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Friederike Marmorek
Friederike Marmorek, o. J.
© UKE/IGEW

Friederike Marmorek (geborene Baruch) * 1858

Breitenfelder Straße 8 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)


HIER WOHNTE
FRIEDERIKE
MARMOREK
GEB. BARUCH
JG. 1858
EINGEWIESEN
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Friederike Marmorek, geb. Baruch, geb. am 10. 1. 1858 in Hamburg, ermordet am 23. 9. 1940 in der Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel

Breitenfelder Straße 8, Hamburg-Hoheluft-Ost

Friederike Marmorek, geborene Baruch, kam am 10. Januar 1858 in der 2. Marienstraße in der Hamburger Neustadt zur Welt. Friederikes Vater, der 1819 in Hamburg geborene Zigarrenmacher Marcus Baruch, und ihre Mutter, die 1820 ebenfalls in Hamburg geborene Klärchen Friedländer, hatten im Dezember 1844 geheiratet. Die Eltern bekannten sich zum jüdischen Glauben.

Friederike hatte sieben Geschwister: Thelesia, verheiratete Meyer, geboren am 23. August 1846 in Hamburg, Zeughausmarkt, Auguste, verheiratete Scheier, geboren am 7. Juni 1848 in Hamburg, Zeughausmarkt, Isaac, geboren am 8. April 1852 in Hamburg, Mühlenstraße, Bernhard, geboren am 15. April 1854 in Hamburg, Mühlenstraße, Jacob, geboren am 4. September 1856 in Hamburg, Mühlenstraße, Meier, geboren am 18. September 1859 in Hamburg, 1. Marktstraße und Raphael, geboren am 14. November 1861 in Hamburg, 1. Marktstraße.

Friederike Baruch heiratete am 12. April 1893 in Hamburg den Kaufmann Berl Marmorek. Er und seine Zwillingsschwester, deren Namen und deren Schicksal wir nicht kennen, waren am 8. September 1854 in Tarnopol (Galizien) im damaligen Österreich-Ungarn zur Welt gekommen, er war also österreichischer Staatsbürger. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Untergang der k. u. k.-Monarchie hatte er die polnische Staatsangehörigkeit erhalten. Berl Marmorek war am 20. Juni 1890 nach Hamburg gekommen und hier als Fonds- und Warencommissionär tätig.

Das jung vermählte Paar, Friederike war damals 35 Jahre und Berl 39 Jahre alt, bezog zunächst eine Wohnung in der Steinwegpassage 5. Es lebte dann etwa drei Jahre in der Wexstraße 29, beides Adressen in der Hamburger Neustadt. Wie so viele Jüdinnen und Juden übersiedelte auch das Ehepaar Marmorek gegen Ende des 19. Jahrhunderts aus der Neustadt in den "besseren" Stadtteil Rotherbaum. In der Rutschbahn 36 fanden sie im Mai 1897 ihren neuen Wohnsitz. Hier wurde am 18. September der Sohn Herbert geboren. Ein Jahr später, am 28. Oktober 1898, erhielt Berl Marmorek die Ausweisungsverfügung aus Hamburg. Er meldete sich nach Galizien ab. Ob Friederike und der Sohn ihn begleiteten oder in Deutschland blieben, wissen wir nicht.

Ab 1907 erschien Berl Marmoreks Name im Adressbuch von Altona. Die Familie war in der Friedenstraße 1 gemeldet. Berl Marmoreks Aufenthaltsstatus war offenbar weiter unsicher. Wahrscheinlich deshalb heuerte der frühere Kaufmann für etwa zehn Jahre als Schiffskoch an. Er entzog sich so einer ständigen Anwesenheit in Deutschland und vermied zugleich Personenkontrollen. Seine Frau Friederike und Sohn Herbert mussten in dieser Zeit lange ohne den Ehemann und Vater auskommen. Über eine Änderung seines Aufenthaltsstatus’ ist nichts überliefert, dennoch scheint sich Berl Marmorek 1917/1918 sicherer gefühlt zu haben. Er arbeitete nicht mehr auf einem Schiff, sondern nahm laut Adressbuch seine ursprüngliche Tätigkeit als Kaufmann wieder auf. 1919 bezog die Familie eine Wohnung in der Friedenstraße 18. Dort wohnte auch Friederikes Bruder, der Friseur Jacob Baruch. Vor seinem Tode im Jahre 1919 hatte hier auch Isaac Baruch, ein weiterer Bruder von Friederike Marmorek, gelebt.

Am 30. September 1926 starb Berl Marmorek im Alter von 72 Jahren im Israelitischen Krankenhaus in der Hamburger Heinestraße, die während des Nationalsozialismus 1938 in Hamburger Berg umbenannt wurde. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Langenfelde beigesetzt. Seine Witwe war zum Zeitpunkt des Ablebens ihres Ehemannes 68 Jahre alt.

Friederike Marmorek hatte seit Beginn ihrer Ehe Depressionsphasen durchlebt, die in späteren Jahren von Zeiten extrem guter Stimmung abgelöst worden waren. Wie sich aus ihrer Patientenakte der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg weiter entnehmen lässt, befiel sie des Nachts regelmäßig eine Unruhe, die zu Konflikten mit den Nachbarn und schließlich zum Verlust ihrer Wohnung führte, so dass ihr Sohn Herbert sie etwa 1929 in seine Familie in der Breitenfelder Straße 8 aufnahm.

Herbert Marmorek hatte 1922 Caroline Lichtenstädter, eine der drei Töchter des Oberlehrers an der Talmud Tora Schule, Jacob Lichtenstädter, geheiratet. Er betrieb einen Rohtabak-Großhandel und war als Vollkaufmann im Handelsregister eingetragen. Sein Unternehmen residierte an verschiedenen Adressen im früheren Freihafen in der Hamburger Altstadt (heute Hafen-City), u. a. am Kehrwieder 4. Herbert Marmorek wohnte mit seiner Familie im Stadtteil Rotherbaum, in Altona und schließlich in der Breitenfelder Straße 8 in Eppendorf. Kurz nach der Eheschließung bekamen Herbert und Caroline Marmorek ihre Söhne Kurt Markus Alexander, geboren am 13. August 1923, und Julius Karl, geboren am 14. Oktober 1925. Beide Söhne besuchten bis zu ihrer Emigration die Talmud Tora Schule.

Auch in der Familie ihres Sohnes fand Friederike Marmorek keine Ruhe. Im August 1933 erfasste sie eine andauernde Rastlosigkeit verbunden mit unaufhörlichem Redefluss. Friederike wollte dauernd unterwegs sein, stand nachts auf und weckte die Familie ihres Sohnes. Sie litt in der Folgezeit erneut an Depressionen, ihr konnte aber durch Medikamente geholfen werden. Doch in Anbetracht der beiden noch sehr jungen Enkelsöhne (zehn und sieben Jahre) erschien Friederikes Arzt, Siegfried Baruch, ihr Verbleiben in der häuslichen Gemeinschaft des Sohnes nicht vertretbar. Er wies sie mit Wirkung vom 4. September 1933 in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg ein.

Die langen Jahre der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus’ ihres Mannes müssen Friederike Marmorek sehr belastet haben. Ihr Leben war immer überschattet von Angst und Ungewissheit. Ein gesichertes Familienleben konnte sie kaum jemals führen. Der Tod des Ehemannes und ihrer Schwester Thelesia, der Verlust ihrer Wohnung und das nicht immer konfliktfreie Zusammenleben mit der Familie ihres Sohnes könnten zur krisenhaften Zuspitzung geführt haben.

Friederike Marmorek wehrte sich gegen ihren stationären Aufenthalt in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg und versuchte eine Entlassung zu erreichen. Dies gelang zunächst nicht, Ende Oktober 1933 befand sie sich noch in Friedrichsberg. Auf eine entsprechende Frage von Friederikes Arzt erklärte die Staatskrankenanstalt, dass eine Prognose für den Krankheitsverlauf nicht möglich sei. Zwar sei eine Besserung nicht ausgeschlossen, doch könne von einer Herausnahme aus der Anstalt nur abgeraten werden. Dennoch muss Friederike Baruch ihre Entlassung durchgesetzt haben. Aus ihrer Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde ergibt sich, dass sie am 7. Juni 1934 in die Gemeinde eintrat. Sie wohnte nicht wieder bei ihrem Sohn, sondern zur Untermiete in der Rutschbahn 10 und in der Rappstraße 15 bei dem Schiffskoch S. Kramer, der ein Bekannter aus Berl Marmoreks Seefahrerzeit gewesen sein könnte. Danach fand Friederike Marmorek eine Unterkunft im Marcus-Nordheim-Stift in der Schlachterstraße 40 in Hamburg-Neustadt und schließlich 1939 im Alters- und Pflegeheim des Jüdischen Religionsverbandes (Isaac Hartwigs Vermächtnis) in Altona, Grüne Straße 5.

Friederike Marmorek, die zu dieser Zeit bereits das hohe Alter von 81 Jahren erreicht hatte, war weitgehend auf sich allein gestellt. Ihre Schwester Auguste, verheiratete Scheier, war 1894 verstorben, ihre Brüder Jacob 1900, Raphael 1916, Isaac 1919 und Bernhard 1924. Über das Schicksal von Meier Baruch liegen uns keine Informationen vor.

Friederike Marmorek war schließlich ohne jeden verwandtschaftlichen Anschluss, nachdem ihr Sohn Herbert und seine Familie am 8. Dezember 1936 aus Hamburg geflohen waren. Sie hatten sich am 9. Dezember 1936 in Cherbourg auf der S. S. Queen Mary nach New York eingeschifft.

Wir wissen nicht, wie sich Friederike Baruchs psychische Krankheit weiterentwickelte und wann sie in der Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn aufgenommen wurde. Sie könnte bereits in Langenhorn gewesen sein, als das Reichsinnenministerium alle jüdischen Menschen aus Anstalten in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg im Rahmen einer von der "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, geplanten Sonderaktion zum 18. September 1940 in der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn zusammenziehen ließ.

Nachdem alle jüdischen Frauen und Männer aus den norddeutschen Anstalten in Langenhorn eingetroffen waren, wurden sie gemeinsam mit den dort bereits länger lebenden jüdischen Kranken am 23. September 1940 in die sogenannte Landes-Pflegeanstalt nach Brandenburg an der Havel transportiert. Noch am selben Tag wurden die Menschen in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxid getötet. Unter ihnen befand sich Friederike Marmorek, mit 82 Jahren und acht Monaten die älteste der Gruppe. Nur eine Frau, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Zur Verschleierung dieser Mordaktion wurde in Sterbemitteilungen behauptet, dass die Betroffenen in einer Anstalt in Chełm (polnisch) oder Cholm (deutsch) östlich von Lublin verstorben seien. So enthält auch Friederike Marmoreks Geburtsregistereintrag folgende Notiz: "Verstorben 7. 12. 40 Standesamt Cholm II Nr. 600/1940".

Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Cholm/Chelm. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten fast alle Patienten am 12. Januar 1940 ermordet hatten. Auch gab es in Cholm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.


Stand: Juli 2019
© Ingo Wille

Quellen: 1; 2; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv III, 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patientinnen und Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 361 Sterberegisterauszug Nr. 493/1894 Auguste Scheier, 807 Sterberegisterauszug Nr. 439/1919 Isaac Baruch, 913 Sterberegisterauszug Nr. 325/1926 Berl Marmorek, 2812 Heiratsregisterauszug Nr. 352/1893 Berl Marmorek/Friederike Baruch, 7933 Sterberegisterauszug Nr. 627/1900 Jacob Baruch, 8032 Sterberegisterauszug Nr. 445/1916 Raphael Baruch, 8078 Sterberegisterauszug Nr. 587/1924 Bernhard Baruch, 8085 Sterberegisterauszug Nr. 352/1926 Thelesia Meyer geb. Baruch, 8766 Heiratsregisterauszug Nr. 291/1920 Herbert Marmorek/Caroline Lichtenstaedter, 9133 Geburtsregisterauszug Nr. 1889/1897 Herbert Marmorek; 332-8 Meldewesen K 6563 Meldekarte Marmorek; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 45793 Marmorek, 47360 Julius Marmorek; 522-1 Jüdische Gemeinden 696 d Geburtsregisterauszug Nr. 149/1846 Thelesia Baruch, 696 d Geburtsregisterauszug Nr. 247/1848 Auguste Baruch, 696 e Geburtsregisterauszug Nr. 65/1852 Isaac Baruch, Nr. 58/1854 Bernhard Baruch, Nr. 163/1856 Jacob Baruch, Nr. 9/1858 Friederike Baruch, Nr. 202/1859 Meier Baruch, 696 f Geburtsregisterauszug Nr. 265/1861 Raphael Baruch, 702 b Heiratsregisterauszug Nr. 71/1844 Baruch Marcus/Friedländer Klärchen; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Friederike Marmorek der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; UKE/IGEM, Archiv, Patientenakte Friederike Marmorek der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig. Hinz-Wessels, Annette, Antisemitismus und Krankenmord. Zum Umgang mit jüdischen Anstaltspatienten im Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte (VfZ) (2013) 1, S. 65–92, S. 81. Randt, Ursula, Die Talmud Tora Schule in Hamburg 1805 bis 1942, Hamburg 2005, S. 251. Vielliez von, Anna, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2009, S. 220 (Siegfried Baruch). www.ancestry.de, Passagierliste der S. S. Queen Mary vom 9.12.1936, Auszug (Zugriff 29.6.2016).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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