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Israel Johannes Rubanowitsch
Israel Johannes Rubanowitsch
© Archiv Holstenwall

Israel Johannes Rubanowitsch * 1866

Schulweg 48 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1940 KZ Sachsenhausen
04.06.1941 ermordet in Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein

Israel Johannes Rubanowitsch, geb. am 12.5.1866 in Reshitza, heute Weißrussland, mehrfach verhaftet, am 4.6.1941 ermordet in Sonnenstein bei Pirna, Tötungsanstalt

Schulweg 48

Israel Johannes Rubanowitsch kam aus einer versunkenen, uns heute sehr fernen Welt nach Hamburg: er war im vorrevolutionären Russland als Sohn russischer Juden geboren und zog als Kind mit seinen Eltern nach Reval, in die baltische Provinz Estland. Geboren wurde er in Reshitza. Über das Städtchen hieß es 1841: "Reshitza, kleine Kreisstadt, am Flüsschen gleichen Namens, 507 Werste von St. Petersburg, 869 von Moskau und 293 von Witebsk, mit 750 Einwohnern". Zum Geburtsort und -datum von Israel Johannes Rubanowitsch existieren allerdings unterschiedliche Angaben. Laut Gedenkbuch des Bundesarchivs wurde er am 25.5.1864 in Resicabánya, einer kleinen Industriestadt im damaligen Banater Bergland in Ungarn geboren. Der deutsche Name dieses Ortes war Reschitza im Kraschoer Komitat. In den Akten sind auch verschiedene Geburtsdaten angegeben, der 12.5.1866 erscheint als wahrscheinlich.

Israel Rubanowitsch kam aus einer strenggläubigen jüdischen Familie und erhielt den jüdischen Vornamen Israel. Den Namen Johannes bekam er erst später anlässlich seiner Konversion und Taufe. Seine Eltern hießen Ruben und Rebekka (Riwka) Rubanowitsch. Der Vater war laut Eintrag im Taufschein Soldat gewesen. Um 1872 zog die Familie nach Estland in die Ostseestadt Reval (heute: Tallin). Israel Rubanowitsch hatte drei jüngere Schwestern: Sophie Helena (geb. 1871), Rahel (geb. 1873) und Lea (geb. 1878). Schon kurz nach der Geburt der jüngsten Schwester starb der Vater im Alter von 38 Jahren.

Israel Rubanowitsch erhielt Unterweisung im jüdischen Glauben und in der hebräischen Sprache. Er sprach schon als Jugendlicher Russisch, Deutsch und Estnisch und erlernte später noch weitere Sprachen. Nach Abschluss der deutschen Elementarschule für Knaben in Reval begann er eine Lederschaftmacherlehre und arbeitete anschließend bei einem Schuster. Unter dem Einfluss einer frommen evangelischen Kindergärtnerin, die seine Schwester betreute, wandte sich der Heranwachsende dem evangelischen Glauben zu. Adele Krause, die eine wohlhabende Frau gewesen sein muss, bezeichnete er später als seine "Glaubensmutter".

Anlässlich seiner Taufe am 16. Juni 1885 in der St. Olai Kirche in Reval empfing er den Namen Johannes. Mit ihm ließen sich auch seine Mutter und zwei seiner Schwestern taufen. Durch Vermittlung wurde er im selben Jahr in die Ausbildung der Missionsanstalt Neukirchen bei Moers aufgenommen und absolvierte dort ein dreijähriges Studium. Schon während der Ausbildungszeit zeigte sich sein evangelistisches Charisma. Wegen einer Erkrankung kehrte er im Herbst 1889 nach Reval zurück. Ab Weihnachten 1889 predigte er in Estland, vorwiegend in der Revaler Herrenhuter Brüdergemeinde. 1892 besuchte er zwecks eines Studienaufenthaltes erneut die Missionsanstalt Neukirchen, unternahm Vortragsreisen durch die größeren Städte Deutschlands und kehrte wiederum nach Estland zurück. Er muss ein eindrucksvoller Prediger gewesen sein, denn es gibt angeblich bis heute in Estland Gemeinden, die von Johannes Rubanowitsch begründet wurden. Das gilt etwa für eine Gemeinde in Pärnu (früher Pernau). Bis Anfang der 1930er Jahre hat Rubanowitsch die Stadt Tallin, wie sie nach dem Ersten Weltkrieg hieß, regelmäßig besucht, zuletzt vermutlich im Herbst 1934.

In der Kirche Estlands spielte Mitte des 19. Jahrhunderts die Erweckungsbewegung eine große Rolle. Als Erweckungsbewegungen werden Strömungen im Christentum bezeichnet, die die Bekehrung des Einzelnen und eine christliche Lebenspraxis besonders betonen. Gemeinchristliche oder konfessionelle Dogmen treten hinter ein ursprüngliches Verständnis eines direkt aus der Bibel entnommenen Evangeliums zurück. Erweckungsbewegungen gehen davon aus, dass lebendiges Christentum mit der Antwort des Menschen auf den Ruf des Evangeliums zur Umkehr und geistiger Erneuerung beginnt. Johannes Rubanowitsch war sehr erfolgreich bei seinen Evangelisationen und hatte viele Anhänger, wobei er Arbeiter offenbar ebenso ansprach wie Adlige. Aus heutiger Sicht wirken seine Predigten eher befremdlich, aber um die Jahrhundertwende waren die Menschen seinen Erweckungspredigten gegenüber aufgeschlossen. Der Theologe Jan-Peter Graap schrieb, er habe eher "Drohbotschaften" als "Frohbotschaften" verkündet, gleichwohl erreichte er viele Menschen, die sich in persönlichen Krisen befanden, z. B. alkoholabhängig waren und ihr Leben dann veränderten.

1895 heiratete Johannes Rubanowitsch in Reval Ida Helene Lohberg (geb. am 19.9.1855 in Reval), deren Eltern Georg Lohberg und Therese Lohberg, geb. Frei, vermutlich Baltendeutsche waren. Auch Ida Helene war evangelisch-lutherisch getauft. Das Ehepaar verlegte seinen Wohnsitz von Reval nach Schwelm. Dort wurde auch das einzige Kind, die Tochter Elisabeth (1896–1982) geboren. Die Familie blieb anderthalb Jahre in Schwelm und zog dann für fünf Jahre nach Straßburg im Elsass, von wo aus Israel Johannes Rubanowitsch wie schon zuvor als "Wanderprediger" tätig war. 1896/97 predigte er in Langnau in der Schweiz und in Dillingen, Ostern 1898 in Berlin, im Oktober in Stettin, und zwischen 1900 und 1902 hielt er sich vor allem in Schlesien auf und erhielt den Beinamen "Erwecker Schlesiens". 1896 und 1898 war er wohl auch in Hamburg, verkündigte das Evangelium und beeindruckte viele Menschen so sehr, dass man ihn 1902 nach Hamburg holte und zum geistlichen Leiter der Holstenwallgemeinschaft zu Hamburg samt des Diakonissenmutterhauses "Elim" berief. Die kirchliche Gemeinschaft am Holstenwall 21 trug damals den Namen "Philadelphia". Ab 1904 gab Johannes Rubanowitsch die Zeitschrift "Was sagt die Schrift?" heraus. Die Wohnung der Familie Rubanowitsch befand sich immer am Schulweg 48.

1910 stellte Israel Johannes Rubanowitsch in Hamburg für sich und seine Ehefrau den Antrag auf Einbürgerung, und am 19. Dezember 1912 verfügte das russische Ministerkomitee, ihn aus dem Staatsverband Russland zu entlassen. Er wurde Hamburger Staatsbürger. In der Begründung für eine positive Entscheidung wurde auch angeführt, dass Johannes Rubanowitsch schon seit vielen Jahren dem christlichen Glauben angehöre. Eine wesentliche Voraussetzung für seine Einbürgerung waren seine wirtschaftlichen Verhältnisse. Zu der Zeit besaß er, wie er angab, ein Vermögen von 49.000 Mark und erhielt neben seinem Gehalt und Unterstützung für die Miete aus früheren Diensten ein Legat von 2.000 Mark jährlich.

In der Folgezeit kam es im theologischen Denken und den Predigten Rubanowitschs zu einer immer stärkeren Annäherung an den Talmud, was zu Spannungen in der Gemeinde führte. Am 4. September 1914 starb seine Ehefrau, die schon von Jugend an gekränkelt hatte und wohl auch unter Depressionen litt. Zu den Spannungen trug bei, dass es Gerüchte über einen "anstößigen Lebenswandel" gab. Ende September 1918 kam es zum Bruch mit der Gemeinde. Rubanowitsch gründete mit seinen Anhängern Ende Oktober 1918 eine neue Gemeinde, die "Evangelisch-kirchliche Gemeinschaft" mit Sitz am Holstenwall 12. Diese Gemeinde hieß auch "Gemeinde unter dem weißen Pferd". Die Konflikte in der christlichen Gemeinschaft sind heute nur noch schwer nachvollziehbar. Israel Johannes Rubanowitsch soll einen sehr autoritären Führungsstil gehabt haben. Doch viele Mitglieder der Gemeinschaft – in der Zeit seiner Tätigkeit waren zahlreiche Mitglieder gewonnen worden – verehrten ihn und nannten ihn "Väterchen".

Unter anderem durch die Auseinandersetzungen in der Gemeinde war Johannes Rubanowitsch Anfang der 1920er Jahre gesundheitlich sehr angegriffen und nahm deshalb ein An­gebot aus Frankfurt am Main an, dort in einem Arzthaushalt zu leben. Zwischen 1921 und 1924 hielt er sich dort mehrmals für längere Zeit auf. Offenbar reifte in dieser Zeit der Plan zu einem Kontakt zur Herrnhuter Schriftstellerin Alice von Wiedebach-Nostiz. In ihrem Haus hielt er im November 1925 Andachten.

Von der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieben die Gemeinde und ihr Prediger als "Judenchrist" nicht unbeeinträchtigt. Anfang 1935 wurde Rubanowitsch, der nun als "Rassejude" galt, verhaftet, sein Vermögen beschlagnahmt, seine Zeitschrift "Das volle Heil", die ab Dezember 1929 erschienen war, verboten. Durch die nach Berlin berichteten Tagesmeldungen der Hamburger Gestapo ist seine Verhaftung am 28. Februar wegen "Verdachts volksschädigenden Verhaltens und staatsfeindlicher Äußerungen" aktenkundig geworden. Die Be­schlagnahme des Vermögens wurde wieder aufgehoben, aber die "Evangelisch kirchliche Gemeinschaft" Holstenwall 12 wurde für das gesamte hamburgische Staatsgebiet laut Amtlichem Anzeiger vom 13. März 1935 aufgelöst und eine Neugründung verboten. Zudem erhielt Israel Johannes Rubanowitsch ein reichsweites Predigtverbot. In den folgenden Jahren blieb er unbehelligt, bis ihm Ende 1938 sein Vermögen per "Sicherungsanordnung" bis auf eine monatliche Summe von 300 Reichsmark (RM) gesperrt wurde mit der gängigen Begründung: "Sie sind Jude. Es ist damit zu rechnen, dass Sie in nächster Zeit auswandern werden." Es wurde ihm gestattet, seiner Tochter Elisabeth Wertpapiere im Wert von 30.000 RM zu schenken (sie war nach nationalsozialistischer Definition "Mischling") und seiner ehemaligen "arischen" Hausangestellten Schwester Grete Lindenburg 1.700 RM zu vermachen. An "Judenvermögensabgabe" musste er über 8.000 RM mit Wertpapieren aus seinem Depot bezahlen.

Endgültig verhaftet wurde Israel Johannes Rubanowitsch am 29. Juli 1939. Seine "Schutzhaft" im Polizeigefängnis Fuhlsbüttel ist für den 5. Oktober 1939 bis zum 11. April 1940 nachweisbar. Am 15. April 1940 überstellte ihn die Gestapo dem KZ Sachsenhausen, wo er die Häftlings-Nr. 18591 erhielt. 1940 waren sehr viele Häftlinge nach Sachsenhausen eingeliefert worden, und durch die katastrophalen Lebensbedingungen dort stieg die Zahl der erwerbsunfähigen Häftlinge stark an. Für die Nationalsozialisten waren das "Ballastexistenzen". Im April 1941 führte der Arzt Friedrich Mennecke eine Selektion durch und wählte 400 Häftlinge für die Aktion "14f13" aus. Diese Aktion mit dem bürokratischen Kürzel lag zeitlich zwischen der "Euthanasie" der "geistig" und körperlich Behinderten und dem organisierten Massenmord an den Juden. Insassen von KZs wurden selektiert und in drei Tötungsanstalten mit Gas ermordet. Anfang Juni, als 131 der in Sachsenhausen Selektierten schon gestorben waren, wurden die Übrigen in die Anstalt Pirna-Sonnenstein gebracht und ermordet, unter ihnen 29 Juden, zu denen auch Israel Johannes Rubanowitsch gehörte.

Die Devisenstelle des Oberfinanzpräsidenten in Hamburg hob mit Schreiben vom 25. Februar 1942 die "Sicherungsanordnung" auf, "da der Genannte gestorben ist".

Nach Kriegsende gelang es der Tochter, die angeblichen sterblichen Überreste in einer Urne nach Hamburg zu holen und auf dem Friedhof am Diebsteich bestatten zu lassen. Elisabeth Rubanowitsch verstarb 1982.

© Dr. Ulrich Betz, Susanne Lohmeyer

Quellen: 2 (R1938/3444; FVg 8776; Ablieferung 1998 R251); 4; 5; StaH 213-8 Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht-Verwaltung, Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 d und Ablieferung 2, 451 a E 1, 1 e; StaH 332-7 Staatsangehörigkeitsaufsicht, B III + 103173; StaH 351-11 AfW,8874; August Jung, Israel Johannes Rubanowitsch; Dazu Rezension von Dr. Franz Graf-Stuhlhofer, in: Theologische Gespräche 32/2008, Heft 3, S. 149–154; Hermann Brause, Autobiographische Notizen; Brief von Hermann Brause vom 7.4.2012; Bundesarchiv Berlin, PSt 3/27, S. 138; Ulrich Betz, Leuchtfeuer und Oase, S. 34ff.; Günter Morsch, Jüdische Häftlinge, S. 194, 300; Jan-Peter Graap, Israel Johannes Rubanowitsch; Astrid Ley, Vom Krankenmord zum Genozid; Harry Naujoks, Mein Leben im KZ Sachsenhausen, S. 247ff.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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