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Bereits verlegte Stolpersteine



Jente Schlüter (geborene Windmüller) * 1888

Hallerstraße 76 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
JENTE SCHLÜTER
GEB. WINDMÜLLER
JG. 1888
GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET
FLUCHT IN DEN TOD
31.10.1944

Weitere Stolpersteine in Hallerstraße 76:
Alice Baruch, Sara Carlebach, Charlotte Carlebach, Dr. Joseph Zwi Carlebach, Noemi Carlebach, Ruth Carlebach, Margarethe Dammann, Gertrud Dammann, Charlotte Dammann, Dina Dessau, Felix Halberstadt, Josabeth Halberstadt, Elsa Meyer, Margarethe Meyer, Alice Rosenbaum, Julius Rothschild

Jenny (Jente) Schlüter, geb. Windmüller, verwitwete Goldschmidt, geboren am 21.8.1888, gedemütigt/entrechtet, Flucht in den Tod am 31.10.1944

Hallerstraße 76, Rotherbaum

Jenny (Jente) Windmüller war am 21.8.1888 als erstes von vier Kindern des Kaufmanns Seelig Windmüller und seiner Ehefrau Julia Windmüller, geb. Ruhstädt in Beckum/Rheda-Wiedenbrück geboren worden. Die Familie war jüdisch. Wir wissen nichts über Jennys Kindheit und Jugendzeit.

Am 4. Juli 1909 heiratete sie in Lippstadt/Rheda-Wiedenbrück Julius Goldschmidt (geb. 17.1.1871 in Lippstadt).

Er war als zweites von drei Kindern der jüdischen Eheleute Issachar Heinemann Goldschmidt und Jettchen Goldschmidt, geb. Steeg, in Salzkotten geboren worden. Jenny und Julius Goldschmidt bekamen die beiden Töchter Annie (geb. 16.6.1910) und Elsbeth Goldschmidt (geb. 11.10.1913), die beide in Salzkotten in der Herforder Straße 12 geboren wurden.

Julius Goldschmidt hatte am Ersten Weltkrieg in Russland teilgenommen und kehrte im Dezember 1918 krank zurück. Er verstarb am 8. Februar 1920, vermutlich an den Kriegsfolgen. Da wohnte die Familie in der Westerstraße 285 in Salzkotten/Paderborn. Auf seinem dortigen Grabstein, wurde eine Kanne mit eingemeißelt, die ihn als Nachfahre der Angehörigen des biblischen Stamms Levi ausweist.

Am 30. März 1921 zog Jenny Goldschmidt mit ihren beiden Töchtern nach Bielefeld in die Ölmühlenstraße 3, am 5. August 1921 nach Norderney und am 7. September 1921 zurück nach Bielefeld und wohnte nun in der Ölmühlenstraße 15.

Jenny Goldschmidt lernte in Bielefeld den nichtjüdischen Hermann Heinrich Schlüter kennen, den sie am 4. November 1927 dort heiratete. Auch er war kriegsbeschädigt, hatte 30 % Erwerbsminderung und war herzkrank. Dennoch war er in seinem Beruf als Buchhalter sehr erfolgreich. Am 11. Oktober 1932 adoptierte Heinrich Schlüter die beiden Töchter seiner Frau.

Am 2. April 1936 zog die Familie nach Hamburg in die von den Nationalsozialisten in Ostmarkstraße umbenannte Hallerstraße 76 (heute wieder Hallerstraße) in den zweiten Stock. Am gleichen Tag trat Jenny Schlüter in die Jüdische Gemeinde Hamburgs ein.

Anfang Juli 1936 erhielten die Schlüters neue Nachbarn: die Familie Carlebach (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) bezog ihr neues Domizil in der Hallerstraße 76. Ob engere Kontakte bestanden, wissen wir nicht.

Heinrich Schlüter fand Arbeit als Buchhalter bei der Firma Lüer, Holzbrücke 2 in der Altstadt.

Ab 17. August 1938 ordnete ein Gesetz an, dass Jüdinnen und Juden ab 1. Januar 1939 einen zusätzlichen Vornamen für die Frauen "Sara" und für die Männer "Israel", annehmen mussten. Eine Verordnung regelte dann Näheres: Die Betroffenen konnten auch vorgegebene, erlaubte Namen stattdessen annehmen. Jenny Schlüter wählte unter den zur Diskriminierung zusammengestellten Namen den Namen Jente und meldete dies ordnungsgemäß an. Der Polizeipräsident der Stadt Hamburg ließ so am 5. November 1938 in der Geburtsurkunde von Jenny Schlüter vermerken, dass die unter "2. Aufgeführte ermächtigt wurde, anstelle ihres bisherigen Vornamens (Jenny) den Vornamen Jente zukünftig zu führen hat." Beide Töchter erhielten ebenfalls einen neuen Vornamen, um der Stigmatisierung durch "Sara" zu entgehen. Annie Schlüter hieß nun Zilla und Elsbeth Mathel.

Wie alle Juden hatten sie ihren Radioapparat abliefern müssen.

In der NS-Terminologie führten die Schlüters eine "privilegierte" Mischehe. Sie schützte die jüdischen Ehepartner vor längst nicht allen Repressalien, aber doch (bis kurz vor Kriegsende) vor der Deportation. Die NSDAP- wie auch staatliche Stellen oder die Polizei, aber oft auch Verwandte und Bekannte, übten Druck auf die Betroffenen aus, damit diese sich scheiden ließen. Bei Familie Schlüter fanden etliche Wohnungsdurchsuchungen statt. Heinrich Schlüter wurde auch vom Arbeitsamt aufgefordert, sich scheiden zu lassen, sonst würde er ins Konzentrationslager eingewiesen werden.

Das Ehepaar konnte und wollte dem nicht länger standhalten. Am 28. Oktober 1944 beschloss es nach siebzehn Ehejahren, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Jente Schlüter schrieb noch einen Brief an ihre Freundin Elisabeth Lerdau. (Deren Ehemann Walter Alexander Lerdau war von Berlin aus deportiert worden, ein Stolperstein ist geplant.) Heinrich Schlüter richtete einen letzten Brief an seinen Arbeitgeber: "Sehr geehrter Herr Lüer, nun sind die Verhältnisse stärker als wir, und haben meine Frau und ich uns entschlossen unserem Leben ein Ziel zu setzen. Anbei übersende ich Ihnen den Rest meiner beiden Raucherkarten. Es soll eine kleine Dankbarkeit sein, für alles Gute, was ich bei Ihnen fand. Leben Sie wohl, grüssen Sie bitte Ihre Gattin, sowie meine Kollegen und Kolleginnen recht herzlichst und seien auch Sie vielmals gegrüsst von Ihrem Heinrich Schlüter. "

Jente Schlüter hatte je 10 Schlaftabletten in Pfefferminztee aufgelöst, den sie tranken und sich ins Bett legten.

Der Arbeitgeber Lüer schickte seine beiden kaufmännischen Angestellten mit dem Brief zur Polizeiwache, die daraufhin Beamte zur Wohnung entsandte. Diese stiegen durch ein Fenster in die Wohnung ein und fand die Eheleute. Sie lebten noch und wurden ins Universitätskrankenhaus Eppendorf eingeliefert.

Während Heinrich Schlüter überlebte, starb Jente Schlüter am 31. Oktober 1944.
Heinrich Schlüter verstarb am 16. Januar 1946 an einem Herzschlag.

Zum Schicksal der Kinder von Jente und Heinrich Schlüter:
Annie (Zilla) Schlüter konnte flüchten, wann und wohin wissen wir nicht.
Elsbeth (Mathel) Schlüter flüchtete nach London. Sie starb dort an einem uns unbekannten Datum.

Stand: Mai 2021
© Bärbel Klein

Quellen: 1; 2; 4; StaH 331-5_3 Akte 1409/1944; 332-5_1469/1944; 332-5_66/1946; 741-4_K2430; https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2013/10/01/01102013/; Geburtsurkunde 102/1888 Jente Windmüller; Sterbeurkunde Nr. 4/1920 Julius Goldschmidt; Geburtsurkunde 27/1910 Annie Goldschmidt, Nr. 51/1913 Elsbeth Goldschmidt; www.wikipedea.de; www.geni.com; www.ancestry.de (Einsicht am 12.1.2021).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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