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Bereits verlegte Stolpersteine



Gedenkstein in Sobibor
Gedenkstein in Sobibor
© Ingo Wille

Bertha Emilie Karlsberg (geborene Simon) * 1872

Hansastraße 14 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1943 Sobibor
ermordet

Weitere Stolpersteine in Hansastraße 14:
Moses Karlsberg

Moses (Moritz) Karlsberg, geb. 26.4.1865 in Fränkisch-Krumbach, Flucht nach Amsterdam, vom Durchgangslager Westerbork am 20.7.1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert, Todesdatum 23.7.1943
Bertha Emilie Karlsberg, geb. Simon, geb. 12.11.1872 in Mainz, Flucht nachAmsterdam, vom Durchgangslager Westerbork am 20.7.1943 in das Vernichtungslager Sobibo deportiert, Todesdatum 23.7.1943

Hansastraße 14

Am 19. März 1918 bekamen Moritz und Emilie Karlsberg von ihren Kindern zu ihrer Silbernen Hochzeit ein Familienbuch geschenkt. Kalligrafisch waren Stammbaum und Inhaltsverzeichnis eingetragen, frühe Lebensläufe von Moses gen. Moritz Karlsberg und seiner späteren Frau Emilie Bertha Simon schon geschrieben. Eine Widmung ihrer Kinder an "Geliebte Eltern" schliesst mit den Worten: "Und Glück nur fülle seine Seiten! Der Schmerz bleib weit von Euch entfernt. Mit diesem Wunsch woll´n wir´s geleiten: Ilse, Alfred, Ernst und Bernd."

Die freien Seiten wurden gefüllt, Moritz Karlsberg schrieb in Hamburg, dem Wohn- und Wirkungsort der Karlsbergs, über die Familie und seine Firma B.Karlsberg. Er schrieb weiter in Amsterdam, wohin seine Frau und er 1938 zu ihrem Sohn Bernhard Karlsberg und ihrer Schwiegertochter Ilse Karlsberg (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) auswanderten und sich so vor der Verfolgung in Hamburg retten wollten. Der Rettungsversuch misslang, aber das Familienbuch blieb in wesentlichen Teilen erhalten. Es bietet als Familienchronik nicht nur Einblicke in das persönliche Leben von Moritz und Emilie Karlsberg, sondern lässt auch ahnen, wie stark die jüdische Religion als Glaube und Lebensweise für beide Leitbild und Halt, Trost und Hoffnung war.

Moses gen. Moritz Karlsberg war am 26.4.1865 in Fränkisch-Krumbach als einziger Sohn des Kaufmanns Bernhard Karlsberg (geb. 1829 in Fränkisch-Krumbach) und dessen Ehefrau Louise geb. Moos, (geb. 1830 in Johannisberg) zur Welt gekommen; er hatte drei Schwestern, Bella, Ida und Leopoldine.

Über Kindheit und Jugend berichtete er: "Ich bin im Mai 1868 mit meinen Eltern und Geschwistern von Fränkisch-Crumbach nach Hamburg gekommen. An den Krieg 1870/71 kann ich mich noch dunkel erinnern, insbesondere an die französischen Gefangenen und an die Feier auf dem Rathausmarkt. Mit 7 Jahren kam ich von einen Kindergarten in die Talmud-Tora-Schule und von dort nach einigen Jahren in die Gelehrtenschule des Johanneums. Sonntags vormittags und zweimal in der Woche vor Beginn des Schulunterrichts hatte ich Unterricht in Religion und im Hebräischen."

Zur späteren Berufstätigkeit notierte er: "Mit 17 Jahren trat ich als Lehrling in das väterliche Geschäft ein, im Jahre 1897, wenige Monate nach dem Tod meines Vaters Bernhard Karlsberg, wurde ich zum Repräsentanten der Cunard Linie (Cunard Steam Ship Company zu Liverpool) im Reich bestellt. Die Vertretung dieser ältesten Nordatlantischen Linie liegt seit dem Jahre 1849 in den Händen unserer Familie. Der Gründer des Unternehmens in Hamburg war George Hirschmann, der Bruder meiner Großmutter, der 1849 von Offenbach am Main nach Hamburg kam und zunächst eine Passage- und Frachtfirma gründete. Mein Vater trat später in die Firma ein und übernahm sie dann ganz. Die Cholera 1892 zwang uns, im Ausland Filialen zu errichten, in Wien, Basel, Rotterdam, Libau, Odessa, Winnipeg, Newyork, Wilna, Liverpool, Triest. Bei Kriegsausbruch gingen sie alle verloren. Nach dem Kriege gründete ich wiederum Niederlassungen in Newyork und – zusammen mit der Hamburg-Süd – in Buenes Aires. Doch nach anfänglichen Erfolgen mußten sie wieder geschlossen werden. Zwischen den Weltkriegen gelang es mir, mein gesamtes Personal zu erhalten, auch die im Feld befindlichen und in Gefangenschaft geratenen, indem ich die Vertretung schwedischer und holländischer Fabriken übernahm und ihre Erzeugnisse an die betreffenden offiziellen Einkaufsstellen hier einlieferte. Nach dem Kriege verkaufte ich an die Cunard Linie und erhielt seitdem ein Salär & Provision. Die Kaufsumme ging durch die Inflation restlos verloren."
Die Geschäftsadressen der Firma B. Karlsberg lauteten Ferdinandstraße 55 und Neuer Jungfernstieg 5 (Cunardhaus).

Genauere Beschreibungen über Richtlinien und Tätigkeiten im Passage- und Frachtgeschäftder Firma B.Karlsberg fehlen, möglicherweise hat Moritz Karlsberg sie als bekannt vorausgesetzt. Sein Sohn Bernhard führte in seiner Dissertation "Geschichte und Bedeutung der Deutschen Durchwandererkontrolle", die er seinem Vater widmete, die Auflagen für Aus- und Durchwanderer auf. Es oblag den Schifffahrtslinien, die Auswanderer vor der Schiffsreise zu überprüfen, damit sie dem Einwanderungsland nicht zur Last fielen. Dies bezog sich auf Gesundheit, Bargeld, Ausstattung, Fähigkeiten und den Nachweis von Unterkünften im Einwanderungsland. In Einwanderhäfen wie New York waren durch die sog. Pauper-Gesetze diese Kontrollen festgelegt worden. Wurde ein Einwanderer im Einwanderungsland abgelehnt, musste die Schifffahrtslinie ihn zurück transportieren.

Moritz Karlsberg heiratete Bertha Emilie Simon, geb. 12.11.1872 in Mainz. Sie war die älteste Tochter des Weingroßhändlers Heinrich Simon (geb. 1847) und dessen Ehefrau Antonie geb. Strauss (geb. 1852). 1890, an ihrem 18. Geburtstag hatte Emilie ihn auf einer Reise nach Hamburg kennengelernt. In der Folgezeit hatten sie korrespondiert und sich 1892 verlobt. In Hamburg wütete zu dieser Zeit die Cholera, die Familie Karlsberg verbrachte deshalb einige Zeit in Frankfurt. Am 19. März 1893 heiratete das Paar dort, kehrte nach Hamburg zurück und wohnte drei Jahre am Hansaplatz gegenüber den Eltern Karlsberg, danach fünf Jahre in der Grindelallee.

Als Moritz Karlsbergs Vater 1896 gestorben war, kaufte der Sohn das Haus Klosterallee Nr. 8, wo sie weitere 28 Jahre lebten. Das Ehepaar bekam drei Kinder, Ilse, geb. 1893, Ernst, geb. 1895, und Bernhard, geb. 1899. Der Sohn Ernst starb 1935 an den Folgen einer Kriegsverletzung.

Moritz und Emelie Karlsberg engagierten sich in der Henry-Jones-Loge, benannt nach dem Hamburger Gründer der Bnai-Brith Loge und der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburgs. Moritz Karlsberg schrieb ins Familienbuch: "Erwähnenswert aus der Zeit unserer Ehe ist unsere Tätigkeit im Interesse der Henry-Jones-Loge, bei der ich verschiedene Ämter im Lauf meiner 48jährigen Mitgliedschaft bekleidete – Protokoll-Sekretär, Vorsitzender bzw. Mitglied des Unterstützungs-Komitees, Vicepräsident, Leiter des Logenheims –, des Humanitären Frauenvereins, deren Vorstandsmitglied meine Frau war, Mitglied des Repräsentations-Kollegiums der Jüdischen Gemeinde und schließlich des Vorstands der Neuen Dammtor Synagoge (von 1895, Beneckestraße 2–6, heute Campus der Universität). Dem Beispiel des meines über alles verehrten Vaters nacheifernd versuchte ich mein ganzes Leben hindurch, Frieden und Eintracht zwischen den Menschen, die meinen Weg kreuzten, herzustellen. Mein Vater wurde von Bauern, Adligen und Arbeitern in Fränkisch-Crumbach bei ihren Streitigkeiten aufgesucht; sein Urteil war maßgebend. Man nannte ihn daher: "Frieden-(bzw. Scholem)-Macher".

Moritz Karlsberg konnte seine Firma bis ins Frühjahr 1938 leiten, dann erfolgte eine Anfrage an die Cunard See Transport GmbH, die 1920 von der Cunard Steam Ship Company in Gemeinschaft mit der Firma B. Karlsberg als Hauptvertretung der Cunard Line für Deutschland gegründet war, es ging darum, ob sie "arisch" war. Moritz Karlsberg: "Um die Anfrage positiv beantworten zu können, kündigte ich sofort meine Stellung als Mitinhaber und Direktor der Firma. Der Dezernent der Passage Abteilung kam alsbald persönlich nach Hamburg, um mir das Bedauern der Gesellschaft auszudrücken und um meine Absichten für die Zukunft kennenzulernen, bzw. um die Lage mit mir zu beraten. Selbstredend stellte ich der Gesellschaft meine Dienste für Lebenszeit zur Verfügung und zwar in irgend welcher zulässigen Form. Aber Mr. Brown (der Dezernent) wollte von meinem Verbleiben in der Firma nichts wissen und auf meinen Einwand, dass ich in erster Linie an die Sorge für meine Frau zu denken habe, antwortete er: Go under any circumstances, the Company will look after you."

Moritz Karlsberg bereitete die Auswanderung vor. Er übertrug das Kontorhaus der Gesellschaft an die Cunard White Star, zahlte seinen Anteil am Stammkapital in Höhe von 1.000 RM, sämtliche Steuern, und verteilte den Rest seines Vermögens unter seinen Geschwistern, Kindern und anderen Verwandten. Die wertvolle Wohnungseinrichtung, deren Mitnahme 1938 noch möglich gewesen wäre, wurde auf einer eilig durchgeführten Versteigerung "verschleudert". Er erhielt ein englisches Dauer-Einreise-Visum für sich und seine Frau.

Am 31. August 1938 verliessen sie Hamburg, gingen aber nicht nach England, sondern nach Amsterdam, wo sie sich niederliessen, weil sie sich von der Familie ihres Sohnes Bernhard und ihrer Schwiegertochter Ilse Karlsberg (siehe www.stolpersteine-hamburg.de) nicht trennen wollten. Mit diesen zusammen lebten sie in Merwedeplein 23, zeitweise auch mit deren drei Kinder Rachel, Ruth und Walter. Im Nebenhaus lebte Ilse Karlsbergs Mutter Franziska Heilbron (siehewww.stolpersteine-hamburg.de). Sie war im Februar 1939 nach Amsterdam gekommen.

Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im Mai 1940 begann auch in Holland die Judenverfolgung. Auf der Suche nach Bernhard Karlsberg, der in Deutschland des Hochverrates angeklagt war, verhaftete die Gestapo die Schwiegertochter Ilse Karlsberg. Sie wurde nach Hamburg überstellt, im KZ Fuhlsbüttel inhaftiert und schließlich am 18. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert.

Die Korrespondenz, die Moritz Karlsberg mit Max Plaut, dem Leiter der jüdischen Gemeinde in Hamburg führte, zeigt die Sorge um seine Schwiegertochter Ilse Karlsberg und um seine Schwester Leopoldine, die er ebenfalls in Theresienstadt vermutete "Auch selbst jetzt – nach Vernichtung all dessen, was meine Eltern & Voreltern und wir selbst in vielen Dezennien aufgebaut, nach der Vertreibung aus einer geliebten Heimat, nach der Trennung von Kindern, Enkeln, Verwandten und Freunden, nach den unmenschlichen, barbarischen Leiden des jüdischen Volkes sowie eines großen Teiles der Menschheit, leben wir mit und für einander in Dankbarkeit gegen die Vorsehung. Wir glauben, dass selbst die furchtbarsten Prüfungen der menschlichen Gesellschaft lediglich dem Zwecke der Besserung derselben dienen, und wir hoffen, daß gerade diese Leiden schließlich dem sozialen Frieden und dem Glücke aller Menschen dienen werden."

Ab 1943 begann die Gestapo mit Razzien, durchsuchte systematisch Haus für Haus. Emilie und Moritz Karlsberg wurden festgenommen und in das Lager Westerbork gebracht. Ihre Enkeltochter Ruth war ebenfalls in Westerbork inhaftiert, sie lebte in einer anderen Baracke, konnte aber ihre Großeltern gelegentlich sehen (Ruth konnte später entkommen). Nach kurzem Lageraufenthalt mussten Emilie und Moritz am 20. Juni 1943 den Zug nach Sobibor besteigen. Ihr Todesdatum dort wurde auf den 23. Juni 1943 festgesetzt.

In Sobibor sind in der "Straße der Erinnerung" zwei Gedenksteine für Moritz Karlsberg und Emilie Karlsberg zu finden, die von Nachkommen gestiftet wurden. Eine weitere Gedenktafel steht auf dem Grab von Bernhard und Louise Karlsberg, den Eltern von Moritz Karlsberg, auf dem Jüdischen Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf. Namen und Daten von Moritz und Emilie Karlsberg sind dort zu lesen und die Worte: In Memoriam.

Stand April 2016

© Ursula Erler

Quellen: 1; 2; 8; Hamburger Adressbuch 1920–1939; StaH, Amt für Wiedergutmachung, 351-11, 201/978; Staatsbibliothek Hamburg, Dissertation Bernhard Karlsberg, Geschichte und Bedeutung der deutschen Durchwanderkontrolle, vorgelegt der staats- und rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg, Promotion 23.12.1921; Ursula Wamser/Wilfried Weinke (Hrsg.): Ein Niederländer aus Überzeugung: Bernhard Karlsberg, in: Ehemals in Hamburg zu Hause, Jüdisches Leben am Grindel, Hbg. 1991, S. 189–195; Mündliche und Mail-Auskünfte: Ruth Meissner, geb. Karlsberg, Chester/USA, Enkeltochter von Moritz und Emilie Karlsberg und Franziska Heilbron, Besuch Mai 2014; Familienbuch-Kopie der Familie Karlsberg, hauptsächlich verfasst von Moritz Karlsberg. Dank: Mein herzlicher Dank geht an Ruth und Harry Meissner (2014 verstorben) für die Gastfreundschaft in ihrem Haus in Chester/USA, Erzählungen über die Familie Karlsberg/Heilbron und Überlassung von Fotos und der Familienbuch-Kopie.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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