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Alwin Knötsch
Alwin Knötsch
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Alwin Knötsch * 1894

Herderstraße 24 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
ALWIN KNÖTSCH
JG. 1894
EINGEWIESEN 1938
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 12.10.1943
HEILANSTALT HADAMAR
ERMORDET 29.10.1943

Alwin Willi Knötsch, geb. 30.1.1894 in Hamburg, Aufenthalte in etlichen Hamburger Anstalten und Heimen, zuletzt ab 31.10.1938 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf), verlegt am 7.8.1943 in die Landesheilsanstalt Eichberg im Rheingau, von dort abtransportiert am 12.10.1943 in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Hadamar, ermordet am 29.10.1943

Herderstraße 24, Barmbek-Süd

Alwin Willi Knötsch kam am 30. Januar 1894 in der Wohnung seiner Eltern in Hamburg-Winterhude, Geibelstraße 36, Haus 3, zur Welt. Seine Geburt vollzog sich in Steißlage. Ob dadurch ein kindlicher Sauerstoffmangel eingetreten ist, wissen wir nicht.

Alwins Vater, der Tischler Friedrich Carl Hermann Knötsch, war am 31. Januar 1859 in Grödel bei Riesa in Sachsen, seine Mutter, Auguste Emma, geborene Menzel, am 14. Dezember 1855 in Kamenz in Sachsen geboren worden. Beide Eltern gehörten der lutherischen Konfession an. Wir wissen nicht, wann sie die Ehe geschlossen haben.

Alwin Knötsch hatte sieben Geschwister: den am 5. April 1887 geborenen Friedrich Max, die am 26. November 1888 geborene Alma Martha, die am 5. September 1890 geborenen Zwillinge Thora Erika und Frieda Elsa, den am 22. Oktober 1892 geborenen Bruno Paul, den am 5. Oktober 1895 geborenen Franz Otto und die am 15. Juli 1897 geborene Anna Ida. Geburtsort war jeweils Hamburg.

Drei der Geschwister, Friedrich Max sowie die Zwillinge Thora Erika und Frieda Elsa, starben im Alter von fünf Jahren oder jünger. Anna Ida Knötsch wurde sieben Jahre alt. Die anderen Geschwister erreichten das Erwachsenenalter: Bruno Paul nahm sich im Alter von 46 Jahre das Leben. Von Franz Otto Knötsch wissen wir, dass er Desinfektor tätig war und 1917 Anna Maria Dorothee, geschiedene Müller, geborene Stampehl, geheiratet hatte. Über das weitere Schicksal dieses Paares, wie über Alma Marthas Schicksal, ist uns nichts bekannt.

Alwin Knötsch litt als Kind unter Rachitis, seine Entwicklung war stark verzögert. Er besuchte die Hilfsschule in der Bachstraße in Barmbek-Süd vom 1. Oktober 1903 bis 23. März 1911 (Hilfsschule ist ein heute nicht mehr verwendeter Name für eigenständige sonder- oder heilpädagogische Förderschulen). Eine danach begonnene Korbmacherlehre brach Alwin Knötsch nach zwei Tagen ab. Bis November 1926 fand er mehrere kurzzeitige Anstellungen bei Hamburger Firmen, die längste von November 1921 bis März 1923 bei der Deutschen Werft. Nach einundeinhalb Jahren als Schiffsreiniger "ging er stempeln", d.h. er war arbeitslos. Alwin Knötsch wohnte bei seinem Vater in der Herderstraße 24. Friedrich Carl Hermann Knötsch war bereits Witwer, seine Frau August Emma, Alwin Knötsch‘ Mutter, war am 20. Juli 1919 gestorben.

Am 2. Dezember 1926 wurde Alwin Knötsch in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg aufgenommen. Er erhielt die Diagnose "Idiotie". Dieser heute in der Medizin nicht mehr gebräuchliche Begriff bezeichnete eine angeborene oder im frühen Kindesalter erworbene geistige Behinderung schwersten Grades. Es ist nicht überliefert, wie es zu der Einweisung in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg kam. Am 14. September 1929 wurde er in das Versorgungsheim Farmsen verlegt und von dort nach einem Zwischenaufenthalt in der Staatskrankenanstalt Langenhorn im April 1936 in das Allgemeine Krankenhaus Barmbek zum Zwecke der Sterilisation eingewiesen.

Die Grundlage für diesen Eingriff bildete das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom Juli 1933, mit dem die Nationalsozialisten die formale Rechtsgrundlage zur zwangsweisen "Unfruchtbarmachung" vermeintlich "Erbkranker" und "Alkoholiker" hergestellt hatten. Nach diesem Gesetz konnte ein Mensch unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, "wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden." ( Reichsgesetzblatt I Nr. 86/1933 S. 146 ff.).

Nach neun Tagen kam Alwin Knötsch am 15. April 1936 zurück nach Farmsen. In der dortigen Versorgungsanstalt lebte er in den folgenden zweiundeinhalb Jahren, bis er am 31. Oktober 1938 in den damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf) aufgenommen wurde. Der Leiter des Versorgungsheims Farmsen hatte zuvor gegenüber der Fürsorgebehörde in einem Ärztlichen Bericht geschrieben:
"Bei K.[nötsch] besteht angeborener Schwachsinn hohen Grades. Vorübergehend litt K. außerdem an epileptischen Anfällen. In den letzten Jahren zeigte er überdies seelische Störungen, die im Sinne einer Schizophrenie (Pfropfhebephrenie) zu deuten waren. Die Erfahrungen in der Anstalt Farmsen haben gezeigt, dass K. infolge seines Schwachsinns zu keiner geregelten Tätigkeit fähig ist. Im Körperlichen ist K. durch eine Verkrümmung der Lendenwirbelsäule und durch Stellungsanomalie der Hüftgelenke ebenfalls behindert. K. ist infolge der genannten Leiden für Militärdienst untauglich.
Gez. Buchta, Leitender Oberarzt."

In den Alsterdorfer Anstalten wurde Alwin Knötsch als ruhig, antriebsarm und zeitweise stark verwirrt wahrgenommen.

Während der schweren Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 (Operation Gomorrha) erlitten auch die damaligen Alsterdorfer Anstalten in der Nacht vom 29./30. Juli 1943 und dann noch einmal vom 3./4. August 1943 Schäden. Der Anstaltsleiter, SA-Mitglied Pastor Friedrich Lensch, bat die Gesundheitsbehörde um Zustimmung zur Verlegung von 750 Patientinnen und Patienten, angeblich um Platz für Verwundete und Bombengeschädigte zu schaffen. Mit drei Transporten zwischen dem 7. und dem 16. August wurden insgesamt 468 Mädchen und Frauen, Jungen und Männer in die "Landesheilanstalt Eichberg" in der Nähe von Wiesbaden, in die "Heil- und Pflegeanstalt Kalmenhof" in Idstein im Rheingau, in die "Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen" bei Passau und in die "Wagner von Jauregg-Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" in Wien verlegt.

Alwin Knötsch gehörte zu den 76 Kindern und Männern, die am 7. August 1943 in die "Landesheilanstalt Eichberg" abtransportiert wurden. Die letzte Eintragung in der Krankenakte vom 6. August 1943 lautete: "Wegen schwerer Beschädigung der Anstalten durch Fliegerangriff verlegt nach Eichberg." Zwei Monate später, am 12. Oktober 1943 wurde Alwin Knötsch in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Hadamar bei Limburg weiterverlegt.

Während der ersten Phase der NS-"Euthanasie" ("Aktion T4") war Eichberg eine der Zwischenanstalten für die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg an der Lahn gewesen. Nach dem offiziellen Ende der Gasmorde in den Tötungsanstalten Ende August 1941 wurde in den bisherigen Zwischenanstalten weiter gemordet. In Hadamar, einem der Gas-Mordzentren während der ersten Phase der Krankenmorde, wurden die Menschen nun mit überdosierten Medikamenten getötet.

Alwin Knötsch starb in Hadamar 17 Tage nach seiner Ankunft am 29. Oktober 1943. Als Todesursache wurde notiert: "Geisteskrankheit, Darmverschlingung". Es kann als sicher angenommen werden, dass er keines natürlichen Todes starb.

Alwin Knötsch wurde 49 Jahre alt.

Stand: März 2024
© Ingo Wille

Quellen: Adressbuch Hamburg; StaH 332-5 Geburtsregister 9096 Nr. 231/1894 Alwin Willi Knötsch, 2140 Nr. 1351/1887 Friedrich Max Knötsch, 2220 Nr. 2582/1890 Thora Erika Knötsch, 2220 Nr. 2583/1890 Frieda Elsa Knötsch, 2170 Nr. 4413/1888 Alma Martha Knötsch, 6362 Nr. 1989/1897 Anna Ida Knötsch, 9077 Nr. 1650/1892 Bruno Paul Knötsch, 6348 Nr. 2640/1895 Franz Otto Knötsch, Heiratsregister 6536 Nr. 324/1895 Franz Otto Knötsch/Anna Maria Dorothee Müller, Sterberegister 1108 Nr. 595/1939 Bruno Paul Knötsch, 300 Nr. 477/1891 Frieda Elsa Knötsch, 7856 Nr. 1497/1891 Thora Erika Knötsch, 7864 Nr. 1439/1892 Friedrich Max Knötsch, 6861 Nr. 615/1905 Anna Ida Knötsch, 6986 Nr. 889/1919 Auguste Emma Knötsch geb. Menzel, 1108 Nr. 595/1939 Bruno Paul Knötsch, 7246 Nr. 150/1941 Friedrich Karl Hermann Knötsch. Standesamt Hadamar, Sterberegister Nr. 79/1944 Alwin Willi Knötsch. Evangelische Stiftung Alsterdorf Archiv, Sonderakte V 106. Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr – Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, Stuttgart 2016, S. 35, 289 ff. Henry Friedländer, Der Weg zum NS-Genozid – Von der Euthanasie zur Endlösung, Berlin 1997, S. 264.

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