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Bereits verlegte Stolpersteine



Leopold Graff * 1874

Großneumarkt 38 (vorm. Schlachterstraße) (Hamburg-Mitte, Neustadt)


HIER WOHNTE
LEOPOLD GRAFF
JG. 1874
DEPORTIERT 1941
ERMORDET IN
MINSK

Weitere Stolpersteine in Großneumarkt 38 (vorm. Schlachterstraße):
Hanna Aghitstein, Julie Baruch, Ludwig Louis Baruch, Julius Blogg, Rebecca Blogg, Kurt Cossmann, Mathilde Cossmann, Frieda Dannenberg, Alice Graff, Flora Halberstadt, Elsa Hamburger, Herbert Hamburger, Louis Hecker, Max Hecker, Marianne Minna Hecker, Lea Heymann, Alfred Heymann, Wilma Heymann, Paul Heymann, Jettchen Kahn, Adolf Kahn, Curt Koppel, Johanna Koppel, Hannchen Liepmann, Henriette Liepmann, Bernhard Liepmann, Johanna Löwe, Martin Moses, Beate Ruben, Flora Samuel, Karl Schack, Minna Schack, Werner Sochaczewski, Margot Sochazewski, verh. Darvill, Sophie Vogel, Sara Vogel

Leopold Graff, geb. am 23.8.1874 in Altona, am 18.11.1941 nach Minsk deportiert und ermordet

Großneumarkt 38 (früher Schlachterstraße 46/47, Lazarus-Gumpel-Stift)

Leopold Graff war der Sohn des Reisenden (Vertreters) Heinrich Waldemar Robert Graff (1846–1907) und dessen Frau Betty, geb. Plättner (1841–1902). Über seine Kindheit und Jugend wissen wir nichts.

Wenige Wochen vor dem Tod seines Vaters, am 8. Oktober 1907, hatte Leopold, oder Löb, wie sein jüdischer Vorname lautete, Martha Goldberger, geb. 3.10.1875 in Hamburg geheiratet. Diese hatte bis dahin bei ihren Eltern Moises und Jette Goldberger im Samuel-Levy-Stift in der Bundesstraße 35 gelebt.

Bevor das Ehepaar Graff 1912 eine Wohnung im Lazarus-Gumpel-Stift in der Schlachterstraße 47 bezog, wohnte es an drei verschiedenen Adressen: 1909 im Abendrothsweg, 1910 im Falkenried und 1911/1912 in der Quickbornstraße. Leopold Graff war gelernter Verkäufer, arbeitete aber von 1914 bis 1921 bei der Zoologischen Gesellschaft im Zoologischen Garten auf dem heutigen Gelände von Planten un Blomen. Als die Gesellschaft aufgelöst wurde, wurde er entlassen. Bis Ende 1923 war er dann in der Gefängnisverwaltung in Fuhlsbüttel angestellt, anschließend übte er verschiedene Tätigkeiten aus: als Reisender, Bote oder Packer, auf dem Jüdischen Friedhof (1927), zeitweise war er erwerbslos. Zwischendurch leistete er sogenannte Notstandsarbeit. Seit April 1933 bezogen er und seine Frau "laufende [Wohlfahrts]unterstützung", im Dezember 1933 erhielten sie z.B. Kohlenkarten und Lebensmittel.

Das Ehepaar hatte keine leiblichen Kinder. 1922 nahmen sie die vierzehnjährige unehelich geborene Erika Therese Rosenthal, geb. am 15. März 1908, an Kindes statt an. Deren Vater unbekannt blieb. Ihre Mutter Rosa Rosenthal, geb. 5.3.1887 in Altona, und wie Graffs jüdischen Glaubens, war laut Erikas Geburtsurkunde als Verkäuferin tätig, blieb ledig und lebte mit dreien ihrer Geschwister zusammen. Am 25. Oktober 1941 wurde sie mit ihren Schwestern Lina und Elsa sowie dem Bruder Leopold nach Lodz in das Getto "Litzmannstadt" im besetzten Polen deportiert und im Mai 1942 in Kulmhof ermordet. An sie erinnert ein Stolperstein in der Lerchenstraße 104 in Altona (s. www.stolpersteine-hamburg.de).

Ob Erika schon vor ihrer Adoption bei Martha und Leopold Graff lebte, wissen wir nicht. Zwei Jahre nach der Adoption meldeten ihre Eltern sie zu einem Erholungsaufenthalt, zur "Sommerpflege" an. Da es ihnen nicht möglich war, den erforderlichen Zuschuss zu zahlen, noch sie mit den nötigen Kleidungsstücken ausstatten, beantragten sie dafür Mittel bei der zuständigen Wohlfahrtsbehörde. Diese setzte sich mit dem Arbeitsamt in Verbindung, denn die 16-Jährige war schon als Näherin berufstätig gewesen. Erika Graff gesundete jedoch nicht, sie verstarb mit nur 20 Jahren im Mai 1928 in der Krankenanstalt Langenhorn an Tuberkulose. Laut Eintrag im Sterberegister des Standesamtes war sie ledig sowie von Beruf Arbeiterin.

Spätestens 1926 war auch Martha Graff an Tuberkulose erkrankt. Im August hatte sie eine Kur in der Heilstätte Edmundsthal-Siemerswalde in Geesthacht angetreten. Diese "Heilstätte für unbemittelte Tuberkulosekranke" war vom Hamburger Großkaufmann und Reeder Edmund Siemers gestiftet worden. Martha erholte sich jedoch nicht mehr von der Krankheit, die nicht zuletzt auf armutsbedingt schlechte Wohn- und Ernährungsverhältnisse zurückzuführen ist. 1928 und 1930 folgten weitere Aufenthalte in Lungenheilstätten. 1934 wurde sie im Israelitischen Krankenhaus und im AK St. Georg aufgenommen, am 6. Januar 1935 verstarb sie im Krankenhaus Barmbek.

Leopold Graff lebte nach dem Tod seiner Frau allein. Weiter wechselten sich Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Unterstützungsarbeit ab, seine finanzielle Lage war prekär.

Eine langjährige Freundschaft verband ihn mit der Familie Wächter (s. Johanna Löwe und s. www.hamburg-stolpersteine.de, Biographien Minna und Gustav Wächter). Bei seiner Eheschließung mit Martha war Gustav Wächters Vater Hermann Trauzeuge gewesen. Zwei Jahre nach Martha Graffs Tod, im Januar 1937, schrieb Gustav Wächter: "Herr Graff hat sich inzwischen verlobt, & zwar mit der Tochter des früheren Friedhofsinspektors Müller." Und im August desselben Jahres: "Leopold Graff war mit seiner Braut auch vorige Woche bei uns. Er ist mit seinen 63 Jahren noch sehr verliebt in seine 50-jährige Braut. Sie ist ganz hübsch … Ich glaube auch kaum, daß die sich heiraten, denn Beide beziehen Krisenunterstützung. Auch von Graff soll ich Dich vielmals grüßen …"

Wann und wo Leopold Graff und die ebenfalls verwitwete Alice Sochaczewski (s. dort) sich kennenlernten, wissen wir nicht. Im Mai 1938, also ein Jahr nach der Verlobung, bezog sie mit ihren Kindern Werner und Margot ebenfalls eine Wohnung im Lazarus-Gumpel-Stift. Leopold bewohnte dort zu der Zeit ein nicht beheizbares Bodenzimmer und nahm bei Alice täglich gegen Bezahlung ein Mittagessen ein.

Da Alice Sochaczewski unregelmäßig als Garderobenfrau im jüdischen Gemeinschaftshaus arbeitete und zudem Arbeitslosenunterstützung bezog, wären sie bei einer Heirat gegenseitig unterhaltspflichtig geworden. Leopold hätte auch für Alices Sohn aufkommen müssen. Wahrscheinlich aus diesem Grund hieß es in der Wohlfahrtsakte über Alice: "Frau S. ist sich noch nicht schlüssig, ob sie diesen Mann heiraten will."

Am 23. März 1939 wurde das Paar dann doch getraut, der "Obersteuerinspektor ausser Dienst Gustav Israel Wächter" übte dabei das Amt des Trauzeugen aus. Im Oktober 1940 zählte er "Graff und Frau" zu seinen Geburtstagsgästen. Danach gibt es keine schriftlichen Zeugnisse mehr über das Leben von Alice und Leopold Graff. Zum 18. November 1941 erhielten sie den Deportationsbefehl nach Minsk. Sie überlebten nicht.

Leopold Graff hatte eine Schwester, Hanna Graff, die fünf Jahre jünger als er war, ledig blieb und den Beruf der Bürstenmacherin ausübte. Sie starb 1939, mit 60 Jahren, im Israelitischen Krankenhaus Hamburg.


Stand: Juli 2018
© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 5; StaH 332-5_6207, StaH 332-5_8651; StaH 332-5_ 1103; StaH 332-5_6873; StaH 332-5_9837; StaH 332-5_7170; StaH 351-11_9436; Beglaubigte Abschrift aus dem Geburtsregister Standesamt Hamburg-Eimsbüttel Nr. 679 vom 24. März 1908; Beglaubigte Abschrift aus dem Eheregister des Standesamtes 3a Hamburg, jetzt Hamburg-Mitte, vom 23. März 1939; Jungblut/Ohl-Hinz: Stolpersteine; zu Lungenheilanstalt Edmundsthal-Siemerswald s. http://www.geesthacht.de, Leben und Kultur in Geesthacht, Zugriff 27. Oktober 2016; www.agora.sub.uni-hamburg.de/subhh-adress/digbib betr. Adressbücher Hamburg 1909–1913, Zugriff 27.10.2016; schriftliche Auskunft Torkel Wächter, E-Mail vom 22.4.2015; Wächter: 32 Postkarten, S. 58.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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