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Bereits verlegte Stolpersteine



Rosa Singer
Rosa Singer
© Yad Vashem

Rosa Singer (geborene Wolff) * 1876

Hasselbrookstraße 127 a (Wandsbek, Eilbek)

1941 Minsk
ermordet

Weitere Stolpersteine in Hasselbrookstraße 127 a:
Hans Singer

Rosa Singer, geb. Wolff, geb. 10.2.1876 in Altona, am 18.11.1941 deportiert nach Minsk
Hans Singer, geb. 23.5.1921 in Hamburg, am 8.11.1941 deportiert nach Minsk

Hasselbrookstraße 127a

Rosa Singer, geborene Wolff, entstammte einer jüdischen Familie in Altona. Ihre Eltern waren der Zigarrenarbeiter Levy Michel Wolff und Eva, geborene Levin. Rosa Singer hatte einen Bruder. Im Jahre 1900 heiratete sie den 1881 in Leipzig geborenen Fritz Singer. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor, die 1912 geborene Tochter Margarete und der 1921 geborene Sohn Hans.

Fritz Singer war Kaufmann. Er vertrat in seinen Wohn-und Geschäftsräumen in der Großen Roosenstraße 88 (heute: Paul-Roosenstraße) in Altona die Firma Sächsisches Warenlager. Das Altonaer Adressbuch von 1911 enthält erstmals einen Eintrag, der auf Fritz Singer hinweist. Etwa 1915 bezog die Familie Singer eine Wohnung in der benachbarten Großen Roosenstraße 73. Die Zusammenarbeit mit der Firma Sächsisches Warenlager war offensichtlich 1920/1921 beendet. Ab 1922 firmierte Fritz Singers Geschäft zwei Jahre als "Fritz Singer Pantoffelhandlung", dann als "Fritz Singer Wollwaren". Fritz Singer nahm sich im Alter von 48 Jahren am 1. Februar 1929 das Leben. Er starb im städtischen Krankenhaus in Altona. Die Gründe für den Suizid sind nicht überliefert.

Vermutlich versuchte Rosa Singer, das Geschäft zunächst noch weiterzuführen. Doch schon bald arbeitete sie in dem Geschäft von Emil Oestreicher, der seit 1930 unweit ihres Wohnhauses in der Großen Roosenstraße 96 ein Frucht-, Gemüse- und Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäft betrieb. Rosa Singer beteiligte sich mit 5000 RM an seinem Betrieb. Margarete Singer, ihre ältere Tochter, war ebenfalls dort angestellt. Sie gewann Emil Oestreichers Zuneigung. Die beiden verlobten sich 1931.

Emil Oestreicher war evangelisch, kam aus einer sozialdemokratischen Familie und lehnte wie seine beiden Brüder den Nationalsozialismus ab. Nach der Aufgabe seines Ladens in Altona im Jahre 1932 war er zusammen mit seinen Brüdern Otto und Wilhelm Inhaber weiterer Einzelhandels- und eines Großhandelsbetriebe, unter anderem in der Hamburger und in der Lübecker Straße im benachbarten Hamburg. 1934 zog es ihn wieder nach Altona. Im Hause der Familie Singer in der Großen Roosenstraße 73 eröffneten Emil Oestreicher und Margarete Singer im Frühjahr 1934 gemeinsam ein Lebensmittelgeschäft, in dem ständig ein bis zwei Angestellte und Aushilfen arbeiteten. Margarete Singer hatte von ihrer Mutter 6000 RM als Kapitaleinlage für das gemeinsame Unternehmen erhalten. Wenige Monate später verkauften sie ihr Geschäft in Altona und eröffneten im selben Jahr – noch als Brautleute – einen Frucht-, Gemüse- und Kohlenhandel in der Grindelallee 91 in Hamburg. Die Kundschaft bestand überwiegend aus den jüdischen Anwohnern.

Obwohl Emil Oestreicher kein Jude war, wurde auch er Ziel massiver Anfeindungen, die im November 1934 zunächst darin gipfelten, dass alle Reifen seines Lieferwagens zerstochen wurden. Im Führerhaus lag ein Zettel mit dem Wortlaut: "Warte nur, Du Judenschwein, bald schlagen wir Dir den Laden ein." Tätliche Angriffe und massive Drohungen wechselten einander ab. In der Hauptgeschäftszeit am frühen Abend erschien wiederholt eine Gruppe von sechs bis acht durch ihre Kleidung als Jungvolk ausgewiesene halbwüchsige Jungen und Mädchen und bedrohte die Kunden mit aggressiven Sprechchören. Im Dezember wurde der Laden durch in die Türfenster geworfene große Steine demoliert. Die Schaufenster wurden nachts mit judenfeindlichen Sprüchen in roter Farbe beschmiert. Emil Oestreicher erlitt bei diesen Attacken Fußtritte und schwere Verletzungen. Margaretes 13-jähriger Bruder Hans musste die Diskriminierungen und Gewaltmaßnahmen miterleben. Emil Oestreicher wehrte sich und verprügelte einen der Schmierfinken mehrmals. Dies trug ihm im Stadthaus, dem Sitz der Staatspolizei (ab Anfang 1936 Geheime Staatspolizei), die Drohung ein, mit den Juden sei es jetzt endgültig vorbei und für ihn persönlich sei es "fünf Minuten vor zwölf". Im Januar 1935 folgte die Anweisung, das Geschäft innerhalb von 14 Tagen zu schließen und die Warenbestände sofort zu verkaufen.

Die Diskriminierungen und Drohungen hielten Emil Oestreicher und Margarete Singer nicht davon ab, im Mai 1935 zu heiraten. Das Ehepaar bekam zwischen 1935 und 1939 drei Töchter.

Emil Oestreicher setzte den ambulanten Lebensmittelhandel auf auswärtigen Märkten fort und konnte ihn noch bis 1937 aufrechterhalten. Doch auch hier häuften sich die insbesondere gegen seine Ehefrau und seine Töchter gerichteten Drohungen und Boykotte, so dass er die Geschäftstätigkeit schließlich einstellen musste. Den Gewerbeschein, der die Erlaubnis für seine Handelstätigkeit bildete, musste Emil Oestreicher auf behördliche Anordnung Ende 1937/Anfang 1938 abliefern. Ab 1940 arbeitete er als Mauersteintransportarbeiter.

Die Einnahmen der Familie Oestreicher hatten sich im Laufe der Jahre soweit verringert, dass sie auf Zuwendungen von Margarete Oestreichers Mutter angewiesen waren. Rosa Singer hatte – so der Schwiegersohn Emil Oestreicher – von ihrem in London lebenden Bruder 150.000 RM geschenkt bekommen. Als ihr nur noch ein Teil der Zinsen auf das Vermögen ausgezahlt wurde, musste sie jedoch die Unterstützung der Familie ihrer Tochter einstellen. Ab 1940 erhielt sie – eigentlich eine reiche Frau – monatlich 120 RM als Familienunterhalt, später nur noch 80 RM.

1936 gab Rosa Singer ihre Wohnung in der Großen Roosenstraße 73 auf und wohnte da­nach in der Wandsbeker Chaussee 158. Es folgten zwei weitere Wohnsitze zur Untermiete, zunächst bei der Familie Förster in der Hasselbrookstraße 53 und dann bei der Sprachlehrerin H. Dancker in der Ritterstraße 65. Etwa 1939/1940 zog Rosa Singer zu ihrem Sohn, dem Buchdrucker Hans Singer, der schon früher in der Hasselbrookstraße 127a eine Wohnung hatte.

Dies alles lässt erkennen, dass Rosa Singer, ihr Sohn Hans sowie ihre Tochter Margarete und ihr Schwiegersohn Emil Oestreicher in der Folgezeit ein sehr eingeschränktes Dasein fristeten. Hans Singer wurde am 8. November 1941 in das Getto von Minsk deportiert. Rosa Singer folgte mit der zweiten Deportation aus Hamburg nach Minsk am 18. November 1941. Von ihnen gab es nie wieder ein Lebenszeichen.

Das Wohnungspflegeamt stellte unmittelbar nach der Deportation Listen zusammen, die die "geräumt werdenden Judenwohnungen" enthielten, die umgehend von "arischen" Mietern wieder bezogen werden sollten.

Die Hamburgischen Electricitäts-Werke AG richteten am 28. März 1942 ein Schreiben an die "Verwaltungsstelle für Judenvermögen" im Finanzamt Hamburg-Dammtor, mit dem sie die Erstattung von 6,24 RM für von Rosa Singer "bis zu ihrem Auszug [...] verbrauchten Strom" verlangten.

Als Rosa und Hans Singer im November 1941 nach Minsk verschleppt wurden, leistete Rosas Schwiegersohn Emil Oestreicher bereits Militärdienst. Er war im Juni 1940 eingezogen worden und blieb bis Kriegsende Soldat. Von Februar bis Juli 1942 befand er sich in Belgien in deutscher Militärhaft. Ihm wurde "Wehrkraftzersetzung" zur Last gelegt, weil er deutschen Emigranten und belgischen Juden aus Militärbeständen Waren hatte zukommen lassen.

Rosa Singers Tochter Margarete und deren drei Töchter mussten sich allein durchschlagen. Sie wurden 1943 ausgebombt und verließen Hamburg für wenige Monate. Margarete Oestreicher lebte jetzt mit ihren Kindern illegal, indem sie ihre jüdische Herkunft verschwieg. Zurück in Hamburg, kam sie ab Oktober 1943 mit ihren Kindern in Hamburg-Rahlstedt in einem Schuppen auf dem hinteren Teil des landwirtschaftlichen Grundstücks von Marie und Adolf Pimber, Mellenbergstraße 74, unter. Diesen Schuppen hatte Emil Oestreicher vorausschauend errichtet. Die Grundstückseigentümer nahmen die Familie Oestreicher bei sich auf, "weil [...] [uns] Herr Oestreicher als Gegner des Nationalsozialismus zusammen mit seiner Frau bekannt waren, ferner, weil Margarete Oestreicher bei ihrem Zuzug krank war und pflegebedürftig". Zwar war Margarete Oestreicher bei dem zuständigen Ortsamt gemeldet, sie bezog jedoch keine Lebensmittelkarten, weil dann ihre jüdische Identität hätte entdeckt werden können. Der Hunger wurde nur zeitweise durch Lebensmittelpakete gelindert, die ihnen Emil Oestreicher unregelmäßig schickte. Das Leben in Rahlstedt war erfüllt von ständiger Angst. Bei Gefahr versteckten sich Mutter und Töchter in einem Erdbunker auf dem Grundstück. Diese Situation mussten Margarete Oestreicher und ihre drei Töchter bis Kriegsende durchhalten. Sie überlebten ebenso wie ihr Ehemann und Vater.

Stand Februar 2014
© Ingo Wille

Quellen: 1; 4; 5; 8; 9; AB; StaH 314-15 OFP Oberfinanzpräsident 26 (Wohnungspflegeamt), 29 (HEW); 332-5 Standesämter 6189-442/1876, 5374-226/1929; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 24941; StaH 522-1 Jüdische Gemeinden 922 e (Deportationslisten), Bde. 2 u. 3; Hoppe, Ulrike, "... und nicht zuletzt Ihre stille Courage", S. 96ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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