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Bereits verlegte Stolpersteine



Siegfried Hirschfeld * 1880

Husumer Straße 18 (Hamburg-Nord, Hoheluft-Ost)


HIER WOHNTE
SIEGFRIED HIRSCHFELD
JG. 1880
DEPORTIERT 1941
MINSK
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Husumer Straße 18:
Jettchen "Jenny" Hirschfeld, Heinz Hirschfeld

Ludwig Heinz Hirschfeld, geb. am 16.6.1915 in Hamburg, ermordet am 23.9.1940 in der Tötungsanstalt in Brandenburg an der Havel
Jenny Hirschfeld, geb. Tannenbaum, geb. 1879 in Wanfried (Hessen)
Siegfried Hirschfeld, geb. 1880 in Kassel, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk

Stolperstein Hamburg-Hoheluft-Ost, Husumer Straße 18

Ludwig Heinz Hirschfeld kam als Sohn des jüdischen Ehepaares Siegfried und Jenny Hirschfeld, geborene Tannenbaum, am 16. Juni 1915 in Hamburg zur Welt.

Siegfried Hirschfeld war 1880 in Kassel, Jenny Hirschfeld 1879 in Wanfried, einer Kleinstadt in Hessen unmittelbar an der heutigen Landesgrenze zu Thüringen, geboren worden. Am 15. Januar 1921 kam Ludwig Heinz’ Bruder Herbert ebenfalls in Hamburg zur Welt.

Das Ehepaar war schon Jahre vor Ludwig Heinz Hirschfelds Geburt nach Hamburg eingewandert. Der genaue Zeitpunkt ist nicht überliefert. Es lebte zunächst in der Wendenstraße 43 im Stadtteil Hammerbrook. Siegfried Hirschfeld war anfangs als Handlungsgehilfe, später als selbstständiger mit Wäsche handelnder Kaufmann tätig, während Jenny Hirschfeld die Familie als Hausfrau versorgte. Etwa 1917 zog die Familie in die Heidestraße 21 (heute Heider Straße) in Hoheluft-Ost und etwa 1927 in die Husumer Straße 18.

Ludwig Heinz Hirschfeld besuchte die Talmud Tora Schule in der Straße Grindelhof. Er bezeichnete sich später selbst als nur leidlich guter Schüler und verließ die Schule nach der zehnten Jahrgangsstufe.

1928 stand ein erneuter Wohnungswechsel der Familie an, diesmal in die Straße Lämmersieth in Barmbek-Nord. Ludwig Heinz’ Vater Siegfried Hirschfeld betrieb sein Geschäft nun unter der Adresse Adlerstraße 18 in Barmbek-Süd.

Nach der Schulzeit versuchte sich Ludwig Heinz Hirschfeld in mehreren Berufen als Lehrling, z. B. bei einer Weinimportfirma, in einer Gärtnerei und im Elektrofeinmechaniker-Handwerk. Er empfand sich selbst als lustlos und träge. Nirgendwo hielt es ihn lange, so dass er schließlich ohne Berufsabschluss blieb. Bei seiner Aufnahme in der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg im März 1935 berichtete er, dass er niemals richtige Freunde gehabt habe oder eine Mädchenbekanntschaft. Ludwig Heinz Hirschfeld, der bei seinen Eltern wohnte, hatte ein eher gespanntes Verhältnis zu seiner als recht resolut beschriebenen Mutter.

Der Friedrichsberger Arzt Hermann Josephy hatte Ludwg Heinz Hirschfeld wegen "nervöser Beschwerden" in der Staatskrankenanstalt aufgenommen. Während der Anamnese wurde über Ludwig Heinz’ Vater notiert: "Leicht vom Ziel abschwenkender Mann mit allen unangenehmen Eigenschaften seiner Rasse". Auslöser der Einweisung war wohl, dass Ludwig Heinz wieder eine Lehrstelle verlassen, sich in einem Park mit Erwerbslosen "herumgetrieben" und Schach gespielt habe. Wie Siegfried Hirschfeld bei der Aufnahme über seinen Sohn berichtete, war dieser nie ernstlich krank gewesen. Er soll sich aber kaum anderen Menschen angeschlossen haben und stets für sich allein geblieben sein. Jenny Hirschfeld erzählte von vielen "sinnlosen Handlungen" ihres Sohnes. Er "schlief am Tage bzw. blieb im Bett, rannte nachts durch alle Zimmer, hämmerte an Schränken herum, in deren Wände er Holzpflöcke hineintrieb, strich Konservendosen schwarz an, experimentierte – aber ohne Sinn und Verstand – mit Gas- und Lichtleitungen herum, bekam gelegentlich sogar kleine Tobsuchtsanfälle, besuchte dann mit einer ihm bekannten Dame einen Heilpraktiker am Steindamm, dessen Medizin er jedoch nicht einnahm." Für den aufnehmenden Arzt ging aus den Schilderungen der Mutter hervor, "daß diese ihn auch für geistig nicht gesund ansieht ..."

Die Berichte der Eltern und Ludwig Heinz’ eigene Darstellung reichten für folgende Beurteilung aus: "Sterilisationsnotwendigkeit, die vorliegen dürfte, wird vor der Entlassung zu prüfen sein."

Ludwig Heinz Hirschfeld war etwas mehr als vier Monate in Friedrichsberg, als er am 4. August 1935 einen verzweifelten Brief an seinen Vater richtete und ihn bat, für seine Verlegung in die Israelitische Heil- und Pflegeanstalt in Bendorf-Sayn zu sorgen. Der Brief liegt noch heute in Ludwig Heinz Hirschfelds Krankenakte und dürfte seinen Vater nie erreicht haben. Dennoch wurde von Amts wegen geprüft, ob eine Verlegung möglich war. Angeblich war in Bendorf-Sayn kein Platz frei.

Anscheinend war Ludwig Heinz Hirschfeld ein religiöser Mensch. Dafür spricht neben seinem Wunsch, nach Bendorf-Sayn verlegt zu werden, auch die Verweigerung nichtkoscherer Nahrung mit der Folge, dass ihm Sonderernährung mit einer Sonde eingeflößt wurde.

Im November 1935 betrachteten die Friedrichsberger Ärzte Ludwig Heinz Hirschfeld als nicht mehr therapiefähig und verlegten ihn am 5. November in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Langenhorn. Von dort schickte man ihn am 10. Januar 1936 in das Versorgungsheim Oberaltenallee. Doch auch in dem Versorgungsheim wollte man ihn möglichst schnell wieder loswerden. Eine Verlegung in das Versorgungsheim Farmsen verbot sich aber, weil Ludwig Heinz Hirschfeld mit einer Sonde ernährt werden musste. Es fand sich auch keine andere Lösung, so dass er im Versorgungsheim Oberaltenallee bleiben musste.

Im September 1937 betrieb das Versorgungsheim Oberaltenallee Ludwig Heinz Hirschfelds Sterilisierung. Nach einem entsprechenden Entscheid des sogenannten Erbgesundheitsgerichts wurde der Eingriff zwischen dem 4. und dem 11. September 1937 im Allgemeinen Krankenhaus Barmbek vorgenommen.

Ludwig Heinz Hirschfeld wollte dem Versorgungsheim entfliehen und machte sich am 18. Oktober 1938 mit einem gestohlenen Fahrrad auf den Weg zu Verwandten in Hannover. Dort nahm die Polizei ihn fest und überstellte ihn in das Hamburger Polizeigefängnis.

Zurück im Versorgungsheim Oberaltenallee griff Ludwig Heinz Hirschfeld am 24. Oktober das Pflegepersonal und seine Mutter während ihres Besuches an. Das Verhältnis zu seiner Mutter war offenbar weiterhin stark belastet. Noch am selben Tag entledigte sich das Versorgungsheim seiner und lieferte ihn in die inzwischen in Heil- und Pflegeanstalt umbenannte Einrichtung in Langenhorn ein.

Fünf Monate später, am 24. Januar 1940, wurde Ludwig Heinz Hirschfeld in die Heilanstalt Strecknitz in Lübeck verlegt. Hier erhielt er zweimal Besuch von seinem Vater, zuletzt am 8. August 1940. Am 12. September deutete sich eine baldige Entlassung aus der Anstalt an. Die Anstalt in Strecknitz schrieb an den Jüdischen Religionsverband Hamburg, "dass Heinz Hirschfeld nicht einer dauernden Anstaltsbehandlung bedarf."

Doch Ludwig Heinz Hirschfelds Schicksal war bereits besiegelt. Im Rahmen einer von der "Euthanasie"-Zentrale in Berlin, Tiergartenstraße 4, geplanten Sonderaktion gegen Jüdinnen und Juden in öffentlichen und privaten Heil- und Pflegeanstalten ordnete das Reichsinnenministerium an, solche aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg zum 18. September 1940 in der Heil- und Pflegeanstalt Hamburg-Langenhorn zusammenzuziehen und am 23. September 1940 nach Brandenburg an der Havel in die sogenannte Landes-Pflegeanstalt zu transportieren. Unter ihnen befand sich Ludwig Heinz Hirschfeld. In Brandenburg wurden die Menschen noch am selben Tag in dem zur Gasmordanstalt umgebauten Teil des ehemaligen Zuchthauses mit Kohlenmonoxyd getötet. Nur eine Patientin, Ilse Herta Zachmann, entkam diesem Schicksal zunächst (siehe dort).

Es ist nicht bekannt, ob und ggf. wann Angehörige Kenntnis von Ludwig Heinz’ Tod erhielten. In allen dokumentierten Mitteilungen wurde behauptet, dass der oder die Betroffene in Chelm (polnisch) oder Cholm (deutsch) verstorben sei. Die in Brandenburg Ermordeten waren jedoch nie in Chelm/Cholm, einer Stadt östlich von Lublin. Die dort früher existierende polnische Heilanstalt bestand nicht mehr, nachdem SS-Einheiten am 12. Januar 1940 fast alle Patienten ermordet hatten. Auch gab es in Chelm/Cholm kein deutsches Standesamt. Dessen Erfindung und die Verwendung späterer als der tatsächlichen Sterbedaten dienten dazu, die Mordaktion zu verschleiern und zugleich entsprechend länger Verpflegungskosten einfordern zu können.

Auch Ludwig Heinz Hirschfelds Eltern kamen im Holocaust ums Leben. Als Siegfried Hirschfeld 1940 seinen Sohn ein letztes Mal in Strecknitz besuchte, lebten er und seine Ehefrau bereits mehrere Jahre sehr beengt zusammen mit einer weiteren Familie in einer Wohnung im Samuel-Levy-Stift in der Bundesstraße 35, einem "Judenhaus". Dort erhielt das Ehepaar Hirschfeld den Deportationsbefehl. Siegfried und Jenny Hirschfeld wurden in den Transport mit insgesamt 968 Menschen am 8. November 1941 nach Minsk befohlen. Von ihnen gab es nie wieder ein Lebenszeichen.

Herbert Hirschfeld, der jüngere der beiden Hirschfeld-Söhne, wurde am 13. Februar 1937 im Konzentrationslager Dachau inhaftiert und am 23. September 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Die Haftgründe sowie sein weiteres Schicksal sind nicht bekannt.


Stand: November 2017
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; StaH 351-12 I Amt für Wohlfahrtsanstalten I 19 Israelitische Insassen, 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn Abl. 1/1995 Nr. 22502 Heinz Hirschfeld; UKE/IGEM, Archiv, Patienten-Karteikarte Heinz Hirschfeld der Staatskrankenanstalt Friedrichsberg; IMGWF Lübeck, Archiv, Patientenakte Heinz Hirschfeld der Heilanstalt Lübeck-Strecknitz; Standesamt Kassel, Geburtsregister Nr. 681/1880 Simon Siegfried Hirschfeld; JSHD Forschungsgruppe "Juden in Schleswig-Holstein", Datenpool Erich Koch, Schleswig. Vielliez von, Anna, Mit aller Kraft verdrängt. Entrechtung und Verfolgung "nicht arischer" Ärzte in Hamburg 1933 bis 1945, Hamburg 2009, S. 308f. (Hermann Josephy).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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