, von 1928 bis 1943 Patientin in mehreren Anstalten, von den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), am 16.8.1943 "verlegt" nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof"), dort gestorben am 25.7.1945

Falkenried 18, Hoheluft-Ost

Ella Andrea Rieber kam am 10. November 1894 in der damals zum Deutschen Reich, heute zu Dänemark gehörenden Stadt Tondern zur Welt. Sie hieß bis März 1905 mit Nachnamen Petersen wie ihre ledige Mutter Anna Gesine Christine Petersen. Nachdem diese den Arbeiter Johannes Christian Rieber geheiratet hatte, trug Ella Andrea den Familiennamen "Rieber", ohne adoptiert worden zu sein.

Ella Rieber wuchs als ältestes Kind in einer kinderreichen Familie mit sieben Halbgeschwistern auf. Ihre Geburt war von Komplikationen begleitet gewesen. In ihrem fünften Lebensjahr zeigten sich erstmals Anfälle, die ein Arzt als "epileptisch" erkannte. Ihr Schulbesuch, begleitet von häufigeren "Anfällen", dauerte insgesamt nur zwei Tage.
Ella Rieber war nicht erwerbstätig sondern blieb zu Hause.

1927 erklärte der Arzt H. Grote aus Westerland/Sylt die Aufnahme Ella Riebers in einer Anstalt für nötig. Zur Begründung führte er aus, sie sei "stupide", schwerfällig, langsam, spreche kaum. Zu Hause erledige sie Hausarbeiten, auch ganz gut, aber nicht immer, da "Dämmerzustände" sie oft an der Arbeit hinderten. Schulkenntnisse fehlten gänzlich. In den letzten Jahren sei sie plötzlich "böse" geworden, wenn ihr etwas verboten worden sei. Sie habe dann nach irgendetwas gegriffen und sei auf ihre Mutter losgegangen. Es handele sich um eine seit Jahren bestehende Epilepsie mit Dämmerzuständen und Anfällen von Angriffen auf die Umgebung.

Die 34 Jahre alte Ella Rieber wurde am 27. August 1928 in die Landesheilanstalt Schleswig (Stadtfeld) aufgenommen. In einem Aufnahmebericht wurde die 153 cm große Frau als ein "schwächlich gebautes Mädchen in mäßigem Ernährungszustand und von gesundem Aussehen" beschrieben. Sie soll "ängstlich und scheu" gewesen sein, jedoch "lebhaftes Interesse" an ihrer Umgebung genommen haben, Fragen schwer aufgefasst, aber rasch geantwortet haben. Wenn sie eine Frage nicht beantworten konnte, habe sie "verlegen-blöde" vor sich hin gelacht.

Etwa einen Monat später, am 20. September 1928, wurde Ella Rieber in die Privatanstalt Klosterhof (auch bezeichnet als Pfengsche Anstalt) verlegt. Der Grund dafür ist nicht festgehalten. Die 1907 gegründete, heute noch bestehende Wohnstätte Klosterhof liegt am Rande von Schleswig in einer landschaftlich sehr schönen Lage, nur 15 Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt. Dort scheint es Ella Rieber relativ gut gegangen zu sein. Als ihr im Juni 1931 erklärt wurde, sie könne auf Wunsch ihrer Schwester in die Alsterdorfer Anstalten nach Hamburg kommen (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), soll sie geweint haben und wollte lieber bei Frau Pfeng, der Leiterin der Einrichtung, bleiben.

Ella Riebers Mutter war im November 1929 gestorben. Ihre verwitwete Schwester Auguste Wittenburg war die einzige Verwandte, die, soweit aus der Krankenakte ersichtlich, den Kontakt zu Ella Rieber aufrechterhalten hatte.

Am 29. Juli 1931 wurde Ella Rieber in den damaligen Alsterdorf Anstalten aufgenommen. Die Diagnose lautete "Epilepsie bei angeborenem Schwachsinn". Sie bekam des Öfteren Besuch von ihrer Schwester. Nach Streitigkeiten mit anderen Bewohnerinnen musste sie mehrmals in den Wachsaal. Im Jahre 1933 notierte das Personal ein Dauerbad von 2 ½ Stunden.

In "Wachsälen" wurden seit den 1910er Jahren unruhige Kranke isoliert und mit Dauerbädern, Schlaf- sowie Fieberkuren behandelt. Die Alsterdorfer Anstalten führten diese Maßnahmen Ende der 1920er Jahre ein. Im Laufe der 1930er Jahre wandelte sich deren Funktion: Nun wurden hier Patientinnen und Patienten vor allem ruhiggestellt, mit Medikamenten oder mittels Fixierungen und anderen Behandlungen. Die Betroffenen empfanden dies oft als Strafe.

Ella Rieber litt an Asthma. Wegen dieser Krankheit wurde sie oft auf die Krankenstation verlegt. 1934 überstand sie eine Lungenentzündung. Phasen von Unruhe gipfelten in Versuchen aus dem Fenster zu springen.

1943 konnte Ella Rieber die Körperpflege selbst übernehmen. Hilfstätigkeiten bei Hausarbeiten wie Geschirr abtrocknen, Fegen o.a. wechselten mit Erregungsphasen und Zeiten, während der sie "leidend im Bett" lag.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg Ende Juli/Anfang August 1943 ("Operation Gomorrha") erlitten auch die Alsterdorfer Anstalten Bombenschäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, nutzte die Gelegenheit, sich mit Zustimmung der Gesundheitsbehörde eines Teils der Bewohnerinnen und Bewohner, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, durch Abtransporte in andere Heil- und Pflegeanstalten zu entledigen. Mit einem dieser Transporte wurden am 16. August 1943 228 Frauen und Mädchen aus Alsterdorf sowie 72 Mädchen und Frauen aus der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn nach Wien in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" (auch bekannt als Anstalt "Am Steinhof") "verlegt". Unter ihnen befand sich Ella Rieber.

Die Berichte über Ella Rieber in Wien glichen im Wesentlichen denen der Alsterdorfer Anstalten. Zweimal wurden Stürze erwähnt, die zu Hämatomen am Kopf führten. Ihr Gewicht, das in Hamburg mit über 60 kg notiert wurde, hatte sich Ende 1943 auf 41 kg reduziert.

Anfang 1945 wurde festgehalten, Ella Rieber sei schwer dement, sehr affektarm und über ihren Lebenslauf nicht orientiert.
Im Juli 1945 hieß es, sie sei "stark verfallen" und habe sowohl tagsüber als auch nachts mehrere Anfälle. Infolge von Hautschäden durch Wundliegen (Dekubitus) litt sie an heftigen Schmerzen. Ihr Gewicht war auf 31 kg vermindert.

Ella Rieber starb am 25. Juli 1945. Als Sterbeursachen wurden neben Epilepsie, Imbezillität und Dekubitus Darmentzündung und Marasmus (Unterernährung) diagnostiziert.

Die Anstalt in Wien war während der ersten Phase der NS-"Euthanasie" vom Oktober 1939 bis August 1941 Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Nach dem offiziellen Ende der Morde in den Tötungsanstalten wurde in bisherigen Zwischenanstalten, also auch in der Wiener Anstalt selbst, massenhaft weiter gemordet: durch Überdosierung von Medikamenten und Nichtbehandlung von Krankheit, vor allem aber durch Nahrungsentzug.

Bis Ende 1945 kamen von den 300 Mädchen und Frauen aus Hamburg 257 ums Leben, davon 196 aus Alsterdorf.

Soweit sich aus ihrer Krankenakte ergibt, hatte Ella Rieber in den Alsterdorfer Anstalten nur Besuch von ihrer Schwester Auguste Wittenburg erhalten, die sich auch nach Kriegsende noch um sie sorgte. Offensichtlich war sie nicht vom Tod benachrichtigt worden. Auf eine Anfrage vom 4. April 1946 erhielt sie die Antwort, "dass Ihre Schwester […] in h.o. Anstalt am 25.7.1945 an einem schweren Darmkatarrh gestorben ist. Sie wurde als Freileiche am Zentralfriedhof bestattet […]."

Ella Rieber lebte in Hamburg nie außerhalb einer Anstalt. Ihre Schwester war diejenige, die in Hamburg den Kontakt zu ihr hielt. Deshalb erinnert ein Stolperstein an Ella Rieber am Wohnsitz ihrer Schwester in der Straße Falkenried 18 in Hoheluft-Ost.

Stand: Februar 2024
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg (mehrere Jahrgänge 1928 bis 1935); Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 252 (Ella Rieber). Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 283 ff., 331 ff.

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