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Helene Nathan (geborene Müller) * 1862

Mansteinstraße 7 (Eimsbüttel, Hoheluft-West)


HIER WOHNTE
HELENE NATHAN
GEB. MÜLLER
JG. 1862
DEPORTIERT 1941
RIGA
ERMORDET

Weitere Stolpersteine in Mansteinstraße 7:
Ella Nathan

Helene Nathan, geb. Müller, geb. am 15.12.1862 in Hamburg, am 6.12.1941 deportiert nach Riga, dort ermordet im Mai 1942
Ella Nathan, geb. am 19.6.1886 in Hamburg, am 6.12.1941 deportiert nach Riga, dort ermordet im Mai 1942

Mansteinstraße 7

Helene Nathan wurde am 15.12.1862 als Helene Müller in Hamburg geboren. Ihre Eltern waren Arnold und Henriette Müller, geb. Burchard. Ihr Ehemann war Morris Nathan (ge­boren am 23.2.1861). Sie heirateten am 1. Januar 1885. Morris Nathan starb am 1.2.1916. Er war 25 Jahre gelähmt gewesen und nicht imstande zu arbeiten. Helene Nathan musste zum Erhalt der Familie beitragen. Als Morris Nathan noch nicht so krank war, hatte Helene Nathan einen Laden für Aussteuerartikel eröffnet. Später, als er ständiger Pflege bedurfte, nahm sie eine große Wohnung, vermietete Zimmer und betrieb eine Pension in der Hoheluftchaussee 65.

Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor: die Tochter Ella, geboren am 19.6.1886, und der Sohn Gustav, geboren am 23.8.1890.

Die Deutsch-Israelitische Gemeinde notierte für Ella Nathan den Eintritt in die Jüdische Gemeinde mit dem Jahr 1919, veranlagte sie kultussteuerlich aber nicht, weil sie "Wohlfahrt" erhielt, da sie "erwerbsunfähig" war. Ella heiratete nicht; sie lebte bei den Eltern bzw. ab 1916 mit der Mutter zusammen. Über ihre Behinderung sind keine Informationen überliefert. Anfangs wohnte die Familie bzw. wohnten Mutter und Tochter Nathan in der Mansteinstraße 7, in den 1930er Jahren für einige Zeit in der Hoheluftchaussee 65 und kurzzeitig auch in der Wrangelstraße 37, zuletzt dann in der Sonninstraße 12 in Altona, einem so genannten Judenhaus.

Morris Nathan zahlte Steuern an die Jüdische Gemeinde seit 1913. 1917 wurden diese erlassen. Kleine Steuereinträge – jetzt für Helene Nathan – folgten erst wieder in den Jahren ab 1922. Sie sind Hinweis auf die Erwerbstätigkeit von Helene Nathan. Anschließend war die Wohlfahrt für Helene und Ella Nathan zuständig.

Helene Nathan wurde mit ihrer Tochter Ella am 4./6. Dezember 1941 nach Riga-Jungfernhof deportiert. Anfangs war Ella allein zur Deportation aufgerufen gewesen. Doch wollte die Mutter sie nicht allein fahren lassen und beantragte, sie auf dem Transport begleiten zu dürfen. Beide kamen im Mai 1942 ums Leben.

Der Sohn und Bruder Gustav Nathan, von Beruf Eisenbahnassistent, war zu dieser Zeit schon verheiratet – die Eheschließung hatte am 20. Dezember 1918 mit Anna Ots-Buchhorn (geb. am 2.5.1898 in Arensburg/Estland) stattgefunden. Drei Kinder gingen aus der Ehe hervor: Wera Helene, geboren am 31.12.1919, starb schon am 25.3.1923 an Leukämie. Ein zweites Kind, Annemarie Ella, wurde am 12.10.1921 geboren und Sonja Wera am 13.2.1924. Die beiden Mädchen waren evangelisch getauft. Gustav Nathan bezeichnete sich als Dissident.

Zwar wurde er ab 1921 von der Jüdischen Gemeinde steuerlich veranlagt, doch galt dies nur bis zum Jahr 1927. Erst 1939 wurde er Mitglied der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Inzwischen war er als Reichsbahnsekretär – auf der Grundlage des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aus dem Jahr 1933 – entlassen worden.

1940 schied er wieder aus der Reichsvereinigung aus, denn als in "Mischehe" lebender Jude musste er dieser nicht angehören. Die Ehe mit Anna Ots-Buchhorn schützte ihn davor. Wie die Lebensbedingungen der jungen Familie Nathan mit ihren beiden Kindern aussah, beschrieb später die Tochter: "Annemarie [also sie, P. O.] konnte noch in Hamburg von 1935 bis 1938 den Oberbau mit Abschluss der mittleren Reife besuchen (der Rektor ihrer Schule hatte sich für sie eingesetzt, nachdem zuvor der Antrag abgelehnt worden war) und auch noch die Handelsschule von 1938 bis 1940. Für die jüngere Schwester Sonja war das aufgrund der Abstammung leider nicht mehr möglich. Nach Abschluss der Volksschule musste sie eine Stellung annehmen. Im Juli 1939 konnte Sonja durch die Quäker mit einem Kindertransport nach England emigrieren, wo sie zuerst in einer Familie untergebracht war und später in einem Kontor arbeiten konnte. Annemarie war zu dieser Zeit, d. h. im Juli 1939, schon zu alt für einen Kindertransport nach England ..." Sie machte nach der Berufsausbildung ihr "Pflichtjahr" vom Frühjahr 1940 bis Frühjahr 1941 und trat dann im Mai 1941 eine Stellung im Kontor der Chemischen Fabrik Kleemann & Co. (Hamburg-Billbrook, Berzeliusstraße 41) an. Sie erhielt diese Stelle, da ihre Mutter durch Reinmachen und Nähen zum Unterhalt der Familie beitrug; die Pension des zwangspensionierten Vaters reichte nicht aus. "Als meine Mutter im Frühjahr 1941 in der Familie des Herrn Paul Kleemann (Leiter der Chemischen Fabrik) die Bettwäsche ausbesserte, erzählte sie, dass ihre ältere Tochter [das ist Annemarie], die die Handelsschule besucht hatte, nach Beendigung des Pflichtjahres eine Anstellung suchte. Herr Kleemann sagte darauf ohne Zögern: ‚Kann bei mir anfangen!’ So habe ich dort gearbeitet, bis alles abbrannte, unsere Wohnung und auch die Chemische Fabrik, das war im Juli 1943."

Die Luftangriffe auf Hamburg nahmen zu und in der Nacht vom 27. auf den 28. Juli 1943 verlor auch Familie Nathan ihre Wohnung durch Bombeneinwirkung. Sie wurde mit vielen tausend Menschen evakuiert und in der Nähe von Flensburg bei Bauern einquartiert. Die Eltern erhielten Zuflucht bei zwei netten alten Damen, Annemarie bezog das Zimmer des zur Wehrmacht eingezogenen Sohnes eines anderen Bauern. Über ihrem Bett hing dort ein Hitlerbild, das sie eigenmächtig von der Wand nahm.

In dem neuen Quartier erkrankte Annemarie. Eine NSV-Schwester wurde hinzugezogen. Diese hatte von der Bildabnahme gehört, und da es sich beim Nachnamen der Patientin, Nathan, um einen jüdischen handelte, erstattete sie Anzeige bei der Gestapo. Am 13. August 1943 wurde Annemarie verhaftet. Sie war bis zum 28. Oktober 1943 in Gefängnissen in Klixbüll bei Niebüll und in Flensburg, kam auf Transport und wurde am 3. November 1943 ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück eingeliefert. Dort war sie in verschiedenen Blocks untergebracht und musste für die Firma Siemens arbeiten:

"Nachdem ich in Ravensbrück erst schwerere körperliche Arbeiten leisten musste und auch in der Weberei gearbeitet hatte, konnte ich ab Anfang April 1944 bei Siemens arbeiten. Siemens hatte eine Filiale bei Ravensbrück eröffnet, etwa 10 Minuten Fußmarsch vom Lager entfernt. Wir hatten abwechselnd Tag- und Nachtschicht. Die Arbeit war leicht, jedenfalls in Halle 8, in der ich arbeitete. Zur Arbeit marschierten wir natürlich unter scharfer Bewachung. Nun war es aber so, dass wir morgens und abends Appell stehen mussten, damit die Tau­sende Gefangenen gezählt werden konnten, und das konnte oft stundenlang dauern. Dadurch kamen wir oft zu spät zur Arbeit und das passte der Leitung von Siemens nicht. So eröffnete man neben der Fabrik ein Nebenlager, wir nannten es das Siemenslager. Und hier brauchten wir nur einmal am Tage Appell stehen und das Zählen der Gefangenen ging schneller. Im Siemenslager war ich von November 1944 bis Mitte April 1945 untergebracht. Mitte April 1945 wurde Siemens in Ravensbrück demontiert. Wir kamen zurück ins große Lager. Bis wir also am 27. April 1945 auf Transport kamen (...) mit Hunderten anderen Frauen auf Transport, Fußmarsch, unbekannt wohin. Am 28.4.1945 abends ‚Flucht’ mit einigen anderen Frauen, am 29.4.1945 von den weißen Bussen des Schwedischen Roten Kreuzes auf der Landstraße aufgelesen, nach Lübeck gebracht, und am 30.4.1945 fuhren sie mit einem Schiff nach Schweden, wo sie am frühen Morgen des 2.5.1945 ankamen."

Nach einer Erholungsphase und anschließender Erwerbstätigkeit als Hausangestellte war sie ab 1947 im Büro der Jüdischen Gemeinde in Stockholm angestellt. 1948 heiratete sie "ihren Jugendfreund" Karl-Walter Schlegel.

1986 ging Annemarie Schlegel in Pension. Ihre Schwester Sonja siedelte 1950 von England nach Schweden über. Sie heiratete 1952; ihr Mann war Georg Wolff, der noch vor dem Krieg mit seinen Eltern aus Danzig nach Schweden gekommen war. Ihre Tochter ist Eva Wolff.

Gustav Nathan starb am 10.9.1952 in Hamburg, Anna Nathan (geb. Ots-Buchhorn) am 18.5.1954.

Die nächsten Angehörigen von Helene Nathan (geb. Müller) waren ihr Bruder, der Kunstmaler Carl Josef Müller (genannt Karl Müller, geb. am 19.1.1865 in Hamburg) – der am 15. Juli 1942 mit seiner Ehefrau Louise Rebecka Müller (geb. Hauer; am 12.2.1872 in Hamburg) nach Theresienstadt deportiert wurde; er starb dort am 29.10.1942; Louise Rebecka wurde am 15. Mai 1944 in das Konzentrationslager Auschwitz überführt (s. "Stolpersteine in Hamburg-Winterhude", S. 175f.); Anna David (geb. Müller; am 16.6.1866 in Hamburg) wurde am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 7.11.1942. Lina Heyn (geb. Müller; am 4.1.1875 in Hamburg) wurde am 19. Juli 1942 mit ihrem Ehemann Leopold Heyn (geb. am 5.6.1866 in Neuhaus) nach Theresienstadt deportiert; sie starb dort am 12.8.1942 – einen Tag nach ihrem Ehemann.

© Peter Offenborn

Quellen: 1; 4; 5; telefonische Informationen und Schreiben von Annemarie Schlegel vom 7.10.2010; StaH 351-11 AfW, 768; HAB.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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