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Bereits verlegte Stolpersteine



Helga Deede * 1940

Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik) (Hamburg-Mitte, Rothenburgsort)


HELGA DEEDE
GEB. 4.6.1940
ERMORDET 30.10.1944

Weitere Stolpersteine in Marckmannstraße 135 (ehemalige Kinderklinik):
Andreas Ahlemann, Rita Ahrens, Ursula Bade, Hermann Beekhuis, Ute Conrad, Jürgen Dobbert, Anneliese Drost, Siegfried Findelkind, Rolf Förster, Volker Grimm, Antje Hinrichs, Lisa Huesmann, Gundula Johns, Peter Löding, Angela Lucassen, Elfriede Maaker, Renate Müller, Werner Nohr, Harald Noll, Agnes Petersen, Renate Pöhls, Gebhard Pribbernow, Hannelore Scholz, Doris Schreiber, Ilse Angelika Schultz, Dagmar Schulz, Magdalene Schütte, Gretel Schwieger, Brunhild Stobbe, Hans Tammling, Peter Timm, Heinz Weidenhausen, Renate Wilken, Horst Willhöft

Kinderkrankenhaus Rothenburgsort

Im früheren Kinderkrankenhaus Rothenburgsort setzten die Nationalsozialisten ihr "Euthanasie-Programm" seit Anfang der 1940er Jahre um.
33 Namen hat Hildegard Thevs recherchieren können.

Eine Tafel am Gebäude erinnert seit 1999 an die mehr als 50 ermordeten Babys und Kinder:

In diesem Gebäude
wurden zwischen 1941 und 1945
mehr als 50 behinderte Kinder getötet.
Ein Gutachterausschuss stufte sie
als "unwertes Leben" ein und wies sie
zur Tötung in Kinderfachabteilungen ein.
Die Hamburger Gesundheitsverwaltung
war daran beteiligt.
Hamburger Amtsärzte überwachten
die Einweisung und Tötung der Kinder.
Ärzte des Kinderkrankenhauses
führten sie durch.
Keiner der Beteiligten
wurde dafür gerichtlich belangt.



Weitere Informationen im Internet unter:

35 Stolpersteine für Rothenburgsort – Hamburger Abendblatt 10.10.2009

Stolpersteine für ermordete Kinder – ND 10.10.2009

Stolpersteine gegen das Vergessen – Pressestelle des Senats 09.10.2009

Die toten Kinder von Rothenburgsort – Nordelbien.de 09.10.2009

35 Stolpersteine verlegt – Hamburg 1 mit Video 09.10.2009


Wikipedia - Institut für Hygiene und Umwelt

Gedenken an mehr als 50 ermordete Kinder - Die Welt 10.11.1999

Euthanasie-Opfer der Nazis - Beitrag NDR Fernsehen 29.05.2010

Hitler und das "lebensunwerte Leben" - Andreas Schlebach NDR 24.08.2009
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Helga Deede, geb. 4.6.1940 in Harburg, ermordet am 30.10.1944

"Durch die eingeschlagene Behandlung ist ein Wesen erlöst von nicht enden wollenden, schwersten Erschütterungen und Qualen", mit diesem Fazit hatte Bayer den Bericht über seine frühere Patientin Helga Deede geschlossen, den er am 18. Januar 1946 dem Untersuchungsrichter vorlegte. Seiner Überzeugung nach war es ein Akt humanistischer Nächstenliebe gewesen, sie von ihrem anlagebedingten Leiden infolge einer "Fehlbildung der Hirnstruktur bei gleichzeitigem Vorliegen einer im Mutterleib oder bei der Geburt entstandenen Schädigung des Gehirns" zu befreien.

Die Eltern erlebten ihre Tochter offenbar anders, denn sie mussten regelrecht gezwungen werden, ihre Tochter herzugeben.

Helga Deede war das erste Kind des Ehepaares, sie kam am 4. Juni 1940 in Hamburg-Harburg zur Welt. Ihre Geburt verlief normal, doch fiel bald auf, dass Helga ihren Kopf stark nach links neigte. Später stellte sich heraus, dass die linksseitigen Halsmuskeln verkürzt waren. Im Alter von etwa drei Monaten traten bei ihr erstmals Zuckungen auf, die sich bald zu Krämpfen steigerten und von Schreien begleitet waren. Ihre geistige Entwicklung stagnierte.

Die Mutter suchte mit Helga die Fürsorgerin beim Gesundheitsamt Harburg auf, dessen Leitung Obermedizinalrat Fritz Janik innehatte. Dort eröffnete ihr eine Ärztin – nach Erinnerung der Mutter nicht der Amtsarzt selbst –, dass sie Helga "nach Berlin" melden müsse und das Kind in eine Anstalt kommen werde. Tatsächlich meldete Janik Helga Deede, dem Amtsweg entsprechend, an den "Reichsausschuss" nach Berlin. Die Fürsorgerin vom Gesundheitsamt Harburg drang in der Folge mehrfach darauf, dass die Mutter Helga zur Beobachtung nach Langenhorn bringe. Dem widersetzte sie sich lange Zeit.

Am 26. Januar 1942 bekam Helga Deede eine gesunde Schwester. Was die Eltern bewog, dem Drängen der Fürsorgerin doch nachzugeben, ist nicht bekannt. Am 12. Oktober 1942 brachten sie Helga in die "Kinderfachabteilung" der "Heil- und Pflegeanstalt Langenhorn".

Friedrich Knigge stellte die Diagnose: "Idiotie (Mikrocephalie), organischer Hirnprozess mit epileptiformen Anfällen und Halbseitensymptomen, chronische Cystitis". Helgas Kopfumfang lag unter der Norm, die Kleinköpfigkeit kam zusammen mit krankhaften Veränderungen des Ge­hirns als Ursache für die Krampfanfälle, die nur die rechte Körperseite betrafen, in Betracht. Sie litt unter einer chronischen Harnblasenentzündung. Helga konnte durch Strampeln und Umherwälzen einen Anfall unterdrücken, aber weder sprechen noch sitzen oder gar stehen. Sie nahm wenig Kontakt mit ihrer Umgebung auf und äußerte sich auch selten. Insgesamt machte sie aber einen ruhigen und zufriedenen Eindruck auf den Arzt. Nach einer etwa dreiwöchigen Beobachtungszeit deutete er der Mutter gegenüber an, dass Helga evtl. operiert werden solle. Aus Angst davor nahm sie ihre Tochter am 5. November 1942 wieder mit nach Hause. Knigge schloss die Akte und notierte: "Wegen einer Behandlung wollen die Eltern wieder vorsprechen."

Nach ihrem dritten Geburtstag am 4. Juni 1943 fiel Helga eigentlich nicht mehr in die Zuständigkeit des "Reichsausschusses", doch dieser hatte nach dem Stopp der "Massen-Euthanansie" im August 1941 die Altersgrenze heraufgesetzt. Die Fürsorgerin besuchte die Familie weiter und legte der Mutter nahe, das Kind wieder einer Anstalt zu übergeben, da es eine große Belastung für sie sei. Nachdem Helga inzwischen wieder zwei Jahre zuhause gelebt hatte, erschien eines Tages die Fürsorgerin mit der Nachricht, "von Berlin" sei Bescheid gekommen, Helga in das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort zu bringen. Die Eltern fuhren mit ihr am 19. Oktober 1944 dorthin. Die Stationsärztin der chirurgischen Abteilung, Gisela Schwabe, sicherte ihnen zu, es ginge nur um Beobachtung, nicht um eine Operation oder eine sonstige gefährliche Behandlung. Deshalb sei ihnen auch keinerlei Einwilligung abverlangt worden, bezeugten sie später bei ihrer Vernehmung durch den Ermittlungsrichter.

Vom dritten Aufnahmetag an bis zwei Tage vor ihrem Tod verbrachte Helga täglich elf Stunden und mehr im Bunker (s. o. Erläuterungen). Am vierten Tag ihres Aufenthalts wurde eine Encephalographie vorgenommen, zu deren besserer Verträglichkeit sie 1 ccm Luminal erhielt. Die Folgen waren geringes Fieber und Erbrechen am folgenden Tag, aber eine Abnahme der Krämpfe.

Elf Tage später erhielten Helgas Eltern am späten Vormittag die telefonische Nachricht, dass ihre Tochter um 10 Uhr "eingeschlafen" sei. Die Verwunderung über ihren schnellen Tod war groß. Die inzwischen wieder hochschwangere Mutter schickte Verwandte an ihrer Stelle zum Krankenhaus. Diese erhielten die Auskunft, Helga sei an Krämpfen gestorben.

Offenbar hatte Helga an der Little’schen Krankheit, einer spastischen Lähmung, gelitten, die mit einer schweren Hirnmissbildung einherging, wie Gisela Schwabe vermerkte. Sie hatte Helga die tödliche Luminal-Injektion verabfolgt. Hans Deede zeigte den Tod seiner Tochter zwei Tage später beim Standesamt Billbrook, dem Ersatz für das zerstörte Rothenburgsorter, an. Helga war vier Jahre und vier Monate alt geworden.

Ihre Leiche wurde zur Obduktion an Josef Heine vom AK St. Georg übergeben, sein Sektionsbericht trägt die Nummer 860. Heine fand außer umfangreichen Veränderungen der Hirnsubstanz eine Gehirnschwellung und eine Blutung über dem rechten Großhirn, die schon mehrere Tage zurück lagen, und führte sie auf eine mögliche Luminal-Injektion von 7–10 ccm zurück, die sie 2 bis 3 Tage zuvor erhalten habe. Einen Hinweis auf eine frische Lungenentzündung, wie sie bei dem hoch dosierten Luminal zu erwarten war, fand er nicht. Möglicherweise hatte diese untypische Reaktion damit zu tun, dass Helga schon vorher häufig Luminal-Spritzen in niedriger Dosierung zur Linderung der Krämpfe erhalten hatte.

© Hildegard Thevs

Quellen: StaH 0017/001; 332-5 Standesämter, 1237+399/1944; 352-8/7 Staatskrankenanstalt Langenhorn, Abl. 2000/01, 30580.

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