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Hermann Steindler * 1890

Barcastraße 8 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
HERMANN STEINDLER
JG. 1890
FLUCHT 1933
TSCHECHOSLOWAKEI
SOWJETUNION
SCHICKSAL UNBEKANNT

Hermann Steindler, geb. 21.11.1890 in Hamburg, 1940 Lemberg/Lwiw/Lwów, Ukrainische Sowjetrepublik, Schicksal unbekannt

Barcastraße 8

Am 8. Dezember 1939 schrieb Hermann Steindler aus Lwów (Lemberg), wo er in der Grodecka 33 a bei Zwillinger wohnte, an seinen Onkel Jakob Steindler in London, wo die Karte die Zensur passieren musste:

"Meine Lieben!
Teile Euch mit, dass ich mich hier befinde und gesund bin. Hoffe Euch alle wohlauf. Bitte Adi [Sohn Adolf] Bescheid zu sagen. Schreibt mir evtl. über Herbert [nicht identifiziert, H. Thevs].
Euch allen herzlichste Grüße,
Euer Hermann"

Hermann Steindler stammte aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie mit Wurzeln in Böhmen, als es noch zur österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gehörte. Sein Vater, Julius Steindler, war am 6.1.1862 in Münchengrätz, dem heutigen Mnichovo Hradiště in Tschechien, geboren worden, einem kleinen Ort in Böhmen, berühmt als ein Sitz von Herzog Albrecht von Wallenstein. Julius Steindler wurde Kaufmann und zog um 1885 nach Hamburg, während seine Eltern, Maximilian und Henriette Steindler, seine Schwester Jenny und sein jüngerer Bruder Jakob, geb. 11.9.1874 in Komotau, einer aufstrebenden Stadt in Westböhmen, damals zurück blieben. Ihre Staatsangehörigkeit war österreichisch.

Julius Steindler war damals als Geschäftsreisender tätig und wohnte in der heutigen Marktstraße 16 im Karolinenviertel zur Untermiete. Dort lernte er seine Ehefrau Rosa, geb. Horwitz, geb. 21.6.1865 in Hamburg, kennen. Sie wohnte bis zu ihrer Heirat im Jahr 1887 bei ihren Eltern, dem Lotteriecollektor (Lotterieannahmestelle) Wulff Horwitz und seiner Ehefrau Bertha.

Nach der Heirat zog das Ehepaar in die Peterstraße 64 in der Hamburger Neustadt, wo Rosa Steindler am 8.8.1888 ihren ersten Sohn zur Welt brachte, der nach seinem Großvater Maximilian genannt wurde. Ein Jahr später, am 3.8.1889, wurde Siegmund geboren und im folgenden Jahr, am 21.11.1890, nach einem Umzug in die Fruchtallee 23 nach Hamburg-Eimsbüttel, der dritte Sohn, Hermann.

Julius Steindler gründete 1888 in der Holstentwiete 90/92 im damals preußischen Ottensen die Firma Steindler & Co., eine Firma für Dachpappen und chemisch-technische Produkte. Er blieb in Hamburg und zog in die Dillstraße 2 im neu erschlossenen Grindelviertel. 1889 wurde Ottensen nach Altona eingemeindet.

Geschäftlich war Julius Steindler so erfolgreich, dass er die Hamburgische Staatsangehörigkeit beantragen konnte. Am 1. Mai 1891 wurde er mit seiner Familie eingebürgert. Die beiden jüngeren Kinder wurden schon als Hamburger geboren, Susanna, die einzige Tochter, am 31.12.1891, als vierter Sohn Adolf Eduard am 1.6.1893.

Jakob Steindler folgte seinem Bruder Julius nach Hamburg und wurde Mitinhaber der Firma Steindler & Co. Darüber hinaus gründete er mit seiner im Elsaß lebenden Schwester Auguste Jontof-Hutter eine eigene Firma, A. Jontof-Hutter & Co., einen Teerproduktenhandel, der im Wesentlichen dem Vertrieb der Produkte von Steindler & Co. diente. Wirtschaftlich etabliert, heiratete er 1902 Bettina Westheimer, geb. 5.7.1876 in Hamburg, von Beruf Stenotypistin. Im selben Jahr starb der Vater Maximilian Steindler in Karlsbad in Böhmen, die Mutter Henriette lebte weiter in Leitmeritz.

Bettina Steindler brachte 1903 eine Tochter zur Welt, Anni, 1906 den Sohn Ferdinand. 1906 wurde Jakob Steindler nach einigen Vorbehalten wegen seiner jüdischen Herkunft mit seiner Familie eingebürgert. Seinen österreichischen Pass musste er abgeben.

Julius und Rosa Steindlers Söhne wurden Kaufleute, die beiden älteren, Maximilian und Siegmund, stiegen in den väterlichen Betrieb mit dem Hauptkontor in Altona-Ottensen ein. Julius Steindler erwarb außerdem eine kleine angrenzende Parzelle. Er eröffnete einen zweiten Firmensitz in der repräsentativen Hansaburg in der Hamburger Altstadt, im reich dekorierten Kontorhaus Bei den Mühren 91 an der Ecke Steckelhörn, südwestlich der Katharinenkirche. Familie Steindler zog aus der Enge des Grindelviertels nach Hohenfelde am östlichen Alsterufer in die Barcastraße 8 und machte es zum Stammsitz der Familie. Julius Steindler blieb Mitglied der Deutsch-Israelitischen Gemeinde.

Aus Hermann Steindlers Steuerkarteikarte der Jüdischen Gemeinde geht hervor, dass er 1911 oder 1912 nach Barcelona zog, er also nicht mehr zugegen war, als seine Großeltern Wulff und Bertha Horwitz innerhalb eines Jahres starben, am 14.3.1912 und am 17.2.1913, und auch nicht, als seine Schwester Susanna heiratete. Ihr Ehemann, Erich Keibel, war promovierter Zahnarzt im damals noch preußischen Harburg. Am 4.4.1914 wurde ihr erstes Kind, Gertrud, geboren. Nach dem Umzug der Familie nach Hamburg kam dort am 9.11.1915 der Sohn Max zur Welt.
Am Ersten Weltkrieg nahmen die Brüder Steindler, Maximilian, Siegmund und Adolf Eduard, als Frontkämpfer teil und kehrten nach Hamburg zurück. Adolf Eduard starb jedoch im Oktober 1918 an der Spanischen Grippe. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof an der Ilandoppel in Ohlsdorf beerdigt wie zuvor seine Großeltern Wulff und Bertha Horwitz.

Während des Krieges führten Julius und Jakob Steindler ihre Firma erfolgreich fort. Nach Kriegsende heiratete 1919 der älteste Sohn, Maximilian. Seine Ehefrau, Käthe Laski, geb. 20.6.1893 in Hamburg, gehörte einer alteingesessenen Familie an. Sie blieben kinderlos.

Auch Hermann Steindler kehrte nach Hamburg zurück, zog zu seinen Eltern in die Barcastraße 8 und meldete sich bei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zurück. Er gründete eine eigene Im- und Exportfirma mit Sitz in der Hansaburg und blieb seinem Vater auch eng durch seine Bankgeschäfte verbunden. Für das Jahr 1920 besaß er einen für die Tschechoslowakei, Österreich und Spanien gültigen Reisepass. Daraus geht hervor, dass er von mittlerer Statur war, braune Augen, schwarzes Haar und ein längliches Gesicht hatte. Der wirtschaftliche Erfolg seiner Firma war gering, was sich an der Höhe der Steuern für die Jüdische Gemeinde von einmalig 30 RM im Jahr 1921 ablesen lässt. Danach ging er auf Reisen.

Nach seiner Rückkehr zog wieder zu seinen Eltern und arbeitete als Angestellter im Familienbetrieb in Altona. Alle in der Firma Steindler & Co. tätigen Familienmitglieder hatten 1924 dasselbe steuerpflichtige Einkommen, auf dessen Basis der Kultussteuerbeitrag an die Jüdische Gemeinde 76,09 RM für 1925 berechnet wurde, den auch jeder entrichtete.
Siegmund Steindler heiratete am 10. Oktober 1926 Maria Komorowski, geb. am 20.4.1896 in Bogatzkowolla bei Lötzen/OPr. (heute Bogacko bei Giżycko, Woiwodschaft Ermland-Masuren). Sie trat bei ihrer Heirat zum Judentum über und gab es nie auf. Auch ihre Ehe blieb kinderlos.
Warum Hermann Steindler für das Jahr 1926 keine Kultussteuer an die Jüdische Gemeinde zahlen musste, geht aus den vorhandenen Unterlagen nicht hervor. 1927 leistete er wieder seinen Beitrag von nun 24,05 RM, danach klafft eine Lücke bis 1931/32 für die Zeit seiner Heirat und seines Aufenthalts in Marokko.
Seine Ehefrau Agnes, geb. Broll, war katholisch und stammte aus Kattowitz in Oberschlesien. Wann und wo sie heirateten, ließ sich nicht feststellen. Am 29.10.1927 wurde ihr Sohn Hans Adolf, genannt Adi, in Ceuta/Marokko geboren. Auf Hermann Steindlers Kultussteuerkarteikarte sind allerdings weder die Ehefrau noch der Sohn vermerkt.

Nach der Rückkehr nach Hamburg zog Hermann Steindler mit seiner Familie bei seinen Eltern in der Grindelallee 136 ein. Er hatte noch ein zu versteuerndes Einkommen in ähnlicher Höhe wie zuvor.
Wie aus den Steuerunterlagen der Jüdischen Gemeinde hervorgeht, verfügten alle Angehörigen der Firma Julius Steindler & Co. über ein gutes Einkommen. Trotz der Weltwirtschaftskrise hatten sie Gewinne erzielt, gerieten aber um 1932 in Konkurs. Um ihn abzuwenden, nahmen sie bei der "Commerz- und Privatbank" einen Kredit in Höhe von 30000 RM auf. Nach der Machtübertragung an Hitler 1933 wurde ihnen als Juden dieser Kredit jedoch gekündigt.

Angesichts des Verlustes ihrer Existenzgrundlage löste sich der Familienverband auf. Am unmittelbarsten traf es Julius Steindler. Er erlitt am Vortag des Boykotts jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 einen tödlichen Herzschlag. Nun war Jakob das Familienoberhaupt. Julius Steindler wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf beerdigt, wo vier Jahre später auch seine Ehefrau Rosa ihre letzte Ruhe fand.

Der erste der Familie, der Deutschland nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verließ, war Jakob Steindlers Sohn Ferdinand, ein promovierter Jurist im Staatsdienst. Als Jude wurde er aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 aus seiner Stellung als Gerichtsassessor entlassen und wanderte am 5. August 1933 nach England aus, wo er als Dolmetscher, Lehrer und Kaufmann sein Auskommen fand.

1933 schied Hermann Steindler aus der Hamburger Jüdischen Gemeinde aus und meldete sich nach Altona in die Von Elmstraße 170 ab. Ob er in die dortige jüdische Gemeinde eintrat, ist nicht bekannt. Im November 1933 siedelte er mit seiner Familie nach Aussig in der damaligen Tschechoslowakei über, um sich dort eine neue Existenz mit der Produktion von Isoliermaterial aufzubauen.

1934 wurde der Betrieb bis auf Julius Steindlers kleine Parzelle zwangsversteigert. Maximilian Steindler überließ die Abwicklung der Firma vor Ort seinem Bruder Siegmund und emigrierte nach Schweden. Dort starb er am 18. Oktober 1937. Über das Ergehen seiner Ehefrau Käthe, von der er getrennt lebte, ist nichts bekannt.

Siegmund und Maria Steindler folgten Hermann und Agnes Steindler nach Aussig, erhielten dort aber weder Aufenthalts- noch Arbeitserlaubnis und flohen weiter. Schließlich wurden sie in Frankreich getrennt interniert. Siegmund Steindler wurde schließlich im KZ Majdanek ermordet, Maria überlebte und kehrte nach Hamburg zurück. (siehe www.stolpersteine-hamburg.de)

Nach dem Tod seiner Schwägerin Rosa Steindler am 5. April 1937 bereitete auch Jakob Steindler seine Auswanderung mit seiner Ehefrau Bettina nach England vor, wo sie im April 1938 eintrafen. Ihre Tochter Anni war bereits im November 1937 nach London gegangen. Nach ihnen emigrierte auch Susanna Keibel mit ihrer Familie. Sie fanden in Costa Rica Zuflucht.

Da die früheren Inhaber der Firma Steindler & Co. nicht auffindbar waren, wurde ein Haus- und Grundstücksmakler als Pfleger mit der Abwicklung des Verkaufs der letzten kleinen Parzelle beauftragt, die bei der Zwangsversteigerung des Firmengeländes übersehen worden war und immer noch der Firma Steindler & Co. gehörte. Mit amtlicher Genehmigung wurde es am 12. September 1939 veräußert. Damit erlosch die Firma nach 50jährigem Bestehen.

Schon vor der Besetzung des Sudetenlandes durch das Deutsche Reich 1938 fühlten sich Hermann und Agnes Steindler nicht mehr sicher und betrieben ihre Auswanderung nach Großbritannien. Sie zogen zunächst nach Prag und von dort nach Beraun. Eine jüdische Hilfsorganisation verschaffte Hermann ein Visum für England. Doch bei der Besetzung Prags im März 1939 durch die Deutschen durchsuchte die Gestapo auch die Räume dieser Organisation und beschlagnahmte das Visum. Vermutlich hatte ihm sein Onkel Jakob das Visum verschafft. Jakobs Schwester Jenny, die in Prag lebte, nahm sich zusammen mit ihrem Ehemann das Leben.

Nachdem seine Auswanderungsbemühungen fehlgeschlagen waren, floh Hermann Steindler nach Polen. Er bemühte sich von Krakau aus weiter um ein Visum für Großbritannien. Nach der deutschen Besetzung Polens flüchtete er weiter ins damals polnische Lwów/Lemberg, um von dort aus seine Emigration voran zu treiben. Agnes Steindler zog mit ihrem Sohn nach Prag. Mit Hilfe Jakob Steindlers in London, "Onkel Kobi" der eingangs zitierten Postkarte, der bei einer jüdischen Flüchtlingshilfeorganisation tätig war, gelangte Hans Adolf 1939 mit einem Kindertransport nach London.

Agnes Steindler blieb in Prag zurück und konnte noch bis Dezember 1940 Kontakt mit ihrem Ehemann halten. Sie zog nach Kriegsende nach London und betrieb von dort aus mit Hilfe ihrer Schwägerin Maria Steindler, der Witwe Siegmund Steindlers, die Todeserklärung ihres Mannes. Das geht aus einem Brief hervor, den sie ihrer Schwägerin Maria in Hamburg schrieb:

"Beim Ausbruch des Deutsch-Polnischen Krieges flüchtete er [Hermann] nach Lwów. Meine Postkarte von diesem Ort befindet sich in Deinen Händen [siehe die eingangs zitierte Postkarte Hermann Steindlers an seinen Onkel Jakob in London]. Lwów wurde von den Russen besetzt und Hermann schrieb mir von dort aus regelmäßig bis zum Dezember 1940. Anfang Dezember erhielt ich eine Postkarte von einem seiner Freunde, dass Hermann plötzlich ‚verreisen’ musste und dass er hofft, mir bald persönlich schreiben zu können. Ich wandte mich um Auskunft an seine Wirtsleute, was die plötzliche Abreise zu bedeuten hätte, aber trotz wiederholten Anfragen bekam ich keine Antwort. Der im Sommer 41 ausgebrochene Deutsch-Russische Krieg erschwerte weitere Nachforschungen. … Bemerken möchte ich noch, dass die Nachricht von der ‚plötzlichen Abreise’ meines Mannes aus Lodz von einem mir unbekannten Freunde meines Mannes mir zukam." Agnes Steindler

Alle Bemühungen der Ehefrau, Datum, Ziel und Schicksal ihres Ehemannes Hermann Steindler herauszufinden, blieben ergebnislos. Er wurde 1951 vom Amtsgericht Hamburg für tot erklärt.

Agnes Steindlers Bezug auf die "plötzliche Abreise" verweist auf Anfang Dezember 1940, als Hermann Steindler noch in Lwów lebte. Seine Wirtsleute mit deutschem Namen antworteten ihr nicht. Infolge des Hitler-Stalin-Pakts war Lemberg ukrainisch geworden, deutsche Juden wurden entweder als Deutsche oder als Juden verfolgt. Vermutlich wurden Hermann Steindler und seine Wirtsleute Opfer dieser Verfolgung.

2021 führte die Spurensuche ins Getto von Litzmannstadt/Lodz, wieder ohne Erfolg. Bis heute gelang es nicht, Hermann Steindlers Verbleib zu klären.

Jakob Steindler starb am 21. Januar 1947 in London, der Sohn Hans Adolf, mit englischem Namen Eduard Stanton, 2020 im Alter von fast 93 Jahren ebendort.

Stand: Februar 2022
© Hildegard Thevs

Quellen: 1, 2 R 1939/2982, 4, 5; Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-13, 5962, 5963, 23626; 314-15_FVg 4667, R 1939/2982; Bürgerregister 1876-1896, A l e 40, Band 10, 18112; 332-7, B III 84857; 332-8, Passpolizei; 351-11, 2352, 10217, 13794, 39458; 424-111, 6010, 7160; 522-1, 391; JFHH; Mitteilungen von Angehörigen Nov. 2021; https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Mnichovo_Hradi%C5%A1t%C4%9B; https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburg-Ottensen; https://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/orte/lemberg-lviv, Abrufe Dez. 2021.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quelle.

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