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Salomon Siegmund Schlomer * 1853

Trostbrücke 2–6 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


SALOMON SIEGMUND
SCHLOMER
JG. 1853
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
ERMORDET 15.8.1942

Weitere Stolpersteine in Trostbrücke 2–6:
Richard Abraham, Julius Adam, Julius Asch, Georg Blankenstein, Gustav Falkenstein, Ivan Fontheim, Henry Friedenheim, Albert Holländer, Max Israel, Gustav Heinrich Leo, Heinrich Mayer, Moritz Nordheim, Kurt Perels, Ernst Moritz Rappolt, Ferdinand Rosenstern, Walter Ludwig Samuel, Ernst Werner, Heinrich Wohlwill, Alfred Wolff

Salomon (Siegmund) Schlomer, geb. 6.7.1853 in Lübeck-Moisling, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort am 15.8.1942 ermordet

Über viele Generationen hinweg war Salomon Schlomers Familie in Moisling zu Hause. Das ehemals holsteinische Dorf gehörte ab 1802 zu Lübeck und verzeichnete bereits seit dem späten 17. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde, die streng orthodox ausgerichtet war. Um 1845 hatte Moisling sogar mehr jüdische als christliche Einwohner. Im jüdischen Gemeindeleben spielte die Familie Schlomer eine wichtige Rolle, wie sich ein Familienmitglied, der Lübecker Kaufmann Eisak Jacob Schlomer, 1909 erinnerte: "Waren die Moislinger Juden nicht in der Synagoge, so war der Mittelpunkt das Geburtshaus der Familie Schlomer in Moisling; eigentlich müsste es durch eine Gedenktafel der Nachwelt bezeichnet werden. Im Zentrum des Ortes gelegen, war es stets Mittelpunkt aller Wort- und auch handgreiflicher Kämpfe, die in Gemeindeangelegenheiten ausgefochten wurden, besonders vor der Wahl des Vorstehers und während des siebenjährigen Religionskrieges, in welchem sich die Orthodoxen und Freisinnigen auf das heftigste befehdeten."
Infolge der rechtlichen Gleichstellung von Juden und Christen im Oktober 1848 und der Aufhebung des Ansiedlungsverbots für Juden in Lübeck löste sich die jüdische Gemeinde in Moisling jedoch nach und nach auf, 1872 wurden die Synagoge verschlossen und die Torarollen nach Lübeck gebracht.

Von Moisling nach Hamburg

Etwa zu der Zeit entschloss sich Salomon Schlomers Vater, der Pferdehändler Abraham Schlomer, nach Hamburg überzusiedeln. Die Mutter, Reichel, stammte ebenfalls aus Moisling, aus der Familie Prenzlau. Abraham und sie waren am 1. Juli 1835 nach jüdischem Ritus getraut worden. Gemeinsam hatten sie elf Kinder, sieben Jungen und vier Mädchen. Der Altersunterschied zwischen dem Ältesten, Isaac, und dem Jüngsten, Joel, betrug ganze zwanzig Jahre; Salomon war der Siebtgeborene. Isaac war bereits um 1863 nach Hamburg gezogen. Zusammen mit den Eltern verließen nun auch Marjanne, Samuel, Salomon, Martha, Amalia, genannt Malka, und Joel ihren Geburtsort.
Abraham Schlomers Wegzug hinterließ in Moisling eine nicht mehr zu schließende Lücke. Wehmütig gedachte der Lübecker Rabbiner Salomon Carlebach – Vater des späteren Hamburger Oberrabbiners Joseph Carlebach – in einem 1898 gehaltenen Vortrag zur "Geschichte der Juden in Lübeck und Moisling" noch einmal Schlomers umfassender Bedeutung für den kleinen Ort: "Der größte Verlust war jedoch der Wegzug des Vorstehers Abraham Schlomer, der bis dahin in Moisling geblieben war und dort den Mittelpunkt bildete der wenigen Familien, die sich bis dahin nicht hatten entschließen können, nach Lübeck zu ziehen. Schlomer war nicht bloß der reichste und angesehendste Mann in der Gemeinde, Mitglied der Bürgerschaft, u. dgl., sondern auch ein aufrichtig religiöser Jude, der ein über das Gewöhnliche hinausgehendes religiöses Wissen besaß. (…) [M]it dem Tag, da Schlomer Moisling verließ, endete das Dasein der moislinger jüdischen Gemeinde, und die Synagoge blieb fortan verwaist."

Viehhändler am Neuen Pferdemarkt

So wie Abraham Schlomer bereits in Moisling als Viehhändler gearbeitet hatte und dies in Hamburg fortsetzte, so betätigten sich auch seine Söhne in der Hansestadt in diesem Gewerbe. Salomons Bruder Isaac hatte sich bereits im neuen Zentrum des Pferdehandels niedergelassen, am Neuen Pferdemarkt auf St. Pauli. Hier trafen sich Pferdehändler und Fuhrunternehmer, Gutsbesitzer und Aufkäufer, die Pferde für die Kavallerien verschiedener Armeen erwarben. In der unmittelbaren Umgebung hatten sich Tierärzte und eine Fabrik für Kutschen und Wagenaufbauten angesiedelt sowie Viehcommissionaire, Makler zwischen Verkäufern und Kaufinteressenten. Zu vielen der um den Neuen Pferdemarkt errichteten Wohngebäude gehörten lange Gartengrundstücke, die durch Stallungen und Koppeln ebenfalls dem Viehhandel dienten.

In Hamburg hatte Isaac Schlomer auch seine Frau kennengelernt, Sophie, aus der Familie Haarburger. Beide hatten 1865 geheiratet und zusammen drei Kinder bekommen: William, Hugo und Rieke. Bereits im Jahr zuvor hatte Isaac als Zeichen seines festen Willens, in Hamburg zu bleiben, den Bürgereid abgelegt und damit den Hamburger Bürgerbrief erworben – nicht ohne vorher den nötigen Nachweis erbracht zu haben, seinen Lebensunterhalt problemlos selbst bestreiten zu können und natürlich nicht ohne die entsprechenden Gebühren zu entrichten.

Die Eltern Abraham und Reichel Schlomer wiederum zogen in die Hamburger Eimsbüttelerstraße 31 (seit 1956 Budapester Straße), wo der Vater auch sein Büro hatte. Salomon selbst ließ sich zusammen mit einem Kompagnon als "Schlomer & Wulff, Viehcommissionsgeschäft" in der Eimsbüttler Chaussee 4 nieder. Obwohl aus einer jüdisch-orthodoxen Familie stammend, entschied er sich in Hamburg, seinen hebräisch klingenden Vornamen zu ersetzen. Fortan ließ er sich Siegmund rufen. Auch sein jüngster Bruder Joel änderte seinen Namen und nannte sich nun Julius.
1883 starb Salomons Vater Abraham im Alter von 73 Jahren. Er hatte sich gewünscht, in Moisling, "in heimatlicher Erde", begraben zu werden. Doch da sein Todestag der 13. Oktober war und damit direkt vor gleich mehreren hohen jüdischen Feiertagen lag, beschlossen seine Frau Reichel und seine Kinder, für ihn eine Grabstätte auf dem Grindelfriedhof zu erwerben.

In der Eimsbüttelerstraße 31, wo Reichel Schlomer wohnen blieb, eröffnete zwei Jahre später, 1885, Julius Schlomer zusammen mit seinem Neffen William die Firma W. Schlomer & Co. Sie handelten mit Häuten und Fellen. Ebenfalls 1885 gründeten Isaac und der zweitälteste Bruder Samuel gemeinsam die Pferdehandlung Gebr. Schlomer. Im gleichen Jahr starb Siegmunds Schwester Malka. Sie wurde nur 28 Jahre alt und war seit 1875 mit dem ebenfalls aus Moisling stammenden Kaufmann Heimann Prenzlau verheiratet gewesen, einem Cousin. Beide hatten im Grindelviertel gewohnt und waren Mitglieder des orthodoxen Synagogenverbands gewesen. Zwei Jahre später starb Siegmunds Partner P. E. Wulff.

Daraufhin trat der aus Dänemark stammende Christian Waldemar Wismann als neuer Kompagnon in die Firma ein. Siegmund und er führten das Geschäft jedoch unter dem bereits etablierten Namen Schlomer & Wulff weiter. Im gleichen Jahr starb auch Siegmunds Bruder Julius, mit nur 27 Jahren. Drei Jahre später zogen Schlomer & Wulff in die Feldstraße 29, sodass die meisten der in Hamburg ansässigen Mitglieder der Familie Schlomer nun rund um den Neuen Pferdemarkt wohnten und arbeiteten.

1894 starb Siegmunds Mutter Reichel im Alter von 77 Jahren. Sie wurde neben ihrem Mann auf dem Grindelfriedhof beerdigt.

Verlust der Firma

Als Siegmund Schlomers zweiter Kompagnon, Christian Waldemar Wismann, 1908 starb, führte Siegmund die Firma allein weiter – und das noch mehr als 25 Jahre lang an der gleiche Adresse, in der Feldstraße. Privat wohnte er am Neuen Pferdemarkt 21/22. In dieser Zeit, genauer, am 19. Juni 1918, zeichnete er im Subskriptionsbuch der Patriotischen Gesellschaft von 1765 mit 20,00 Mark als "S. Schlomer" seinen Beitritt, allerdings ohne dort besondere Ämter zu übernehmen.
Sein Bruder Isaac starb 1918, Samuel acht Jahre später. Letzterer war mit Martha, geborene Emden, verheiratet gewesen, beide hatten zwei Kinder, Elisabeth und Georg.
Siegmund Schlomer überstand mit seinem Unternehmen sowohl die Inflation 1923 als auch die Weltwirtschaftskrise 1929. Auch den Boykott jüdischer Geschäfte und Betriebe nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933, der bereits viele Selbstständige in den Ruin trieb, konnte er noch verkraften. Doch der Druck des NS-Staats auf jüdische Unternehmer, ihren Betrieb zu "arisieren", wurde immer stärker. Im August 1935, da war er bereits 82 Jahre alt, machte er schließlich seinen nichtjüdischen Buchhalter Gustav Ebel zum Inhaber seines Geschäfts. Zwei Jahre später trug die Firma, die Siegmund Schlomer rund 60 Jahre lang erfolgreich geführt hatte und die sein Lebenswerk war, auch den Namen Gustav Ebels.

Im Frühjahr 1938 musste Siegmund Schlomer zudem sein Vermögen gemäß der vom Beauftragten für den Vierjahresplan Hermann Göring erlassenen "Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden" beim Oberfinanzpräsidenten deklarieren, da es mehr als 5.000 Reichsmark betrug. Rund sieben Monate später wurde er auf der Basis seiner Angaben gezwungen, mehr als 13.000 Reichsmark "Judenvermögensabgabe" zu zahlen, Teil einer von Hermann Göring auf 1 Milliarde Reichsmark festgesetzte "Sühneleistung", die alle deutschen Jüdinnen und Juden nach dem Novemberprogrom entrichten mussten. Sie betrug jeweils 20 Prozent des individuellen Vermögens und war in vier, ab 1939 in fünf Raten fällig.

Deportation nach Theresienstadt

1942 gab Siegmund Schlomer seine Wohnung am Neuen Pferdemarkt auf und zog in das Jüdische Alten- und Pflegeheim in der Schäferkampsallee 29.
Am 15. Juli 1942 wurde er von dort aus mit dem Transport VI/1, č. 827 nach Theresienstadt deportiert, in das so genannte Altersgetto. Vier Wochen lang überlebte er Hunger und Kälte, Krankheiten und Seuchen. Am 15. August 1942 kam er in Theresienstadt um. Ein alter Mann von 89 Jahren.

Sein Leben lang hatte er nicht geheiratet und keine Familie gegründet. In seinem Testament bestimmte er die 41 Jahre jüngere, nichtjüdische Agnes Louise Emilie Thiel zur Alleinerbin. Aufgrund der Ausplünderung durch die Nationalsozialisten – auch sein Hausrat wurde nach der Deportation zu Schleuderpreisen versteigert – gab es jedoch kein Erbe, das sie hätte antreten können.

Stand Juli 2015
© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 3; 4; 5; 7; 8; StaH 111-1 Cl.I LIT T Senat, Norddeutscher Bund und Deutsches Reich, 1866-1928 Nr. 21 Vol. 4 Fasc. 13b Inv. 100-1217; StaH 232-3 Testamentsbehörden H 16488; StaH 332-3 Zivilstandsregister: B 87 u. 506/1875; A261 u. 2087/1875; A230 u. 1534/1869; A224 u. 1358/1867; A221 u. 1123/1866; StaH 332-5 Standesämter: 913 u. 445/1926; 791 u. 834/1918; 9103 u. 1149/1894; 9864 u. 246/1933; 9857 u. 504/1932; 147 u. 3165/1883; 225 u. 1788/1887; 245 u. 2273/1888; 362 u. 749/1894; 7896 u. 209/1895; 7802 u. 1402/1885; 365 u. 2046/1894; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht: A I a, Bd 29, Nr. 4573 u. Nr. 5038; Staatsangehörigkeitsaufsicht A I a, Bd 27, Nr. 1336; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht A I e 40 Bd. 8 Bürgerregister; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung: 632; 16063; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 992 e 2 Deportationslisten Bd. 4; Archiv der Hansestadt Lübeck, 03.05- 03 Stadt- und Landamt, Familienverzeichnis der Personenstandsregister der Israelitischen Gemeinde (mit großem Dank für ihre Mühe an Frau Heidemarie Kugler-Weiemann, Lübeck); Hamburger Adressbücher; Carlebach, Geschichte der Juden; Guttkuhn, Geschichte der Juden in Moisling und Lübeck; Hamburger, Juden im öffentlichen Leben Deutschlands, S. 337; Viehkommissionair, in: Krünitz, Oekonomische Encyklopädie; Schlomer, Liebes, altes, jüd’sches Moisling; Michael Winter, Die Juden in Moisling und Lübeck. Drei zusammenfassende Darstellungen, ein ergreifender Bericht aus der Zeit des Nationalsozialismus und eine Zeittafel der wichtigsten Ereignisse, www.luebeck-kunterbunt.de/TOP100/Juden_in_Luebeck.htm (letzter Zugriff 25.4.2014); Bildarchiv Hamburg 1860–1955, www.hamburg-bildarchiv.de; Salomon Schlomer, auf: Holocaust.cz, www.holocaust.cz, 109.123.214.108/de/victims/PERSON.ITI.621544 (letzter Zugriff 1.5.2014); Neuer Pferdemarkt, in: Straßen in St. Pauli, www.20359hamburg.de/strassenverzeichnis/ausgabe.php?str= neuerpferdemarkt (letzter Zugriff 5.5.2014).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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