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Mathias Max Hochfeld * 1869

Ferdinandstraße 69 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


HIER WOHNTE
MATHIAS MAX
HOCHFELD
JG. 1869
DEPORTIERT 1942
THERESIENSTADT
TOT 30.8.1942

Mathias Max Hochfeld, geb. am 23.5.1869 in Höxter, deportiert am 15.7.1942 nach Theresienstadt, dort verstorben am 30.8.1942

Ferdinandstraße 69 (Ferdinandstraße 71)

"Mein Vater war ein, und ich möchte nicht prahlen, sehr kluger Mensch. Er war fähig, alles zu machen. Es gab nichts, was er nicht konnte. Er hatte eine Handschrift, die war einfach phantastisch. (…) Meine Mutter war eine fabelhafte Frau, für die war ich alles. Sie war sehr froh gesinnt, sang gern. Wenn bei uns das Fenster auf war, dann haben die Leute gelauscht. Sie konnte wunderbar singen. Sie war sehr streng, nicht, dass sie mich irgendwie verwöhnt hat oder so. Sie hat auch mein Zeug selbst genäht. Ich war ja noch so jung, ich habe nur die beste Erinnerung. Damals sind die Zeiten in Deutschland ja sehr schlecht gewesen, sie ist 1921 gestorben. Da gab es nicht viel zu essen. Ich bin nach der Schule zum Hafen gegangen, zu den Engländern, zu den Schiffen und habe dann Brot mit nach Hause gebracht. (…) Wenn ich ehrlich bin, dann bin ich froh, dass meine Mutter damals starb und nicht miterlebt hat, was Vater und ich, was wir beide haben durchmachen müssen."

Diese Zeilen schrieb Edgar Day, der 1947 in Kopenhagen den englischen Geburtsnamen seiner Mutter annahm, im Rahmen eines Wiedergutmachungsverfahrens. Seine Mutter Mary Hochfeld, geb. Day, die er so früh verlor, starb am 22. November 1921 nach einer Operation im Israelitischen Krankenhaus an Krebs. Sein Vater Mathias Hochfeld kam am 30. August 1942 im Getto Theresienstadt ums Leben.

Mathias Hochfeld war in einer kinderreichen Familie in Höxter geboren worden. In einigen Dokumenten wird er auch Max genannt. Seine Urgroßmutter, die Witwe Fretgen Hochfeld (geb.7.10.1739, gest.4.4.1839), hatte sich 1810 in Höxter niedergelassen. Einer ihrer Söhne, Aron Samson Hochfeld (geb. 30.5.1784, gest.19.10.1872), war in erster Ehe mit Rosa/Röschen, geb. Meyer (geb.1792, gest.1831), verheiratet gewesen, seine zweite Ehefrau wurde am 8. März 1832 Zipora Goldschmidt (geb.1799, gest.1871). Nach einer Familienüberlieferung, von der Edgar Day berichtete, war Aron Samson Hochfeld mit Hoffmann von Fallersleben (geb.1798, gest.1874) befreundet. Auf seinem Grabstein soll "von Hochfeld" gestanden haben. Seinen Lebensunterhalt verdiente Aron Samson Hochfeld, gemeinsam mit fünf seiner Söhne, als Musiker. Mathias’ Vater, Josef Hochfeld (geb. 25.12.1832, gest. 8.3.1905 in Hannover), spielte in der Familienkapelle die Flöte.

Josef Hochfeld hatte am 3. September 1867 Minna Goldschmidt (geb.13.12.1843, gest. 20.4.1909 in Hannover) aus Lippspringe geheiratet. Das Ehepaar bekam 15 Kinder. Nicht alle erreichten das Erwachsenenalter. Josef Hochfeld arbeitete neben seiner Tätigkeit als Auktionskommissar und Möbelhändler, als Vertreter der königlichen-preußischen Hof-Pianoforte-Fabrik. Zudem war er als Gerichtstaxator und Auswanderer-Agent des Norddeutschen Lloyd tätig und übernahm im 1864 gegründeten Turnverein das Amt des Schriftführers.

Mathias Hochfeld hatte in seiner Heimat von 1875 bis 1877 die Vorschule am König-Wilhelm-Gymnasium, danach bis 1879 die Jüdische Schule in Höxter besucht. Im Anschluss wurde er Schüler der Sexta am König-Wilhelm-Gymnasium, bis ihn seine Eltern 1880 wegen "unverbesserlicher Faulheit" vom Gymnasium nahmen.

Vermutlich erhielt er nach seiner Schulzeit eine kaufmännische Ausbildung.

In erster Ehe hatte er Rosa Meyer geheiratet, mit der er die Tochter Erna Alice hatte. Als Erna am 20. Januar 1900 in Höxter geboren wurde, ließ ihr Vater für sich den Beruf Möbelfabrikant eintragen. Nach dem Tod seiner ersten Frau verließ Mathias Hochfeld seine Heimat und ging nach England, wo seine Schwester Frieda Hamlet (s. dort), geb. Hochfeld, mittlerweile lebte. Im Januar 1908 heiratete er die neun Jahre jüngere Engländerin Mary Day, geboren am 5. März 1878. Sohn Edgar kam am 4. Juli 1908 im Londoner Stadtteil Marylebone zur Welt. Mary, die keine Jüdin war, und Sohn Edgar gehörten der Church of England an, die in etwa einer reformiert-evangelischen Kirche entspricht. Über religiöse Dinge, so Edgar später, sei zu Hause nicht gesprochen worden. Sein Vater sei nicht streng religiös gewesen, auch an Synagogen-Besuche konnte er sich nicht erinnern.

Mathias Hochfeld betrieb in London eine Wäschereiannahmestelle. Seine Ehefrau Mary war gelernte Schneiderin, arbeitete aber als Angestellte. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Mathias Hochfeld als feindlicher Ausländer interniert (s. auch Paul Heymann). 1916 wurde er ausgewiesen und folgte seiner Schwester Frieda Hamlet nach Hamburg, wo schon drei seiner Brüder: Milius Hochfeld (s. dort), Alfred Hochfeld (geb. 23.4.1881) und Alexander Aron Hochfeld (geb. 26.1.1876, gest. 27.3.1951) und die Schwester Mary Hochfeld (geb. 19.8.1878), später verheiratete Stoll, lebten.

Mary Hochfeld zog zunächst mit dem damals 7-jährigen Sohn Edgar zu ihrem Vater und arbeitete wieder als Schneiderin. Ein Jahr später folgte sie ihrem Ehemann nach Hamburg. Mary Hochfeld wurde von ihrem Sohn als "sehr englisch" beschrieben. Sie fand sich in Deutschland nicht zurecht, nicht nur, weil sie die Sprache nicht verstand und diese in den vier Jahren bis zu ihrem frühen Tod 1921 auch nicht erlernte. Für Edgar war die Eingewöhnung in Deutschland ebenfalls nicht leicht. Wegen mangelnder Sprachkenntnisse wurde er erst ein Jahr später eingeschult. Er besuchte zunächst verschiedene Volksschulen und dann für etwa ein Jahr die Talmud Tora Realschule, die er ohne Abschluss verließ. Dort hatte er auch Unterricht in hebräischer Sprache erhalten, die mit seinen Worten "Chinesisch" für ihn war.

Nach der Schulzeit begann Edgar eine Lehre als Ex- und Importkaufmann, die er allerdings nach einem Jahr abbrechen musste, als die Firma in Konkurs ging. Er war dann in verschiedenen anderen Firmen tätig. Als Kontorist arbeitete er 1927 in der amerikanischen Handelskommission, bis diese Ende 1930 nach Berlin verlegt wurde. Im Anschluss begann Edgar eine Ausbildung zum Sprachlehrer an der privaten Sprachschule Julien Trizac, wo er als Lehrer beschäftigt blieb. 1933 gründete er seine eigene Sprachschule, zunächst Hohe Bleichen 36, dann in der Ferdinandstraße 71, in einer Vier- oder Fünfzimmerwohnung. Zuvor hatte er mit seinem Vater in der Gertigstraße 13 gewohnt.

Mathias Hochfeld hatte nach seiner Rückkehr aus England 1916 die Altersgrenze für Wehrpflichtige bereits überschritten. Er hatte eine Tätigkeit als Geschäftsführer in einem der sieben Zigarrengeschäfte von Gustav Geber gefunden, die er bei Kriegsende verlor, als der ursprüngliche Geschäftsführer heimkehrte. Am 24. September 1919 meldete Mathias Hochfeld ein Gewerbe als Kaufmann und Agent mit Zigaretten en gros in der Hamburger Innenstadt in der Wohnung Königstraße 36 (heute ein Teil der Poststraße) an. Wie lange er in dieser Branche tätig blieb, ist nicht überliefert. Edgar berichtete, sein Vater habe ein sehr gutes Einkommen als Angestellter in der Möbelbranche gehabt und diese Tätigkeit bis 1930 ausgeübt. Im Anschluss arbeitete er bei der Firma Lurch, bis er im Alter von 68 Jahren aus "rassischen Gründen" entlassen wurde. Edgar erinnerte sich aber auch, dass sein Vater die Firma 1937 im guten Einvernehmen verließ und eine Abfindung erhielt. Vielleicht war die Entlassung der jüdischen Angestellten unter Druck erfolgt. Mathias Hochfeld bekam eine Altersrente von 75 Reichsmark im Monat und unterstützte seinen Sohn in dessen Sprachschule.

In der Ferdinandstraße hatten Vater und Sohn die Veränderungen im politischen und gesellschaftlichen Leben rasch zu spüren bekommen. Nicht nur, dass die Scheibe des Reklamekastens vor ihrer Haustür wiederholt zerschlagen wurde, auch auf der Straße wurde Mathias Hochfeld angepöbelt und belästigt.

Edgar war nach nationalsozialistischer Definition "Mischling ersten Grades", er besaß die englische, aber auch die deutsche Staatsbürgerschaft und musste sich regelmäßig bei der Gestapo melden.

Diese Vorladungen kamen als Postkarten, jeweils am Freitag, mit der Aufforderung, sich nächsten Freitag in der Gestapozentrale zu melden. "Dieser Druck, dieses Warten, bis ich wieder von diesen Leuten weggelassen wurde, war furchtbar. Wir wussten ja nie, ob ich wiederkomme." Die Sprachschule wurde bald nur noch von jüdischen Personen besucht, die ihre Flucht ins Exil vorbereiteten.

Edgar lernte 1935 Hildegard Scheibe (geb. 24.12.16 in Staffelfelde) kennen und verlobte sich mit ihr. Aber ohne Erteilung einer Ehegenehmigung konnten sie nicht heiraten. Einen Antrag zu stellen, hielt Edgar als "Halbjude", für aussichtslos und "so schien auch für mich der Tag nicht fern, wo für mich das Leben in Hamburg nicht mehr auszuhalten war". Am 26. August 1939 flüchtete Edgar illegal nach Dänemark. Seine Verlobte folgte drei Tage später.

Mathias Hochfeld führte die Sprachschule in der Ferdinandstraße weiter, musste allerdings einen Untermieter aufnehmen. Dieser Untermieter namens Krieg beanspruchte die Wohnung nun für sich. Nach einer Anzeige bei der Gestapo musste Mathias Hochfeld die von seinem Sohn gemietete Wohnung im Sommer 1940 räumen. Zwei seiner Brüder, Alexander Aron Hochfeld und Julius Hochfeld (geb. 4.4.1880, gest.1.3.1959), hatten Deutschland bereits verlassen und so bezog Mathias Hochfeld ein Zimmer in der Schlüterstraße 63 beim Ehepaar Adolf (geb. 22.10.1891) und Martha Wolff, geb. Stiefel (geb. 9.4.1881). Das Ehepaar Wolff wurde am 25. Oktober 1941 nach Lodz deportiert.

Mathias Hochfelds letzte Unterkunft war in der Agathenstraße 3, ein sogenanntes Judenhaus. An dieser Adresse erhielt er seinen Deportationsbefehl für den 15. Juli 1942 nach Theresienstadt. Aber anders als sein Bruder Alfred Hochfeld und dessen Ehefrau Julie, geb. Linz (geb. 27.12.1880), die sich ebenfalls einen Tag vor ihrem Abtransport an der Sammelstelle im Jüdischen Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße 9–11 einzufinden hatten, erschien Mathias Hochfeld nicht zum festgesetzten Zeitpunkt, sondern Stunden später.

Anna Ostermaier, die Mutter von Edgars Verlobter, wohnte in der Bartelsstraße 65. Sie hatte Mathias Hochfeld, der keine Einkünfte mehr hatte und mittellos war, mit verpflegt, bis sie vom Ortsgruppenleiter eine Verwarnung erhielt, weil sie mit einem Juden verkehrte. Sie berichtete nach Kriegsende: "Er kam stets im Dunkeln und ging im Dunkeln, verdeckte möglichst den Stern mit einer Aktentasche. […] Herr Hochfeld war an dem Tage, an dem er morgens um 9 Uhr deportiert werden sollte, noch um 11 Uhr bei mir, da er mit dem Transport nicht mit wollte. Er wollte sich das Leben nehmen, durch Erhängen. Durch vieles Zureden und mit guten Ratschlägen, dass er doch sicherlich aufgrund seiner schönen Handschrift und anderen Fähigkeiten eine Arbeit im Lager bekommen könnte, willigte er ein, mitzugehen. Als er dann mittags sein Zimmer aufsuchen wollte, um sich umzukleiden und das Nötigste mitzunehmen, fand er sein Zimmer von der Gestapo versiegelt vor. Man hatte ihm eine Notiz hinterlassen, wo er sich zu stellen hatte. Dieses teilte er mir in einer Karte vom Altonaer Bahnhof mit. Heute tut es mir leid, dass ich ihm den Rat damals gegeben hatte und ihn nicht das Vorhaben habe ausführen lassen. Ihm wären bestimmt all diese fürchterlichen Strapazen erspart geblieben."

Mathias Hochfeld starb bereits am 30. August 1942 im Getto Theresienstadt, laut Todesfallanzeige an "Herzschwäche" im Alter von 73 Jahren.

Seine Tochter aus erster Ehe, Erna Alice Wolff, lebte verheiratet in Kassel, zuletzt in der Gießbergerstraße 2. Im September 1940 zog sie nach Berlin. Sie wurde am 24. Oktober 1941 mit ihrem Ehemann Willi Wolff (geb.14.3.1897 in Frielendorf) von Berlin ins Getto "Litzmannstadt" nach Lodz deportiert und am 5. Mai 1942 in Chelmno/Kulmhof ermordet.

Für Alfred und Julie Hochfeld liegen Stolpersteine im Stadtteil St. Georg, Lange Reihe 108. Sie wurden am 15. Mai 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz weiterdeportiert und dort ermordet (s. Stolpersteine in Hamburg-St. Georg).

Edgar Hochfeld wurde am 6. Mai 1940 auf Veranlassung der deutschen Besatzung zusammen mit anderen Ausländern in Dänemark verhaftet. Bis zum 9. Mai 1945 blieb er in verschiedenen Lagern interniert. Nach dem Krieg lebte er eine Zeitlang wieder in Kopenhagen. Seine Verlobte heiratete er 1947.


Stand: September 2018
© Susanne Rosendahl

Quellen: 1; 3; 9; StaH 351-11 AfW 32940 (Day, Edgar); StaH 332-5 Standesämter 841 u 529/1921; StaH 314-15 Abl. 1998 D 83; StaH 522-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 4; http://www.statistik-des-holocaust.de/VI1-19.jpg (Zugriff 4.2.2015); Kleinert/Prinz: Namen, S. 242; Fritz Ostkämper: Juden der ärmeren Schichten – die Familie Hochfeld in: Jacob Pins Gesellschaft Kunstverein Höxter e. V. Jüdische Bürger in Höxter, www.jacob-pins.de (Zugriff 3.2.2015); Dokumente und Ausführliche Informationen über Familie Hochfeld aus Höxer von Fritz Ostkämper am 3.7.2016 und am 9.9.2017.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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