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Julius Wohl * 1876

Rothenbaumchaussee 217 (Eimsbüttel, Harvestehude)


HIER WOHNTE
JULIUS WOHL
JG. 1876
DEPORTIERT 1941
RIGA

Weitere Stolpersteine in Rothenbaumchaussee 217:
Dr. Albert Dreifuss, Bernhard Wolf Josephs, Caroline Josephs, Emma Josephs, Siegfried Josephs, Elise Josephs, Claus Josephs, Ida Koopmann, Anna Polak, Henny Silberberg, Mary Sternberg, Albertine Vyth

Julius Wohl, geb. 17.8.1876 in Wilhelmshaven, am 6.12.1941 nach Riga deportiert

Rothenbaumchaussee 217 (Harvestehude)

Julius Wohl wurde 1876 als Sohn des Schlachtermeisters Anton Wohl und seiner Ehefrau Sophie Wohl, geb. Falk in Wilhelmshaven geboren. Nach ihm kamen die Geschwister Johanna (1878), Rosa (1879), Mary (1883), Arthur (1884) und Ella (1890) zur Welt. Die Familie wohnte um 1900 in Wilhelmshaven in der Kaiserstraße. Zeitgleich lebte ein Schlachtermeister Jacob Wohl in Wilhelmshaven in der Altestraße 11 – vermutlich ein Verwandter. Nach Wilhelmshaven, das als preußischer Marinestützpunkt angelegt worden war, waren um 1870 die ersten jüdischen Familien gezogen, darunter vermutlich auch Familie Wohl.

Julius Wohl absolvierte nach der Schule vermutlich eine kaufmännische Lehre und leistete danach seinen Militärdienst ab. Er heiratete (vor 1904) Bertha Oss (geb. 22.1.1875 in Stotel, Amt Lehe). Zehn Jahre später nahm er als Soldat am Ersten Weltkrieg teil.

Obwohl von Beruf Kaufmann, wechselte Julius Wohl in die Firma seines Schwagers Siegmund Oss jr. in Geestemünde (Am Quai) und arbeitete als angestellter Zuschneider. Er leitete dort die Abteilung Schiffer- und Berufskleidung. Nach dem Tod des Firmengründers führte dessen Schwiegersohn Elias Mayer (1866-1942) mit seiner Ehefrau Johanna, geb. Oss (geb. 19.10.1870 in Stotel) und der Witwe von Siegmund Oss das Geschäft fort.

Die antijüdischen Boykotte und Schikanen ab 1933 dürften auch das Textilgeschäft Oss wirtschaftlich geschädigt haben. Im Juli 1933 wechselte Julius Wohl in das erst zwei Jahre zuvor eröffnete Geschäft "Kleidung Haus Kugelbake" (Herrenkonfektion und Ausrüstung für Fischerei und Seefahrt) in Bremerhaven (Georgenstr. 73), dessen Inhaber "arisch" war. Julius Wohl arbeitete auch hier als Verkäufer und Zuschneider; vermutlich schnitt er das Flanellunterzeug und die Wantenhandschuhe (gefütterte (Arbeits) Handschuhe) der Seeleute zu. Sein Monatseinkommen belief sich 1934 auf 150 RM brutto bzw. 80 RM netto.

Im Geschäftshaus des Arbeitgebers wohnten Julius und Bertha Wohl auch. Mit der Genehmigung, auch Uniformen für Gliederungen der NSDAP verkaufen zu dürfen, war für Firma Kugelbake die Verpflichtung verbunden, jüdische Angestellte zu entlassen. Nicht nur den Arbeitsplatz verlor Julius Wohl, sondern auch die Wohnung: Im Oktober 1936 musste das Ehepaar Wohl auf Druck der Gestapo in Bremerhaven in das Haus des Viehhändlers Siegfried Seligmann (Schiffdorfer Chaussee 11) umziehen. (Der Hauptmieter Siegfried Seligmann, geb. 6.12.1878 in Mönchengladbach, wurde im November 1938 im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert und am 23. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert).

Ab 1937 bezog der 61jährige Kriegsteilnehmer Julius Wohl Rente. Sein einziges Kind, Arnold Wohl (geb. 8.6.1904 in Geestemünde), emigrierte nach Südamerika. Am 21. Februar 1939 starb seine Ehefrau Bertha in Bremerhaven.

Der Bremer Oberfinanzpräsident erließ am 18. September 1939 gegen Julius Wohls Einkommen und Vermögen eine "Sicherungsanordnung". Für 1939 gab Julius Wohl ein voraussichtliches Jahreseinkommen von 947,50 RM an.

Die Gestapo Wilhelmshaven verfügte im Februar 1940, dass alle Juden bis zum 1.4.1940 den Regierungsbezirk Aurich und das Land Oldenburg zu verlassen hätten, denn im Grenzgebiet galten diese als spionageverdächtig. Da die Drohung im Raum stand, die ostfriesischen Juden in den Distrikt Lublin zu deportieren, bemühten sich die jüdischen Verantwortlichen, für sie Unterkünfte zu finden, vor allem in den nahegelegenen Städten Hamburg und Hannover. So übersiedelte Julius Wohl am 3. Februar 1941 von Bremerhaven nach Hamburg in ein jüdisches Altersheim in der Rothenbaumchaussee 217 (Harvestehude). Zehn Monate später wurde er in die Außenstelle Jungfernhof des überfüllten Gettos Riga deportiert.

Was wurde aus seinen Geschwistern?
Seine Schwester Johanna Wohl (geb. 8.9.1878 in Wilhelmshaven) hatte im Dezember 1903 in Wilhelmshaven den evangelischen Küchenmeister Willy Kannenberg (1877-1933) geheiratet. Ob sie vor oder mit der Heirat zur evangelisch-lutherischen Konfession konvertierte, ist nicht bekannt. Die Eheleute hatten vier Kinder. Johanna Kannenberg galt als jüdisch, da eine Taufe nach NS-Ideologie keine Auswirkungen auf die "Rasse" hatte, ihre Kinder waren als "Mischlinge I. Grades" eingestuft, denen noch keine Deportation drohte.

Laut Wilhelmshavener Adressbuch 1938/39 lebte sie in der Kaiserstraße 34. Im Fragebogen der Volkszählung vom Mai 1939 wurde Johanna Kannenberg mit der Adresse Wesermünde (Bremerhaven), Schiffdorfer Chaussee 11 erfasst, wo ihr Bruder Julius bereits im Oktober 1936 eingewiesen worden war. 1942 zog Johanna Kannenberg nach Hamburg zu ihrer Tochter in die Maria-Louisen-Straße 94, IV. Stock. Johanna Kannenberg wurde mit "Abwanderungsbefehl Nr. 28" einem Transport vom 19. Januar 1944 nach Theresienstadt zugeteilt.

Sie erhielt den Deportationsbefehl einen Tag vor dem Transport, am 18. Januar, und nahm sich daraufhin mit Veronal-Schlaftabletten das Leben. Die Kinder Hans und Ruth scheinen hiervon gewusst zu haben und respektierten die Entscheidung ihrer Mutter. Den Arzt Werner Schaar aus der Maria-Louisen-Straße 63 benachrichtigten sie scheinbar erst am 21. Januar und einen weiteren Tag später das zuständige 17. Polizei-Revier.

Johanna Kannenbergs Sohn Hans Kannenberg (geb. 13.2.1906 in Wilhelmshaven), Inhaber einer Metallwarenfabrik und Gravieranstalt in Wilhelmshaven (Marktstr. 55), wurde von einem Konkurrenten und Gestapospitzel Alex Makowski (Mitglied des NS Kraftfahrerkorps) denunziert und aufgrund einer Anzeige wegen angeblicher "Sabotage an der Kriegsindustrie" von der Gestapo 1943/44 verhaftet, kam aber offensichtlich wieder frei und lebte 1944 in Hahn/Oldenburg. Nach dem Krieg wechselte er nach Frankfurt/M. und starb 1977 in Pforzheim.

Rosa Oberschützky, geb. Wohl (geb. 29.11.1879 in Wilhelmshaven), vor ihrer Ehe als Hausdame tätig; heiratete 1919 den Kaufmann Adolf (Abraham) Oberschützky (geb. 4.4.1867 in Burgdorf), der aus erster Ehe drei Kinder hatte. 1917 gründete er in Hamburg eine Firma für chemische Produkte, die 1927 im Handelsregister gelöscht wurde. Rosa zog nach der Heirat zu ihrem Ehemann in die Isestraße 35 (Harvestehude). Adolf Oberschützky starb im Mai 1932 als Geschäftsreisender in Schlochau (Westpreußen). Trotz Untervermietung und Unterstützung durch ihre Stiefkinder konnte die Witwe die Wohnung bald nicht mehr finanzieren. Im Oktober 1933 zog sie einige Häuser weiter in die Isestraße 53 I. Stock, wo sie bei Dina Pein, geb. Peine (geb. 15.5.1871 in Hamburg), ein Zimmer für monatlich 25 RM mietete. Die Vermieterin betrieb in ihrer Wohnung noch 1935 ein Lotteriegeschäft in beengten räumlichen Verhältnissen. Im August 1934 wandte sich Rosa Oberschützky an das staatliche Wohlfahrtsamt, da sich die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Stiefkinder verschlechtert hatten. Obwohl sie über gesundheitliche Probleme klagte, musste sie als jüdische Sozialhilfeempfängerin staatliche Pflichtarbeit in einer Nähstube ableisten. Im September/ Oktober 1939 wurde sie vier Wochen lang im Israelitischen Krankenhaus in der Eckernförderstraße 4 (heute Simon-von-Utrecht-Straße 2) behandelt. Sie starb am 8. März 1940 mit 60 Jahren in Hamburg im Jüdischen Krankenhaus in der Johnsallee 54 (Rotherbaum).

Julius Wohls unverheiratete Schwester Mary Wohl (geb. 12.8.1883 in Wilhelmshaven) wohnte zuletzt in Hamburg im jüdischen Pflegeheim in der Schäferkampsallee 29 (Eimsbüttel), dort starb sie am 31. Dezember 1942 im Alter von 59 Jahren. Ein Suizid von ihr ist im Register der "unnatürlichen Sterbefälle" der Polizeibehörde nicht verzeichnet. Das Gebäude war vom NS-Regime zum "Judenhaus" erklärt und die Zimmer mit bis zu vier Personen belegt worden. Von hier erfolgten im Juli 1942 und Februar 1943 Deportationen ins Getto Theresienstadt.

Sein Bruder Arthur Wohl (geb. 3.11.1884) hatte eine nichtjüdische Frau geheiratet, was zu dauerhaften innerfamiliären Problemen führte. Arthur Wohl fuhr bis 1938 zur See. Er wurde noch am 4. April 1945 ins Getto Theresienstadt deportiert, überlebte das Getto aber aufgrund des späten Deportationstermins.

Seine jüngste Schwester Ella Wohl (geb. 21.9.1890 in Wilhelmshaven) wurde im Mai 1939 mit der Wohnadresse Eppendorfer Baum 24 in Hamburg-Eppendorf verzeichnet. Da ihr Name nicht in den Hamburger Adressbüchern von 1939 und 1940 angegeben ist, wird sie vermutlich hier als Untermieterin gewohnt haben. Die "Dienststelle für die Versteigerung eingezogenen Vermögens" im Gorch-Fock-Wall 11 gab als ihre letzte Wohnadresse das Haus Haynstraße 5 II. Stock an, das zum "Judenhaus" erklärt worden war. Sie wurde am 25. Oktober 1941 ins Getto Lodz und von dort am 15. Mai 1942 weiter ins Vernichtungslager Chelmno deportiert.

Stand: April 2024
© Björn Eggert

Quellen: Staatsarchiv Hamburg (StaH) 213-13 (Landgericht Hamburg, Wiedergutmachung), 6478 (Hans Kannenberg); StaH 214-1 (Gerichtsvollzieherwesen), 713 (Lampenkronen von Ella Wohl, 1942); StaH 314-15 (Oberfinanzpräsident), R 1941/0036 (Sicherungsanordnung gegen Julius Wohl); StaH 331-5 (Polizeibehörde – unnatürliche Sterbefälle), 1944/283 (Johanna Kannenberg); StaH332-5 (Standesämter), 8168 u. 158/1940 (Sterberegister 1940, Rosa Oberschützky geb. Wohl); StaH 332-5 (Standesämter), 8185 u. 1/1943 (Sterberegister 1943, Mary Wohl); StaH332-5 (Standesämter), 9945 u. 86/1944 (Sterberegister 1944, Johanna Kannenberg); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 28238 (Arnold Wohl/ Julius Wohl); StaH 351-11 (Amt für Wiedergutmachung), 42453 (Ruth Naumann geb. Kannenberg); StaH 351-14 (Arbeits- u. Sozialfürsorge), 1649 (Rosa Oberschützky geb. Wohl); StaH 522-1 (Jüdische Gemeinden), 992b (Kultussteuerkartei der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg), Julius Wohl; Landesarchiv Berlin, Heiratsregister 825/1897 (Adolf Oberschützky, Nauen u. Hedwig Jacobsohn, Danzig); Bundesarchiv Berlin, R 1509 (Reichssippenamt), Volks-, Berufs-, u. Betriebszählung am 17. Mai 1939 (Johanna Kannenberg; Ella Wohl; Julius Wohl); Verlust- u. Vermisstenlisten des 1. Weltkriegs, Nr. 1654 (3.10.1917, Julius Wohl); Wilhelm Mosel, Wegweiser zu ehemaligen jüdischen Stätten in Hamburg, Heft 2, Hamburg 1985, S. 27-30 (Schäferkampsallee 29); Handelskammer Hamburg, Handelsregisterinformationen (Adolf Oberschützky, HR A 19496); Hamburger Börsenfirmen, Hamburg 1926, S. 769 (Adolf Oberschützky, gegr. 1917, Chemische Produkte, Isestraße 35); Adressbuch Hamburg (Isestraße 53) 1940; Adressbuch Hamburg (Adolf Oberschützky) 1918, 1927 (Firma für chem. Produkte, Isestraße 35); Adressbuch Wilhelmshaven (Anton Wohl) 1900; Adressbuch Wilhelmshaven (Johanne Kannenberg, Hans Kannenberg) 1938/39; Adressbuch Bremerhaven (Julius Wohl, Verkäufer, Schiffdorfer Chaussee 11) 1939; www.stolpersteine-hamburg.de (Johanna Kannenberg; Louis Oberschitzky); www.stolpersteine-bremen.de/glossar (Die Vertreibung der Juden aus Ostfriesland und Oldenburg); https://oldenburger-buergerstiftung.de/erinnerungszeichen-erinnern-auf-augenhoehe/ (Elias Mayer, Johanna Mayer geb. Oss); Auskunft Stadtarchiv Wilhelmshaven per e-mail _FB-47, Dr. W. Jansen v. 19.4.2024.

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