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Bereits verlegte Stolpersteine



Irma Berlin * 1908

Dillstraße 3 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
IRMA BERLIN
JG. 1908
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Weitere Stolpersteine in Dillstraße 3:
Flora Berlin, Deborah Ehrenzweig

Flora Berlin, geb. Levy, geb. 1.11.1883, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk und ermordet
Irma Berlin, geb. 12.7.1908, deportiert am 18.11.1941 nach Minsk und ermordet

Dillstraße 3, Rotherbaum

Am 5. Juni 1868 heirateten in Danzig der Tischlermeister David Levy und Cäcilie Levy, geb. Rosenberg/Rosenberger. Beide stammten aus Danzig und hingen dem jüdischen Glauben an. Sie zogen 1875 in die Große Bergstraße 141 nach Altona.

David und Cäcilie Levy wurden in den folgenden Jahren Eltern von sechs Kindern: Am 13. Februar 1875 wurde Cäsar, am 8. April 1876 Johanna geboren, am 19. April 1877 folgte Flora, die bereits am 15. Mai 1877 starb und in Danzig beigesetzt wurde. Als die Familie 1878 nach Hamburg in die Straße Neuer Steinweg 7 gezogen war, erblickten Emma Agathe am 25. Juli 1878 und Franziska am 7. März 1881 das Licht der Welt. 1883 wechselte die Familie Levy in die Jägerstraße 30 (heute Wohlwillstraße) in St. Pauli, wo ihr fünftes Kind am 1. November 1883 geboren wurde. Dieses Kind erhielt denselben Vornamen wie das 1877 verstorbene Kind: Flora. Über Floras Kindheit und Jugend können wir nichts berichten. Auch über ihre vier Geschwister haben wir außer Namen und Geburtsdaten keine Informationen über die Zeit von 1884 bis 1901.

Flora Levy heiratete am 17. Oktober 1907 in Hamburg den im Zigarettenhandel tätigen jüdischen Kaufmann Benzion Berlin, der am 8. Juli 1879 in Hamburg geboren worden war. Seine Eltern hießen Salomon Berlin und Line Berlin, geb. Bandmann.

Das Ehepaar Flora und Benzion Berlin bekam drei Kinder: Irma Berlin wurde im Langenfelderdamm 8 (heute Langenfelder Damm) in Eimsbüttel am 12. Juli 1908 geboren. Ein Jahr später zog die Familie um in die Matthesonstraße 3. 1910 fanden sie dann eine neue Bleibe im Kleinen Schäferkamp 33/Sternschanze. Am 15. August 1912 kam dort Max Lothar Berlin zur Welt.

Im Ersten Weltkrieg ab August 1914 diente Benzion Berlin als Soldat in Selm, Kreis Unna. Flora versorgte fortan allein ihren Haushalt, hochschwanger und mit zwei kleinen Kindern. Das dritte Kind, Wilma Berlin, wurde am 17. November 1914 in der Dillstraße 3 in Rotherbaum geboren, wohin die Familie 1913 gezogen war.

Die Wohnung in der Dillstraße 3 befand sich fußläufig 5 Minuten entfernt von der Wohnung von Floras Schwiegereltern Line und Salomon Berlin in der Rutschbahn 25, ebenfalls in Rotherbaum.

Flora Berlin erhielt von ihren Schwiegereltern viel Unterstützung, auch bei der Betreuung und Versorgung ihrer Kinder. Tochter Wilma starb am 22. April 1916. Die Beisetzung fand auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel statt. Ihren Tod zeigte Salomon Berlin am 25. April 1916 beim Standesamt an.

Ein Jahr später, am 23. November 1917, starb Floras Schwiegermutter Line Berlin, die eine wichtige Bezugsperson und Unterstützerin für Flora Berlin gewesen war. Floras Ehemann Benzion Berlin fiel am 28. März 1918 in Selm/Kreis Unna. Wo er beigesetzt wurde, wissen wir nicht.

Flora Berlin stellte sich entschlossen der neuen Lebenssituation. Sie absolvierte 1918 einen achtwöchigen Frisierkurs. Die Friseurtätigkeit übte sie im Anschluss in ihrer Privatwohnung aus. Dadurch allerdings litt sie an aufgesprungenen Händen und trockenen Hautekzemen und musste 1922 die Friseurtätigkeit wieder aufgeben.

Ab 1924 erhielt sie eine jährliche Kriegerwitwenrente in Höhe von 88,20 RM, die aber zum Leben und zur Versorgung ihrer kleinen Familie nicht ausreichte. Deshalb vermietete sie ein Zimmer ihrer Vierzimmerwohnung an Johanna Baruch, geboren am 27. Oktober 1861. Diese wohnte dort zur Untermiete bis 1930. (Johanna Baruch wurde am 24. März 1943 nach Theresienstadt deportiert und in Auschwitz ermordet. Im Loogestieg 8/Eppendorf erinnert an sie ein Stolperstein).

Ab 1924 trugen auch Irma, die eine Ausbildung zur Kontoristin absolvierte, und Max Lothar Berlin, der 1926 eine Lehrstelle als Kürschner antrat, zum Familieneinkommen bei.

Am 1. Juli 1926 starb Flora Berlins Schwiegervater Salomon Berlin, er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel neben seiner Ehefrau Line beigesetzt.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 veränderte sich schlagartig das Alltags- und Familienleben der Juden in Hamburg. Der jüdische Familienalltag war fortan von einem permanenten Ausnahmezustand geprägt. Die nationalsozialistische Politik in den Vorkriegsjahren zielte auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ausgrenzung der Jüdinnen und Juden. Ihnen war es nur noch unter Inkaufnahme von Anfeindungen und der Gefahr von körperlichen Übergriffen möglich, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die NS-Machthaber beabsichtigten mit ihrer Politik zunächst, die jüdische Bevölkerung mittels sozialer Ausgrenzung und wirtschaftlicher Boykottierung außer Landes zu treiben. Der wirtschaftliche Boykott und zahlreiche Berufsverbote ("Arierparagraf") führten zur schleichenden Verarmung der jüdischen Bevölkerung.

Max Lothar Berlin flüchtete im Februar 1937 nach Buenos Aires. Er heiratete dort noch im selben Jahr die jüdische Nanni Fanny Ehrenzweig, geboren am 12. April 1914 in Hamburg. Sie kannten sich bereits aus Hamburg: Sowohl Fannys Familie als auch Max Lothars Familie hatten in dem Mehrfamilienhaus Dillstraße 3 gelebt. Fern der Heimat teilten sie nun gemeinsame Erinnerungen an ihre Familien. Dieses erleichterte ihnen die Eingewöhnung in der neuen Umgebung. In Buenos Aires bekamen sie im Januar 1940 den Sohn Gerhard.

In Hamburg nahmen Flora und Irma Berlin nun Golda Seidner als Untermieterin bei sich auf, die von den Nationalsozialisten am 28. Oktober 1938 im Rahmen der "Polenaktion" nach Bentschen/Zbaszyn nach Polen abgeschoben worden und am 10. Juli 1939 zurückgekehrt war. Sie hatte in der Zwischenzeit ihr Zuhause in der Rappstraße 3 verloren und benötigte dringend eine Unterkunft. Am 23. Januar 1940 verließ sie die Wohnung in der Dillstraße 3 und flüchtete in die USA. Vor ihrer Abreise schenkte sie Irma Berlin noch ihre "gute" Singer Nähmaschine, so ein Eintrag in der Fluchtakte von Golda Seidner.

Zurück blieben Flora Berlin und ihre Tochter Irma. Aus der Wiedergutmachungsakte ist ersichtlich, dass Flora Berlin einige Möbel und weiteres Inventar aus ihrer Wohnung verkaufte, um für sich und ihre Tochter Lebensmittel zu besorgen. Auch suchte sie eine günstigere Bleibe und fand diese schließlich in dem Stiftshaus in der Bornstraße 22 im vierten Stock.

Dieses Stift, gegründet von Louis Isaac Levy am 11. Oktober 1898, stellte 12 Wohnungen für Bedürftige zu geringen Mieten bereit. Die Dreizimmerwohnungen mit Wohnküche waren bei den jüdischen Mietern sehr beliebt, auch wenn sich das einzige Badezimmer im 4. Stock neben der Waschküche befand.

Infolge der gesellschaftlichen Isolierung, Verfolgung und Verarmung der jüdischen Bevölkerung gewann die Jüdische Gemeinde neue Bedeutung. Sie war fortan nicht nur Zentrum für das religiöse Leben, sondern bot Versorgungseinrichtungen an, die die Not mildern sollten. Dazu zählte bis Ende November 1941 die Essensausgabe an bedürftige Gemeindemitglieder im Heim Innocentiastraße und ab 1941 die Volksküche in der Schäferkampsallee 27. Wie weit Flora und Irma Berlin diese oder das kulturelle Angebot nutzten, wissen wir nicht.

Flora und Irma Berlin erhielten ihren Deportationsbefehl im November 1941. Sie mussten sich einen Tag vor der Deportation im Logenhaus an der Moorweidenstraße einfinden.

Mit dem aus Bremen kommenden Deportationszug wurden beide mit weiteren 406 Menschen am 18. November 1941 vom Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity) nach Minsk deportiert. Im Getto Minsk verliert sich ihre Spur.

Sie wurden am 8. Mai 1945 für tot erklärt.

In Hamburg bot der öffentlich bestellte Versteigerer Arthur Landjunk den restlichen Hausstand von Flora und Irma Berlin an, der bis zum 6. Februar 1942 versteigert wurde. Der Erlös betrug 389,60 RM und wurde an die Oberfinanzdirektion überwiesen.

Zum Schicksal der Geschwister von Flora Berlin:
Cäsar Levy heiratete am 26. April 1901 die nichtjüdische Wilhelmine Henriette Pauline Auguste Otte, geboren am 25. März 1876. Sie bekamen den Sohn Wilhelm Levy, geboren am 1. Januar 1909, verstorben am 16. Oktober 1964 in Hamburg. Cäsar Levy selbst starb am 16. Dezember 1943 in Hamburg an einer Lungenentzündung.

Johanna Levy heiratete am 9. Oktober 1906 den nichtjüdischen Bruno Max Larche, geboren am 14. Februar 1884. Sie bekamen die Kinder Edith, geboren am 6. Mai 1908, und Klara, geboren am 6. November 1911. Bruno Max Larche starb durch einen Betriebsunfall am 15. März 1929. Johanna Larche wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und am 8. Mai 1945 durch die Rote Armee befreit. Sie kehrte nach Hamburg zurück und starb am 8. November 1967 in Hamburg.

Emma Agathe Levy heiratete am 23. Dezember 1902 Samuel Kohn, geboren am 29. Mai 1877. Sie bekamen den Sohn Siegmund Kohn, geboren am 23. Januar 1903. Samuel Kohn starb am 6. Februar 1928. Emma Agathe Kohn wurde 1944 in Auschwitz ermordet. In der Simon-von-Utrecht-Straße 90 erinnert ein Stolperstein an sie.
Ihr Sohn Siegmund Kohn heiratete am 19. August 1930 die nichtjüdische Martha Karoline Emilie Kubitzsch, geboren am 14. Februar 1902 und gestorben am 28. Juli 1943 bei einem Luftangriff. Siegmund Kohn war durch die Mischehe mit Martha Kohn "geschützt", verlor diesen Status nach ihrem Tod, tauchte unter und flüchtete in die besetzte damalige Tschechoslowakei, wo er sich nach Ende des Krieges als Flüchtling registrieren ließ.

Franziska Levy heiratete am 20. November 1900 Georg Wolff, geboren am 17. Januar 1877. Sie bekamen drei Kinder: Joachim Wolff, geboren am 14. Februar 1901, und die Zwillinge Ilse Wolff und Erna Wolff, geboren am 27. März 1905. Die Familie Wolff zog 1925 nach Berlin. Franziska Wolff starb dort am 12. Juni 1929. Georg Wolff wurde in Raasiku/Estland ermordet. Erna Wolff heiratete Ludwig Orenstein, geb. 19. Mai 1902. Das Ehepaar wurde in Riga ermordet. Joachim Wolff überlebte und ließ sich nach Kriegsende in der damaligen Tschechoslowakei als Flüchtling registrieren. Zu Ilse Wolff konnten wir keine Unterlagen finden.

Stand: Juli 2025
© Bärbel Klein

Quellen: 1; 2; 4; 5; 6; 8; StaH, 213-13 Landgericht Hamburg – Rückerstattung 8007 und 8008 (Johanna Larche), 9603 und 30439 (Edith Schindler), 14405 und 19835 (Flora Levy), 35468 (Edith Marcuson); 351-11 Amt f. Wiedergutmachung 3144 (Johanna Larche), 6469 und 32944 (Flora Berlin), 33142 Teil 1 und 2 (Edith Marcuson), 36378 (Klara Timm), 52786 (Edith Michelsen – Larche), 39740 (Fanny Berlin); 314-15_FVg5780 (Golda Seidner); 332-5 Standesämter 6190 Geburtsregister Nr. 1123/1876 Johanna Levy, 1911 Geburtsregister Nr. 1297/1877 Flora Levy, 115776 Geburtsregister 517/1912 Max Lothar Berlin, 1956 Geburtsregister Nr. 3289/1879 Benzion Berlin, 1985 Geburtsregister 2060 Geburtsregister Nr. 5175/1883 Flora Levy,13789 Geburtsregister Nr. 471/1902 Martha Karoline Emilie Kubitzsch, 13924 Geburtsregister Nr. 267/1903 Siegmund Kohn, 1953 Geburtsregister Nr. 1651/1879 Emma Levy, 116527 Geburtsregister 776/1914 Fanny Ehrenzweig, 5958 Heiratsregister Nr. 1404/1902 Samuel Kohn/Emma Agathe Levy, 5970 Heiratsregister Nr. 1094/1906 Bruno Max Larche/Johanna Levy, 3092 Heiratsregister Nr. 617/1907 Benzion Berlin/Flora Levy, 13440 Heiratsregister Nr. 785/1930 Siegmund Kohn/Martha Karoline Emilie Kubitzsch, 770 Sterberegister Nr. 135/1917 Cäcilie Levy, 825 Sterberegister Nr. 131/1920 David Levy, 8085 Sterberegister Nr. 287/1926 Salomon Berlin, 940 Sterberegister Nr. 56/1928 Samuel Kohn, 954 Sterberegister Nr. 134/1929 Bruno Max Larche, 1183 Sterberegister 5976/1943 Martha Kohn; 741-4 Fotoarchiv K2376 (Kieler Straße 55), K4231 (Berlin), K6488 (Larche), K7076 (Timm), K 7199 (Wolff), K7453 (Levy); Alfred Gottwald und Diana Schulle, Die Judendeportationen aus dem Deutschen Reich, Wiesbaden 2005; Irmgard Stein, Jüdische Baudenkmäler, Hamburg 1984; Karin Guth, Bornstraße 22, Hamburg 2001 erschienen; https://Familie und Alltag | Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte (schluesseldokumente.net); Biografie Deborah Ehrenzweig Dillstraße 3 www.stolpersteine-hamburg.de.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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