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Bereits verlegte Stolpersteine



Julius Hermannsen * 1930

Martin-Luther-King-Platz 3 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


JULIUS
HERMANNSEN
JG. 1930
DEPORTIERT 1941
LODZ
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Martin-Luther-King-Platz 3:
Margarethe Altmann, Bela Anschlawski, Esther Ascher, Hannelore Ascher, Ellen Ingrid Berger, Hanni Bernstein, Karl Heinz Bloch, Hildegard Cohen, Nathan Dan Croner, Heinz Dessau, Zita Feldmann, Jacob Fertig, Hans Frost, Alice Gramm, Else Grunert, Julius Hamburger, Oskar Helle, Rebecca Hermannsen, Elchanan Jarecki, Bertha Kleve, Peter Kopf, Erwin Kopf, Manfred Krauthamer, John Löw, Gerda Polak, Inge Polak, Erich Rosenberg, Mirjam Rothschild, Regine Rothschild, Rafael von der Walde

Julius Hermannsen, geb. am 28.11.1930 in Hamburg, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz
Rebecca Hermannsen, geb. am 28.1.1927 in Ignalina, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz

Martin-Luther-King-Platz 3 (früher Papendamm 3)

David, Hermannsen, geb. am 1.1.1920 in Ignalina, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz
Jacob Hermannsen, geb. am 10.1.1922 in Wilna, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz

Großneumarkt 56 (geplant)

Julius und Rebecca Hermannsen waren die jüngsten von insgesamt vier Kindern, die nach dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten aus einer "nicht privilegierten Mischehe" stammten.

Ihr Vater, August Walter Hermannsen, war am 13.7.1891 in Kiel in einem nichtjüdischen Elternhaus geboren worden. Da seine Eltern jedoch früh starben, war er seit seinem 9. Lebensjahr in Flensburg in einem Waisenhaus aufgewachsen. Nach dem Besuch der Volksschule kam er 1907 nach Hamburg, um eine Bäcker- und Konditorlehre zu absolvieren.

Walter Hermannsen leistete 1912 seinen Militärdienst ab und wurde im Ersten Weltkrieg zum Heeresdienst eingezogen. Er nahm zunächst am Feldzug in Frankreich teil und geriet gegen Ende des Krieges in russische Gefangenschaft. In Russland lernte er die Jüdin Pessa Kryczer kennen. Sie war am 23.7.1897 in dem kleinen Ort Ignalina (heute Litauen) geboren worden. Über ihre Familie wissen wir nichts. Bei der Eheschließung 1919 konvertierte Walter Hermannsen zum Judentum.

Drei ihrer vier Kinder kamen in der Heimat der Mutter zur Welt: der älteste Sohn David (geb. 1.1.1920) und die einzige Tochter Rebecca (geb. 28.1.1927) ebenfalls in Ignalina. Zwischen den beiden wurde der zweitälteste Jakob (geb. 10.1.1922) in der nahegelegenen Stadt Wilna (Vilnius, heute die Hauptstadt Litauens) geboren.

1928 kehrte Walter Hermannsen mit seiner Familie nach Hamburg zurück. Hier wurde zwei Jahre später der jüngste Sohn Julius (geb. 28.11.1930) geboren.

Offenbar konnte sich die Familie zunächst keine eigene Wohnung leisten. Walter Hermannsen ließ sich erst 1932 im Hamburger Adressbuch mit der Berufsbezeichnung Bäcker in der Glashüttenstraße 18 eintragen, obwohl er seit 1930 als Hilfsgärtner auf dem Ohlsdorfer Friedhof beschäftigt war. Im September 1934 wurde er vom Hamburger Garten- und Friedhofsamt entlassen. Als Begründung wurde seine Zugehörigkeit zur jüdischen Religionsgemeinschaft genannt und dass daher Zweifel an seiner nationalen und moralischen Zuverlässigkeit bestünden.

Im folgenden Jahr zog Familie Hermannsen ins jüdische Hertz-Joseph-Levy-Stift am Großneumarkt 56, da sie dort eine geringere Miete zu zahlen hatten, eventuell auch mietfrei wohnen konnten. Nach Erlass der Nürnberger Gesetze 1935 nahm der staatliche Druck auf die nichtjüdischen bzw. konvertierten Partner in "Mischehen" zu, sich scheiden zu lassen.So wurde nach seinen Angaben auch Walter Hermannsen 1937 von der Gestapo verhaftet und für sechs Monate ins "Umschulungslager Dachau" (= KZ Dachau) gebracht, als er sich weigerte, die Scheidung einzureichen.

Zwar unterteilten die Nationalsozialisten die Mischehen zwischen einem "deutschblütigen" und einem jüdischen Ehepartner in "privilegierte" und "nicht privilegierte", aber da Walter Hermannsen zum Judentum konvertiert war, wurde die Ehe wie eine jüdische behandelt. Damit unterlag er wie alle Jüdinnen und Juden der Kennzeichnungspflicht. Auch musste er die spezielle Kennkarte beantragen, die mit einem "J" gestempelt war, und nach der Namensänderungsverordnung den jüdischen Zwangsnamen Israel zusätzlich führen. Seine Kinder waren zwar "halbjüdisch", hatten aber zwei jüdische Elternteile und wurden deshalb als "Geltungsjuden" eingestuft und ebenfalls wie Juden behandelt.

Die Situation der Familie wurde noch schwieriger, als Pessa Hermannsen an einer doppelseitigen Lungenentzündung erkrankte. Sie verstarb am 12.8.1939 im Alter von erst 42 Jahren im Israelitischen Krankenhaus. Da Walter Hermannsen seit Oktober 1938 "Notstandsarbeit" zu leisten hatte, kümmerte sich nach dem Tod seiner Frau die Nachbarin Fanny Neumann (s. dort) während seiner Abwesenheit um seine Kinder.

Im September 1939 wurde Fanny Neumann mit ihrer Familie in das "Judenhaus" Rappstraße 6 in eine Kellerwohnung umquartiert. Walter Hermannsen folgte ihnen im Frühjahr 1940.

Am 10. März 1941 erhielt Walter Hermannsen eine Vorladung zur Gestapo ins Stadthaus und wurde nicht wieder nach Hause entlassen. Das "Blutschutzgesetz" verbot außereheliche Beziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Personen. Walter Hermannsen, der den "Judenstern" tragen musste, wurde nun vorgehalten, dass er als "Arier" mit einer Jüdin zusammenlebe. Das Hamburger Landgericht verurteilte ihn wegen "Rassenschande" zu einer 1-jährigen Haftstrafe, die er unter Anrechnung seiner Untersuchungshaft bis zum 10. März 1942 in der Haftanstalt Fuhlsbüttel verbüßte. Die Gerichtsakte existiert nicht mehr, sie wurde vermutlich vernichtet. Walter Hermannsen gab später an, er sei überzeugt, dass seine Verhaftung auf Grund einer Denunziation "der lieben Nachbarn" erfolgte.

Noch während seiner Haftzeit wurden die Namen von Fanny Neumann, deren jüngsten Tochter Miriam (geb. 27.11.1923) und Enkelin Bela (geb. 23.2.1939), auf die sogenannte Ersatzliste für eventuelle Ausfälle der "Evakuierung" (= Deportation) am 25. Oktober 1941 nach Lodz gesetzt. Die Namen der Hermannsen Kinder finden sich auf einer Liste von 56 Personen, die sich "freiwillig" für diesen Transport gemeldet hatten. Sie wollten wohl nicht von der Familie Neumann getrennt werden (auch Fanny Neumanns Sohn Alfred Neumann mit seiner Frau und ihren zwei Kindern meldeten sich für diesen ersten Transport, der Hamburg verließ).

Der älteste Sohn, David Hermannsen, wurde auf der Deportationsliste mit der Berufsbezeichnung "Schlosser" aufgeführt. Wahrscheinlich hatte er in der von der Jüdischen Gemeinde betriebenen Lehrwerkstatt für Schlosser in der Weidenallee 10b eine Ausbildung erhalten, wo jüdische Jugendlichen auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereitet worden waren. Vielleicht hatte David Hermannsen gehofft, Deutschland noch rechtzeitig verlassen zu können.

Sein Bruder Jacob war jetzt in der Bornstraße 8 bei Markus Blumenthal (geb. 31.1.1879, ermordet 10.5.1942 in Chelmno) gemeldet und wurde als Fabrikarbeiter bezeichnet, die Zuweisung dort war möglicherweise als Zwangsarbeiter erfolgt. Die beiden jüngsten Kinder, Julius und Rebecca Hermannsen waren noch Schüler und lebten zuletzt im Jüdischen Waisenhaus am Papendamm 3, wo heute am Martin-Luther-King-Platz 3 Stolpersteine an sie erinnern.

Ob Walter Hermannsen über die bevorstehende Deportation seiner Kinder nicht unterrichtet worden war, geht aus seinem Antrag auf Wiedergutmachung nicht hervor. Er berichtete nur, dass er nach seiner Haftentlassung die Wohnung in der Rappstraße geräumt vorfand, die Kinder waren aus Hamburg verschwunden. David, Rebecca, Jakob und Julius Hermannsen, sowie Fanny Neumann mit ihrer Familie wurden nach dem Krieg auf den 8. Mai 1945 für tot erklärt.

Walter Hermannsen blieb nach seiner Haftentlassung unter Aufsicht der Gestapo, er wurde "dienstverpflichtet" und zuletzt noch in den "Volkssturm" eingezogen.

Er erlebte das Kriegsende und wurde im Juli 1945 vom Garten- und Friedhofsamt in Hamburg wiedereingestellt. Noch im selben Jahr ging er eine zweite Ehe ein. Am 1. April 1977 verstarb Walter Hermannsen in Hamburg.

Stand: März 2020
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 9; StaH 351-11 AfW 13267; StaH 332-5 Standesämter 1104 u 502/1939; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 1; StaH Generalregister Sterbefälle Hei - Hey 1972-1977 (Best. 332-5 Nr. 49185); www.jüdischer-friedhof-altona.de/datenbank.html (Zugriff 24.1.2020).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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