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Bereits verlegte Stolpersteine



Henny Silberberg (geborene Heinemann) * 1858

Rothenbaumchaussee 217 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
HENNY SILBERBERG
GEB. HEYNEMANN
JG. 1858
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 10.8.1942

Weitere Stolpersteine in Rothenbaumchaussee 217:
Dr. Albert Dreifuss, Bernhard Wolf Josephs, Caroline Josephs, Emma Josephs, Siegfried Josephs, Elise Josephs, Claus Josephs, Ida Koopmann, Anna Polak, Mary Sternberg, Albertine Vyth, Julius Wohl

Henny Silberberg, geb. Heynemann, geb. am 18.10.1858 in Bad Oeynhausen/Löhne, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 10.8.1942 gestorben

Rothenbaumchaussee 217

Mit 43 Verkaufsanzeigen in den "Nachrichten für Stadt und Land" versuchten Oldenburger Juden, die im Februar und März 1940 ihre Heimat verlassen mussten, weil sie "judenfrei" gemacht wurde, ihr verbliebenes Eigentum zu verkaufen. Zu ihnen gehörte die Witwe Henny Silberberg, die seit ca. 40 Jahren in Oldenburg gelebt hatte.

Aufgewachsen war sie als Tochter von Hermann und seiner Frau Bertha Heynemann, geb. Wolff, in Bad Oeynhausen. Der Vater besaß, möglicherweise zusammen mit einem Bruder, ein Lederwarengeschäft in der dortigen Koblenzer Straße. Wie Henny ihre Kinder- und Jugendzeit verbrachte, darüber erfuhren wir nichts.

Henny ehelichte den am 21.3.1855 in Erder/Lemgo geborenen Hermann Silberberg. Er übte den Beruf eines selbständigen Kaufmanns aus und betrieb ein Agenturgeschäft. In den folgenden Jahren stellte sich männlicher Nachwuchs ein: Theodor (1880 Hannover–1972 São Paulo/ Brasilien), die jüngeren Kinder Bruno (1883), Richard (1884–1930 Hamburg) und Friedrich Maxim-Fritz (1888) kamen in Oldenburg zur Welt.

Seit mehreren Jahrhunderten hatten Juden in Oldenburg gelebt, mal eine größere Zahl, mal eine kleinere. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Einwohnerzahlen stetig nach oben. An Einrichtungen existierten eine Synagoge, eine jüdische Schule, ein rituelles Bad sowie ein Friedhof. Seit 1827 war das Landesrabbinat für mehrere umliegende Gemeinden zuständig. Viele jüdische Gewerbebetriebe prägten das Wirtschaftsleben der Stadt. Dazu gehörte auch das florierende Geschäft von Hermann Silberberg, das ihn in die Lage versetzte, Anfang 1904 in der Oldenburger Grünestraße 11 ein Geschäftshaus und in Hausnummer 13 ein Wohnhaus, in dem er mit seiner Familie wohnte, zu erwerben.

Die Weltwirtschaftskrise dürfte auch die Familie Silberberg betroffen haben, jedoch lebten sie weiterhin in ihrer vertrauten Umgebung. Hermann Silberberg engagierte sich in der Jüdischen Gemeinde Oldenburg. Anfang der 1920er Jahre gehörte er zum Gemeindevorstand. Zu der Zeit lebten dort 316 Juden, dies entsprach noch nicht einmal ein Prozent der 52.723 Einwohner.

Die Stimmungslage war mittlerweile eine andere geworden. Denn seit dem 30. Januar 1933 regierten die Nationalsozialisten. Welcher "Wind" zukünftig wehen sollte, spürte die Bevölkerung bereits am 1. April 1933, als jüdische Geschäfte boykottiert wurden. Hermann Silberberg starb Anfang Oktober 1933. Nach seinem Tod erbte Henny Silberberg die beiden Häuser in der Grünestraße.

In den folgenden Jahren griffen weitere Verfolgungsmaßnahmen tief ins alltägliche Leben der Juden ein. Ab 1939 mussten sie eine Kennkarte bei sich führen, Reisepässe wurden mit einem "J" gekennzeichnet und auf Antrag hatten sie die Zwangsnamen "Sara" und "Israel" anzunehmen. Auch in Oldenburg brannte vom 9. auf den 10. November 1938 die Synagoge. Mehr als 30 männliche Juden wurden noch in der Nacht verhaftet, darunter der Landesrabbiner Leo Trepp, und unter "Schutzhaft" gestellt.

Henny Silberbergs Geschäftsgrundstück in der Grünestraße 11 wechselte im Rahmen der "Arisierung" weit unter Wert den Besitzer. Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über Mietverhältnisse, endete der Mieterschutz für Juden. Aus ihren ursprünglichen Wohnungen vertriebene Juden fanden ab April 1939 Unterkunft bei Henny Silberberg in der Grünestraße 13, u.a. die Familie Elise, Siegfried und Claus Josephs (siehe www.stolpersteine-hamburg.de).

Anfang 1940 bekam die jüdische Gemeinde von der Gestapoleitstelle Wilhelmshaven die Anweisung, sich für den Transport nach Polen bereitzuhalten. Als Grund wurde angegeben, dass das Grenzgebiet von "unzuverlässigen" Personen gereinigt werden sollte. Die Deportation in den Distrikt Lublin konnte zunächst von der Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, so musste die Gemeinde sich jetzt nennen, verhindert werden. Innerhalb kurzer Zeit organisierte die Reichsvereinigung Notquartiere und Unterkünfte, u.a. in Hamburg im Altersheim Rothenbaumchaussee 217. Dorthin floh auch Henny Silberberg im Frühjahr 1940. Im Altersheim traf sie das Ehepaar Josephs wieder, die fast ein Jahr bei ihr im Haus in Oldenburg gewohnt hatten. Nach zwei Jahren in der Rothenbaumchaussee wurde Henny Silberberg Ende April 1942 in das "Judenhaus" Beneckestraße 6 umquartiert.

Drei Monate vor ihrem 84. Geburtstag deportierte die Gestapo Henny Silberberg mit dem ersten Großtrans- port am 15. Juli 1942 nach Theresienstadt. Dazu musste sie sich in der Sammelstätte Schule Schanzenstraße/ Altonaer Straße einfinden. Im "Altersghetto" Theresienstadt starb sie 84jährig am 10. August 1942.

Die im November 2013 eingeweihte Oldenburger Gedenkwand verzeichnet namentlich alle Opfer. Die ehemalige Oldenburger Bürgerin Henny Silberberg ist nicht vergessen.

Welche Hinweise fanden sich zu den weiteren Lebenswegen der Silberberg-Söhne?
Der Älteste, Theodor, verzog nach Hamburg und heiratete im November 1911 Carola Johanna Strauss (1889 Hamburg–1973 São Paulo/Brasilien). Seine Frau war die Tochter von Moritz und seiner in Nordhausen geborenen Frau Rosalie Cramer, welche am 13.8.1858 zur Welt gekommen war. Carola Silberberg war mit vier Schwestern: Alice (1882), Elsbeth (1885), Katharina (1887) und Irma (1892) in Hamburg aufgewachsen. In den Jahren nach der Heirat wurden die Silberbergs Eltern dreier Söhne: Walter (1912), Manfred (1913) und Helmut (1920–1945 São Paulo/ Brasilien).

Theodor Silberberg arbeitete viele Jahre im kaufmännischen Bereich und lebte mit seiner Familie in der Isestraße 69. Sein Schwiegervater, Moritz Strauss, war bereits 1920 verstorben. Die Familie Silberberg sah für sich in NS-Deutschland keine Zukunft. Mitte der 1930er Jahre emigrierte sie nach Brasilien. Der jüngste Sohn der Familie, Helmut, brach seine in Hamburg begonnene Ausbildung ab. In Brasilien litt die Familie unter wirtschaftlichen Problemen, Helmut hielt dem Druck nicht Stand und beendete in jungen Jahren sein Leben. Er wurde auf dem Jüdischen Friedhof Vila Mariana in São Paulo bestattet.

Der älteste Sohn Walter (1912–1987) heiratete am 28. September 1936 in Brasilien die gebürtige Hamburgerin Gerda Kohn (1912–2003). Deren gemeinsamer Sohn Claudio kam 1943 in São Paulo zur Welt. Gerda Silberbergs Eltern Ahron Arnold Kohn (1883–1955) und Emma, geb. Kohn, (1882–1958) sowie die mit Heinz Lehmann (1903–1976) verheiratete Schwester Else (1909–1974) emigrierten ebenfalls nach Brasilien. Sie alle fanden ihre letzte Ruhe auf dem Jüdischen Friedhof.Butantã in São Paulo.

Theodor Silberberg starb 1972, Carola ein Jahr später. Beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof Butantã in São Paulo bestattet.

Carolas Mutter Rosalie Strauss blieb in Hamburg zurück. Die Gestapo deportierte die fast 85 jährige Rosalie Strauss am 9. Juni 1943 in das "Altersghetto" nach Theresienstadt. Sie überlebte nur wenige Monate bis zum 2. Dezember 1943. Zum Gedenken wird an ihrer letzten frei gewählten Wohnadresse ein Stolperstein verlegt.

Der gelernte Konditor Bruno Silberberg war bereits 1907 nach Frankfurt gezogen, später soll er in den USA gelebt haben.

Richard Silberberg war mit der in Samter/Provinz Posen am 24.12.1893 geborenen Hedel Hedwig Cohn (s. www.stolpersteine-hamburg.de) verheiratet. 1915 kam deren Sohn Karl-Heinz in Oldenburg zur Welt. Zur Geburt von Sohn Peter 1921, lebte die Familie bereits in der Hamburger Weidenallee 23. Nach dem Tod des Familienvaters 1930 blieben sie in der Wohnung. 1933 emigrierten Hedel und Peter nach Frankreich. Das nächste "Lebenszeichen" fand sich am 25. August 1942 mit der Verhaftung von Peter Silberberg. Mit dem Transport am 2. September 1942 wurde Peter Silberberg von Drancy nach Auschwitz deportiert und ermordet. Das Schicksal von Hedel Silberberg ist unbekannt.

Der Älteste, Karl-Heinz, fand Anfang der 1930er Jahre Unterkunft in der Familie seines Onkels Theodor in der Isestraße. Nach knapp zwei Jahren, im März 1935, meldete er sich in Hamburg ab und verzog nach Frankfurt. Zu einem unbekannten Zeitpunkt emigrierte er nach Frankreich. Aus dem Durchgangslager Drancy wurde er am 4. November 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet.

Zum Gedenken an Hedel, Karl-Heinz und Peter Silberberg werden in der Weidenallee 23, ihrer letzten Adresse, Stolpersteine verlegt.

Der jüngste Sohn Fritz Silberberg war 1914 in die USA emigriert. Er starb 1966 in San Francisco.

Nach Abschluss der Biographie bekamen wir Kontakt zu dem Urenkel Claudio Silberberg in Brasilien. Er schilderte uns folgendes: "Bereits als Schulkind erfuhr ich, dass meine Eltern bzw. ein Teil der Familie ausgewandert ist. Es wurde über das ganze Leben in Deutschland gesprochen und erzählt, sei es von Vater, Mutter und durch die Großeltern. Die Familie sprach über die Schule und Schulkollegen, über bekannte Nachbarn und andere Familienmitglieder. Das jüdische Leben, die großen Feiertage (Rosh Hashana und Yom Kippur) die Herren mit den Zylindern in der Synagoge. Meine Großeltern erzählten die Geschichten von "Max & Moritz”, "Rotkäppchen” und "Sieben auf einen Streich”. Und natürlich: Hamburg war ein Thema: Binnen- und Außenalster, der Hamburger Dom, Blankenese mit dem Süllberg. Und von den großen Dampfern auf der Elbe erzählte meine Mutter. Mein Vater sprach über seine sportlichen Aktivitäten u.a. Handball und Turnen, was mein Leben stark prägte. Und meine Mutter segelte gerne auf der Elbe.

Aber es wurde auch über die Verfolgung, die Kündigung meiner beiden Großeltern, aufgrund dessen, dass sie letztlich nur Juden waren, der Hausverkauf zu einem stark herabgesetzten Preis, gesprochen. Die Festnahmen und der Abtransport zu den Konzentrationslagern. Von Verwandten, die es leider nicht rechtzeitig geschafft haben, das Land zu verlassen.

Das Ankommen in Brasilien beschäftigte uns ebenfalls: Eine neue Sprache zu lernen und Arbeit zu finden. Wieder einen Freundeskreis (schwerpunktmäßig andere deutsche Immigranten) aufzubauen. Und nicht zu vergessen, die Gründung der Jüdischen Gemeinde in São Paulo im Jahr 1936 durch Rabbiner Fritz Pinkuss zu verwirklichen". Fritz Pinkuss (1905–1994) war bis zu seiner Emigration 1936 sechs Jahre lang Rabbiner in Heidelberg gewesen.

Stand: April 2018
© Sonja Zoder

Quellen: 1; 3; 4; 5; 7; 9; StaH 332-5 Standesämter 9046-1081/1889, 8676-369/1911; 351-11 Amt für Wiedergutmachung 11599, 43367; div. Hamburger Adressbücher; Krispin, Ein offenes Geheimnis: "Arisierung" in Alltag und Wirtschaft in Oldenburg zwischen 1933 und 1945, S. 59, 66, 119, 120, Oldenburg 2001; Hrsg. von dem Deutsch-Israelitischen Gemeindebund und der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden, Handbuch der Jüdischen Gemeindeverwaltung und Wohlfahrtspflege 1924/25, S. 144; URL: https://www.tracingthepast.org/minority-census, http://digital.lb-oldenburg.de/ihd/content/search/162339?query=silberberg, http:// erinnerungsbuch-oldenburg.de/jeo.php jeweils am 15.4.2016; https://www.geni.com/people/Bruno-Silberberg/ am 3.4.2017; http://bdi.memorialdelashoah.org/internet/jsp/core/MmsGlobalSearch.jsp am 6.4.2017; http://www.alemannia-judaica.de/oldenburg_synagoge.htm, Joachim Hahn Mailauskunft am 6.4.2017; http://www.auswanderer-oldenburg.de/familygroup.php?familyID=F8644&tree=Auswanderer am 7.4.2017; https://de.m.wikipedia.org/wiki/Fritz_Pinkuss am 24.8.2017; USHMM, Peter Lande Mailauskunft am 18.4.2017; Wir bedanken uns bei Claudio Silberberg für Anregungen und Hinweise und Dr. Björn Siegel für die erste Kontaktaufnahme zu ihm.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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