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Bereits verlegte Stolpersteine



Porträt Oscar Strelitz aus Kennkarte vom 13.2.1945
Oscar Strelitz, Foto aus Kennkarte vom 13.2.1945
© Terezin Memorial

Oscar Strelitz * 1900

Neubertstraße 56 (Hamburg-Nord, Hohenfelde)


HIER WOHNTE
OSCAR STRELITZ
JG. 1900
VERHAFTET 1938
KZ FUHLSBÜTTEL
DEPORTIERT 1945
THERESIENSTADT
ERMORDET 10.3.1945

Oscar Moritz Strelitz, geb. am 13.8.1900 in Hamburg, November 1938 bis Januar 1939 KZ Sachsenhausen, deportiert am 14.2.1945 in das Getto Theresienstadt, dort gestorben am 10.3.1945

Neubertstraße 56

Lotte Lion, geb. Strelitz, geb. am 2.5.1908 in Hamburg, als "Freiwillige" deportiert am 8.11.1941 in das Getto Minsk, dort ermordet

Werderstraße 18, Harvestehude

"Er hat immer sehr flott gelebt", sagte seine Ehefrau Elli später über Oscar Strelitz. Beruflich war er viel unterwegs, zu Hause in Hamburg trafen sich beide gern mit Nachbarinnen und Nachbarn zum geselligen Beisammensein. Oscar Moritz Strelitz war der Sohn des 1866 geborenen Hamburger Kaufmanns Emil Strelitz und dessen zwei Jahre jüngerer Frau Ida, geborene Weinthal. Beide waren jüdisch. Emil Strelitz hatte die Agentur seines Vaters übernommen und war Mitglied der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns, des traditionsreichen Zusammenschlusses Hamburger Kaufleute. Als Oscar zur Welt kam, wohnten seine Eltern in der Lappenbergsallee in Eimsbüttel. Sie hatten bereits eine ein Jahr alte Tochter, Elisabeth Henny, geboren am 31. August 1899. Fast acht Jahre später, am 2. Mai 1908, bekam Oscar noch eine Schwester. Die Eltern nannten sie Lotte Rebecka.

Oscar ging auf die Oberrealschule vor dem Holstentor im heutigen Karolinenviertel. Das Gebäude existiert noch immer und beherbergt inzwischen eine staatliche Abendschule. Als Oscar Strelitz die Oberrealschule besuchte, war Albrecht Thaer der dortige Rektor. Dieser hatte die einstige "Höhere Bürgerschule" so reformiert, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler auch auf das praktische Leben vorbereitete, es gab ein "Abitur ohne Latein". Indem seine Eltern Oscar auf diese Schule gehen ließen, zeigten sie ein hanseatisches Weltverständnis, das den Erwerb umfassenderer Bildung dann guthieß, wenn es einen Praxisbezug gab. Damals wohnte die Familie am Hallerplatz im Grindelviertel, was für den Jungen einen relativ langen Schulweg bedeutete. Eine jüdische Schulbildung war den Eltern aber offenbar nicht wichtig, befand sich doch die Talmud Tora Schule ab 1911 im Grindelhof und damit gewisser-maßen um die Ecke. Oscar Strelitz verließ als Sechzehnjähriger die Oberrealschule mit der Mittleren Reife. Anschließend absolvierte er eine Lehre als kaufmännischer Angestellter und arbeitete danach viele Jahre in diesem Beruf. So war er ab 1919 lange für die Lübecker Firma M. H. Lissauer tätig, erst als Vertreter, dann als Leiter ihrer Hamburger Zweigniederlassung.

Am 5. März 1927 heiratete Oscar Strelitz vor dem Standesamt Ottensen die evangelische Hamburgerin Elli Henriette Auguste Christine Emma Warnstedt. Sie war am 22. Juni 1896 geboren worden und damit vier Jahre älter als ihr Mann. Ihr Vater war der Töpfermeister Georg Warnstedt, zurzeit ihrer Geburt wohnte die Familie am Mittelweg 40 in Harvestehude. Elli Strelitz besuchte die Emilie-Wüstenfeld-Schule und nach der Mittleren Reife noch für ein Jahr das Handels-Lehrinstitut von Heinrich Grone. Anschließend arbeitete sie bis zur Heirat mit Oscar Strelitz als Kontoristin, dann gab sie ihre Berufstätigkeit auf. Kinder bekamen beide nicht. Als Oscar und Elli Strelitz heirateten, wohnten sie bereits zusammen in einer 2-Zimmer-Teilwohnung in der Fichtestraße in Eilbek. 1929 verstarb Oscar Strelitz’ Vater Emil mit 63 Jahren im Allgemeinen Krankenhaus St. Georg. Daraufhin zog das Ehepaar für kurze Zeit zu Oscars Mutter Ida in die Tornquiststraße in Eimsbüttel. Anschließend wohnten sie vorübergehend in einer Teilwohnung – in der Neubertstraße 56 in Hohenfelde, wo heute auch der Stolperstein für Oscar Strelitz liegt.

Seinem langjährigen Arbeitgeber Lissauer zufolge war Oscar Strelitz engagiert, interesssiert und zuverlässig, in der Branche besaß er einen guten Ruf. So ließ der Firmenchef ihn auch nur ungern gehen, als er sich 1933 selbstständig machte. Mit Firmensitz Vereinsstraße 78, Parterre, meldete Oscar Strelitz noch am 30. Mai jenes Jahres das Gewerbe "Kaufmann" an und nannte als Betriebsart den "Großhandel mit Rohprodukten". Die Rohprodukte, mit denen er handelte, waren unter anderem Tauwerk, Wolle und Tuch. Zu seinen Kunden gehörten eine Hanfspinnerei und verschiedene Hafenhändler. In der Vereinsstraße 78 wohnten Oscar und Elli Strelitz auch.

Bereits seit dem 30. Januar 1933 war Adolf Hitler Reichskanzler, am 5. März 1933 gewann die NSDAP die Reichstagswahlen. Am 1. April organisierten die Nationalsozialisten einen Boykott jüdischer Arztpraxen, Kanzleien, Läden und Firmen – der erste Schritt zur Verdrängung der Jüdinnen und Juden aus dem Wirtschaftsleben. Auf Oscar Strelitz’ Geschäftstätigkeit hatte diese Maßnahme zunächst noch keine negative Auswirkung, wahrscheinlich, weil seine Frau Elli nichtjüdisch war. 1934 verließen beide Hamburg und zogen nach Altona, das damals noch eine selbstständige Stadt war. In der Rothestraße 104 hatten sie eine neue Wohnung gefunden. Im März 1935 starb Oscar Strelitz’ Mutter Ida. Sie wurde 69 Jahre alt. Zwei Jahre später, im Sommer 1936, zogen Oscar und Elli Strelitz noch einmal um, in eine Parterrewohnung in der Fischers Allee 41. Dort meldete er sein Gewerbe erneut an. Das Rohproduktenlager befand sich mittlerweile in Hammerbrook, in der Wendenstraße 404. Außerdem hatte er dort einen Lumpensortierbetrieb eröffnet. So musste er die verschiedenen Rohprodukte nicht mehr getrennt ankaufen, sondern konnte sie auch von Arbeitern aus Lumpensammlungen aussortieren lassen.

1937 traf die Macht des NS-Regimes Oscar Strelitz jedoch mit voller Wucht: Die Gestapo beschlagnahmte handstreichartig sein Lager und den Lumpensortierbetrieb in der Wendenstraße, weil er Jude war. Damit hatte er seine berufliche Existenz verloren. Nach dem Novemberprogrom 1938 wurde er zudem inhaftiert – genau wie 20.000 bis 30.000 weitere jüdische Männer im ganzen Deutschen Reich – und in das Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht. Die Bedingungen dort waren katastrophal. Oscar Strelitz bekam wie alle anderen im "Kolafu" inhaftierten Juden fast nur trockenes Brot und Wasser, musste in einer überfüllten Zelle mit stinkenden Matratzen schlafen, war den Schikanen der Wachleute ausgesetzt und dass alles ohne zu wissen, wann er wieder entlassen würde und ob überhaupt. Nach rund sechs Wochen ließ ihn die Gestapo endlich wieder frei. In seinen früheren Alltag konnte er jedoch nicht mehr zurückkehren. Sein Betrieb war beschlagnahmt worden, er fand auch keine andere Arbeit mehr. So nahm seine Frau Elli 1939 ihren alten Beruf als Kontoristin wieder auf, um für ihrer beider Existenz zu sorgen. Sie fand eine Stelle bei der Altonaer Firma Paul Immenthal in der Großen Brunnenstraße.

Die Wohnung an der Fischers Allee mussten beide trotzdem verlassen, dafür reichte Elli Strelitz’ Gehalt nicht mehr. Sie zogen, wieder zur Untermiete, in den Grindelberg 3a. Weil Oscar Strelitz gemäß den Kategorien der Nationalsozialisten in einer "nichtprivilegierten" Mischehe lebte, wurde er von den in Hamburg 1941 beginnenden Deportationen von Jüdinnen und Juden zunächst zurückgestellt. Dafür musste er Zwangsarbeit leisten. Der korrupte und unberechenbare Leiter der "Dienststelle für den Judeneinsatz" des Hamburger Arbeitsamtes, Willibald Schallert, wies ihn der Lokstedter Hanfspinnerei Steen & Co. zu. Diese setzte ihn in ihrer Tauwerkfabrik an der Horst-Wessel-Allee (vor 1933 und nach 1945 Ebertallee) 104–108 ein. Für 0,93 Pfennig die Stunde war er dort vom 6. April 1942 bis zum 12. Februar 1945 als Zwangsarbeiter beschäftigt. 1942 mussten Elli und Oscar Strelitz zudem in ein "Judenhaus" umziehen. Erst wohnten sie in der Dillstraße 16, ab August 1944 in der Rutschbahn 25a.

Oscar Strelitz’ ältere Schwester Elisabeth hatte mittlerweile ebenfalls geheiratet, den aus Graubünden stammenden Schweizer Paul Johann Lerchi. Sie war mit ihrem Mann in die Schweiz gezogen und damit vor den Verfolgungen des NS-Regimes sicher. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lebte sie in Zürich.

Oscars jüngere Schwester Lotte war Hausangestellte bei der Familie Marcus in der Werderstraße 18 in Harvestehude. Am 6. November 1941 hatte sie den rund 24 Jahre älteren jüdischen Kaufmann Alfred Eduard Lion geheiratet (s. "Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft-Ost" sowie www.stolpersteine-hamburg.de) – zwei Tage vor seiner Deportation nach Minsk. Um mit ihm zusammen bleiben zu können, meldete sie sich freiwillig für diesen Transport. Alfred und Lotte Lion wurden am 8. November 1941 von Hamburg nach Minsk deportiert und dort ermordet.

Ab Anfang 1945 war Oscar Strelitz nicht mehr durch seine Frau vor der Deportation geschützt. Angesichts des bereits verlorenen Krieges und der vorrückenden alliierten Truppen wurden ab Januar 1945 auch die wenigen noch in Deutschland verbliebenen Jüdinnen und Juden deportiert, die in Mischehen lebten. Oscar Strelitz erhielt den Befehl zum "auswärtigen Arbeitseinsatz in Theresienstadt" für den 14. Februar 1945. 294 Jüdinnen und Juden gehörten zu diesem letzten Transport aus Hamburg. 292 überlebten. Zu den beiden, die nicht überlebten, gehörte Oscar Strelitz. Vier Wochen hatte er, der durch die dreijährige Zwangsarbeit wahrscheinlich ohnehin bereits körperlich stark geschwächt war, den entsetzlichen Bedingungen in Theresienstadt – Hunger, Krankheiten, Seuchen – nur noch widerstehen können.

Am 10. März 1945 starb Oscar Strelitz im Krankenhaus des Gettos an der Parkstraße, mit nur 44 Jahren. Fünf Tage später wurde er eingeäschert. Im "Ofen Nr. 2", wie der Toten-Begleitschein mit kaum erträglicher Akribie vermerkt. Auf der Rückseite des Scheins findet sich noch die lapidare Bemerkung: "Der Pat[ient] Strelitz hatte keinen Schmuck bei sich."

Stand: Mai 2016
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 3; 4; 5; 8; 9; StaH 332-5 Standesämter 950 u. 1712/1929; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 18816; StaH 552-1 Jüdische Gemeinden 390 Wählerlisten 1930; StaH 552-1 Jüdische Gemeinden 992 d Steuerakten, Bd. 31; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden Nr. 992 e 2 Band 2, Transport nach Minsk am 08. November 1941, Liste 1; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden Nr. 992 e 2 Band 5, Transport nach Theresienstadt am 14. Februar 1945; Meyer, Jüdische Mischlinge, S. 62ff; Beate Meyer, Fragwürdiger Schutz – Mischehen in Hamburg (1933–1945), in: dies., Verfolgung, S. 79ff.; Uwe Schmidt, Hamburger Schulen, Bd 2, S. 845; Claudia Garcia, "Alfred Lion", in: Maria Koser, Sabine Brunotte, Stolpersteine in Hamburg-Eppendorf und Hamburg-Hoheluft Ost, S. 270f.; Oscar Moritz Strelitz, Totenbegleitschein, Nationalarchiv Prag, Zidovske matriky, Ohledaci listy, ghetto Terezin, Band [1945a], online: www2.holocaust.cz/de/document/DOCUMENT.ITI.20228 (letzter Zugriff 31.1.2015); Oscar Strelitz, "Kennkarte", The Terezian Memorial Archives, Museum Theresienstadt; The National Cemetery in Terezin, online unter: www.pamatnik-terezin.cz/vyhledavani/Ahrbitov/detail.php?table=hrbitov&col=id&value=890 (letzter Zugriff 20.8.2015); D. Stoltenberg, Zur Geschichte – die Frage der Kontinuität. Festschrift zum 120-jährigen Bestehen des AThs (1993), online: www.albrecht-thaer-gymnasium.de/index.php/home/schulgeschichte (letzter Zugriff 12.4.2015).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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