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Georg Philipp
Georg Philipp
© Privat

Georg Philipp * 1894

Bogenstraße 15 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)

1941 Minsk
ermordet 1943

Weitere Stolpersteine in Bogenstraße 15:
Lore-Emma Philipp, Henriette Worms, Louis Worms

Georg Philipp, geb. am 5.4.1894 in Berlin, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert
Lore-Emma Philipp, geb. Wolf, geb. am 7.3.1903 in Elberfeld, am 8.11.1941 nach Minsk deportiert

Bogenstraße 15

Am 6. November 1941 erhielten das jüdische Ehepaar Georg und Lore Philipp und ihr vierzehnjährigen Sohn Horst die Aufforderung zur "Aussiedlung" in den Osten. Sie wohnten seit Anfang 1939 in der Bogenstraße 15, wo sie sich eine Wohnung mit dem kinderlosen Ehepaar Alfred und Helene Katz teilten, das in einer "Mischehe" lebte. Alfred Katz betreute als "Sportmeister" Tennisplätze, nachdem er seine Tätigkeit als Vertreter hatte aufgeben müssen. Philipps standen zwei Zimmer und eine Küche zur Verfügung. Außer ihnen gab es weitere jüdische Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses, die Ärzte Max Besser, Alfonso de Castro und Alfred Alexander mit ihren Angehörigen, das Ehepaar Louis Worms und Henriette, geb. Schürmann, und im Erdgeschoss zwei Witwen, die pensionierte Lehrerin Caroline Magnus, geb. Arends, und Regina Salomon, geb. Klein. Gleichzeitig mit Familie Philipp erhielten die Eheleute Besser den Befehl zur "Evakuierung". Sie nahmen sich noch am selben Tag das Leben.

Georg Philipps Eltern, der Kaufmann Bernhard Philipp und seine Ehefrau Natalie, geb. Feld, lebten in Rathenow. Dort kamen ihre drei Kinder zur Welt, Gertrud, geb. 26.7.1897, Herta 11.8.1898, und Georg, geboren am 5.4.1894. Bernhard Philipp führte dort ein Möbelgeschäft. Georg wurde Kaufmann wie sein Vater. Er nahm am Ersten Weltkrieg teil und kehrte, 24 Jahre alt, als Frontsoldat ausgezeichnet, zurück. Die beiden Schwestern heirateten polnische Ehemänner und lebten mit ihren Familien in Berlin.
Lore Philipp kam am 7.5.1903 als Lore Emma Wolf in Elberfeld zur Welt. Ihre Eltern waren der Kaufmann Louis Wolf und Rosalie, geborene Grüneberg. Sie hatte drei ältere Schwestern, Ernestine, Dorothee, genannt Thea, und Margarethe, genannt Grete. Die vier Töchter wurden gutbürgerlich erzogen.

Lore Philipps Mutter, Rosalie Grüneberg, hatte schon eine Vertreibung erlebt. Sie war am 17. Juni 1868 in Enniger in Westfalen geboren worden. Dort ereignete sich 1873 ein Sexualmord, der als Ritualmord gedeutet und einem Juden mit Namen Spiegel (Vorfahre von Paul Spiegel, dem langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Jüdischen Gemeinden Deutschlands) angelastet wurde. Obwohl ihn die Ermittlungsbehörde für unschuldig erklärte, kam es zu antijüdischen Ausschreitungen, in deren Folge die jüdischen Familien wegzogen. So gelangten Rosalie Grünebergs Eltern, der Handelsmann Emanuel Grüneberg und Esterchen, geb. Mosheim, mit ihren Kindern Rosalie und Albert nach Gütersloh, wo Rosalie am 8. August 1890 die Ehe mit Louis Wolf, der vermutlich in Elberfeld lebte, einging. Albert Grüneberg wurde Arzt, ließ sich nach dem Studium in Köln nieder und gründete eine Familie.

Wann und wo sich Georg Philipp und die neun Jahre jüngere Lore Wolf kennen lernten, ist nicht bekannt. Sie heirateten ein Jahr nach dem Tod von Lores Vater 1926 in Köln. Louis Wolf war 1925 in Elberfeld gestorben und auf dem dortigen jüdischen Friedhof bestattet worden. Albert Grüneberg vertrat bei der Heirat Lore Wolfs nicht ihren verstorbenen Vater als Trauzeuge, sondern richtete auch die Hochzeit aus. Lore Philipp zog zu ihrem Ehemann nach Rathenow. Dort kam am 6.11.1927 ihr Sohn Horst zur Welt.

Vermutlich beeinflusst durch den in Hamburg lebenden Kommerzienrat Hermann Schöndorff, Vorstandsmitglied der Rudolf Karstadt AG, zog Georg Philipp mit seiner Familie bald nach Horsts Geburt nach Hamburg, wo er bei Karstadt in der Mönckebergstraße eine gut bezahlte Stellung in der Möbelabteilung antrat. Zunächst wohnte die Familie in der Hansastraße 77, zog dann aber nach Borgfelde, erst in die Eiffestraße 464, dann in das bürgerliche Oben Borgfelde, Nr. 27, und etablierte sich dort. Lore Philipp trug Sorge dafür, dass Horst unbeschwerte Kindheitsjahre in ihrer Obhut erlebte. Sie besuchten die Großmutter in Elberfeld, während es kaum Kontakt zu den väterlichen Verwandten gab. Philipps waren assimilierte Juden, die Geselligkeit auch mit Nichtjuden pflegten. Sie hielten sich zum liberalen Tempel in der Oberstraße. Die Dauer ihrer Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde lässt sich nicht eindeutig belegen.

Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise, verlor Georg Philipp spätestens 1931 seinen Arbeitsplatz und fand auch keine neue Anstellung. Er machte sich selbstständig: Mit seinem Fahrrad fuhr er Kaffee aus, auch heiße Würstchen und anderen Imbiss. Davon konnte die Familie leben. Offenbar veräußerten Philipps außerdem später das Herrenzimmer, was zur Sicherung des Lebensunterhalts beitrug. 1936 zogen sie zum Grindelberg 33.

Horst war 1934 in die Talmud Tora Schule am Grindelhof eingeschult worden und machte deren späteren Umzug in die Karolinenstraße mit. Er fühlte sich in der Schule aber nicht wohl, weil die Fächer nach der Einschränkung des Sprachunterrichts kaum noch seinen Interessen entsprachen. Er liebte Theater, Kino und Schlagermusik. Zu Hause gab es ein Elektrola-Grammophon und 30 (Schellack-)Schallplatten und eine Mutter, die gern Geige spielte. Durch die Vermittlung von Alfred Katz in Hoheluft verdiente er sich als Balljunge Geld für seine Hobbies.
Außer der Schule beeinträchtigten antisemitische Erfahrungen seine Lebensfreude. Eine Nachbarin denunzierte seine Eltern, weil er eine Tiroler Lederhose trug, was für "Nichtarier" bei Strafe verboten war. Die Eltern wurden zur Gestapo vorgeladen und zahlten die Strafe. Bei Horst wuchsen Angst und Trauer, aber er empfand keinen Hass.
Lore Philipps älteste Schwester Ernestine war in Berlin in zweiter Ehe verheiratet. Dorothee, verheiratete Frohwein, lebte von ihrem Mann geschieden. Sie war in der unter der Verantwortung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland stehenden Heil- und Pflegeanstalt für jüdische Patienten und Patientinnen in Bendorf-Sayn untergebracht. Ihre Schwester Grete, verheiratete Ullmann, war mit ihrem Ehemann Leo und dem Sohn über Großbritannien in die USA ausgewandert. Auch Georg Philipps Schwester Herta Koplowitz und ihre Familie hatten Deutschland verlassen, die Tochter Ruth lebte mit ihrer Mutter in Spanien, der Sohn Peter in San Diego. Seine Nichte Hanna war nach Palästina emigriert.
Lore Philipp hielt es für an der Zeit, zu emigrieren, aber ihr Mann wehrte jeden Gedanken daran ab, da er sich als dekorierter Frontsoldat des Ersten Weltkriegs sicher glaubte. Lore wandte sich dennoch mit der Bitte um ein Affidavit an ihre Verwandten in den USA, wartete aber vergeblich darauf.
Zum Jahreswechsel 1939/1940 kam Lores Mutter Rosalie Wolf aus Elberfeld zu Besuch nach Hamburg. Sie war 71 Jahre alt, verwitwet und war krank. Am 5. Januar 1940 starb sie im Israelitischen Krankenhaus, das sich zu der Zeit in der Johnsallee 54 befand, an einem Schlaganfall. Sie wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Ohlsdorf bestattet.

Am 8. November 1941 verließ der zweite der Hamburger "Evakuierungs"-Transporte den Hannoverschen Bahnhof. Ziel war Minsk, wo er zwei Tage später eintraf. Nach der Ankunft im Getto in Minsk mussten die Deportierten als Erstes die Spuren der blutigen Säuberung, die vorangegangen war, beseitigen. Georg und Horst Philipp wurden danach außerhalb des Gettos zur Arbeit eingesetzt. Zusammen mit anderen 14- bis 16-Jährigen arbeitete Horst im Wald, wo sie Baumstämme transportierten. Er gewann unter tonangebenden Leuten Freunde, was ihm und seinen Eltern bis 1943 das Überleben im Getto ermöglichte. Dann wurden sie getrennt. Lore und Georg Philipp wurden, wie man später Horst Philipp berichtete, bei einer "Aktion" außerhalb des Gettos erschossen.

Da Horst mit 16 Jahren als für einen Arbeitseinsatz in einem Lager geeignet galt, überführte man ihn 1943 zusammen mit zwei Freunden in ein Konzentrationslager, das erste von vierzehn, die er durchlief, zuletzt das KZ Sachsenhausen. Auf einem sog. Todesmarsch gelangte er nach Neustadt an der Flensburger Förde. Dort wurde er auf ein Schiff verbracht, das offenbar versenkt werden sollte, er wurde jedoch vom Schwedischen Roten Kreuz gerettet und lebte einige Monate in der Obhut einer schwedischen Rot-Kreuz-Schwester und ihrer Familie. Noch im Sommer 1945 zog er in die USA und absolvierte später eine Ausbildung zum Damenfriseur. Seinen Vornamen änderte er in Gary Harlan.
Lore Philipps Schwester Ernestine hatte 1939 in dritter Ehe in Berlin Willy Simonson geheiratet. Beide wurden am 15. August 1942 nach Riga deportiert und unmittelbar nach ihrer Ankunft drei Tage später erschossen. Die Schwester Dorothea wurde von Bendorf-Sayn Ende April, Anfang Mai 1942 in das Getto von Krasniczyn deportiert, wo sich ihre Spur verliert.
Georg Philipps Schwester Gertrud, verheiratete Klesczewski, war nach Polen emigriert und kam dort mit ihren beiden Kindern Hilde/Chaja und Heinz Baruch um.
Lore Philipps Onkel Albert Grüneberg und seine Ehefrau Philome, die in Köln lebten, entkamen dem Transport nach Theresienstadt durch Flucht aus dem dortigen Sammellager, offenbar dank der Hilfe nichtjüdischer Deutscher, und erlebten das Ende des NS-Regimes in einem Versteck.


© Hildegard Thevs

Quellen: 1; 4; 5; 9; Hamburger Adressbücher; Gedenkbuch; StaH, 332-5 Standesämter, 8168-18/1940; 351-11 AfW, 48905; 522-1 Jüdische Gemeinden, 992 e 2 Deportationslisten, Band 2; Werkstatt der Erinnerung, persönliche Aussagen von Gary H. Philipp; Photos aus Privatbesitz; Stadtarchiv Gütersloh; Stadtarchiv Rathenow; Stadtarchiv Wuppertal; Neue Deutsche Biographie (digital); Firmenzeitung Karstadt; mündliche Mitteilungen von Remigius von Boeselager, 4.9.2013 mit freundlichem Hinweis auf Der Spiegel 24/1984 und 38/1985.
Zur Nummerierung häufig genutzter Quellen siehe Link "Recherche und Quellen".

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