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Oswald Kanzler
© Hans-Joachim Meyer

Oswald Kanzler * 1883

Hoppenstedtstraße 53 (Harburg, Eißendorf)

KZ Fuhlsbüttel
ermordet am 16.9.1944 KZ Fuhlsbüttel

Oswald Kanzler, geb. 18.4.1883 in Oebishausen (Kreis Weimar), am 16.9.1944 im Gestapogefängnis Fuhlsbüttel umgekommen

Stadtteil Eißendorf, Hoppenstedtstraße 53

Oswald Kanzler erlernte das Formerhandwerk (zur Herstellung von Gussformen aus Metall) und ging nach seiner Lehrzeit auf Wanderschaft. Ab 1905 arbeitete er in seinem Beruf in der Maschinenfabrik Georg Niemeyer in Bostelbek. Er nahm am Ersten Weltkrieg als Soldat teil. Nach dem Krieg wurde er Betriebsratsvorsitzender bei Niemeyer. Er heiratete Emilie Bademann, geb. am 9.1.1886 in Harburg. Am 25.7.1908 bekamen sie ihre Tochter Gertrud. Zur Familie gehörte außerdem der Pflegesohn Hans Bademann, geb. am 28.10.1912 in Harburg. Er ging 1927 als Lehrling nach Kassel.

Ab 1924 war Oswald Kanzler hauptamtlicher Parteisekretär der Harburger SPD bis zu ihrem Verbot im Juni 1933. Seine Arbeitsstelle befand sich im Volksblattgebäude am Großen Schippsee 8, wo nicht nur die sozialdemokratische Tageszeitung "Volksblatt für Harburg-Wilhelmsburg und Umgegend", sondern auch die örtliche Parteizentrale, die Gewerkschaften des ADGB und der AfA-Bund (die Freien Angestelltengewerkschaften) untergebracht waren. Außerdem fungierte Oswald Kanzler ab 1926 als Bürgervorsteher (Abgeord­neter) im Stadtparlament von Harburg bzw. Harburg-Wilhelmsburg und ab 1928 als Mitglied des preußischen Staatsrats. Er wohnte zunächst (1914) in der Grumbrechtstraße 32, nach dem Krieg in der Lindenstraße 65 (heute: Julius-Ludowieg-Straße), später ab Oktober 1927 in der Hoppenstedtstraße 53. In der Siedlung an dieser Straße wohnten viele führende Sozialdemokraten, bei deren Gegnern hieß sie deshalb verächtlich "Bonzen-Siedlung".

Am 29. Mai 1933 hielt Oswald Kanzler seine letzte Rede im Bürgervorsteherkollegium in einer Haushaltsdebatte. Er verteidigte sich gegen den Vorwurf der "SPD-Misswirtschaft". Er argumentierte, die Arbeitslosigkeit und Verschuldung seien Folge der Wirtschaftskrise und nicht der SPD-Politik. Dennoch wurde der Haushalt der nationalsozialistischen Mehrheit einstimmig, also auch mit Kanzlers Stimme und denen der restlichen SPD-Abgeordneten, angenommen. Nach dem Verbot der SPD am 22. Juni 1933 war Oswald Kanzler arbeitslos. Das Volksblattgebäude, Kanzlers Arbeitsstelle, war wie auch die Gewerkschaftshäuser schon am 2. Mai von der "Deutschen Arbeitsfront" übernommen worden.

Am 29. Juni kam er für einen Tag in "Schutzhaft" im Harburger Gerichtsgefängnis an der Buxtehuder Straße. Im Juli 1933 wurde er erneut festgenommen und diesmal einige Wochen inhaftiert. Danach überwachte die Gestapo ihn als führenden Politiker der Harburger SPD. Er versuchte, sich durch den Verkauf von Waschpulver und Seife an Bekannte durchzuschlagen. Dann arbeitete er als Vertreter bei einer Versicherung.

Um einer möglichen Opposition ihre führenden Köpfe zu nehmen, führten die Nationalsozialisten nach dem Attatentatsversuch auf Hitler am 20. Juli 1944 im August 1944 die "Aktion Gewitter" durch. In ganz Deutschland fanden Massenverhaftungen statt, besonders gegen frühere Kommunalpoliker und Abgeordnete liberaler, linker und bürgerlicher Parteien. Der bereits seit 1933 inhaftierte KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann wurde am 18. August erschossen, der frühere SPD-Reichstagsabgeordnete Rudolf Breitscheid am 24. August im KZ Buchenwald ermordet.

Unter den jetzt Verhafteten befand sich Oswald Kanzler, er wurde am 22. August 1944 festgenommen und kam ins Gestapogefängnis Fuhlsbüttel. Er war schwer herzkrank und benötigte Medikamente, die er aber in der Haft nicht bekam. Fast einen Monat lebte er noch, bevor er am 16. September 1944 starb. Sein Mithäftling, der Harburger Sozialdemokrat Alfred Höhlein, schrieb: "Die schlimmste Schikane, die die Gefängnisverwaltung und der Gefängnisarzt an Herrn Kanzler ausübten(!), war die, dass man ihm Präparate, die er zur Stärkung immer einnahm, vorenthielt. Wir alle, die in einem Saal mit ihm eingeschlossen waren, mussten mit ansehen, wie Herr Kanzler sich quälen musste, und sind alle der Meinung, dass nicht sein Herzleiden, sondern die an uns verübten Drangsalierungen und der Entzug der Medikamente die Todesursache war."

Oswald Kanzlers Tochter Gertrud beteiligte sich in Altona am kommunistischen Widerstand, sie wurde 1936 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach ihrer Haft wurde sie nach Hause entlassen. Sie heiratete den Kommunisten Otto Nehring. Nach 1945 saß Gertrud Nehring für die KPD (zeitweise als Fraktionsvorsitzende) im Harburger Bezirksausschuss, dem heutigen Bezirksparlament.

Seit 1988 gibt es den Oswald-Kanzler-Weg (in Wilstorf, Abzweigung Radickestraße).

© Hans-Joachim Meyer

Quellen: VVN-BdA Harburg (Hrsg.), Die anderen, S. 314f.; StaH, 332-8 Meldewesen, A46; StaH, 430-64 Amtsgericht Harburg II B 25; StaH, Adressbücher Harburg-Wilhelmsburg; VVN, Komitee-Akten; Diercks, Gedenkbuch; Notizen Gertrud Nehring, geb. Kanzler; Heyl/Maronde-Heyl, Abschlussbericht; Totenliste VAN.

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