Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Alfred Rinteln * 1891

Brunsberg 9 (Eimsbüttel, Lokstedt)

1941 Lodz
ermordet 20.06.1942

Weitere Stolpersteine in Brunsberg 9:
Bella Josias, Lipmann (Leo) Josias, Rahel Rinteln

Dr. Alfred Rinteln, geb. 27.7.1891 in Essen, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, dort am 20.6.1942 gestorben
Rahel (genannt Ruth) Rinteln, geb. Cohn, geb. 15.10.1895 in Altona, deportiert am 25.10.1941 nach Lodz, dort am 21.5.1944 gestorben

Brunsberg 9 (Walderseestraße 9) / Sievekingplatz 1 Ziviljustizgebäude

Schon der Vater und Großvater von Alfred Rinteln hatten studiert und waren promoviert worden. Fast folgerichtig schlugen auch Alfred Rinteln und seine Brüder diesen Weg in die gehobenen bürgerlichen Kreise ein.

Der in Detmold geborene Großvater Siegfried Rinteln (1816–1897) praktizierte seit circa 1854 als einer von sieben (Bade-)Ärzten in Bad Oeynhausen. 1866 wurde er als "königlicher Brunnenarzt in Oeynhausen" erwähnt. Er erhielt den Titel Sanitätsrat und wurde mit dem preußischen Roten Adler Orden ausgezeichnet. 1856 hatte er für seine sechsköpfige Familie in Bad Oeynhausen ein Haus gekauft (Herforder Straße 44). Das Grab für ihn und seine Ehefrau Fanny Rinteln, geb. Eltzbacher (1828–1905), auf dem Jüdischen Friedhof in Vlotho, der zuständigen Jüdischen Gemeinde für Bad Oeynhausen, existiert noch. Julius, eines seiner vier Kinder, der spätere Vater von Alfred Rinteln, studierte Jura und wurde Richter.

Als königlicher Amtsrichter war Julius Rinteln (1850–1927) mit seiner Ehefrau Anna, geb. Meyer (geb. 11.6. 1860 in Hannover), dem üblichen Versetzungsprocedere für obere Behördenmitarbeiter unterworfen. Eine Karriere im preußischen Justizdienst brachte unweigerlich häufigere Wohnortwechsel mit sich. So war Julius Rinteln von 1873 bis 1876 Gerichtsreferendar in Kassel, 1876 in Marburg, 1877/78 wieder in Kassel, 1878 in Bockenheim, 1879 bis 1880 erneut in Kassel und ab 1880 in Bochum tätig. Die Geburtsorte der Kinder spiegeln diese Heimatlosigkeit wider: Elisabeth "Lisbeth" (geb. 1885 in Oeynhausen), Eduard Walter (geb. 1887 in Bochum), Alfred (geb. 1891 in Essen) und Rudolf (geb. 1898 in Essen). Nach sieben Jahren als Landgerichtsrat in Essen wurde Julius Rinteln 1898 Landgerichtsrat in Kassel. 1910 wurde er zum Geheimen Justizrat ernannt und mit dem Roten Adler Orden 4. Klasse dekoriert.

Seine drei Söhne traten in die Fußstapfen des Vaters und wurden Juristen: Eduard Walter Rinteln wurde Rechtsanwalt, Alfred Rinteln wurde Richter, auch Rudolf studierte u. a. 1919/20 in Marburg und wurde promoviert.

Alfred Rinteln hatte nach seinem Abitur am Wilhelmgymnasium in Kassel (1909), dem anschließenden Jurastudium in Leipzig (1909/10), Lausanne (1910), Berlin (1910/11) und Marburg (1911/12) im Juli 1913 an der Universität Göttingen über "Die Pfändung einer Höchstbetragshypothek" seine Doktorarbeit geschrieben. Im März 1913 bestand er die Referendarsprüfung in Kassel und im März 1920 die große Staatsprüfung in Berlin und war anschließend Gerichtsassessor im preußischen Justizdienst.

Nachdem er von 1919 bis 1922 als Hilfsrichter beim Amtsgericht Kassel eingesetzt worden war, erhielt er im November 1922 eine Stelle als Landgerichtsrat beim Landgericht Altona, das damals noch preußisch war und zum Oberlandesgerichtsbezirk Kiel gehörte. Alfred Rinteln hatte nun mit 31 Jahren die Stufe der juristischen Laufbahn erklommen, die sein Vater erst in reiferen Jahren erlangt hatte. Für einige Zeit wohnte er in Altona in der repräsentativen Straße Palmaille Hausnummer 19 zur Untermiete. In Altona lernte er auch seine künftige Ehefrau kennen: Rahel Cohn war die Tochter des Altonaer Kaufmanns Isaac Cohn (geb. 19.3.1862 in Altona, gestorben 7.12. 1942 in The­resienstadt) und dessen Ehefrau Johanna, geb. Plaut (1857–1930).

Vermutlich besuchte sie wie ihre Schwester die Israelitische Gemeindeschule in Altona in der Grünestraße 5. Ihre Schwester Rosa Cohn (geb. 24.10.1894 in Altona) half von 1910 bis 1920 im Haushalts­warengeschäft des Vaters als Verkäuferin im Einkauf und emigrierte im Januar 1939 zusammen mit ihrem Mann Max Moritz nach Palästina (Tel Aviv). Der Bruder Julius Cohn (geb. 7.11.1897 in Altona) starb im Mai 1917 als Soldat an der Westfront – einer von 44 Kriegs­toten der Jüdischen Gemeinde Altona im Ersten Weltkrieg. Im März 1926 heirateten Alfred Rinteln und Rahel Cohn, die Ehe blieb kinderlos. Aus der Wohnung Braunschweiger Straße 9, I. Stock, wo Alfred Rinteln über zwei Jahre möbliert gewohnt hatte, zogen die Eheleute in die Altonaer Hochstraße (damals der westliche Teil der Hamburger Hochstraße) Nr. 27, 2. Stock.

Seit 1923 war Alfred Rinteln Mitglied der Hochdeutschen Israelitischen Gemeinde Altona, deren Synagoge in der Papagoyenstraße über den Eingang Altonaer Hochstraße 52 betreten wurde. Während in Hamburg zu dieser Zeit rund 20.000 Juden lebten, waren es in Altona nur 2400.

Im Mai 1927 verunglückte der pensionierte Landgerichtsrat Julius Rinteln in Kassel tödlich. Dabei verletzte sich seine Ehefrau so schwer, dass sie mit einer "Geistesstörung" in die "Irrenanstalt" Hamburg-Friedrichsberg eingeliefert werden musste. Alfred Rinteln kümmerte sich nun so gut es ging um seine Mutter. Spätestens seit 1931 wohnte er mit seiner Frau wieder in Altona-Ottensen in der Braunschweigerstraße 9, 1. Stock, in direkter Nachbarschaft zum Platz der Republik. Am 4. Januar 1937 starb Alfred Rintelns Mutter Anna Rinteln, geb. Meyer, mit 76 Jahren, die seit 1934 ebenfalls in der Braunschweigerstraße 9 gelebt hatte.

Alfred Rintelns Schwester war mit dem ebenfalls jüdischen Altonaer Rechtsanwalt und SPD-Stadtverordneten Willy Victor verheiratet. Die Tatsache, dass es in einigen Fällen zu beruflichen Begegnungen der beiden Schwäger im Gerichtssaal kam, nutzte das neue Justizressort nach der "Machtergreifung" zur sofortigen Beurlaubung des Richters und einer Untersagung der Berufsausübung des Rechtsanwalts Willy Victor.

Mit Ablauf des 30. September 1933 wurde der 42-jährige Alfred Rinteln von den Nationalsozialisten aufgrund des im April 1933 erlassenen "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Noch 1932 war in seiner Beurteilung zu lesen: "Ein durchaus begabter Richter mit schneller und guter Auffassung, auch gründlichen Kenntnissen, der gewissenhaft und pünktlich arbeitet. Seine sonst befriedigenden Leistungen leiden nur darunter, daß er etwas bequem und in der Verhandlung nicht bestimmt und deutlich genug ist. Führung ohne Tadel."

Der Oberlandesgerichtspräsident informierte den Landgerichtspräsidenten von Altona am 5. Juli 1933 über die Entlassung: "Ich ersuche den Beamten mit Ende September 1933 aus seinem Amte zu entlassen. Wegen Wiederbesetzung der hierdurch freigewordenen Stelle ergeht demnächst weitere Verfügung." Rund 20 Prozent der Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Altonas emigrierten in diesem Jahr.

Im Zuge des Novemberpogroms 1938 soll Alfred Rinteln ins KZ Fuhlsbüttel verschleppt worden sein, Belege dafür fanden wir nicht.

Ende April 1939 wurde der Mieterschutz für Juden aufgehoben, das Ehepaar Rinteln musste die Wohnung räumen und zog nach Lokstedt in das Haus Walderseestraße 9, das den jüdischen Eheleuten Lipmann und Bella Josias (s. d.) gehörte. Auch Leo Haarburger (gestorben am 16.12.1938 im KZ Sachsenhausen) wohnte dort für kurze Zeit.

1938/39 musste das Ehepaar Rinteln eine so genannte Judenvermögensabgabe von rund 65000 RM an den NS-Staat abführen.

Am 14. Juni 1939 wurde Alfred Rinteln zur mündlichen Vernehmung in die Devisenstelle (Großer Burstah 31) vorgeladen. Ziel war die Überprüfung der Angaben und gegebenenfalls eine "Sicherungsanordnung", was den Entzug der Verfügungsgewalt über das eigene Vermögen bedeutete, auf die am 20. Juni 1939 zunächst noch verzichtet wurde. Am 31. Januar 1940 wurde sie erlassen, das Ehepaar durfte nur noch über einen genehmigten monatlichen Betrag verfügen.

Wie alle Juden waren beide seit dem 19. September 1941 verpflichtet, in der Öffentlichkeit deutlich sichtbar einen "Judenstern" an der Kleidung zu tragen. Am 22. Oktober 1941 erhielt Alfred Rinteln von der Gestapo einen schriftlichen "Evakuierungsbefehl". Mit dem ersten Deportationszug, der Hamburg verließ, wurden Alfred und Rahel Rinteln am 25. Okto­ber 1941 ins Getto Lodz deportiert. Dort erhielten sie in der Cranachstraße 6 in Wohnung 3 Quartier. Eine "Kassenanweisung" des Oberlandesgerichtspräsidenten vom 29. Oktober 1941 regelte die umgehende Streichung der Versorgungsbezüge, "weil der Versorgungsempfänger mit unbekanntem Ziel aus Hamburg evakuiert worden ist".

Im November 1941 wurde das in Hamburg verbliebene Vermögen der Eheleute Rinteln "zu Gunsten des Reiches eingezogen". Der Hausrat wurde versteigert und erbrachte einen Erlös von 3426,30 RM.

Mitte Dezember 1941 bestätigte "der Älteste der Juden in Litzmannstadt", Chaim Rumkowski, dass Alfred Rinteln noch am Leben war und gab als Quartier im Getto die Mühlengasse 25 an. Ein halbes Jahr später starb Alfred Rinteln im Alter von 50 Jahren im Getto. Den nur wenige Wochen vorher durchgeführten "Aussiedlungen" von 11.000 Getto-Insassen nach Chelmno/Kulmhof, wo die Ankommenden sofort in umgebauten Gas-LKW ermordet wurden, waren Alfred und Rahel Rinteln noch entgangen. Da als Grund für die Rückstellung neben einer Arbeitsstelle im Getto Lodz nur die Tatsache anerkannt wurden, dass jemandem als Kriegsteilnehmer das Eiserne Kreuz oder Verwundetenabzeichen verliehen worden war, dürfte das Ehepaar Rinteln über eine offizielle Arbeitsstelle im Getto verfügt haben. Möglicherweise half ihnen dabei die Bekanntschaft mit Lipmann (Leo) Josias, der im Getto zum festen Stellvertreter des Transportleiters ernannt worden war. Rahel Rinteln, geb. Cohn, konnte noch bis zum Mai 1944 im Getto Lodz überleben, dann starb auch sie – 48-jährig.

Ihr 80-jähriger Vater Isaac Cohn, der Ende 1941 aus dem Altenhaus der Deutsch-Israelitischen Gemeinde (Sedanstraße 23) in die Schäferkampsallee 18 umziehen musste, wurde am 15. Juli 1942 ins Getto Theresienstadt deportiert und starb dort fünf Monate später. Ihm hatte Alfred Rinteln noch kurz vor der Deportation eine General-Vollmacht für alle Angelegenheiten erteilt.

Eduard Walter Rinteln, der ältere Bruder von Alfred Rinteln, wurde im November 1938 ins KZ Sachsenhausen verschleppt, 1939 flüchtete er über Belgien nach Frankreich. Nach Beginn des deutschen Angriffs auf Frankreich (Juni 1940) wurden die dort lebenden deutschen Emigranten als feindliche Ausländer interniert. Nachdem die deutschen Truppen ins Land einmarschiert waren, fielen viele der festgesetzten Emigranten ihren Verfolgern erneut in die Hände. Aus dem Lager Drancy wurde Walter Rinteln am 4. März 1943 nach Majdanek deportiert. Sein genaues Todesdatum ist unbekannt.

Der Schwester Lisbeth Victor, geb. Rinteln, verheiratet mit dem Rechtsanwalt und Notar Willy Victor (1876–1956), gelang mit ihrer Familie die Emigration nach Palästina.
1956 kehrte Rudolf Rinteln (1898–1962), der jüngere Bruder von Alfred Rinteln und mittlerweile britischer Staatsbürger, aus dem australischen Exil nach Deutschland zurück.

© Björn Eggert

Quellen: 1; 2; 4; 5; 8; StaH 241-2 (Justizverwaltung Personalakten), Abl. 1986 I, Rinteln, Alfred (Einträge nur 1933–1958); StaH 314-15 (OFP), R 1940/71 (Dr. Alfred Rinteln); StaH 332-5 (Standesamtsunterlagen), 5379 und 577/1930 (Sterbe-Hauptregister Altona I); StaH 351-11 (AfW), Eg 270791 (Alfred Rinteln); StaH 351-11 (AfW), 241094 (Rosi Moritz, geb. Cohn); Bundesarchiv Berlin, R 3001/72396 (Personalakte Alfred Rinteln, 1919–1933); Bundesarchiv Berlin, Liste der jüdischen Einwohner im Deutschen Reich, Volkszählung, Residentenkartei 1939; Stadtarchiv Bad Oeynhausen (Angaben zu Dr. Siegfried Rinteln); Stadtarchiv Bochum, Geburtsurkunde von Walter Eduard Rinteln, 1887; Stadtarchiv Essen, Adressbücher 1891, 1898, Festschrift zur Einweihung des neuen Justizgebäudes in Essen, 1913, S. 33; Stadtarchiv Kassel, Einwohnermeldekartei u. Sterberegister 1927 (Dr. Julius Rinteln); Stadtbüro Marburg, Melderegister (Alfred Rinteln, Rudolf Rinteln); Universität Göttingen, Promotionsakte 0733; Stadt Kassel, Einwohnerservice, Auskunft zu Dr. Rudolf Rinteln und Juliana Rinteln, 2010; AB Altona 1931; TB 1931–1940 (Rinteln); Yad Vashem, Liste der Ghetto-Bewohner von Lodz 1940–1944; Stadtteilarchiv Ottensen, Ohne uns hätten sie das gar nicht machen können – Nazi-Zeit und Nachkrieg in Altona und Ottensen, Hamburg 1985, S. 136 (Synagoge Alto­na); Stadtteilarchiv Ottensen, Die Kehille – Geschichte und Geschichten der Altonaer jüdischen Gemeinde, Hamburg 1996, S. 237 (Grenze), S. 252 (Mitgliederzahl), S. 260 (Emigrationszahl 1933); Handbuch über den Königlich Preußischen Hof und Staat 1880/81, 1885/86, 1891, 1895, 1897, 1900, 1910, 1911, 1912, 1914, 1918 (Dr. Julius Rinteln); Haus-, Hof- u. Staatskalender für den preußischen Staat, 1922 (Dr. Julius Rinteln); Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte, Hans H. Lembke, Erinnerung an die Ehepaare Josias und Rinteln, Heft 47, Kiel 2006, S. 143–145; Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwälte in Hamburg – Ausgrenzung und Verfolgung im NS-Staat, Hamburg 2003, S. 175 (Dr. Victor).
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

druckansicht  / Seitenanfang