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Bereits verlegte Stolpersteine



Leo Massenbacher * 1896

Wohldorfer Straße 3 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
LEO MASSENBACHER
JG. 1896
EINGEWIESEN 1940
HEILANSTALT LANGENHORN
"VERLEGT" 23.9.1940
BRANDENBURG
ERMORDET 23.9.1940
"AKTION T4"

Leopold Massenbacher, geb. 1.1.1896 in Burghaslach (Mittelfranken), ermordet am 23.9.1940 in der "Landes-Pflegeanstalt" Brandenburg an der Havel

Stolperstein Hamburg-Bramfeld, Wohldorfer Straße 3

In Burghaslach, einem Dorf in Mittelfranken, lassen sich 1525 erste Spuren von Israeliten nachweisen. Nach der völligen rechtlichen Gleichstellung der Juden in Bayern im Jahr 1868 entwickelte sich in Burghaslach ein vielfältiges kulturelles Gemeindeleben, das von den Aktivitäten des Synagogenvereins, der Vereinigung für fromme Studien Talmud Tora und einer Hilfskasse geprägt war. Es bestanden Ortsgruppen des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und der Agudat Israel, einem streng religiösen Bund jüdischer Orthodoxie. Die jüdische Gemeinde unterhielt eine jüdische Volksschule mit einem eigenen Lehrer.

Hier lebte die Familie Massenbacher seit mehreren Generationen. Leopold Massenbachers Vater, der Weinhändler Maier Massenbacher und seine Mutter Helena Massenbacher, geborene Blum, bekamen zwischen 1881 und 1901 zwölf Kinder:
Seligman Moshe Chaim Massenbacher, geboren am 21. Dezember 1881,
Jette Massenbacher, verheiratete Lieber, geboren am 8. August 1883,
Moshe Chaim Massenbacher, geboren wahrscheinlich 1884,
Selma Massenbacher, verheiratete Sichel, geboren am 16. August 1884,
Jakob Massenbacher, geboren am 15. März 1886, gestorben am 30. August 1886,
Salomon Massenbacher, geboren am 21. Juni 1887,
Laura Massenbacher, verheiratete Levi, geboren am 2. Mai 1890,
Rosa Massenbacher, geboren 17. August 1892,
Bella Massenbacher, verheiratete Wallach, geboren am 29. Mai 1894,
Leopold Massenbacher, geboren am 1. Januar 1896,
Lia Massenbacher, geboren am 6. Juli 1897,
Max Massenbacher, geboren am 8. August 1901.

Die Eltern dieser großen Familie blieben bis an ihr Lebensende in dem mittelfränkischen Ort. Helena starb 1924, Maier Massenbacher 1929. Sein Grabstein steht immer noch auf dem jüdischen Friedhof in Burghaslach.

Leopold Massenbacher lebte seit 1922 in Hamburg und war als Handlungsgehilfe tätig. Seine Adresse lautete Wohldorfer Straße 3 bei Schirmer im Stadtteil Bramfeld-Süd. Wahrscheinlich machten die in Hamburg lebenden Verwandten die Stadt für Leopold anziehend. Vor ihm war seine Schwester Jette nach Hamburg gekommen. Sie war mit dem Kantor und Schächter des Deutsch-Israelitischen Synagogenverbandes in Hamburg, Hermann Lieber, verheiratet. Das Ehepaar wohnte seit 1912 in der Glashüttenstraße 89 im Stadtteil St. Pauli. Dort hatten sich zeitweise auch Bella und Rosa Massenbacher niedergelassen. Auch Salomon Massenbacher lebte 1909/1910 etwa ein Jahr in Hamburg. Leopolds Schwester, Selma Sichel, geborene Massenbacher, wohnte ebenfalls in Hamburg.

Am 5. August 1924 wurde Leopold Massenbacher auf Veranlassung der Polizeibehörde Hamburg in die Staatskrankenanstalt Friedrichsberg eingewiesen. Dr. Richard Löwenberg, später Assistenzarzt in Friedrichsberg, hatte die Aufnahme wegen "dringenden Suizidverdachts" für erforderlich erklärt. Seine stationäre Behandlung in Friedrichsberg wurde später mit der Diagnose "Sinnestäuschungen" begründet. Von Friedrichsberg wurde Leopold Massenbacher am 15.Januar 1926 in die Staatskrankenanstalt Langenhorn verlegt. Infolge eines Belegungsrechtes für neu errichtete Bettenkapazitäten, das Hamburg mit einem Darlehen erkaufte und mit einem Staatsvertrag mit Lübeck besiegelte, kam Leopold am 9. Oktober 1930 in die Heilanstalt Strecknitz bei Lübeck.

Leopold Massenbacher verbrachte die folgenden zehn Jahre in der Lübecker Anstalt. Hermann Lieber, Jette Massenbachers Ehemann, hatte während dieser Zeit für mehrere Jahre die Pflegschaft für Leopold übernommen. Auch andere Verwandte waren um Leopold besorgt. So erkundigte sich seine in Berlin lebende Schwester Bella, verheiratete Wallach, im Juli 1940 nach dem Zustand ihres Bruders. Sie erhielt sinngemäß als Antwort, dass es Leopold körperlich gut gehe, er aber für seinen Zustand und seine Umgebung kein Interesse zeige. Unter Anleitung verrichte er kleinere Stationsarbeiten.

Im Frühjahr/Sommer 1940 plante die "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, eine Sonderaktion gegen Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten. Sie ließ die in den Anstalten lebenden jüdischen Menschen erfassen und in sogenannten Sammelanstalten zusammenziehen. Die Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn wurde zur norddeutschen Sammelanstalt bestimmt. Alle Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg wurden angewiesen, die in ihren Anstalten lebenden Juden bis zum 18. September 1940 dorthin zu verlegen.

Leopold Massenbacher traf am 16. September 1940 in Langenhorn ein. Am 23. September 1940 wurde er mit weiteren 135 Patientinnen und Patienten aus norddeutschen Anstalten nach Brandenburg an der Havel transportiert. Der Transport erreichte die märkische Stadt noch an demselben Tag. In dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses trieb man die Patienten umgehend in die Gaskammer und ermordete sie mit Kohlenmonoxyd. Nur Ilse Herta Zachmann entkam zunächst diesem Schicksal (siehe dort).

Wahrscheinlich erhielten Leopolds Angehörige keine Kenntnis von seinem Tod. Sonst hätte sich die in Würzburg lebende Schwester von Leopold, Rosa Massenbacher, nicht am 5. Februar 1941 schriftlich in Strecknitz nach seinem Befinden erkundigt. Sie erhielt unter dem 8. Februar 1941 die Antwort, dass ihr Bruder bereits am 16. September 1940 nach Langenhorn zurückverlegt worden sei.

Auf dem Geburtsregistereintrag von Leopold Massenbacher wurde notiert, dass das Standesamt Chelm II seinen Tod unter der Nummer 418/1941 registriert hat. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm (deutsch: Cholm), einer Stadt nordöstlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Acht von Leopold Massenbachers Geschwistern starben eines natürlichen Todes, einige nachdem sie aus Deutschland emigriert waren. Salomon Massenbacher, Soldat im Ersten Weltkrieg, galt als vermisst. Bella Massenbacher, verheiratete Wallach, wurde am 18. Oktober 1941 von Berlin aus nach Litzmannstadt (Lodz) und von dort am 8. Mai 1942 nach Kulmhof (Chelmno) deportiert. Dort wurde sie am selben Tag ermordet. Rosa Massenbacher soll wie Gitta Sichel, Leopolds Nichte, in Auschwitz ermordet worden sein.

Stand: Februar 2018
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 9; AB; StaH 133-1 III Staatsarchiv 3171-2/4 U.A. 4, Liste psychisch kranker jüdischer Patienten der psychiatrischen Anstalt Langenhorn, die aufgrund nationalsozialistischer "Euthanasie"-Maßnahmen ermordet wurden, zusammengestellt von Peter von Rönn, Hamburg (Projektgruppe zur Erforschung des Schicksals psychisch Kranker in Langenhorn); 332-5 Standesämter 1024 Sterberegisterauszug Nr. 305/1934 Jacob (Jacob) Massenbacher; 332-8 Meldewesen K 6571 Massenbacher; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 6667 Jette Lieber, 34341 Selma Sichel; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn 1995/2 16089 Leopold Massenbacher; UKE/IGEM, Patienten-Karteikarte Leopold Massenbacher der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; Markt Burghaslach, Geburtsregisterauszug Nr. 20/1883 Jette Massenbacher, Geburtsregisterauszug Nr. 8/1886 Jakob Massenbacher, Markt Burghaslach, Geburtsregisterauszug Nr. 10/1890 Laura Massenbacher, Geburtsregisterauszug Nr. 12/1894 Bella Massenbacher, Geburtsregisterauszug Nr. 1/1896 Leopold Massenbacher; IMGWF, Patientenakte Leopold Massenbacher der Heilanstalt Lübeck-Strecknitz; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig; Hinz-Wessels: Antisemitismus und Krankenmord in VfZ 1/2013, S. 81; Fleischmann, Johann: Burghaslach 1828–1834, S. 99ff., Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus Burghaslach, S. 109ff. in: Fleischmann: Mesusa 4, Mühlhausen, 2004; Von Villiez: Mit aller Kraft verdrängt, S. 343 (Dr. Löwenberg).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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