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Bereits verlegte Stolpersteine



Waltraud Hoh, 1937
© Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf

Waltraud Hoh * 1928

Stieglitzstraße 6-8 (Hamburg-Nord, Barmbek-Süd)


HIER WOHNTE
WALTRAUD HOH
JG. 1928
EINGEWIESEN 1930
ALSTERDORFER ANSTALTEN
"VERLEGT" 1943
HEILANSTALT
AM STEINHOF WIEN
ERMORDET 30.10.1944

Waltraud Julia Carla Hoh, geb. am 22.2.1928 in Hamburg, aufgenommen am 21.1.1936 in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, "verlegt" am 16.8.1943 in die "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien", gestorben am 30.10.1944

Stolpmünder Straße 4 (früher Stieglitzstraße 4), Rahlstedt

Waltraud Hoh war das zweite Kind des Maschinensetzers (= Schriftsetzer) Alfred Hermann Heinrich Hoh, geb. am 4.12.1899, und der in Altona gebürtigen Anna/Anni, geb. Birch, geb. am 18.10.1892. Ihr Bruder Harry, geb. am 21.10.1924, war drei Jahre älter als sie. Als Waltraud geboren wurde, wohnte die Familie in der Quickbornstraße 13 in Eimsbüttel.

Waltraud kam am 22.2.1928 per "Zangengeburt" zur Welt. In Folge einer "Milchvergiftung" (wahrscheinlich war eine Milchzuckerunverträglichkeit gemeint) im Alter von drei Monaten litt Waltraud an einer "schweren Ernährungsstörung". Sie wurde im damaligen "Hamburger Säuglingsheim", einer Klinik für Säuglinge und Kleinkinder in der Hochallee 1 in Harvestehude, aufgenommen. Infektionserkrankungen wie Furunkulose, Windpocken und Bronchialkatarrh beeinträchtigten ihre weitere Entwicklung.

Die Familie zog 1929 in den damaligen Jean Pauls-Weg 34 im Stadtteil Winterhude.

Anfang Januar 1930 wurde Waltraud mit Erkältungsfieber und schweren Krampfzuständen in das Allgemeine Krankenhaus Barmbek eingewiesen. Die Ärzte diagnostizierten einen Katarrh der Luftwege, "Imbezillität" (frühere Bezeichnung für eine geistige Behinderung) und eine erhebliche rachitische Veränderung ihres Skeletts. Nach einer Beobachtungszeit von einer Woche, die ohne Krämpfe verlief, wurde Waltraud als gebessert nach Hause entlassen.

Am 21. Januar 1936, kurz vor ihrem siebten Geburtstag, erfolgte Waltrauds Aufnahme in die damaligen Alsterdorfer Anstalten (heute Evangelische Stiftung Alsterdorf). Die Familie wohnte zu dieser Zeit in der Stieglitzstraße 4 (heute Stolpmünder Straße) in Rahlstedt, einer damals noch preußischen Gemeinde, die infolge des Groß-Hamburg Gesetzes von 1937 Teil von Hamburg wurde.

Waltrauds ärztliche Überweisung war bereits im Frühjahr 1935 ausgestellt worden und begründete ihre Unterbringung mit "Idiotie", einem veralteten Begriff für eine schwere Form der Intelligenzminderung. (Warum der Überweisungsschein für Waltraud die Adresse "z. Zt. bei A. Mahle, Hornerlandstraße 137" angab, ließ sich nicht klären.)

Waltraud Hoh wurde auf dem sogenannten Abhörbogen, der bei ihrer Aufnahme angelegt wurde, von ihrem Vater als "umgänglich", "heiter" und "lacht viel" charakterisiert. Das Pflegepersonal in Alsterdorf nahm Waltraud jedoch ganz anders wahr. Sie sei sehr unruhig und schreie viel. Da sie nicht alleine essen könne, ihre Bedürfnisse nicht ansage und täglich gebadet werden müsse, galt sie als arbeitsaufwendig. Nachts wurde ihr der Patientenakte zufolge eine "Schutzjacke" (euphemistischer Begriff für "Zwangsjacke") übergezogen, damit sie das Bettzeug nicht aus dem Bett werfen konnte.

Die meisten Berichte über Waltraud während ihres siebenjährigen Aufenthaltes in den Alsterdorfer Anstalten sind negativ gehalten. Waltraud wurde als ein unbeholfenes, schwerfälliges Kind beschrieben, das bei den Mahlzeiten unersättlich sei. Sie laufe planlos umher und wisse mit Spielsachen nichts anzufangen. Da Waltraud unter Furunkulose litt, musste sie mehrmals auf die Krankenabteilung verlegt werden.

Waltrauds Eltern hielten den Kontakt zu ihrem Kind und stellten auch Urlaubsanträge, die manchmal, aber nicht immer wie gewünscht genehmigt wurden.

In einem Gutachten vom 8. April 1937 an die Hamburger Fürsorgebehörde stellte der Alsterdorfer Oberarzt Gerhard Kreyenberg die Diagnose: "Idiotie mit Fettsucht und endokrinen Störungen". Waltraud sei "vollkommen Pflegling. [...] Sie spielt wenig, kennt kaum ihre Umgebung, läuft ziellos im Zimmer umher. [...] Sie kann nicht sprechen und plappert nur unverständliche Laute, schreit nur. Sie wirft viel mit Gegenständen und zerreißt auch Zeug. Körperlich ist [sie] sehr anfällig. Weiterer Anstaltsaufenthalt ist erforderlich."

Bombenschäden aufgrund der alliierten Flugangriffe auf Hamburg hatte es 1943 auch in den Alsterdorfer Anstalten gegeben. Für ein paar Tage musste die Anstalt zudem Hunderte von Obdachlosen und sowie etwa zweihundert Bombenverletzte aufnehmen. Vor diesem Hintergrund nahm der Leiter der Anstalt, Pastor Friedrich Lensch, mit Zustimmung der Gesundheitsverwaltung die Gelegenheit wahr, mehrere hundert Patientinnen und Patienten, die als "arbeitsschwach, pflegeaufwendig oder als besonders schwierig" galten, in andere Anstalten zu verlegen.

Am 16. August 1943 wurde Waltraud Hoh mit weiteren 227 Frauen und Mädchen in die "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" abtransportiert. Die Auswahl der Frauen und Mädchen wurde meist durch negative Beurteilungen in den Krankenakten bestimmt, wie zum Beispiel besondere Pflegebedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit.

Bei Waltrauds Aufnahme in Wien hieß es zunächst, sie sei ruhig. Zwei Wochen später lautete ein Eintrag demgegenüber: "Vollkommen verblödet, knirscht mit den Zähnen [...] pflegebedürftig, unrein". Mehrmals wurde sie innerhalb der Anstalt in andere Abteilungen verlegt.

Waltrauds Vater, mittlerweile zur Wehrmacht eingezogen, wo er als Feldwebel Dienst tat, erkundigte sich aus der Lüner-Kaserne in Lüneburg Anfang September 1943 in Wien nach seiner Tochter. Die knappe Antwort lautete, ihr Befinden sei im Allgemeinen zufriedenstellend, da es sich aber bei ihr um einen hochgradigen Schwachsinn handele, sei mit einer wesentlichen Änderung nicht mehr zu rechnen.

Im September 1944 schrieb Waltrauds Mutter an die Direktion in Wien: "Vor einiger Zeit bekam ich Nachricht von Ihnen, worin mir die Gewissheit wurde, dass es meiner Tochter Waltraud noch gut geht. Aber bitte, wollen Sie mir die Gründe angeben, warum die Kleine immer im Bett liegen muss. Läuft sie doch seit ihrem 2. Lebensjahr und war ich täglich, bei jedem Wetter mit ihr draußen. Auch in den Alsterdorfer Anstalten galt sie stets für lufthungrig. Da tut es mir sehr weh, sie immer im Zimmer zu wissen. Bitte geben Sie mir recht bald Antwort über das Befinden meiner Tochter, in diesen schweren Zeiten ist man so sehr in Sorge um seine Lieben. Im Voraus vielen Dank".

In dem Antwortschreiben erklärte der Anstaltsarzt Wunderer, Waltraud sei unrein und könne daher in den mit Parkettböden ausgestatteten Wachsälen nicht gehalten werden. Ihre leichte Gewichtsabnahme sei der hartnäckigen Furunkulose geschuldet.

Bereits einen Monat später war Waltraud Hoh tot. Sie starb am 30. Oktober 1944 im Alter von 16 Jahren, angeblich, wie im Sektionsprotokoll vermerkt, an "Bronchopneumonie" (Lungenentzündung).

In der "Wagner von Jauregg – Heil- und Pflegeanstalt der Stadt Wien" wurden Patientinnen und Patienten systematisch durch Überdosierung von Medikamenten, durch Nichtbehandlung von Krankheiten, vor allem durch Nahrungsentzug ermordet. Von den 228 Mädchen und Frauen aus Alsterdorf kamen 196 bis Ende 1945 ums Leben.

Der Stolperstein wurde irrtümlich in die Stieglitzstraße verlegt, eine Umsetzung in die Stolpmünder Straße ist geplant.

Stand: August 2020
© Susanne Rosendahl

Quellen: Archiv Evangelische Stiftung Alsterdorf, Sonderakte 197, Hoh, Waltraud; StaH 332-5 Standesämter 6277 Nr. 3465/1892; Michael Wunder, Ingrid Genkel, Harald Jenner, Auf dieser schiefen Ebene gibt es kein Halten mehr. Die Alsterdorfer Anstalten im Nationalsozialismus, 2. Aufl. Stuttgart 2016, S. 283 ff.; Div. Adressbücher Hamburg.

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