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Porträt Jenny Löwengard, 1939
Jenny Löwengard, 1939
© Privat

Jenny Löwengard (geborene Kanitz) * 1869

Heimhuder Straße 40 (Eimsbüttel, Rotherbaum)


HIER WOHNTE
JENNY LÖWENGARD
GEB. KANITZ
JG. 1869
VOR DEPORTATION
FLUCHT IN DEN TOD
19.7.1942

Weitere Stolpersteine in Heimhuder Straße 40:
Bruno Spiro

Jenny Löwengard, geb. Kanitz, geb. am 12.10.1869 in Wien, Suizid am 19.7.1942 in Hamburg

Heimhuder Straße 40

Die Enkelin von Jenny Löwengard, Ruth Maria (Mia) Lipski, geb. Künkel, schreibt 2016 über ihre Großmutter:
Ich habe schöne Erinnerungen an Hamburg, wo ich mehrere Ferien bei meiner Großmutter, Jenny Löwengard, verbracht habe, die die meiste Zeit ihres Lebens in Hamburg gelebt hatte. Sie hatte meinen Großvater Alfred Leopold Löwengard, einen angesehenen Architekten und Geschäftsmann, 1894 in Österreich geheiratet. Er starb 1923. Beide waren jüdischer Abstammung, praktizierten ihre Religion aber nicht. Ihre vier Kinder ließen sie kurz nach ihrer Geburt christlich taufen, um mit der deutschen Kultur, die sie sehr liebten, eins zu werden. Die beiden Söhne, Manfred, der nach dem Novemberpogrom von 1938 vier Monate lang im KZ Sachsenhausen inhaftiert war, und Kurt, wanderten Anfang 1939 nach England aus. Sie wollten ihre Mutter mitnehmen, doch diese lehnte ab. Sie fühlte sich kulturell "deutsch" und wollte in ihrer "Heimat" sterben. Der älteste, Kurt Löwengard, war Künstler. Sein Leben und Werk hat Maike Bruhns im Jahr 1989 in einem Buch veröffentlicht: "Kurt Löwengard, ein vergessener Hamburger Maler" (s. www.stolpersteine-hamburg.de).

Meine Mutter Auguste, die älteste Tochter, war mit meinem ( "arischen") Vater, Fritz Künkel, verheiratet. Das machte mich zur "Halbjüdin" und damit vor den Nazis relativ sicher. Meine Mutter starb 1932, vor der Machtübergabe an das Nazi-Regime. Mein Vater stand den Quäkern nahe, die für ihn Vorträge in Europa und den USA organisierten, was ihm half, seine Familie in die USA zu bringen. Er schickte uns auf die Quäker-Schule in Eerde (Niederlande) als Vorbereitung zum Studium in den USA. Dort habe ich mich mit Ursula Bein (s. www.stolpersteine-hamburg.de) befreundet. Jennys andere Tochter Käthe war mit einem "Arier", Gustav Witt, einem bekannten Musiker (Pianist und Gesangslehrer) in Hamburg verheiratet. Sie hatten einen Sohn, und alle überlebten die NS-Zeit ohne Probleme.

Meine Großmutter wohnte im Rehhagen 9 (jetzt Gustav Leo Straße), als ich sie besuchte. Um die Ecke lagen das Studio meines Onkels Kurt und ein wunderschöner Park, den sie täglich besuchte. Als ihr Enkel Thomas Witt, der in Hamburg lebte, etwa ein Jahr alt war, nannte er sie "Amo" statt "Oma". Da das Latein für "Ich liebe" ist, war meine Großmutter begeistert und wollte diesen Namen behalten; So wurde sie unsere "Amo". Sie war sehr intellektuell, liebte deutsche Literatur, Kunst, klassische Musik und wollte als Deutsche gelten. Der folgende Vorfall hat sich meinem Gedächtnis tief eingeprägt: Ich besuchte sie während meiner Osterferien 1936 (ich war zehn), als wir einen "Eintopfgericht Sonntag" hatten. Das war ein besonderer Tag, an dem alle Deutschen gebeten wurden, ihre Sonntagsmahlzeit in einem Topf (ein Eintopfgericht) zu kochen, um Geld zu sparen und die gesparte Summe beiseite zu legen. Sie sollte später für die armen und arbeitslosen Leute eingesammelt werden. Diese Idee sagte ihr sehr zu, und so hatten wir unsere Suppe am Sonntag. Sie zeigte mir das Geld, das sie beiseite gelegt hatte, und wartete, dass es eingesammelt werden sollte. Später hörten wir, wie die Hitler-Jungen bei den beiden anderen Wohnungen auf der Etage klingelten, aber sie kamen nicht an unsere Tür! Meine Großmutter brach in Tränen aus, es war das einzige Mal, dass ich sie jemals weinen sah. Ich sagte: "Aber Amo, sei froh, jetzt kannst du das Geld für etwas anderes verwenden". Sie sagte: "Nein, Mia, es tut weh, dass sie mein Geld nicht haben wollen, und ich möchte doch den armen und hungrigen Menschen helfen. Sie sind meine Leute." Jetzt verstehe ich auch, warum sie nicht mit ihren beiden Söhnen nach England auswandern wollte. Sie wollte in ihrem "Deutschland" sterben! Und sie sprang in die Alster, um zu vermeiden, deportiert zu werden und woanders zu sterben. Ich schicke ein Foto von ihr mit, das ich auf ihrem Balkon gemacht habe, als ich sie im Frühling 1939 das letzte Mal besuchte, das letzte Mal, dass ich sie sah.

Stand: November 2016
© Übersetzung aus dem Englischen und Bearbeitung Sabine Brunotte

Quellen: Schriftliche Auskünfte Ruth Maria Lipski, E-Mails vom 7.5.2016 und 31.10.2016; StaH Hamburg 332-5 9928; StaH 351-11 34326.

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