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Jenny Schiff und Ehemann Martin Schiff
Jenny Schiff und Ehemann Martin Schiff
© Privat

Jenny Schiff (geborene Zadich) * 1860

Oberstraße 5 (Eimsbüttel, Harvestehude)

1942 Theresienstadt
Tot 27.07.1942

Weitere Stolpersteine in Oberstraße 5:
Rosa Hirsch, Julius Kobler

Jenny Schiff, geb. Zadich, geb. am 14.1.1860 in Hamburg, am 15.7.1942 nach Theresienstadt deportiert, dort umgekommen am 27.7.1942

Oberstraße 5

Jenny Schiff war die Tochter der Hamburger Jüdin Hanchen Zadich, geb. Moses (1818 - 1897) und des in Moisling (heute Lübeck) geborenen jüdischen Kaufmanns Eduard Zadich. Die beiden waren 1836 von Rabbiner Isaak Bernays getraut worden. Hanchen war 18 Jahre alt, Eduard, dessen Beruf im Register der Deutsch-Israelitischen Gemeinde mit "Manufacturwarenhändler" angegeben ist, war 32 Jahre alt. Ihr Sohn Martin wurde am 11. März 1856 geboren, 20 Jahre nach der Hochzeit. Es ist anzunehmen, dass das Ehepaar bereits weitere Kinder hatte, wir wissen bisher nur von einem älteren Sohn namens John. Vier Jahre nach Martins Geburt, als Jenny zur Welt kam, war ihre Mutter bereits 42, ihr Vater 56 Jahre alt.

Über Jennys Kindheit und Jugend ist nur bekannt, dass ihr Vater 1873 starb und die beiden Geschwister, weil noch minderjährig, neben ihrer Mutter zwei weitere Vormünder bekamen. Laut Vormundschaftsprotokoll schlug Hanchen für dieses Amt die "erbötigen hiesigen Bürger" Isaac Joseph und Simon Kalman vor. Sie gab an, dass weder ihre Kinder noch sie Vermögen besäßen, von dessen Zinsen sie leben könnten und sie deshalb das Engros-Geschäft ihres Mannes fortführen wolle. Dieses sei nicht sehr bedeutend, werfe aber doch soviel ab, "daß sie mit den Kindern einen Beitrag zum Lebensunterhalt daraus erziele." Ihr erwachsener Sohn John Zadich, welcher Sachverständiger sei, werde die Procura erhalten.

Im Mai 1885 heiratete Jenny den ebenfalls in Hamburg geborenen Kaufmann Martin Schiff, geboren am 12. Oktober 1855. Das Ehepaar bekam drei Kinder: Martha, geboren am 29. Juni 1886, Hermann, geboren am 18. Mai 1888, und sechs Jahre später noch ein Mädchen, Frieda, geboren am 20. November 1894. Frieda starb bereits als Säugling, am 12. Juni 1895.

Die Familie lebte zuerst in der Wexstraße 19, später in der Fröbelstraße 10 und bis ungefähr 1909 in der Bundesstraße 16. Anschließend zog sie in ein Mehrfamilienhaus in der Oberstraße 5, wo schon Jennys Bruder und Schwägerin wohnten. Martin Schiff arbeitete als Buchhalter und später als Prokurist, Jenny kümmerte sich wahrscheinlich um den Haushalt und die Kinder.

Ihr Bruder hatte 1886 Gella Ida Levien geheiratet. Das Ehepaar hatte keine Kinder. Martin Zadich war wie sein Vater Kaufmann von Beruf. Er starb schon 1904, erst 47 Jahre alt. Gella Ida blieb bis zu ihrem Tod in der gemeinsamen Wohnung.

Jennys Tochter Martha heiratete 1908 Martin Julius Daniel (geb. 5. Januar 1881), Eigentümer einer "Glas-Agentur". Zehn Monate später kam mit Gustav das erste Kind des Ehepaares zur Welt, Jenny war nun Großmutter. In den nächsten Jahren folgten sechs weitere Enkelkinder. Marthas Ehemann war wirtschaftlich erfolgreich, er besaß mehrere Häuser, Wertpapiere und Aktien. Der älteste Sohn Gustav zog 1929 in die USA. In der NS-Zeit konnte er dort seinen drei Brüdern einem nach dem anderen einen sicheren Zufluchtsort verschaffen.

Im Mai 1935 begingen Jenny und Martin Schiff das Fest der Goldenen Hochzeit und spendeten aus diesem Anlass für das Altenheim sowie die jüdischen Waisenhäuser der Gemeinde, was im Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde vermerkt wurde.

Jennys Sohn Hermann, Kaufmann von Beruf, flüchtete 1936 mit seiner Familie in die USA. Seine berufliche Laufbahn hatte 1911 bei der Firma "Weco" (= Willers, Engel & Co.) in London begonnen. Seine dort erworbenen oder vertieften Englischkenntnisse sollten ihm später noch zugutekommen. "Weco" importierte Paraffin sowie verschiedene Wachse und Harze. Noch in demselben Jahr wurde Hermann nach Hamburg versetzt, um hier eine Niederlassung aufzubauen. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er als Soldat und geriet in Gefangenschaft. Nach Kriegsende eröffnete er eine eigene Firma, kehrte jedoch 1924 zu "Weco" zurück und blieb dort bis 1936 tätig. Daneben betrieb er eigene Geschäfte. Er besaß Anteile am Import gefärbter und ungefärbter Seide aus Asien, das Hamburger Adressbuch von 1925 verzeichnete ihn als "Chemikalienmakler".

Als er 1924 heiratete, wohnte er bei seinen Eltern in der Oberstraße 5. Seine Frau Helene (Leni), geboren am 4. Juni 1900 in Hamburg, war die Tochter von Salomon Benzion David, geboren am 7. Juli 1861 in Hamburg, und von Sara David, geb. Cohen, geboren am 2. Februar 1867 in Altona. Hermann und Leni bekamen zwei Töchter. Hildegard und Ellen wurden 1925 und 1928 geboren und besuchten später die Israelitische Höhere Töchterschule in der Karolinenstraße. Als um 1926 die neuen Wohnhäuser der "Baugenossenschaft innerhalb des Mietervereins Groß-Hamburg von 1890" fertig gestellt waren, zog die Familie in eine Erdgeschosswohnung in der Bogenstraße 51. Ellen erinnerte sich später besonders an den Garten vor dem Haus. Beide Großelternpaare, die Schiffs in der Oberstraße 5 und die Davids in der Rappstraße 12, waren fußläufig erreichbar.

Hermann Schiff verließ Deutschland schon 1935 und reiste in die USA, weil "er kommen sah, was passieren würde". Er wollte dort wirtschaftlich Fuß fassen, indem er eine Zweigstelle seiner Firma eröffnete. Als er nach Hamburg zurückkehrte, hatte er in New York schon eine Wohnung für seine Familie gemietet. Unverzüglich begann die Familie mit Ausreisevorbereitungen. Seine jüngere Tochter Ellen erinnerte sich, dass die Mädchen neue Kleider genäht bekamen, um wenigstens einen Teil des Familienvermögens (das nicht mit ausgeführt werden durfte) sinnvoll zu verwenden. Die Möbel wurden in einem Container, "lift" genannt, verschifft. Hermann musste sich von seinen Eltern verabschieden, wohl wissend, dass er sie niemals wiedersehen würde. Die Familie reiste ab Bremen auf der "S.S. Columbus" und kam am 15. August 1936 in New York an. Als Japan den USA den Krieg erklärte, verlor Hermann seine Firma und musste viele Jahre schwer kämpfen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Die Verhältnisse besserten sich erst, als er schließlich eine Stelle als Buchhalter bekam. Er starb 1962.

Ende 1938 gelang auch den restlichen Mitgliedern der Familie von Jennys Tochter die Flucht aus Hamburg in die USA. Wie aus einem Dokument von 1939 hervorgeht, unterstützte ihr Schwiegersohn Martin Daniel nach seiner Ausreise Jenny und Martin Schiff monatlich mit 300 Reichsmark aus seinen Hamburger Mieteinnahmen. Wahrscheinlich waren sie auch vorher schon auf seine finanzielle Hilfe angewiesen.

Jennys Schwiegertochter Leni hatte einen Bruder namens Adolf (geb. 1906), der sich 1928 als Kaufmann in Italien niedergelassen hatte. Ihr Vater Salomon Benzion David, Schlachter von Beruf, besaß die Firma "Gebrüder David & A. Silberberg" in der Grindelallee 170/172. Sie stellte koschere Fleischwaren (Würste, Fleisch und Konserven) her und war die größte ihrer Art in Hamburg. Neben diversen Schifffahrtslinien belieferte sie auch das Israelitische Krankenhaus und das Jüdische Altersheim. Nach dem Verbot des rituellen Schlachtens 1933 ging der Umsatz von Lenis Vater dramatisch zurück. Adolf (Addi) unterstützte seine Eltern finanziell. Als er kein Geld mehr schicken konnte, zogen Salomon und Sara 1934 nach Italien. Kurze Zeit später wanderten Addi und seine Frau in das damalige Britische Protektorat Palästina aus. Salomon starb 1942 in Mailand an Magenkrebs, Sara überlebte versteckt in einem italienischen Kloster. Nach ihrer Befreiung siedelte sie zu Lenis und Hermanns Familie in die USA über. Sie starb 1956 in New York.

Leni hatte auch eine jüngere Schwester, Meta, geboren am 13. Dezember 1902. Diese wurde Lehrerin und unterrichtete an der Israelitischen Höheren Töchterschule in der Karolinenstraße. Meta heiratete den Studienassessor Erich Klibansky, geboren am 28. November 1900. Ihr erster Sohn, Hans Rafael, kam 1928 in Breslau (heute Wroclaw in Polen) zur Welt. Ein Jahr später zog die Familie nach Köln, wo Erich in sehr jungem Alter Direktor des Realgymnasiums "Jawne" wurde, des ersten und einzigen jüdischen Gymnasiums im Rheinland. Meta unterrichtete dort Englisch. Zwei weitere Söhne, Alexander und Michael, 1931 und 1935 geboren, machten die Familie komplett.

Angesichts zunehmender Judenverfolgung versuchten Erich und Meta, die "Jawne" nach England zu verlagern. Erich begleitete mehrere Kindertransporte seiner Schüler, und so gelangten ungefähr 130 Kinder in Sicherheit. Nach jeder Fahrt kehrte er nach Köln zurück, und irgendwann war der Zeitpunkt, die eigene Familie zu retten, verpasst. Sie wurde im Juli 1942 nach Minsk deportiert. Als 1990 der Platz, an dem sich die "Jawne" befand, zu Ehren des ehemaligen Schuldirektors den Namen Erich-Klibansky-Platz erhielt, reiste Jennys Enkelin Ellen mit Familie aus den USA zur Einweihung an.

Nachdem ihre Tochter Martha mit ihrer Familie Hamburg 1938 ebenfalls verlassen hatte, blieben Jenny und Martin Schiff allein zurück. Jennys Schwägerin Gella Ida wohnte in der Oberstraße 5 auf derselben Etage, vielleicht sogar in derselben Wohnung. Sie starb im April 1941. Ihren Tod meldete die Krankenschwester Rosa Hirsch (s. www.stolpersteine-hamburg.de Rosa Hirsch) auf dem zuständigen Standesamt. Fünf Monate später musste sie auch den Tod von Martin Schiff registrieren lassen. Er starb am 22. September 1941 und ist auf dem Jüdischen Friedhof Ilandkoppel begraben. Rosa Hirsch hat wahrscheinlich beide gepflegt – Gella Ida war 80, Martin 85 Jahre alt geworden. Kurze Zeit später, am 21. Oktober 1941, wurde Rosa ins Getto "Litzmannstadt" im besetzten Polen deportiert.

Innerhalb von fünf Monaten verlor die 81-jährige Jenny also Schwägerin und Ehemann, und nur Wochen später auch die Pflegerin. Wir wissen nicht, wie sie ihr Leben anschließend allein bewältigte. Nach dem Krieg schrieb ihre Enkelin, Jennys Sohn Hermann habe versucht, seine Mutter aus Deutschland herauszuholen und nach Kuba zu schicken, aber im Dezember 1941 traten die USA in den Krieg ein, und diese Möglichkeit bestand nicht länger.

1942 musste Jenny gezwungenermaßen einen "Heimeinkaufsvertrag" abschließen, der sie wahrscheinlich um ihr letztes Geld brachte. Dieser "Vertrag" sah die Übertragung ihrer gesamten Ersparnisse an die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland vor, fiktive Gegenleistung war die lebenslange Nutzung eines "Heimplatzes" im Getto Theresienstadt. Das von der Reichsvereinigung eingesammelte Geld beschlagnahmte am Ende die Gestapo.

Im Juli 1942 erhielt Jenny Schiff den Deportationsbefehl und musste sich in der Sammelstelle Volksschule Altonaer Straße/Schanzenstraße einfinden. Am 15. Juli 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, wo sie zwölf Tage später starb.

Stand: September 2023
© Sabine Brunotte

Quellen: 1; 3; 5; 8; The History Of The Rumeld And Schiff Families, Prepared for our children and grandchildren by Rudy and Ellen Rumeld, May 2003; StaH 522-1_702 B; StaH 232-1 Serie II 4987; StaH 332-5_2682; StaH 332-5_410; StaH 332-5_ 2129; StaH 332-5_2176; StaH 332-5_9100; StaH 332-5_7893; StaH 332-5_2700; StaH 332-5_7972; StaH 332-5_8173; StaH 332-5_13404; StaH 332-5_ 8173; StaH 351-11_10547; StaH 351-11_1135; StaH 351-11-727; StaH 314-15 F 340; StaH 213-13_13863; agora.sub.uni-hamburg.de: Adressbücher Hamburg 1896, 1898, 1900,1904, 1908, 1909, 1910 und 1911, Zugriff 30.6.2018; United States of America, Declaration of intention Nr. 93523 Martha Daniels, 31. July 1939; ancestry.de, eingesehen 22.6.2018: www.Jawne.de, eingesehen 30.6.2018; https://de.wikipedia.org zu Erich Klibansky, eingesehen 30.6.2018; Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg, Nr. 7/1935, S. 6, online eingesehen am 5.5.2020 unter http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/titleinfo/5445051.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen.

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