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Louise Simon (geborene Gowa) * 1878
Peterstraße 33 (Hamburg-Mitte, Neustadt)
1941 Riga
ermordet
Weitere Stolpersteine in Peterstraße 33:
Joel Abrahamssohn, Pauline Abrahamssohn, Norbert Abrahamssohn, Jenny Becker, Ludwig Becker, Uri Becker, Jeanette Freundlich, Else Grossmeyer, Erwin Grossmeyer, Hugo Grossmeyer
Louise Simon, geb. Gowa, geb. am 16.8.1878 in Hamburg, deportiert am 6.12.1941 nach Riga-Jungfernhof
Hugo Gowa, geb. am 5.4.1877 in Hamburg, deportiert am 8.11.1941 nach Minsk
Peterstraße 33b
Die Geschwister Louise Simon und Hugo Gowa entstammten einer in Hamburg alteingesessenen jüdischen Familie. Der Vater, Siegfried Gowa (geb.14.10.1849) betrieb in der Elbstraße 61 (heute Neanderstraße) ein kleines Spiel- und Weißwarengeschäft, zudem war er auch mit einer Karre unterwegs. Am 21. Juni 1876 hatte er Laura/Sara Katz (geb. 20.9.1849) geheiratet. Der ältere Sohn Hugo war am 5. April 1877, seine Schwester Louise am 16. August 1878 geboren worden. Louise besuchte die 1884 eröffnete Israelitische Töchterschule in der Carolinenstraße und arbeitete im Anschluss im elterlichen Geschäft, das sie nach dem frühen Tod des Vaters, er starb am 9. April 1901 an den Folgen einer Lungenschwindsucht, mit ihrer Mutter allein fortführte. Am 1. Juni 1906 heiratete Louise den jüdischen Kaufmann Martin Wilhelm Simon (geb. 15.2.1878) und gab ihre Berufstätigkeit auf.
Die Eheleute Simon bekamen am 14. April 1907 einen Sohn, den sie Siegfried William nannten. Da sich Louise jedoch bald von ihrem Mann trennte, zog sie Siegfried allein auf. Die Ehe wurde im Mai 1913 rechtskräftig geschieden.
Ursprünglich war Louise Simon gut situiert gewesen, aber der Verlust aus einer größeren Kriegsanleihe brachte sie nach Ende des Ersten Weltkrieges in finanzielle Schwierigkeiten. 1918 zog sie aus der Elbstraße 21/23 (heute Neanderstraße) in die Peterstraße 33b. Dort begann sie, Untermieter in ihre 5½-Zimmerwohnung aufzunehmen. Daraus entstand mit der Zeit ein Pensionsbetrieb. Louise Niebuhr, eine ehemalige Nachbarin, erinnerte sich nach dem Krieg: "Wir hatten seit 1927 einem Handarbeitsclub mit sechs Damen, in dem auch Louise Simon war, wir pflegten ein freundschaftliches Verhältnis, was zu täglich wechselseitigen Besuchen geführt hat. Louise Simon betrieb eine Zimmervermietung mit Frühstück und Zimmerreinigung, auch verrichtete sie kleine Besorgungen und Wäschereparaturen gegen Bezahlung, einen älteren Herrn hatte sie in Vollpension. Auch lebte sie vom Verkauf selbst hergestellter Taschentücher, Kissen und Tischdecken. 1933 änderten sich die Mieter, nichtjüdische mussten ausziehen, bis auf den älteren Herrn, an deren Stelle traten jetzt jüdische Mieter."
Louises Sohn Siegfried Simon hatte 1924 seine Schulzeit mit der mittleren Reife beendet und eine Lehre als kaufmännischer Angestellter in einer Kolonialwarengroßhandlung begonnen. Nebenbei besuchte er eine Handelsschule und blieb nach seiner Ausbildung als Handlungsgehilfe für ein weiteres Jahr in seiner Lehrfirma Holland beschäftigt. Als Kontorist, Statistiker und Bilanzbuchhalter der Rudolf Karstadt A.G. wechselte er zur Epa A.G. Berlin, wo er Anfang 1933 wie alle jüdischen Angestellten entlassen wurde. Am 26. August 1933 heiratete er die nichtjüdische Hamburgerin Hertha Voss (geb. 28.5.1908), als sein Trauzeuge fungierte der Kaufmann Martin Nau, ein Freund der Familie. Das junge Paar zog in die Alsterdorferstraße 94. Sohn Werner kam im Oktober 1934 zur Welt. Seinen Großvater Martin Simon lernte er nicht mehr kennen, der war bereits am 10. Februar 1932 verstorben.
Louise Simons "Einlogierer" wohnten meist für längere Zeit bei ihr. Obwohl sie seit dem "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" vom 30. April 1939 nur noch jüdische Pensionsgäste aufnehmen durfte, beherbergte sie seit 1938 noch einen "arischen" Mieter. Als dieser wegen Diebstahls verhaftet wurde, geriet sie in den Verdacht der Hehlerei. Mit der Hilfe aller Hausbewohner in der Peterstraße, die ihr einen untadeligen Ruf bescheinigten, gelang es ihrem Rechtsbeistand, dem ehemaligen Rechtsanwalt Walter Schüler (geb. 11.8.1899, gest. 29.4.1945 in Mauthausen), der sich nur noch als "jüdischer Konsulent" bezeichnen durfte, am 22. Oktober 1940 einen Freispruch zu erwirken, wenn auch nur aus Mangel an Beweisen.
Am 8. November 1941 musste Louise Simon erleben, wie ihr Bruder Hugo Gowa im Alter von 64 Jahren aus dem jüdischen Altenheim "Nordheim-Stift" in der Schlachterstraße 40/42 ins Getto Minsk deportiert wurde.
Hugo Gowa wurde als in seiner Entwicklung "zurückgeblieben" beschrieben. Nach dem Tod der Mutter (Laura Gowa verstarb am 14. Februar 1919) hatte er zur Untermiete an verschiedenen Adressen, vorwiegend in der Neustadt und auf St. Pauli, gelebt. Er erhielt jährlich 300 Reichsmark (RM), die Zinsen einer Kriegsanleihe, die ihm seine Mutter hinterlassen hatte. Das Geld verwaltete seine Schwester, sie zahlte ihrem Bruder wöchentlich 5 RM aus und versorgte ihn auch mit Lebensmitteln. Nach ihren Angaben hatte ihr Bruder, außer einigen Privatstunden, keine Schule besucht und weder lesen noch schreiben gelernt. Hugo Gowa wurde als ruhiger Mensch beschrieben, der sich auf dem Arbeitsmarkt nur schwer behaupten konnte. Seit dem Tod seiner Mutter litt er unter "Entbehrungen, Krankheit und Hunger". Er schlug sich als Straßenhändler mit gebrauchten Büchern und Zeitschriften durch, arbeitete im Hafen, war Plakatträger für ein Restaurant in Mühlenkamp, Aufräumer und Gläserwäscher im Zoo, dann Losverkäufer auf dem Hamburger Dom. Zwischenzeitlich bezog er geringe Fürsorgeleistungen und wurde in einem staatlichen Versorgungsheim untergebracht. 1937 bewohnte Hugo Gowa ein Zimmer ohne Ofenheizung am Venusberg 20 und musste Pflichtarbeit in Waltershof leisten. Der Gewerbeschein war ihm auf Anweisung der NS-Behörden entzogen worden. Seine Fürsorgeakte endete im Dezember 1938 mit einem Schreiben des Jüdischen Religionsverbandes, der ihm eine monatliche Unterstützung mit Lebensmitteln und einer Essenskarte bescheinigte. Ein Beamter der Fürsorgebehörde hatte auf dem Aktendeckel mit roter Tinte vermerkt "schwachsinnig" und "Nichtarier". Seine letzten frei gewählten Unterkünfte waren in der Rosenhofstraße 13 im Stadtteil St. Pauli bei dem Ehepaar Brosius und 1938 bei seiner Schwester Louise in der Peterstraße.
Dort wurde er am 12. Januar 1939 wegen "fortgesetzter Rassenschande" verhaftet und ins Gerichtsgefängnis nach Altona verbracht. Ihm wurde ein außereheliches Verhältnis mit einer Schaustellerin unterstellt, für die er aushilfsweise gearbeitet hatte. Am 19. April 1939 verurteilte ihn das Landgericht Hamburg unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu einer vergleichsweise milden Strafe von neun Monaten. Während seiner Haftzeit wurde Hugo Gowa daraufhin untersucht, ob er für ein Konzentrationslager haftfähig sei. Dies wurde von einem Amtsarzt bestätigt. Vermutlich wurde Hugo Gowa nach seiner Entlassung am 4. Oktober 1939 aus dem Gerichtsgefängnis in Altona jedoch in das Altenheim "Nordheim-Stift" eingewiesen. Dort erhielt er auch den Deportationsbefehl nach Minsk.
Louise Simon muss eine besonders entschlossene Frau gewesen sein. Kurz nachdem auch sie ihren Deportationsbefehl für den 6. Dezember 1941 nach Riga erhalten hatte, strebte sie eine "Ehelichkeitsanfechtungsklage" an. Vier Tage vor ihrem Abtransport gab sie beim Amtsgericht Hamburg unter Eid an: "dass ihr Sohn Siegfried kein Kind des Simon sei, sondern des arischen Kaufmanns Martin Nau". In einem notariellen Protokoll, datiert vom 12. Mai 1941, erkannte Martin Nau die Vaterschaft an. Weiter hieß es: "Die Kindesmutter bekundete, dass sie zu dem Zeitpunkt, als sie mit Simon verkehrte, von Nau schon schwanger war." Daraufhin beantragte das Rassenpolitische Amt beim Oberstaatsanwalt in Hamburg ein Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft, in dessen Verlauf Martin Nau allerdings verstarb. Mit dem anschließenden Gerichtsurteil vom 18. März 1942 erreichte Siegfried Simon die Anerkennung als "Mischling ersten Grades", musste aber nun den Mädchennamen seiner Mutter führen.
Der Nachweis der "halbarischen" Abstammung und die "privilegierte Mischehe" schützten ihn zwar vor der Deportation, aber nicht vor Repressalien. Mit französischen und belgischen Kriegsgefangenen musste er Zwangsarbeit verrichten, bis er wegen "Nichtbefolgen einer staatspolizeilichen Auflage" verhaftet wurde. Er überlebte das Kriegsende, nahm 1946 den Nachnamen Simon wieder an und vermutete über das weitere Schicksal seiner Mutter in Riga: "Nachdem ich seit 1941 nie wieder von meiner Mutter gehört habe, muss ich leider zu der Auffassung kommen, dass sie sich nicht mehr unter den Lebenden befindet." Louise Simon wurde auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.
Der Stolperstein vor dem heutigen Haus in der Peterstraße entspricht einem veralteten Forschungsstand. Das ehemalige Haus mit der Nr. 33b befand sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite, Ecke Peterstraße/Hütten.
Stand: August 2018
© Susanne Rosendahl
Quellen: 1; 4; StaH 351-11 AfW 32270 (Simon, Siegfried William); StaH 332-5 Standesämter 2560 u 768/1876; StaH 332-5 Standesämter 1906 u 1697/1877; StaH 332-5 Standesämter 1934 u 3760/1878; StaH 332-5 Standesämter 416 u 1879/1897; StaH 332-5 Standesämter 492 u 285/1901; StaH 332-5 Standesämter 8644 u 131/1906; StaH 332-5 Standesämter 13950 u 587/1933; StaH 352-5 Todesbescheinigungen 1901 Sta. 23/285; 213-11 Staatsanwaltschaft bei den Landgerichten 0615/41; StaH 351-14 Arbeits- und Sozialfürsorge 1231 (Gowa, Hugo); StaH 424-110 Gefangenen-Personalakten 263.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".