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Sophie Jansen
© Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese

Sophie Rahel Jansen (geborene Schlossmann) * 1862

Blankeneser Hauptstraße 56 (Altona, Blankenese)

Freitod am 17.7.1942 in Hamburg

Sophie Rahel Jansen, geb. Schlossmann, geb. 26.3.1862 in Hamburg, Freitod am 17.7.1942

Im April 1913 konnte die Gemeinde Blankenese zwei neue Bürger begrüßen: den Hamburger Rechtsanwalt Dr. Cäsar Max Jansen und seine Ehefrau Sophie. Die Neuankömmlinge hatten sich am Elbhang – Im Busch 7 – vom damaligen Stararchitekten Baedeker eine prächtige Klinkervilla bauen lassen. Jansen war als Sozius einer renommierten Anwaltskanzlei zu beträchtlichem Wohlstand gekommen und gehörte, wie seine langjährige Tätigkeit im Vorstand des Yacht Clubs zeigte, zu den feinen Kreisen der Hamburger Gesellschaft. Seine Frau Sophie dürfte bei den Soiréen und in den Salons für steten Gesprächstoff gesorgt haben: Ihr Leben war alles andere als üblich.

Als Tochter des wohlhabenden Spediteurs Carl Ezechiel Schlossmann in Hamburg geboren und in Breslau bzw. Dresden groß geworden, hatte sie als Zwanzigjährige 1882 Cäsar Max Josephson, den Sohn eines Altonaer Arztes, geheiratet. Doch das gesellschaftliche Leben und die Erziehung ihrer sechs Kinder reichten ihr nicht aus: Sie bewog 1895 ihren Mann, in Grande bei Trittau einen Gutshof zu erwerben und dorthin zu ziehen. Während er selbst täglich in seine Hamburger Kanzlei fuhr, machte sie sich daran, den 400 Morgen großen Hof zu bewirtschaften – als Autodidaktin. Sie verschaffte sich durch eigene Lektüre und Austausch mit Fachleuten nicht nur die notwendigen Kenntnisse in Rinderhaltung und Milchwirtschaft, sondern versuchte auch in der Praxis, die damaligen Reformen in der Viehhaltung zu unterstützen. Aber diese Experimente waren teuer, und eine Serie von Seuchen verursachte zusätzliche Kosten. 1901 entschloss sich das Ehepaar, das Gut zu verkaufen und nach Hamburg zurückzukehren.

Die Niederlage wurde nicht einfach abgehakt und vergessen: Sophie veröffentlichte 1905 ein Buch über ihre Erfahrungen: "Sofiensruh. Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand". Der mit feinem Humor und drastischer Selbstironie verfasste Bericht wurde ein Bestseller und verhalf ihr zu weiter literarischer Anerkennung. 1908 erschien ihr zweites Buch, ein Roman über eine junge Frau, die in der Enge der gesellschaftlichen Konventionen zerbricht. "Friede Wend", so die Kritik, müsste man sich als eine Art Buddenbrooks vorstellen. Autobiographische Erfahrungen als Mutter von mittlerweile sechs Kindern standen im Mittelpunkt von "Bebi und Bubi. Ein Jahr aus dem Kinderleben". Das reich illustrierte Buch erschien 1909 und wurde ihr letztes.

Der Grund für das Ende ihrer Schriftstellerei war die Entdeckung, dass sie dringender woanders gebraucht wurde. Schon während der verheerenden Cholera-Epidemie von 1892, die besonders in den dicht bevölkerten Hamburger Arbeitervierteln wütete, war sie mit der sozialen Frage konfrontiert worden und hatte spontan zu helfen versucht. Fünfzehn Jahre später, angeregt durch das soziale Engagement eines Barmbeker Pastors, wurde sie eine Pionierin des neu organisierten Armenwesens. 1908 war sie unter Hunderten von Männern die erste Frau, die als öffentliche Armenpflegerin bestellt wurde.

Mit dem Umzug nach Blankenese 1913 endete zwar dieses Amt, nicht aber ihr soziales Engagement: Es wurde fortan das Zentrum ihres Lebens. Schon als Armenpflegerin in Hamburg war sie Mitglied im Allgemeinen Deutschen Frauenverein geworden, der sich für eine Steigerung der Bildung, der wirtschaftlichen Selbstständigkeit und der politischen Rolle der Frauen im öffentlichen Leben einsetzte. In Blankenese setzte sie diese Aktivität fort: 1915 wurde sie die erste Vorsitzende der dortigen Ortsgruppe des Norddeutschen Frauenvereins. Der Krieg hatte die soziale Not enorm gesteigert, und die Ortsgruppe reagierte vom ersten Tag an auf diese Lage: Im August 1914 war in der heutigen Witts Allee eine Volksküche eröffnet worden, die Essen für anfangs 100, schließlich für 700 Personen ausgab. 1916 folgte am selben Ort die Einrichtung einer Säuglingsfürsorge. Seit 1917 existierte auch eine Kinderkrippe. An allen diesen Initiativen war Sophie Jansen führend beteiligt. 1919 wurde sie von der Gemeinde dafür mit einer Gedenkmünze gewürdigt. Sie wurde allen denjenigen verliehen, "die sich während des Krieges fürsorglich für unsere Krieger und deren Angehörige betätigten und der Allgemeinheit aus Nächsten- und Vaterlandsliebe uneigennützig Liebesdienste geleistet haben".

Auch im folgenden Jahrzehnt blieb Sophie Jansen die treibende Kraft der Sozialarbeit in Blankenese. Sie führte – im Auftrag des Vaterländischen Frauenvereins und unterstützt von der Gemeinde – die Säuglingsfürsorge weiter, zunächst im Gemeindebüro und in der Turnhalle Dockenhuden, dann in der Schule am Kahlkamp. Für diese Tätigkeit erhielt sie später das Erinnerungskreuz des Vaterländischen Frauenvereins. Daneben wirkte sie als Vorstandsmitglied im Gesamtarmenverband der Elbvororte. Vor allem dem Armenhaus am Tinsdaler Kirchenweg galt ihre Aufmerksamkeit. Dieser aktive Einsatz für die sozial Schwachen erfolgte nicht aus der gesicherten Position eines großen Einkommens: Ihre wirtschaftliche Lage hatte sich seit dem frühen Tod ihres Mannes im Jahre 1916 dramatisch verschlechtert. Statt in der Villa über der Elbe wohnte sie seit 1919 in einem kleineren Haus an der Blankeneser Hauptstraße 56.

Spätestens im Jahre 1932 zog sich Sophie Jansen aus allen ihren Funktionen zurück – sie war 70 Jahre alt und freute sich auf einen ruhigen Lebensabend im Kreise ihrer Familie. Aber die Übertragung der Macht an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 veränderte alles. Sophie hatte sich zusammen mit ihrem Mann 1888 christlich taufen lassen. 1907 legte Cäsar Max seinen jüdischen Namen Josephson ab. Seitdem hieß das Ehepaar so, wie sich Sophie schon als Autorin genannt hatte – Jansen. Zwei Söhne dienten im Ersten Weltkrieg, einer wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Ihre eigene rastlose Tätigkeit hatte ihr öffentliche Anerkennung und Respekt eingebracht. Jetzt wurde das alles annulliert – die Deutsche aus jüdischem Haus war zur Jüdin geworden, ausgestoßen aus der Gemeinschaft der Deutschen, preisgegeben der Verfolgung. Die Nürnberger Gesetze 1935 galten auch für sie.

Sie verlor ihr Stimmrecht und durfte kein öffentliches Amt bekleiden. Ab 1938 trug ihre Kennkarte das "J" für Jude, und dem Namen Sophie wurde der Zwangsname Sara hinzugefügt. Mit dem Pogrom vom 9. November 1938 verschärfte sich die wirtschaftliche Ausplünderung: Im Dezember musste sie ihren Schmuck abliefern – "Schätzwert RM 100.–, Verwaltungsgebühr RM 10.–, ausgezahlt RM 90.–" Drei Monate später war das silberne Besteck dran. Zur gleichen Zeit reichte sie die geforderte Aufstellung ihres Vermögens ein: 28351 Reichsmark in Wertpapieren. Sie fügte dem hinzu: "Aus den kleinen Erträgnissen dieser Papiere und von Unterstützungen bestreite ich meinen Lebensunterhalt. […] Das Erdgeschoss des mir gehörigen Hauses habe ich seit langen Jahren vermietet. Auswanderungsabsichten bestehen nicht." Am 23. Dezember 1939 waren auch diese Angaben überholt: Aufgrund eines neuen Gesetzes und unter kräftigem Druck ihres "arischen" Mieters musste sie ihr Haus verkaufen und wurde zur Untermieterin.

Auf den Zwang, ab 19. September 1941 den "Judenstern" zu tragen, reagierte Sophie Jansen nach Auskunft ihrer Tochter Eva auf ihre Art: Sie ging nicht mehr auf die Straße, nachdem das Gesetz erlassen war. Nachbarn und Freunde ließen sich nicht abschrecken und standen ihr in dieser selbst gewählten Isolation bei. Es war nur ein Aufschub. Anfang Juli 1942 erhielt sie den Deportationsbefehl für Theresienstadt, datiert auf den 19. Juli. Am 17. Juli, während ihre Tochter noch vergeblich versuchte, die Deportation ihrer 80-jährigen Mutter abzuwenden, öffnete Sophie Jansen den Gashahn ihres Herdes und machte ihrem Leben ein Ende. Sie konnte, wie sie in einem Abschiedsbrief an ihre Tochter schrieb, "das Hin- und Herzerren nicht mehr ertragen. Hoffentlich geben sich nun meine Verfolger zufrieden, wenn ich nun das bescheidene Plätzchen, das ich mir noch auf der Welt vorbehalten hatte, räume." Der Propst der evangelischen Kirchengemeinde Blankenese, Schetelig, weigerte sich, die Tote zu bestatten. Ihr noch vorhandenes Vermögen wurde zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen.

Zwei ihrer Kinder kamen noch 1944 nach Theresienstadt: Edith Boehlich überlebte das Lager, Hans Jansen fand dort den Tod.

Ihr inzwischen verstorbener Enkel Wolf Boehlich schrieb über seine Großmutter:
"Eine ihrer bemerkenswertesten Eigenschaften war der hohe Anspruch, den sie an sich selbst und an ihre Familie stellte. Sofie Jansen erwartete von jedermann, dass er oder sie das Bestmögliche leiste, und sie scheute sich auch nicht, andere zu sozialverträglichem Verhalten aufzufordern. Sie hat es sehr missbilligt, dass einer ihrer Enkel außer seinem Beruf nichts Weiteres lernen wollte. Wo immer sie auftrat, genoss sie deutlichen Respekt. Sie war ein strenger Lehrmeister, man sollte aber nicht glauben, dass sie nicht auch liebenswert gewesen wäre. Kinder aus der Nachbarschaft, die mit ihren Enkeln spielten, betrachteten es noch bis in ihre letzten Jahre als Vorzug, sie ebenfalls Großmutti nennen zu dürfen."


© Hannes Heer - Recherche: Sabine Boehlich

Quellen: 2; StaH 331-5 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle, 1942/1131 (Jansen, geb. Schloßmann, Sofie Rahel Sara); StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung, 746 (Erbengemeinschaft Jansen, Sophie Rahel); Familienarchiv Boehlich; Wolf Boehlich, Zur Erinnerung an Sofie Rahel Jansen, in: Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hrsg.), Stolpersteine, S. 13 f.; Boehlich, "Heb auf".
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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