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Bertha Hirsch (geborene Magnus) * 1872

Im Tale 13 (Hamburg-Nord, Eppendorf)


HIER WOHNTE
BERTHA HIRSCH
GEB. MAGNUS
JG. 1872
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 12.2.1943

Bertha Hirsch, geb. Magnus, geb. am 25.2.1872 in Kiel, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, dort verstorben/ermordet 12.2.1943

Im Tale 13 (Eppendorf)

Bertha Magnus wurde am 25.2.1872 in Kiel geboren als Tochter des jüdischen Ehepaares Samuel Magnus (1843) und Johanna (Hannchen) (1858), geb. Mansfeld. Ihr Vater arbeitete als Handlungsreisender und Kaufmann.

1873 zogen die Eltern mit den beiden Kleinkindern Moses Samuel (1871) und Bertha nach Schleswig in die Langestraße 11. Im selben Jahr übernahm Berthas Vater das Amt des Deputierten und Revisors in der Jüdischen Gemeinde Schleswig. Zudem bekam die Familie weiteren Nachwuchs, die Söhne Ansor, gen. Isidor (1873), und Adolph (1875), so dass sie mehrmals eine größere Wohnung mieteten.

Am 2.8.1880 wechselte die Familie von Schleswig nach Lüchow, dem Geburtsort von Hannchen Magnus. Tragischerweise verstarb sie hier kurze Zeit später. Bertha und ihre Brüder verloren so ihre Mutter im Kindesalter.

1883 ging der Vater eine zweite Ehe ein mit Amalie, geb. Hildesheimer (1845).
Über Bertha Magnus weitere Kindheit und Jugendzeit ist nichts bekannt.
Bei ihrer Eheschließung am 17.8.1900 lebte Bertha Magnus im Schanzenviertel in Hamburg, Fettstraße 22, zusammen mit ihrem Vater (und ihrer Stiefmutter?).

Ihr Ehemann war der am 24.7.1872 in Oldesloe geborene Julius Hirsch, von Beruf laut Heiratsurkunde Bürstenfabrikant. Zum Zeitpunkt der Heirat wohnte er in Oldesloe am Markt (o. Nr.). Seine jüdischen Eltern waren Menny Hirsch und Fanny, geb. Polack. Sie hatten in der Zeit von 1861-1881 sechs Kinder bekommen: Hugo, Friederike, Clara, Julius, Helene, Martha. Seit 1858 bestritt Menny Hirsch den Lebensunterhalt für seine wachsende Familie durch eine Manufakturwarenhandlung in der Mühlenstraße 24. Daneben war er über ein Jahrzehnt in der städtischen Politik Oldesloes aktiv, wurde zum Stadtverordneten der Liberalen gewählt und schied 1879 aus dem Stadtverordneten-Kollegium aus. Als er Konkurs anmeldete, verlor er sein Bürger- und Wahlrecht. Das Haus musste verkauft werden. Menny Hirsch starb am 8.3.1884, er hinterließ seine Witwe und zwei unmündige Kinder, den 12jährigen Julius und die 3jährige Martha.

Julius Hirsch hatte das Handwerk des Bürstenmachers erlernt und war nach Braunschweig verzogen, hatte seinen Militärdienst in Hamburg abgeleistet und war Anfang 1897 nach Oldesloe zurück gegangen, um sich niederzulassen. Im selben Jahr eröffnete er dort ein Geschäft für Bürsten und Pinsel, was er im "Oldesloer Landboten" inserierte. Gut drei Jahre später heiratete er und gründete eine Familie.

Bertha und Julius Hirsch bekamen zwei Söhne, beide wurden in Oldesloe geboren: Hans 1902 und Max 1904. Julius Hirsch gehörte in seinem Heimatort vielen Organisationen und Vereinen an: Seine Religionszugehörigkeit drückte er über seine Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde Wandsbek aus. Darüber hinaus war er aktiver Feuerwehrmann, zudem Mitglied in einer Militärischen Kameradschaft und im Gesangsverein Holsatia.

Die Kriegsbegeisterung 1914 erfasste wohl auch den jüdischen Patrioten Julius Hirsch, der zum Landsturm eingezogen wurde. Am 7.8.1915 kam er im Alter von 43 Jahren infolge eines Sturmangriffs in der Nähe von Sztzljongi (vermutlich Ostfront A.L.) ums Leben.

In der Todesanzeige, die seine Frau bzw. Angehörige im "Oldesloer Landboten" aufgaben, war anders als in vielen vergleichbaren weder vom "Heldentod" noch vom "Tod fürs Vaterland" die Rede. Im Gegenteil, der Krieg wurde als grausam, der Gefallene als Kriegsopfer bezeichnet. Weiter heißt es u.a.: "Aufs tiefste betrauert und schmerzlich vermisst von seiner untröstlichen Witwe Bertha Hirsch, geb. Magnus, seinen beiden lieben Kindern Hans und Max". Als Adresse ist angegeben: z. Zt. Hamburg, Altonaerstraße 53 part(erre). Dort ist im Adressbuch ein H. Hirsch eingetragen, vermutlich ein Verwandter des Verstorbenen.

1916 starb auch Berthas Hirschs Vater mit 73 Jahren, er hatte in der Eimsbütteler Chaussee 12 gewohnt.

D.h. für Bertha Hirsch, dass sie sich nach dem Tod ihres Ehemannes nun in einer ohnehin schwierigen Zeit als Kriegerwitwe und allein erziehende Mutter durchschlagen musste. Sie erhielt für sich und ihre beiden unmündigen Söhne eine monatliche Witwen- und Waisenrente. Trotz dieser Unterstützungsgelder dürfte die Familiensituation von der Not der Nachkriegszeit geprägt gewesen sein. Dafür spricht, dass Bertha Hirsch 1923 einen Antrag stellte, ihr möge die Wohnungsbauabgabe für ihre Wohnung erlassen werden, dem stattgegeben wurde.

1930 waren Bertha Hirsch und ihre beiden ledigen Söhne Hans und Max noch in Bad Oldesloe, Langestraße 23, gemeldet. 1932 zeigen Einträge im Hamburger Adressbuch bzw. in der Kultussteuerkarte der Jüdischen Gemeinde, dass sie eine Wohnung in Hamburg-Eppendorf, Im Tale 13, IV. Etage, bezogen hatten. Hans Hirsch war dort als kaufmännischer Angestellter im Adressbuch eingetragen, auch der jüngere Sohn Max Hirsch war dort registriert.
Aus einem Lebenslauf, den Hans Hirsch Anfang der 1950er Jahre verfasste, können wir nähere Lebensdaten erfahren: 1931 war er nach Hamburg gezogen und hatte sich 1933 mit einem Zigarrengroßhandel selbständig gemacht. 1932 heiratete er und lebte mit seiner Frau bis 1938 in Barmbek, Genslerstraße 13. Seine Frau, Franziska, geb. Schuster (1903 in Bergheim/Bayern, katholisch), war als Directrice in einem Putzgeschäft (Verkauf von Stoffen, Bändern, Litzenetc. A.L.) tätig. Sie verdiente gut, wurde aber auf Druck der NSDAP entlassen. Daraufhin machte sie sich selbständig. Die antisemitische Hetze führte bei beiden Eheleuten jedoch bald zu einem Geschäftsrückgang.
Nach der Annexion Österreichs verlor das Paar die Hoffnung auf eine Besserung der Lage und entschloss sich 1938 zur Auswanderung nach Japan. Beschleunigt wurde dieser Schritt durch eine Warnung an Franziska Hirsch, dass ihr Mann im Juni verhaftet und ins KZ gebracht werden solle. Unter diesem Druck musste der Haushalt zügig aufgelöst, die Sachen letztlich verschleudert werden. Hans Hirsch verließ Hamburg 1938. Lt. Berufseintrag auf der Kultussteuerkarte arbeitete er inzwischen als Vertreter mit geringem Einkommen, deshalb entrichtete er nur 1936 Gemeindesteuern. Am 12.7.1938 teilte seine Mutter der Jüdischen Gemeinde mit, dass er nach Japan ausgewandert sei.

Max Hirsch, der jüngere Sohn von Bertha, hatte als Beruf "Fahrstuhlführer" angegeben. Sein Einkommen dürfte gering gewesen sein, zudem verlor er 1933 seine Arbeit bei der Firma Rudolf Karstadt, wo er seit 1929 beschäftigt gewesen war: Am 11. März 1933 demonstrierten SA-Angehörige vor dem Karstadt-Haus in der Mönckebergstraße, um ihre Forderung durchzusetzen, alle jüdischen Karstadt-Angestellten zum 1. April zu entlassen. Die jüdischen Aufsichtsratsmitglieder hatten zuvor ihre Ämter niedergelegt, um der Forderung nicht zustimmen zu müssen. Der Karstadt-Justiziar Ahlburg begründete die antisemitischen Maßnahmen damit, dass die jüdischen Angestellten keine vollwertigen Mitarbeiter und keine gleichberechtigten Staatsbürger seien. Es kann angenommen werden, dass Max Hirsch zu den Entlassenen gehörte. Bis September 1934 war er dann bei der HAPAG als Aufwäscher und Anrichtungsgehilfe beschäftigt. Sein Lohn dürfte kaum zum Leben ausgereicht haben. Bereits 1932/33 hätte er 2,35 RM Steuern an die Jüdische Gemeinde zahlen sollen, die ihm erlassen wurden, 1934/35 konnte er keine Gemeindesteuern mehr entrichten. Am 20.5.1935 trat er aus der Jüdischen Gemeinde aus. Als Begründung ist eingetragen: "Verzug i./Ausland b. Bruder". Doch zur gemeinsamen Auswanderung der Brüder kam es nicht, Max verließ Deutschland 1936 mit Ziel Palästina, Hans emigrierte erst 1938.

Bertha Hirsch war indes allein in Hamburg zurückgeblieben. Sie wohnte nach der Auswanderung ihrer Söhne weiter in der Wohnung Im Tale 13 und bezog eine Hinterbliebenenrente in Höhe von 88,80 M. 1937 trat sie in die Jüdische Gemeinde ein. Gemeindesteuern zahlte sie nicht, weil sie von der Wohlfahrt unterstützt wurde. Zudem trugen wohl ihre beiden Schwägerinnen Helene und Friederike Oppenheim, die sie als Untermieterinnen bzw. Mitbewohnerinnen aufgenommen hatte, zu den Mietkosten bei (s.u.).

Mit Stempelaufdruck "19.7.42 Abwanderung" wurde Bertha Hirschs Steuerkarte beim Jüdischen Religionsverband Hamburg geschlossen (so musste sich die Jüdische Gemeinde nun nennen). Bertha Hirsch blieb noch bis 1942 im Adressbuch mit ihrer Eppendorfer Wohnung eingetragen, obwohl sie vor der Deportation in Altona, Sonninstraße 12 (heutige Biernatzkistraße) gemeldet war. Das Haus gehörte zu den drei Gebäuden mit den Nummerierungen 12-16, die bis 1941 von der Salomon Joseph und Marianne Hertz-Stiftung verwaltet wurden. Danach mussten sie – wie alle Immobilien jüdischer Stiftungen - der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland mit der Zentrale in Berlin übereignet werden.

Bertha Hirsch hatte wie alle Jüdinnen den zusätzlichen Namen "Sara" annehmen müssen, wie vom Standesbeamten auf der Heiratsurkunde am 18.2.1939 vermerkt wurde. Sie hätte auch ihren Eintrag in den Adressbüchern ändern lassen müssen, was in beiden Folgejahren weder bei ihr noch bei den 19 Mitbewohnerinnen bzw. Mitbewohnern in den Häusern der Sonninstraße geschah. Das sah 1941 schon etwas anders aus: von 20 Personen trugen im Adressbuch nun drei den Zusatznamen Sara. 1942 lebten in den Häusern 21 Personen, alle im Adressbuch mit den Zusatznamen Sara bzw. Israel versehen. Bertha Hirsch wurde nicht namentlich aufgeführt, vermutlich, weil die Stiftswohnungen als "Judenhäuser" genutzt und vielfach zeitlich begrenzt belegt waren.

Daran, dass Bertha Hirsch ihre Eppendorfer Wohnung verlassen musste, konnten sich 1961 zwei Zeuginnen erinnern, die Sohn Max Hirsch im Zuge seines Wiedergutmachungsverfahrens über seinen Anwalt hatte ausfindig machen können. Die Zeugin Anni Wrecken gab zu Protokoll: "Die Erblasserin Frau Bertha Hirsch wohnte früher in Eppendorf, Im Tal 14 oder 13. Ich kannte sie seit etwa 1936. Ich hatte dort in der Nähe ein Geschäft, in dem mich Frau Hirsch auch häufig aufsuchte. Ich glaube, es ist wohl 1938 gewesen, als ich nach Langenhorn verzog. Ich bin aber mit Frau Hirsch noch in Verbindung gewesen. Wir haben aber nur telefonisch miteinander gesprochen. So hat sie mir auch eines guten Tages mitgeteilt - ich weiß nicht, wann es gewesen ist, dass sie abtransportiert werden sollte. Sie sagte mir, sie müsse sich in Altona, Allee melden. Ihre Wohnung müsse sie verlassen unter Zurücklassung ihrer gesamten Habe." Die Zeugin zählte die Einrichtung von Wohn-, Schlafzimmer und Küche auf und erwähnte auch, dass Bertha Hirsch Silber besessen habe, sie könne aber nicht sagen, ob sie dieses mitgenommen habe wie z.B. ihre Wäsche (was Bertha Hirsch der Zeugin mitgeteilt habe).

Die zweite Zeugin, eine angeheiratete Verwandte, erinnerte sich nur vage und datierte den Umzug irrtümlich auf die Zeit weit vor Kriegsbeginn. Beide Frauen konnten keine Angaben zu Details der Wohnungseinrichtung aus der Zeit vor dem Umzug machen.

Bertha Hirsch‘ Mitbewohnerinnen, die Schwestern Oppenheim, hatten 1939 die Auswanderung nach Shanghai beantragt. Da sie nur über geringes Vermögen verfügten (gebrauchte Kleidung und Hausrat im geschätzten Wert von 450 RM), gab der Oberfinanzpräsident die Sachen frei. Der Jüdische Hilfsverein erklärte sich bereit, anfallende Kosten zu übernehmen. Trotzdem scheiterte die Auswanderung. Nach den erhaltenen Akten hatte Bertha Hirsch nicht versucht, Deutschland zu verlassen.

Helene Oppenheim wurde am 18.11.1941 von Hamburg nach Minsk deportiert, Friederike Oppenheim am 19.7.1942 nach Theresienstadt und am 21.9.1942 von dort ins Vernichtungslager Treblinka. Die Spuren der Schwestern verlieren sich im Osten. Zwei Stolpersteine erinnern an sie (Biographien siehe www.stolpersteine-hamburg.de).
Nach Minsk wurden 1941 auch Moses Samuel und Clara/Klara Magnus deportiert, Bruder und Schwägerin Bertha Hirsch‘ (Biographien siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Bertha Hirsch wurde am 19.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie ein halbes Jahr später, am 12.2.1943, zu Tode kam. Der jüdische Arzt dort vermerkte "Enteritis Darmkatarh" und als Todesursache "Herzschlag".

Wie war es unterdessen Berthas Söhnen Hans und Max ergangen?
Hans und Franziska Hirsch trafen in Osaka auf Hans‘ Cousin Werner Oppenheim, der Ende der 1930er Jahre von seiner französischen Firma in die Niederlassung nach Japan versetzt worden war. Werner Oppenheim war der 1910 geborene Sohn von Helene Oppenheim, die später zusammen mit Bertha Hirsch im Sonnin-Stift wohnte. Ebenso gelangte dessen Bruder Arthur über Sibirien und Mandschukuo 1938 nach Osaka. Doch die Brüder fanden keine feste Arbeit und zogen weiter nach China.
Auch die Eheleute Hirsch stellten nach einem Aufenthalt von 6 Wochen fest, dass sie sich in Osaka nicht ernähren konnten und übersiedelten deshalb nach Shanghai in China, dem letzten Ort ohne restriktive Einwanderungsbestimmungen, der jüdischen Flüchtlingen noch offen stand. Hier konnten sie sich wenigstens mithilfe von Flüchtlingsorganisationen über Wasser halten, wie Hans Hirsch im Lebenslauf bemerkte.

Ab 1. Januar 1939 waren Juden in Deutschland gesetzlich verpflichtet, einen weiteren Vornamen anzunehmen (Israel bzw. Sara). Damit nicht genug, sie hatten den Zusatznamen beim Standesamt ihres Geburtsortes und der zuständigen Ortspolizeibehörde schriftlich anzuzeigen. Bei im Ausland lebenden Juden musste die Meldung beim deutschen Konsul erstattet werden. Hans Hirsch sandte nun von Shanghai aus ein Formular an das Standesamt Bad Oldesloe und teilte am 13.2.1939 mit, "…dass ich ab 1. Januar 1939 zusätzlich den Vornamen Israel … führe…" Seine Adresse lautete 32. Rt. Pere Robert, Shanghai.

Das Schreiben ging am 9.3.1940 beim Standesamt Bad Oldesloe ein. Eine Woche später ordnete der Standesbeamte Mannitz an, dass das Geburtsregister mit einem entsprechenden Randvermerk zu versehen sei. Die NS-Bürokratie gab sich nicht damit zufrieden, die jüdischen Deutschen ausgeplündert und aus dem Reichsgebiet vertrieben zu haben, vielmehr wurde ihnen gezeigt, dass sie weiter unter Beobachtung standen und der lange Arm des Regimes bis in den letzten Fluchtwinkel in Fernost reichte.

Im Mai 1943 musste Hans Hirsch in den Getto-Bezirk ziehen, in dem er bis August 1945 bleiben musste. Dort herrschten noch schlechtere Überlebensbedingungen für Flüchtlinge als in der chinesischen Metropole allgemein. Hans Hirsch lebte dort mit anderen Emigranten unter der Adresse 725/27 Tongshan-Road. Im Mai 1945 stellte sich heraus, dass er sich durch das erlittene Ungemach und die Nachricht von der Ermordung seiner ganzen Familie eine schwere Herzkrankheit zugezogen hatte, die ihn nun (1953) erwerbsunfähig machte und nach Ansicht der Ärzte unheilbar war.
Anfang 1946 hatte er ein Suchformular eingereicht, das seine Mutter Bertha Hirsch betraf. Er war zu diesem Zeitpunkt geschieden. Am 2.11.1947 verließ Hans Hirsch Shanghai, um nach Amerika weiterzuwandern.
Wann die Scheidung erfolgte, ist nicht belegt. In Amerika sah es nicht (mehr) nach Trennung aus. Während sie anfangs in San Francisco lebten, wo Hans Hirsch bei einem Autounfall schwer verletzt wurde, teilten sie bald darauf dieselbe Adresse in Cleveland/Ohio. Auch verfügte Franziska Hirsch über eine Vollmacht, die sie wohl auch berechtigte, Hans Hirschs Ansprüche gegen das Wiedergutmachungsamt in Hamburg zu vertreten. Den Lebensunterhalt verdiente Franziska Hirsch als Pelznäherin.
Da Hans Hirsch seinen schlechten Gesundheitszustand auf das Leben als Flüchtling in Shanghai und den Schock über die Ermordung seiner Mutter und anderer Verwandter zurückführte, forderten die deutschen Behörden dafür Beweise an. Diese bestanden u.a. aus einer eidesstattlichen Versicherung ehemaliger Mitbewohner des Shanghaier Gettos (1953) sowie einem Krankenbericht des Mount Sinai Krankenhauses in Ohio 1952/53. Hans Hirsch litt demnach an schweren Herzbeschwerden, er hatte bereits einen Herzinfarkt und Schlaganfall hinter sich. Auch soll er sich zeitweise in psychiatrischer Behandlung befunden haben.

Verkompliziert wurde der Kampf um Anerkennung der Wiedergutmachungsansprüche durch die Tatsache, dass Hans Hirsch von einem auf den anderen Tag spurlos verschwand und nicht wieder auftauchte. Seit dem 22.12.1954 gilt er als verschollen. Franziska Hirsch lebte seit 1965 wieder in Deutschland und sprach 1970 beim Amt in Hamburg vor, nachdem das Verfahren fast 20 Jahre zu keinem Abschluss gekommen war. In einem Gesprächsprotokoll heißt es: "Ihr Ehemann sei 1954 spurlos verschwunden, es habe keiner gewusst, wo er geblieben sei. Vorher war ihr Ehemann in der gemeinschaftlichen Wohnung in Cleveland/Ohio. Frau Hirsch arbeitete tagsüber und ließ ihren Mann allein. Er war sehr depressiv. Sie meint, dass er ein Opfer seiner Depressionen geworden ist. Möglicherweise ist er plötzlich auf die Straße gelaufen und dort zusammengebrochen. Dort wird er vermeintlich … von der Polizei in ein Heim gebracht worden sein und dort nicht mehr lange gelebt haben. In Amerika könne ein Angehöriger keine nähere Auskunft über das Schicksal solcher Menschen bekommen. Sämtliche Nachforschungen seien daher erfolglos geblieben. … Ihr Mann sei zu ¾ erblindet gewesen und teilweise gelähmt. Er sei an einem Stock gelaufen und könne daher gar nicht weit gekommen sein. … Frau Hirsch hat viele Nachforschungen angestellt, aber ohne Erfolg. Schließlich erfolgte die Todeserklärung vom Nachlassgericht in Cleveland/Ohio (am 4.9.1964 auf den 18.5.1954 A.L.) Auch das deutsche Konsulat in Cleveland/Ohio hat eine Akte über den Vorgang. Frau Hirsch meint, dass dort am meisten niedergelegt ist." In einem weiteren Schriftstück der Akte heißt es: "Obwohl niemand über das Schicksal des Verschwundenen wirklich etwas weiß, scheint sich doch der Eindruck festgesetzt zu haben, dass er anlässlich seines Spazierganges zu einer Großbaustelle am Erie-See gelangt und dort in eine Baugrube gefallen sei. Durch seine körperliche Hilflosigkeit sei er nicht mehr imstande gewesen, sich aus dieser Lage zu befreien und umgekommen."
Im Mai 1971 kam es zu einem Vergleich über den Berufsschaden, den Hans Hirsch seit Anfang der 1930er Jahre durch die NS-Verfolgung und die erzwungene Emigration erlitten hatte.

Etwa 16 Jahre nach dem Tod seiner Mutter Bertha Hirsch meldete Max Hirsch, der 1936 nach Palästina emigriert war und in der Nähe von Haifa lebte, Rückerstattungsansprüche an. Er legte eine Liste vom Hausrat und dem Silber seiner Mutter bei. Auch sein Bruder Hans wäre erbberechtigt gewesen, doch dieser galt als verschollen (s.o.).

Die Oberfinanzdirektion allerdings konnte keine Belege für Max Hirschs Ansprüche finden, lediglich ein Einzahlungsbeleg vom 27.8.1942 bewies, dass die Versteigerung des Nachlasses RM 82,70 zugunsten des Deutschen Reiches ergeben hatte. Auch die Abgabe bzw. Beschlagnahmung von Silber bestritt die Behörde. Fazit: Weil Bertha Hirsch Hausrat und Silbersachen nicht vorausahnend gelistet und vor der Deportation vorsorglich bei Nachbarn oder Verwandten hinterlegt hatte, sie im Übrigen auch nicht vermögend genug war, um ins Visier der Devisenstelle zu geraten zu sein, waren die Ansprüche ihrer Erben nicht zu belegen und so wurde ihnen auch nicht entsprochen. Die alten NS-Akten galten als Beweis gegen die Erben. Ein Vergleich kam nicht zustande. Schließlich entschied die Wiedergutmachungskammer 1962, dass Max Hirsch 600 DM rückerstattet bekam. Offen bleibt, ob er auch den Anteil seines verschollenen Bruders erhielt.

Max Hirsch hatte wiederholt versucht, auch für sich selbst Wiedergutmachung zu erhalten. Doch seine körperlichen Beeinträchtigungen, insbes. sein fortschreitendes Wirbelsäulenleiden, wurde nicht als verfolgungsbedingt anerkannt.

Stand: August 2023
© Astrid Louven

Quellen: StaHH 213-13_23486 + _32503 Landgericht Hamburg Wiedergutmachung; StaHH 351-11 25741 Amt für Wiedergutmachung Hamburg; StaHH 522-1 Jüdische Gemeinden 992b, Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg; Sylvina Zander, "Ich bin an diesem Ort geboren" Die Geschichte der Oldesloer Juden, Kiel 2016, S. 105, 107, 114, 131, 133-34, 137, 170, 173, 176-78; Adressbuch Hamburg 1902, 1905, 1910, 1914, 1915, 1920, 1925, 1928, 1930, 1931, 1935, 1940-1942; ancestry, Heiratsurkunde 462 Julius und Bertha Hirsch vom 17.8.1900, Hamburg; Institut Theresienstädter Initiative, Nationalarchiv Prag, Hirsch_Bertha 417912_TfA.jpg; Datenpool JSHD, Erich Koch, mitgeteilt am 24. + 28.7.2023; Scan aus der Sammelakte zum Geburtsregister Nr. 69/1902 (Hans Hirsch) zur Verfügung gestellt vom Stadtarchiv Bad Oldesloe am 24.7.2023 (Frau Dr. Zander); Suchformular für Bertha Hirsch, ausgefüllt von Hans Hirsch, zugeschickt von der Holocaust-Gedenkstätte YadVashem mit Mail vom 7.8.2023.

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