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Thekla Hinkel * 1875

Tornquiststraße 7 (Eimsbüttel, Eimsbüttel)


HIER WOHNTE
THEKLA HINKEL
JG. 1875
SCHUTZ IM BUNKER
VERWEIGERT
TOT 2.11.1944

Thekla Hinkel, geb. Hirschfeld, geb. am 5.7.1875 in Hamburg, gestorben am 2.11.1944 durch Herzinfarkt im Bunker Henriettenstraße

Tornquiststraße 7

Die Hebamme, die der kleinen Thekla half, auf die Welt zu kommen, hieß Selig. Die Geburt fand in der Wohnung von Theklas Eltern statt, in der Holstenstraße 3. Die Eltern, das waren die aus den Niederlanden stammende Betje, geborene Goudstikker, die kurz nach der Geburt ihrer Tochter 25 Jahre alt wurde, und der sechs Jahre ältere Hamburger Kaufmann Wolff Hirschfeld.

Betje Goudstikker war am 24.6.1850 in Rotterdam geboren worden, als älteste Tochter des Kunsthändlers Salomon Elias Goudstikker und seiner Frau Grietje, geborene Klisser. Sie bekam neun Geschwister, wobei ihre zweitjüngste Schwester Sophia um die Jahrhundertwende zu den prominentesten Vertreterinnen der Münchner Frauenbewegung zählte. Um 1867 verließ Familie Goudstikker die Niederlande und ließ sich in Hamburg nieder. Von dort aus siedelten die Eltern zusammen mit den jüngsten Kindern nach Dresden über, wo Salomon Goudstikker 1892 starb. Betje war in Hamburg geblieben. Dort heiratete sie 1873 Wolff Hirschfeld – am 5. Mai standesamtlich und rund vier Wochen später in einer feierlichen Zeremonie nach jüdischem Ritus, geleitet von dem Oberrabbiner Anschel Stern der Deutsch-Israelitischen Gemeinde.

Wolff Hirschfeld war am 9.4.1844 als Sohn des Schuhmachers Alexander Wolff Hirschfeld und dessen Ehefrau Pauline, geborene Präger, zur Welt gekommen. Zur Zeit der Hochzeit arbeitete er als Commis, also als kaufmännischer Angestellter. Betje und er wohnten damals noch bei seinen Eltern in der Holstenstraße 3. Ein Dreivierteljahr nach der Hochzeit, am 9.3.1874, wurde ihre erste Tochter geboren, Jeannette. Ein gutes Jahr später kam Thekla zur Welt. Jeannette heiratete am 26. November 1897 den Dürener Kaufmann Adolph Katzen­stein. Die Ehe wurde rund fünf Jahre später, am 13. Juni 1903, geschieden und Jeannette nahm offiziell wieder ihren Mädchennamen an. Am 14. Juli 1929 fand die Polizei sie tot in ihrer Wohnung in der Heinrich-Barth-Straße 5. Möglicherweise hat sie sich, 55-jährig, das Leben genommen.

Über Thekla Hirschfelds Lebensweg ist nicht viel bekannt. Dass sie berufstätig war, ist wahrscheinlich, denn sie lebte allein und heiratete für die damalige Zeit sehr spät. Bei der Trauung am 10. Januar 1930 mit dem Handelsvertreter Wilhelm Carl Heinrich Hinkel hatte sie das 56. Lebensjahr erreicht. Wilhelm Hinkel war am 2.1.1888 in Hanau geboren worden und mithin zwölf Jahre jünger als Thekla. Seit 1925 wohnte er in Hamburg und gehörte, anders als seine Frau, der evangelischen Kirche an. Aus diesem Grund musste Thekla mit der Heirat die Jüdische Gemeinde verlassen.

Sowohl sie als auch Wilhelm hatten vor der Eheschließung zur Untermiete gewohnt. Er lebte zuletzt im Grindelviertel, genauer: im Grindelthal, wie das Stück der Grindelallee zwischen Hausnummer 14 und 16 damals hieß, Thekla in Alsterdorf, in der Alsterdorfer Straße 361. Nach der Heirat veränderte sich die Wohnsituation der beiden zunächst nicht. Offenbar konnten sie sich lange keine eigene Wohnung leisten. Mehrfach zogen sie als Untermieter innerhalb Eimsbüttels um, bis sie im Oktober 1939 endlich ein eigenes Zuhause fanden: eine Ladenwohnung im Souterrain des Hauses Tornquiststraße 7.

Seit Dezember 1938 galt Thekla und Wilhelm Hinkels Verbindung im Vokabular der Nationalsozialisten als "privilegierte Mischehe". Geschützt durch ihren nichtjüdischen Ehemann, musste Thekla Hinkel keinen "Judenstern" tragen und erhielt auch keinen Deportationsbefehl. Gleichwohl spitzte sich die Situation des Paares Ende 1944 dramatisch zu. Wilhelm Hinkel war, wie er später dem Hamburger Amt für Wiedergutmachung schrieb, bereits 1939 für sechs Monate ins Gefängnis gekommen. Der Grund sei seine Ehe mit einer Jüdin gewesen. Aus demselben Grund musste er ab dem 27. Oktober 1944 Zwangsarbeit leisten. Damit zählte er zu der großen Gruppe nichtjüdischer Ehemänner jüdischer Frauen (bezeichnet als "jüdisch Versippte"), die im Oktober 1944 zusammen mit jüdischen "Mischlingen" zum Arbeitseinsatz bei der Organisation Todt herangezogen wurden – zum einen, weil die deutsche Wirtschaft kriegsbedingt dringend männliche Arbeitskräfte benötigte, zum anderen, weil man die Männer so dazu bringen wollte, sich von ihren jüdischen Ehefrauen scheiden zu lassen. Die 1938 gegründete Organisation Todt hieß nach ihrem ersten Leiter, dem einstigen Reichsminister für Bewaffnung und Munition Fritz Todt; zu ihren Hauptaufgaben gehörten kriegswichtige Baumaßnahmen in Deutschland sowie in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten. Die Hamburger Dienstverpflichteten hatten Glück im Unglück: Sie wurden in ihrer Heimatstadt eingesetzt und mehrheitlich nicht "kaserniert", d. h. in Lager eingewiesen. So musste Wilhelm Hinkel zusammen mit anderen Zwangsarbeitern für die Hamburger Baufirma John Kriegeris & Co. Trümmer räumen und Leichen bergen. Dabei durften sich die Männer nicht einmal bei schweren Bombenangriffen in einen Bunker flüchten. Eigentlich hätte Wilhelm Hinkel zudem im Stadtparklager in Alsterdorf untergebracht werden sollen, einem Lager für zwangsarbeitende Kriegsgefangene sowie für zivile Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. Das Lager war jedoch ebenfalls zerstört worden, so dass er in seiner Wohnung schlafen durfte. Dafür musste er jeden Morgen um 6.30 Uhr zusammen mit den anderen zum Appell auf dem Hegeplatz antreten, zeitweilig bewacht von SS-Leuten.

Wenige Tage nach seiner Dienstverpflichtung ereignete sich bei ihm zu Hause eine Katastrophe. Am 2. November 1944 erlitt Thekla Hinkel abends gegen 22.30 Uhr beim Betreten des Hochbunkers in der Henriettenstraße einen tödlichen Herzinfarkt. Sie hatte sich zusammen mit ihrem Ehemann vor einem Bombenangriff in Sicherheit bringen wollen. Da die diensthabende Rote-Kreuz-Schwester keinen Arzt erreichen konnte, wurde Thekla mit Einverständnis ihres Ehemanns von dem Beerdigungsunternehmer Jochens aus dem Eppendorfer Weg in die Leichenhalle des Hafenkrankenhauses gebracht. Ihr Herz hatte wohl der dauerhaften psychischen Belastung nicht mehr standgehalten, in ständiger Angst, nicht zu wissen, wie lange sie als Jüdin noch durch ihren Ehemann geschützt sein würde – zumal Wilhelm Hinkel zur Zwangsarbeit herangezogen wurde. Auch mag die permanente Bedrohung durch die seit Monaten auf Hamburg niedergehenden Bombenangriffe hinzugekommen sein.

Mit dem Tod seiner Frau änderte sich an Wilhelm Hinkels Situation zunächst nichts. Eigentlich hätte er umgehend aus der Zwangsarbeit entlassen werden müssen. Das geschah aber erst rund vier Wochen später, am 9. Dezember 1944 – und auch das nur, nachdem er mehrfach dem Hamburger NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann geschrieben und ihn auf den Sachverhalt hingewiesen hatte. Dafür bekam er wenige Tage nach Thekla Hinkels Beerdigung auf dem Ohlsdorfer Friedhof Besuch von einem Mitarbeiter des Oberfinanzpräsidenten, der ihm erklärte, dass sämtliche Habe seiner Frau beschlagnahmt würde, darunter auch alles während der Ehe Erworbene wie Wäsche und Kleidung. Zudem müsse er die Wohnung räumen, sie ginge in Parteibesitz über. Er solle nun umgehend eine Liste der entsprechenden Sachen aufstellen und, falls er sich weigere, käme er in ein KZ. Nachdem er dem Befehl gefolgt war, erschien zwei Tage später ein Auktionator bei ihm und versteigerte alles vor Ort. Der Erlös in Höhe von rund 540 Reichsmark ging abzüglich der Unkosten für den Auktionator an den Oberfinanzpräsidenten. Ein Bett, einen Tisch und einen Vorhang hatte er vor der Versteigerung noch zum Preis von 150 Reichsmark zurückkaufen dürfen, was er notgedrungen tat. Er brauchte diese Dinge für seine neue Unterkunft, eine befreundete Familie in Winterhude hatte ihm ein Zimmer zur Verfügung gestellt.

Nach Kriegsende ließ Wilhelm Hinkel die Urne seiner Frau in einen anderen Bereich auf dem Ohlsdorfer Friedhof verlegen, weil er die ursprüngliche Lage für zu dunkel und abgelegen hielt. Er selbst starb 1970.

© Frauke Steinhäuser

Quellen: 1; 9; Adressbücher Hamburg; StaH 331-5 H 2436 Polizeibehörde – Unnatürliche Sterbefälle;
StaH 332-5 Standesämter 1201 u. 793/1944; StaH 332-5 Standesämter 13290 u. 4/1930; StaH 332-03 Zivilstandaufsicht A Nr. 206; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 10101; Residentenliste 1939; http://de.wikipedia.org/wiki/Sophia_Goudstikker (Zugriff: 5.11.2012); www.frauenmediaturm.de/themen-portraets/feministische-pionierinnen/anita-augspurg/auswahlbibliografie/anita-augspurg-eine-biographische-recherche (Zugriff: 5.11.2012); Franz Häußler, Fotografie in Augsburg, S. 154f.; http://jorge.home. xs4all.nl/gen/pp/d0000/I31361.html (Stammbaum Elias Salomon Goudstikker; Zugriff 5.11.2012); http://jorge.home.xs4all.nl/gen/pp/d0016/I31437.html (Stammbaum Betje Goudstikker, Zugriff 5.11.2012); Friederike Littmann, Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft; Meyer, "Jüdische Mischlinge", S. 237ff., Meyer (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden, S. 79ff.

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